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13. Sonntag im Jahreskreis 2023

2 Kön 4,8-11.14-16a; Röm 6,3-4.8-11; Mt 10,37-42

Marienhospital

 

 

„Wir alle, die wir auf Jesus Christus getauft wurden, sind auf seinen Tod getauft worden.“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

wohl kaum jemand von uns wird sich an seine Taufe erinnern. Wir waren alle kleine Kinder, als das Taufwasser über uns gegossen wurde. Aber wissen wir eigentlich, welcher unser Tauftag war? Vermutlich gibt es nur wenige Christen, die an ihrem Tauftag an ihre Taufe denken und vielleicht Dank dafür sagen.

 

In den ersten Jahrhunderten der Kirche war es anders. Normalerweise wurde man als Erwachsener getauft. Und das nach einer langen Vorbereitung und Auseinandersetzung mit dem Glauben. Auch die großen Kirchenväter wie Augustinus waren als Heiden aufgewachsen. Sie hatten bei ihrer Suche nach der Wahrheit und nach Gott, nach dem wahren Sinn des Lebens oft alle möglichen Religionen und Weltanschauungen ausprobiert bevor sie die christliche Botschaft kennenlernten. Oft waren es Freunde oder Bekannte, die sie darauf hinwiesen. Wenn sie dann nach heftigen inneren Auseinandersetzungen zur Überzeugung kamen, dass nur Christus die Wahrheit sein kann und dass man durch den Glauben an Christus Gemeinschaft mit Gott bekommt und damit eine Perspektive der Ewigkeit, ja, dann ließen sie sich taufen. Damit schlossen sie sich der Glaubensgemeinschaft der Christen an. Und damit bezeugten sie: Ja, ich glaube aus ganzem Herzen, dass Christus die Wahrheit über mein Leben ist und dass mein Leben nur durch ihn zu Gott findet und vollendet wird. Die Taufe war für sie mindestens so einschneidend, wie für uns heute die Hochzeit oder der Tag der Priesterweihe.

 

Leider ist später durch die Praxis der Kindertaufe diese starke Erfahrung verloren gegangen. Wir wissen zwar, dass wir getauft wurden und damit zur Kirche gehören. Aber welche Bedeutung die Taufe hat und was durch sie geschieht, das ist bei vielen in Vergessenheit geraten. Dabei ist durch die Taufe das eigentlich entscheidende in unserem Leben geschehen. So sagt es uns heute Paulus in der 2. Lesung aus dem Römerbrief. Wie sollen wir das verstehen?

 

Nun, tatsächlich kommen wir ja ohne Glauben auf die Welt. Der Glaube, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, ist uns nicht angeboren. Wir kommen auch mit einer abgrundtiefen Angst auf die Welt: Angst um unser Leben. Denn unser Leben ist ständig bedroht: von Unfällen, von Krankheit, von Menschen, die es nicht gut mit uns meinen, von Krieg und Katastrophen. Ständig müssen wir uns sorgen: um das tägliche Brot, um den Arbeitsplatz, um die Gesundheit, um den Erhalt des Friedens im Kleinen wie im Großen. Und mitunter fühlt man sich ganz allein auf sich gestellt. Wem gehören wir eigentlich? Welche Zukunft haben wir? Unter welchem Stern steht unser Leben? Was wird die Zukunft bringen? Und was geschieht, wenn ich sterbe? Wenn ein lieber Angehöriger stirbt? Gehören wir dem Nichts? Sind wir gemacht für den Untergang und die Vernichtung?

 

In der Taufe wird unser Leben unter die Verheißung Gottes gestellt. Wir werden Kinder Gottes. In der Taufe wird nämlich unser Leben mit Jesus unlöslich verbunden, mit dem Sohn, mit dessen Tod und dessen Auferstehung. Dadurch wird Gott auch unser Vater. Wir feiern darin, dass unser Leben Zukunft hat trotz aller Sackgassen, in denen wir oft meinen zu stehen. Dass unserem Leben eine Zukunft gegeben wird, die auch durch das Dunkel des Todes nicht verbaut wird. Sind wir mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Denn der Sohn Gottes wurde unser Bruder. Damit werden wir mit Jesus verschwistert. Der Sohn Gottes hat unser Leben geteilt, unsere Vergänglichkeit, unser menschliches Schicksal. Er ist einer von uns geworden. Ja, er hat auch Leiden und Tod mit uns geteilt. Und wer mit ihm verbunden ist, wer sich ihm zugehörig weiß, wer an ihn glaubt, der weiß auch, dass sein Leben unter einer österlichen Verheißung steht. Denn wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn.

 

Nichts anderes wollte Jesus uns verkünden: Ihr gehört nicht dem Nichts; ihr gehört auch nicht irgendwelchen Mächten, Führern und Verführern; ihr gehört nicht einem System. Auch nicht den Sternen. Ihr gehört auch nicht dem Tod. Ihr gehört Gott. Wer deshalb mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer Jesus aufnimmt, wer sich ihm zugehörig weiß, der nimmt Gott auf, der bekommt Gemeinschaft mit Gott. Genau dies geschieht in der Taufe. Gott hat uns in seinem Sohn als Brüder und Schwestern seines Sohnes angenommen. Also gehören wir Gott – im Leben und im Sterben.

 

Wir sind also nicht dunklen Mächten ausgeliefert, auch wenn es manchmal so scheint. Im Glauben an Jesus dürfen wir uns in Gott geborgen wissen. Die Sorgen dieser Welt, die Angst um unsere Zukunft und unser Heil kann von ihrer Bedrohlichkeit verlieren. Unser größtes Problem ist wahrscheinlich unsere Vergänglichkeit. Manchmal spüren wir sie gar nicht – wenn wir uns stark und glücklich fühlen. Dann aber macht sie sich wieder bemerkbar: die Jahre schwinden dahin und mit ihnen Kraft und Gesundheit. Oft wollen wir das nicht wahrhaben, verdrängen das. Wir sind verwundbar, wir stoßen an unsere Grenzen. Da ist sie wieder, die Vergänglichkeit, die wir nur so schwer annehmen. Doch im Glauben an Jesus können wir auch zu unserer Vergänglichkeit ein anderes Verhältnis gewinnen. Wir können uns anders zu ihr verhalten, sie auch annehmen und nicht um jeden Preis Fitness und Gesundheit zu unserem Gott erheben. Denn solche Götter retten uns nicht. Nachweislich lassen sie uns im Stich. Das meint Jesus, wenn er im Evangelium sagt: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.“ Sein Kreuz annehmen, heißt lernen, die eigene Vergänglichkeit anzunehmen. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer sich um jeden Preis an sein Leben klammert, der wird es ja trotzdem verlieren. Daran führt kein Weg vorbei. Wer aber im Glauben an Jesus sein Leben auch loslassen kann, der wird es gewinnen. Und er wird schon in diesem Leben mehr Gelassenheit und Freude haben. Denn er steht dann nicht mehr unter der Macht dieser abgrundtiefen Angst.

 

Hart scheint vielleicht das Wort Jesus zu sein: Wer Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und doch ist es wahr. Denn kein Mensch, mag er uns noch so lieb sein, kann unserem Leben den letzten Sinn und die Vollendung schenken. Und dieses Wort Jesu ist auch sehr entlastend: kein Mensch darf genötigt werden, für uns den lieben Gott zu spielen und uns dann unvermeidlich enttäuschen zu müssen. Wenn wir uns an Menschen, z. B. an Ärzte klammern, wie man sich nur an Gott festhalten kann, dann machen wir aus ihnen Götzen, die uns aber nicht geben können, was wir zutiefst ersehnen: ewiges Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

 

Vielleicht sind die Lesungen des heutigen Sonntags eine Gelegenheit, dass wir uns wieder dankbar an unsere Taufe erinnern. Wir wurden mit Christus verbunden. Wir wurden Kinder Gottes. Unser Leben steht unter einer großen Verheißung – ganz gleich in welcher Situation wir uns gerade befinden. Diese Gemeinschaft mit Christus setzt sich nach der Taufe fort durch das ganze Leben. In der Eucharistie feiern wir sie. Wir halten unsere hungrigen, leeren Hände hin und lassen uns Christus wieder schenken. Damit er in uns ist. Und wenn Christus in uns ist, dann dürfen wir darauf vertrauen: Gott sieht in uns seinen Sohn und liebt uns mit derselben Liebe, mit der er seinen Sohn liebt.

 

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12. Sonntag im Jahreskreis 2023

Jer 20,10-13; Ps 69; Röm 5,12-15; Mt 10,26-35

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Dreimal sagt Jesus heute zu seinen Jüngern: „Fürchtet euch nicht!“ Das heutige Evangelium ist ein Abschnitt aus der Aussendungsrede: Die Jünger sollen sich, wenn sie den Glauben verkünden, nicht fürchten, nicht Angst haben, weder vor den Menschen, noch vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Es gibt also Schlimmeres als den Tod. Und schließlich sollen sie sich ganz allgemein nicht fürchten, denn sie sind in Gottes Augen viel mehr wert als alle Spatzen. Und selbst die Haare auf unseren Köpfen sind alle gezählt. Fürchten sollen sie sich nur vor dem, der in die Hölle führt, in die endgültige Gottverlassenheit.

Die Rede Jesu gilt auch uns, die wir oft so ängstlich sind um uns selbst. Deshalb verschweigen wir mitunter unseren Glauben, verstecken ihn, um nicht anzuecken oder gar für verrückt gehalten zu werden in unserer entchristlichten Gesellschaft. Man braucht Mut, um den Glauben an Jesus heute zu verkündigen. Aber Angst stellt sich in vielen Situationen ein. Wir sprechen von Ängsten. Angst ist wohl ein Grundzug menschlicher Existenz. Das spüren wir besonders in dieser Zeit, in der sich so viel verändert und große Krisen die ganze Menschheit erschüttern. Wovor haben wir Angst?

Wir haben Angst um unser Leben. Sie ist eigentlich positiv, weil sie uns vor unmittelbaren Gefahren warnt. Aber sie kann auch übermächtig werden, Die Angst vor dem Tod ist wohl die größte Angst, die unser Leben bestimmt. Alle anderen Ängste haben damit zu tun. Es ist die Angst vor dem Vernichtetwerden. An sorglosen Tagen spüren wir sie gar nicht. Doch unterschwellig ist sie immer vorhanden und meldet sich reflexhaft, sobald wir uns einer Bedrohung ausgesetzt sehen. Auch alltägliche Ängste, z. B. die Angst vor einem Unfall, vor Krankheit, Flugangst, Angst, nicht genug vom Leben abzukriegen oder zu wenig zu gelten, aber auch Ängste um andere Menschen, die wir lieben und die uns nahe stehen, haben mit dieser Grundangst zu tun. Mit ihr kommen wir bereits auf die Welt. Sie ist uns vorgegeben. Es ist das Gefühl, letztlich nicht geborgen, sondern dem Nichts ausgesetzt zu sein. In solchen Momenten brechen viele Gewissheiten weg. Manchmal ist es, als würde uns der Boden unter den Füßen weggezogen.

Nicht selten wird diese Angst auch benutzt, um unser Handeln zu bestimmen. Aus Angst vor Mobbing etwa oder vor dem Verlust des Arbeitsplatzes können Menschen sich verleiten lassen, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Ganze Strukturen des Bösen können entstehen, die alle mit unserer Angst arbeiten und sie sich zunutze machen. In der Nazizeit konnte man mit der Angst um berufliches Fortkommen Menschen dazu bringen, Unmenschliches zu tun. Denn Menschen tun alles, um die eigene Haut, die eigene Sicherheit zu retten. Auch die zahlreichen Mafias und Diktaturen sind Kettenreaktionen von Angst und Erpressung. Wenn wir uns ängstigen, machen wir vieles falsch und handeln unvernünftig und unverantwortlich. Die Angst hat eine übergroße Macht, besonders wenn sie sich verbindet mit Eitelkeit, Geltungssucht und Machtgier. Die Angst ist die Wurzel aller Sünde.

Der Mensch kann der Macht der Angst um sich selbst aus eigener Kraft nicht entfliehen. Das ist so aussichtslos wie der Versuch des Barons von Münchhausen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Wir bleiben, wie die Bibel sagt, zeitlebens Knechte der Angst, wenn wir uns nicht durch Gottes Wort von dieser Knechtschaft befreien lassen.

Die abgrundtiefe Angst hängt damit zusammen, dass wir endlich und sterblich sind, verwundbar und zerbrechlich. So vieles bedroht unser Leben. Wir kommen nämlich nicht mit der Gewissheit auf die Welt, im letzten in Gott geborgen zu sein. Diese Gewissheit, das Vertrauen in Gottes Liebe, also der Glaube, ist uns nicht angeboren. In der Theologie nennen wir diesen Zustand „Erbsünde“. Paulus spricht davon in der 2. Lesung: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod.“ Diese Angst um uns selbst wird uns vererbt. Sie ist der Grund, warum wir sündigen. Der Glaube an Gottes Güte ist uns nicht angeboren. „Vererbt“ wird uns nur unsere nackte und dem Tod geweihte Existenz, um die wir so sehr fürchten. Die Gewissheit, in Gott umfassend geborgen zu sein, muss uns erst vermittelt werden. Bei den meisten sind es wohl unsere Eltern gewesen, die uns von Kindesbeinen an durch viele vertrauensbildende Maßnahmen Geborgenheit geschenkt haben. Diese Elternliebe ist dann im Lichte des Wortes Gottes ein Gleichnis dafür, dass wir in Gott geborgen sind im Leben und im Sterben. Der Glaube an Gottes Güte muss uns also erst vermittelt werden. Wir können uns diese Gewissheit nicht selber schenken. Sie muss uns durch andere Menschen geschenkt und durch gute Erfahrungen immer wieder bestärkt werden, so dass sie uns niemand mehr nehmen kann.

Man kann uns alles nehmen, Hab und Gut, Gesundheit, geliebte Menschen, Freunde wie in der Bibel bei Ijob. Oder selbst das Leben wie bei Jesus. Das kann unseren Glauben zutiefst erschüttern. Denn der Glaube nimmt uns nicht die Angst, aber er ist stärker als die Angst. Wie bei Jesus am Ölberg. Der Glaube befreit uns aus der Macht der Angst und hilft uns, die Angst zu ertragen, sie durchzustehen ohne unmenschlich zu werden. Uns nicht mehr von ihr treiben zu lassen. Ijob konnte auch in allergrößter Not sagen: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Ijob .19,25). Gott blieb ihm unverständlich und rätselhaft. Doch niemand konnte ihn von diesem letzten Vertrauen abbringen.

Ein solcher Glaube an Gott, der stärker ist als die Angst, ist allen Menschen zu wünschen und zu verkünden. Denn dazu ist Gottes Sohn gekommen und hat unser Menschsein mit uns in allem geteilt, um uns aus der Macht der Angst zu befreien. Erlösung nennen wir das. Deshalb sind wir, seine Jünger und Jüngerinnen, ausgesandt, um die Wahrheit Gottes weiterzusagen. Es ist der Glaube, der uns überhaupt erst zur Vernunft bringt und uns menschlich statt unmenschlich handeln lässt.

Leider erleben wir heute, dass der Glaube an Christus nur noch selten weitergegeben wird. Selbst in vielen christlichen Familien wird der Glaube den Kindern nicht mehr vermittelt. Viele Eltern verstehen nicht, wie wichtig es ist, ihren Kinder dieses Vertrauen in Gottes Güte und diese Perspektive der Ewigkeit zu vermitteln.

Die Macht der Angst lässt sich nur durch Vertrauen, durch Glauben überwinden, in Gott für alle Ewigkeit geborgen zu sein.

Unser Glaube braucht Nahrung, genauso wie unser Leib täglich Nahrung braucht. Gottes Wort ist diese Nahrung. Und die Sakramente. In dieser Stunde will Christus uns wieder beschenken mit seinem Leib, der uns in Gottes Augen unsterblich macht.

 

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10. Sonntag im Jahreskreis 2023

Hos 6,3-6; Ps 50; Röm 4,18-25; Mt 9,9-13

Benediktinerinnenkloster in Osnabrück

 

 

Hört auf die Stimme des Herrn; verschließt ihm nicht das Herz!

Liebe Schwestern und Brüder,

Diesen Kehrvers haben wir nach der 1. Lesung dieses Sonntags gesungen. Er beschreibt die Umkehr des Zöllners Matthäus aus dem Evangelium.

Erstaunlich , wie der Matthäus keinen Moment zaudert als Jesus ihn zur Nachfolge auffordert. Vermutlich hat Jesus selbst nicht mit dieser Wirkung seines Wortes gerechnet: Matthäus steht sofort auf, verlässt seinen Job und folgt Jesus nach. Er kehrt um von einem Leben, das er vermutlich schon seit einiger Zeit als sinnlos und gottlos erfuhr. Als Zollpächter war er ein Geldeintreiber für die Römer, die Palästina unter ihre Knute genommen hatten. Zöllner erhoben Marktzoll, Grenzzoll und Brückenzoll. Matthäus  musste damit in einem ausbeuterischen System funktionieren. Zöllner waren beim Volk verhasst. Das Wort „Zöllner“ war ein Schimpfwort. Sie kollaborierten mit der feindlichen Besatzungsmacht und zogen für diese die Steuern ein. Und in ihrem Beruf waren sie korrupt, sie nahmen Schmiergelder an, sie verlangten mehr als offiziell gefordert war, pressten das Volk aus und wirtschafteten in die eigene Tasche Nicht selten brachten sie es zu ansehnlichem Reichtum in einer Gesellschaft, die mehrheitlich aus armen Menschen bestand. Sie waren öffentliche Sünder.

 

So ein Halunke war Matthäus. Und in der Begegnung mit Jesus lässt er sofort alles hinter sich, ohne lange zu überlegen. Er öffnete ihm das Herz. Folge mir nach! Sagt Jesus zu ihm. Offenbar eröffnete sich für Matthäus durch das Wort des Herrn eine völlig neue Lebensperspektive: mit Jesus neue Wege gehen, ein anderer werden, die Wertschätzung Gottes finden. Beherzt ergreift er die Gelegenheit. Jetzt oder nie, mag er sich gesagt haben.

 

Aber Matthäus war wohl eine erstaunliche Ausnahme. Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!, sagt Jesus später zu den Pharisäern, die ihn argwöhnisch beäugten. Geht und lernt! Das mag bedeuten, dass Umdenken und Umlernen für die meisten Menschen mühsam ist und Zeit braucht. Wir sehen es heute gerade beim Umdenken und Umlernen im Klimaschutz, wie schwer wir uns tun, unser Leben zu ändern, wie viel Zeit wir brauchen, um ein Bewusstsein dafür zu bekommen, wie klimaschädlich unser Verhalten und unser Wirtschaften ist. Und noch länger brauchen wir, um uns von liebgewonnen Gewohnheiten zu verabschieden, etwa beim Autofahren und beim Fliegen.

 

Und so sagt Jesus zu den frommen Pharisäern: Geht und lernt! Er weiß, dass Umdenken mühsam ist und Zeit braucht. Er hält ihnen das Prophetenwort Hoseas vor (1. Lesung), das die Pharisäer ja bestens kannten: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.

 

Sie nahmen Anstoß an Jesus. Er lag – vermutlich im Hause des Matthäus – mit anderen Zöllnern und Sündern zu Tisch und aß mit ihnen. Vermutlich bildeten sie den Bekanntenkreis des Matthäus: Kollegen und andere Sünder. Was waren das für Sünder? Sicher nicht normale Leute mit ihren alltäglichen kleinen Sünden. Es waren öffentliche Sünder, Menschen, die gegen das Gesetz Gottes verstießen und als religiös unrein galten und deren Sünden ansteckend waren. Wer mit ihnen Umgang pflegte, wurde selber kultisch unrein.  Deshalb machte man einen großen Bogen um sie. Was waren das für Leute?  Dirnen vielleicht, Diebe, Ehebrecher, gar Knabenschänder. Menschen also mit höchst anrüchigem Lebenswandel. Kann Gott das Unverzeihliche verzeihen?

 

Jesu Tun war keine Kleinigkeit. Es war skandalös. Das war so, als wenn heute ein Bischof in einem Restaurant oder einem Biergarten gesehen würde, wie er mit einem verurteilten stadtbekannten Kinderschänder zu Tisch sitzt, mit ihm isst und sich mit ihm unterhält. Überlegen wir mal, was für ein Skandal das auslöste: in der Zeitung, in den Medien, in der Öffentlichkeit. Nicht auszudenken! Aber nicht anders hat Jesus gehandelt. Wie kann euer Meister mit Zöllnern und Sündern essen? Es Jesus nachzutun braucht viel Mut.

 

Offenbar sah Jesus in diesen Sündern auch Kinder Gottes, eben kranke Kinder Gottes. Er sah ihr Unheil. Er billigte ihre Sünden natürlich nicht. Doch suchte er, sie zur Umkehr zu bewegen, indem er ihnen Würde schenkte. Kranke brauchen den Arzt, nicht die Gesunden. Um ihretwillen ist er doch gekommen: Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder. Sollten wir es ihm nicht nachtun? Nachfolgen?

 

Und so zeigt er, wie Gott ist und was Gott will: Barmherzigkeit und nicht Opfer. Mit „Opfer“ ist die Religion gemeint, der Opferkult im Tempel. Religion wird leer, verkommt zu bloßem Ritual und Getue, wenn die Barmherzigkeit fehlt, die Öffnung des Herzens. Wie wir sie praktizieren, muss jeder und jede für sich selbst ausbuchstabieren. Wer braucht Gottes Barmherzigkeit? Wer braucht mein Erbarmen?

 

Mehr oder weniger Sünder sind wir alle. Auch wir leben aus Vergebung und aus Gottes Erbarmen und Gnade. Wer Jesu barmherziges Tun gläubig betrachtet, kann sich selbst als von Gott angenommen erfahren. Und wird befreit vom pharisäischen Blick auf andere. Denn mit uns Sündern setzt der Herr sich auch jetzt zu Tisch, sagt uns sein Wort des Erbarmens und isst und trinkt mit uns. Diese Gnade mit uns war nicht billig. Sie hat ihn am Ende nicht nur den Ruf, sondern das Leben gekostet.

 

Das ist das Opfer, das Gott uns dargebracht hat.

 

 

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Pfingsten 2023

 

Gehalten am Pfingstsonntag in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

groß war die Überraschung am Pfingsttag über die Jünger. Die Menschen aus allen Ländern staunten; denn jeder hörte diese einfachen Galiläer in seiner Sprache sprechen. Andere aber sagten: Sind die angetrunken??

Was ist geschehen an Pfingsten?

Vor einiger Zeit stieß ich in einer Buchhandlung auf ein kleines Buch, das mich sehr bewegt hat. Der Autor heißt Antoine Leiris, ein junger französischer Intellektueller. Der Titel des Buches lautet: „Meinen Hass bekommt ihr nicht.“ Dieser junge Mann hat bei den entsetzlichen islamistischen Attentaten in Paris im  November 2015 seine Ehefrau verloren und sein kleiner Sohn von eineinhalb Jahren seine Mutter. Seine Frau Hélène war an jenem Abend im Musiktheater Le Bataclan bei einem Konzert. Dort wurde sie mit weiteren 89 Menschen kaltblütig ermordet. Eine von vielen Katastrophen, die fassungslos machen.

Wenige Tage nach diesem Geschehen hat Antoine Leiris sich über Facebook an die Mörder seiner Frau gewandt:

Freitag abend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes; aber meinen Hass bekommt ihr nicht.

„Meinen Hass bekommt ihr nicht!“

Liebe Schwestern und Brüder, welcher Geist spricht aus solchen Worten? Welcher Mut? Welche Kraft?

Oder ist er betrunken, verrückt?

So könnte man meinen. In einer hasserfüllten Welt scheint es nur normal zu sein, auf Hass mit Hass zu antworten. Auf Bosheit mit Bosheit. Auge um Auge.

Aber so bleibt alles beim Alten. In dieser hirnlosen Welt, in der die Unvernunft, der Ungeist herrscht. Krieg in der Ukraine, im Sudan, in Yemen, in Palästina.

„Meinen Hass bekommt ihr nicht!“

Ein neuer Geist, ein neues Denken: Heiliger Geist, sagen wir dazu. Alle Jünger Jesu wurden am Pfingsttag von ihm erfüllt.

Es ist der Geist Gottes, der Geist Jesu. Er schenkt ein neues Denken. Und aus dem neuen Denken folgt ein neues Handeln, das das Antlitz der Welt erneuert. Es ist dieser Geist, der uns überhaupt erst zur Vernunft bringt. Glaube und Vernunft werden ja oft als Gegensätze verstanden. In Wirklichkeit ist es aber der Glaube, der uns zur Vernunft bringt.

Manche mögen denken: Er spinnt, dieser Antoine, er ist krank.

Doch millionenfach hat er auf Facebook zustimmende, einfühlende und liebevolle Antworten bekommen. Sie zeigen, dass der Heilige Geist viele Menschen erfüllt.

Ich weiß nicht, ob Antoine ein praktizierender Christ ist. Wenn nicht, dann folgt er unbewusst, anonym dem Beispiel Jesu.

Am Ostertag, als die Apostel hinter verschlossenen Türen saßen aus lauter Angst und vielleicht auch aus Scham, tritt Jesus in ihre Mitte. Überlegen Sie mal, was man drei Tage zuvor mit Jesus gemacht hat. Man hat ihn zu Tode geprügelt, gefoltert, ans Kreuz genagelt, ermordet. Er hätte nach der Logik der Welt allen Grund, die Menschen zu hassen, die ihm das angetan und auch die, die ihn in Stich gelassen haben. Und nun tritt dieser Gekreuzigte in die Mitte der Jünger. Die Apostel haben ihn zwar nicht getötet, aber zu ihm gehalten haben sie auch nicht. Vor Angst sind sie weggelaufen, Judas hat ihn verraten, Petrus ihn verleugnet, nur um die eigene Haut zu retten. Und jetzt sitzen sie hinter verschlossenen Türen, voller Angst und Scham wie Adam und Eva sich nach dem Sündenfall vor Gott versteckt hielten. Und da tritt der Gekreuzigte in ihre Mitte und zeigt seine Wunden an Händen und Füßen: Guckt mal, was man mir angetan hat! Und dann sagt er ähnliches, sogar noch mehr als Antoine zu den Mördern seiner Frau. Er sagt, ganz überraschend: Shalom aleichem! Friede mit euch! Shalom bedeutet im Hebräischen mehr als nur Friede, mehr als nur Abwesenheit von Krieg und Hass. Es meint ein umfassendes Versöhntsein, das im Versöhntsein mit Gott gründet. Eingewickelt sein in die Gnade. Shalom – Friede mit euch, seid eingewickelt in die Gnade! Und er haucht sie an und schenkt ihnen seinen Geist: „Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie nicht vergebt, dem sind sie nicht vergeben.“ Man könnte ergänzen: Wer soll sie denn vergeben, wenn nicht ihr es tut?

Der von uns verwundete und getötete Herr schenkt Frieden. Auch wir haben nicht aufgehört, ihn zu verwunden. Antoine schreibt weiter an die Mörder seiner Frau:

Wenn der Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die den Körper meiner Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.

Ostern und Pfingsten gehören zusammen. Wir feiern sie zwar nacheinander mit einem Abstand von 50 Tagen. Aber nur weil wir langsam denken und weil wir wohl Zeit brauchen, den Geist anzunehmen und zu verstehen, was er uns sagt. Aber im Johannesevangelium, das wir heute gehört haben, ereignet sich Pfingsten bereits am Abend des Ostertages: Er hauchte sie an und sprach: „Empfangt Heiligen Geist!“ Denn man braucht Heiligen Geist, um zu verstehen, dass der Gekreuzigte lebt. Wer diesen Geist nicht hat, wer die Apostel, wer Antoine für verrückt hält, für den behalten Hass und Gewalt das letzte Wort. Denn sie scheinen das Normale zu sein. Aber zu bekennen, dass der Gekreuzigte lebt, erfordert Mut, erfordert Courage, erfordert Kraft. Man kann es nur mit einem neuen Denken, mit einem neuen Geist. Antoine Leiris drückt diesen Glauben an die Auferstehung in einem Brief an die Mörder seiner Frau mit eigenen Worten so aus:

Zugegeben, der Kummer zerreißt mich, diesen kleinen Sieg habt ihr errungen, aber er wird von kurzer Dauer sein. Ich weiß, dass sie (meine Frau) jeden Tag bei uns sein wird und dass wir uns in jenem Paradies der freien Seelen widerbegegnen werden, zu dem ihr niemals Zutritt haben werdet.

„Diesen kleinen Sieg habt ihr errungen.“ Der scheinbare Sieg des Bösen und des Hasses über die Liebe. Der scheinbare Sieg der Todesmaschinerie über die Liebe Jesu – er war von kurzer Dauer. Der Gekreuzigte lebt. Er hat einen neuen Geist gebracht. Die Jünger, Antoine und rund um die Erde Millionen auf Facebook haben sich von diesem ansprechen und vielleicht entzünden lassen wie von Feuerzungen.

Nein, schreibt Antoine an die Mörder seiner Frau, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr es darauf angelegt habt; auf den Hass mit Hass zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger misstrauisch beobachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.

Dies ist ein Osterbekenntnis: Der Spieler ist noch im Spiel, der Gekreuzigte – ihr habt ihn nicht tot gekriegt. Ihr habt verloren.

An Pfingsten treten die Jünger heraus aus dem geschlossenen Raum. Sie treten an die Öffentlichkeit, der Glaube an Christus wird zur res publica, so wie man heute auf Facebook geht. Und Petrus sagt in seiner anschließenden Pfingstrede: Jesus, den ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht habt – ihn hat Gott von den Wehen des Todes befreit und auferweckt.

Seine Zuhörer traf es mitten ins Herz und sie fragten die Apostel: Was sollen wir tun? Und Petrus antwortete: Bekehrt euch! Jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden.“

Denn: Unseren Hass bekommt ihr nicht.

Komm, Heiliger Geist, Esprit Gottes! Erneuere unser Denken! Erneuere die Welt!

 

 

 

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1. Fastensonntag

Gehalten am 26.2.2023 in Osnabrück, St. Pius

Gen 2,7-9; 3,1-7; Ps 51;  Röm 5,12-19; Mt 4,1-11

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Schon seit einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine.  Dabei stellen sich nicht nur bange politische und militärische Fragen. Es stellen sich auch theologische Fragen: Wer ist eigentlich Putins Gott? An welchen Gott glaubt er?

Offenbar – und das wird immer deutlicher – will er selbst Gott sein, jedenfalls der Gott, den er sich vorstellt. Und so spielt er sich auf zum Herrn über Leben und Tod, überzieht ein Volk mit unendlich viel Leid und Zerstörung, macht sich selbst unverwundbar und steckt alle Menschen ins Gefängnis, die ihn nicht bewundern, ihn nicht anbeten, sondern kritisieren.  Putin kann das, weil er eine überragende Machtposition hat und über alle militärischen Mittel verfügt, mit denen er die ganze Welt zerstören kann, wenn er nur will.

So ist das, wenn ein Mensch in dieser Position der Versuchung erliegt, wie Gott sein zu wollen und sich selbst mit Gott verwechselt. Dann wird er zum Teufel.

Die Schlange im Paradies war schlauer als alle Tiere des Feldes. Sie wusste, dass der Mensch sich danach sehnt, mehr zu sein als ein sterblicher Mensch, nämlich allwissend, allmächtig und unverwundbar. Das ist der Urwunsch des Menschen. Denn der Mensch hat Angst um sich selbst, Angst zu sterben. Wie eine giftige Schlange schleichen sich deren Worte in das Herz des Menschen und flüstern ihm ein, diese Angst des Menschen um sich selbst zu überwinden. Sie lassen den Menschen an Gottes Gebot zweifeln. Sie säen Misstrauen Gott gegenüber: „Meint Gott es wirklich gut mit uns?“ So fragen auch wir manchmal. Und schließlich gaukelt die Schlange dem Menschen vor: „Nein, ihr werdet nicht sterben, sondern ihr werden wie Gott sein.“  

Und so geben schon die ersten Menschen der Versuchung nach, größer sein zu wollen als was sie sind. Doch nach dem Sündenfall gehen ihnen tatsächlich die Augen auf, und sie erkennen, dass sie nackt und bloß sind, jetzt erst recht dem Tod ausgeliefert. Sie sind aus dem Paradies, aus der Obhut Gottes herausgefallen. Und so beginnt die unheilvolle Geschichte der Menschheit, die Geschichte der vererbten Schuld von Generation zu Generation. Denn der Glaube, die Gewissheit, in Gott geborgen zu sein, ist uns nicht angeboren. Vererbt wird uns nur diese nackte und dem Tod geweihte Existenz. Wir kommen alle nackt und bloß auf die Welt und müssen uns anziehen, uns bedecken, weil uns die Obhut Gottes fehlt und wir uns nicht mehr so zeigen können, wie wir sind. Wir möchten das Paradies wiederfinden und es uns selber machen. Und dabei stiften wir Unheil. Und so kam durch die ersten Menschen, die Bibel nennt sie Adam und Eva, der Tod zu allen Menschen.

An Gestalten wie Putin, Stalin, Hitler geht uns auf, was geschieht, wenn Menschen sich zum Gott über andere machen, sich als Heilbringer ausgeben, sich auf einen Sockel stellen und sich anbeten lassen. Aber in diese Versuchung kann jeder von uns geraten. Der Unterschied ist nur, dass wir nicht die Stellung und die Machtmittel haben wie Putin. Aber das Sein-wollen-wie Gott kann in jedem von uns schlummern. Der Chef, der den lieben Gott spielt für seine Mitarbeiter, die Eheleute, die füreinander meinen, den lieben Gott spielen zu müssen, das Ein und Alles füreinander zu sein, die Eltern, die ihre heranwachsenden Kinder nicht loslassen können; der Lehrer oder die Lehrerin, die ihre Macht über die Schüler missbrauchen; der Priester, der seine hervorgehobene Stellung dazu missbraucht, um das Vertrauen von Minderjährigen für seine abartigen Wünsche auszunutzen.

Ja, die biblische Erzählung vom Sündenfall ist nicht nur eine Geschichte über ein erstes Menschenpaar, sondern eine Geschichte über uns alle.  Wer ist dein Gott, o Mensch? Vor wem fällst du nieder? Wer ist dein Ein und Alles? Man kann sich selbst zum Gott aufspielen. Aber auch alles mögliche kann dem Menschen zum Gott, zum Idol, zum Götzen werden, von dem er sich Heil und Glück verspricht. Woran wir unser Herz hängen, das ist unser Gott. Wir sehen: In den heutigen Bibeltexten geht es um das Erste Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. Das heißt: Nichts und niemand soll uns zum Gott werden, von dem wir uns Heil und Leben erwarten. Denn diese Götzen kann man wieder verlieren. Wir müssen sie krampfhaft festhalten, und wir verzweifeln, wenn man sie uns nimmt. Und dann fühlen wir uns nackt und bloß.

Die Fastenzeit lädt uns ein und ermutigt uns, diese Götzen loszulassen und uns zum wahren Gott zu bekehren und von ihm unser Heil zu erwarten. Gott gegenüber nicht misstrauisch zu sein, sondern seinem Wort vertrauen, dass wir in seiner Obhut sind.

Sein Wort ist Jesus. Er ist der neue Adam. Ihm verdanken wir, dass wir wieder Gemeinschaft mit Gott haben. Unverbrüchlich. Und Jesus hat – anders als Adam und Eva – den listigen Trug des Teufels durchschaut: Die Versuchung, im Brot den Konsum zu vergötzen, die Welt zum Supermarkt zu machen, der Versuchung, Gott zu testen und eine spektakuläre Schau abzuziehen und sich selbst als Gott zu gebärden und schließlich der Versuchung zur Macht. Jesus hat dem Teufel keinen Raum gewährt. Und so ist er auch unser Erlöser geworden. Einer von uns, der nicht gesündigt hat – so hat er uns gezeigt, wie der Vater sich den Menschen gedacht hat.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Jesus ist dieses Wort, das Gott uns gesagt hat. Denn kein Brot der Welt, kein Glück auf Erden, ja selbst die ganze Welt reicht nicht dazu aus, um das Herz des Menschen, seine Sehnsucht nach Gott, zu erfüllen. Nur der Gott, ohne den nichts ist, kann unseren Hunger stillen.

Das verwandelte Brot der Eucharistie ist dieses Wort, das aus Gottes Mund stammt und den Menschen selig macht.

 

 

 

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7. Sonntag im Jahreskreis

Lev 19,1-2.17-18; Ps 103; 1 Kor 3,16-23; Mt  5,38-48

Gehalten am 19.2.23 in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.

Liebe Schwestern und Brüder,

ist das nicht eine Überforderung, was der Herr hier verlangt? Und was bedeutet dieses Gebot heute angesichts des Krieges in der Ukraine? Sollen die Ukrainer Putin lieben? Die russischen Soldaten willkommen heißen? Der Krieg würde dadurch tatsächlich beendet. Aber um welchen Preis?

Erinnern wir uns: In den 80er Jahren, als es um die Nachrüstung ging, rief man in der Friedensbewegung „Lieber rot als tot.“ Das scheint jetzt umgekehrt zu sein. Heldenhaft kämpfen die Ukrainer unter Lebensgefahr darum, nicht russisch werden zu müssen.

Und uns in Deutschland plagt das Problem: Dürfen wir der Ukraine schwere Waffen liefern oder nicht? Für beide Fälle ist zu bedenken, was die möglichen Folgen des Handelns oder des Unterlassens sein können. Ein wahres Dilemma! Zum einen muss man denen helfen, die ungerecht angegriffen werden. Zum anderen aber dürfen wir nicht Kriegspartei werden. Beides, liefern oder nicht liefern, kann zu verheerenden Folgen führen, die man sich nicht vorstellen möchte, die man aber dennoch bedenken muss, um das geringere Übel zu wählen. Und wie kann man als Christen dem Gebot Jesu am ehesten entsprechen?

Unsere Gesellschaft ist gespalten in diesen Fragen. Egal wie die Regierung entscheidet: es bleiben in jedem Fall hohe Risiken. Und dem Gebot Jesu wird man nur im Glauben folgen können, im Glauben, dass Gott das letzte Wort hat über Leben und Tod. Die Feinde lieben heißt nicht, dem Feind um den Hals fallen. Es heißt wohl vielmehr: Ich darf den Untergang und die Vernichtung des Feindes nicht wollen. Man sollte alles tun, damit auch der Feind vor Vernichtung bewahrt wird. Als Christ muss ich auch bereit sein, den ersten Schritt auf ihn zu zu gehen mit dem Risiko, den Kürzeren zu ziehen. Christen können so handeln, weil sie sich in Gemeinschaft mit Gott wissen. Ich kann für mich persönlich entscheiden, auch die linke Wange hinzuhalten. Aber ich kann diese Entscheidung nicht für andere treffen. Und erst recht kann der Staat diese Haltung Jesu nicht von allen seinen Bürgern verlangen. Denn nur im Glauben kann man das Risiko des ersten Schrittes auf den Gegner zu tun und um Verhandlungen bitten.

Ja, liebe Schwestern und Brüder, die Bergpredigt hat es in sich. Sie verlangt von uns Christen ein Handeln, das in den Augen der Welt nur töricht sein kann, wie Paulus in der 2. Lesung  sagt.: Die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. Das heißt umgekehrt: die Weisheit Gottes ist Torheit  für die Welt. . „Ich bin doch nicht blöd“, so versteht die Welt die Bergpredigt.

Aber Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie du mir, so ich dir scheint das natürliche Gesetz der Welt zu sein. Aber wir wissen, wie aussichtslos diese Maxime ist. Der ganze Nahostkonflikt wird nie enden, wenn es nach dieser Logik weitergeht. Der Herr möchte diese Logik durchbrechen durch ein neues Handeln aus Glauben an die Güte Gottes. Damit stellt er alles auf den Kopf. Stellen Sie sich vor, alle Christen würden plötzlich danach handeln: die Feinde lieben, dem Erpresser das Doppelte geben von dem, was er verlangt, Unrecht nicht mit Unrecht beantworten. Ich glaube, alle wären vermutlich ganz verwirrt, ja verunsichert. Wir kämen in die Krise. Ein paar beispiele:

·      Jemand, den ich wiederholt beleidigt und verletzt habe, lädt mich freundlich zu sich nach Hause zum Essen ein und bietet mir Vergebung an;

·      Ein Arbeitskollege, über den ich schlecht geredet habe und dessen Ruf und Karriere ich geschadet habe, setzt sich in einer schwierigen Situation ganz selbstlos beim Chef für mich ein;

·      Ein Freund, dem ich vor Jahren, als er mit seiner Familie in Not geriet, finanzielle Hilfe aus lauter Geiz verweigert habe, bietet mir jetzt, da ich arbeitslos geworden bin, großzügig Hilfe an.

Nanu? Sind die blöd? Wie erklärt sich solch unerwartetes Handeln? Es passt gar nicht in unsere Welt, in unsere Erwartungen. Soll es auch gar nicht. Denn die Welt ist gnadenlos.

Aber wer im Sinne der Bergpredigt handelt, schafft vielmehr eine neue Welt, ein neues Zusammenleben. Aus lauter Ichs wird ein Wir. Ist das nicht viel vernünftiger, viel „weiser“ nach Paulus, als wenn alles so weitergeht: Zahn um Zahn; wie du mir, so ich dir?

Wie aber kann man so weise werden, so gegen den Strich leben, so anders sein? Wollen wir das überhaupt?

Liebe Schwestern und Brüder, schauen wir auf Jesus. Lassen wir uns überzeugen von ihm. Er hat uns nicht nur eine Lehre in der Bergpredigt gegeben, er hat diese Lehre der Gewaltlosigkeit selbst gelebt bis zum Tod am Kreuz. In der Gewissheit, in Gott geborgen zu sein. Sein Reich, das Reich Gottes, beginnt im Kleinen,  da wo wir uns ganz persönlich der Logik dieser Welt verweigern in der Gewissheit, dass die Logik dieser Welt zur Gewaltspirale führt und vor Gott töricht, ja einfach blöd ist.  Unser Glaube an Christus überwindet die Angst, vor der Welt blöd dazustehen. Deshalb sagt Jesus: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner und die Heiden?“ Eben, das tun doch alle. Aber an euch soll etwas anderes sichtbar werden. Eben das unterscheidend Christliche. 

Handeln aus dem Geiste Jesu heißt aber weise sein vor Gott und Gott gefallen. Voraussetzung dafür ist, dass wir uns selbst von Gott bedingungslos angenommen und geliebt wissen. Dass wir uns im Leben und im Sterben ganz auf Jesu Wort verlassen können. Dass dieser Glaube stärker wird als alle Angst um uns selbst. Dann kann auch durch unser Leben Gott zur Welt kommen, seine Liebe in Zeiten des Hasses, sein Frieden in Zeiten des Krieges.

Wir feiern Eucharistie. Christus schenkt sich uns und damit auch seine bedingungslose Liebe. Er formt uns so zu Gottes Tempel und macht uns heilig. Von Paulus können wir uns sagen lassen:

Im Glauben gehört euch doch schon alles: „Welt, Leben, Tod, Gegenwart, Zukunft:

alles gehört euch.

Ihr aber gehört Christus,

und Christus gehört Gott.“

 

 

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26. Sonntag im Jahreskreis

 

Am 6,1a.4-7; Ps 146; 1 Tim 6,11-16; Lk 16,19-31

Gehalten am 25.9.22 in der Kapelle des Marienhospitals Osnabrück

  

Liebe Schwestern und Brüder,

Das heutige Evangelium, das Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus, wird manchen erschrecken. Andere wird es trösten und im Glauben bestärken.

Erschrecken wird es, weil es Bilanz zieht: Was kostet es, den Armen in dieser Welt zu übersehen? Nehmen wir das Gleichnis ernst, dann kostet es das ewige Leben. Ist dieser Preis nicht zu hoch? Man kann wirklich erschrecken. Und es soll ein heilsamer Schreck sein. Er soll all die zur Umkehr bewegen, die sich in diesem Leben schön und prächtig eingerichtet haben, das Leben auf Kosten anderer genießen, sich bereichern und keinen Blick für das Elend und das Leid anderer Menschen haben. Der reiche Prasser ist kein Mit-Mensch. Lazarus’ Hunger, Lazarus’ Elend, Lazarus’ Krankheit lässt ihn kalt und gleichgültig. Dabei wäre es für den Reichen ein Leichtes, dafür zu sorgen, dass Lazarus zu Essen bekommt und ein Dach überm Kopf.

Für andere, nämlich für die vielen Lazarusse in der Welt, kann unser Evangelium ein Trost sei. Sie können sich darin von Gott angeschaut wissen. Lazarus kann aus eigener Kraft nicht leben. Er ist angewiesen auf andere. Der Arme ist das Bild des Menschen, der vertrauensvoll Hilfe erwartet. Und der Name „Lazarus“ heißt übersetzt „Gotthelf“. Sein Vertrauen in die Menschen wird zwar enttäuscht. Sein Angewiesensein auf andere wird nicht beantwortet. Doch sein Vertrauen, das in diesem Leben ins Leere lief, wird nicht enttäuscht. Im Unterschied zum reichen Prasser hat Gott hingeschaut. Als Lazarus starb, wurde sein Leib vermutlich in einer Armengrube verscharrt. Doch er selbst wird „von den Engeln in Abrahams Schoß getragen“. Ganz feierlich. Er findet heim zu Gott. Was ihm auf Erden von den Menschen vorenthalten wurde an Leben und Würde, dass wird ihm nun in Überfülle zuteil.

Aber auch der Reiche starb. Sicher bekam er ein grandioses Begräbnis, starke Nachrufe und ein Grab aus Marmor mit der Inschrift „Hier ruht ...“. Den Namen kennen wir nicht. Es könnte der Name eines jeden von uns draufstehen.

Doch von Ruhe kann nicht die Rede sein. Ihm wurde nämlich im Tod alles genommen, alles, worauf er vertraut hat, alles, was sein Leben ausmachte. Nichts kann er mitnehmen. Er bleibt qualvoll mit sich allein, in dem Gefängnis, in dem er sich selbst eingeschlossen hat, weil er nicht offen war für andere und also auch nicht offen für Gott. Und so bleibt Gott, das Ziel unseres Lebens, für ihn unerreichbar. Er hat nicht erreicht, wozu Gott uns in Christus geschaffen hat. Er kann bei Gott nicht ankommen.

Dem Reichen wurde alles genommen. Lazarus dagegen wurde alles gegeben, wonach er sich sehnte und worauf er gehofft hat.

Heißt das jetzt, dass Gott den Lazarus rächt und keinen Blick hat für die Qualen des Reichen in der Unterwelt? Heißt das, dass man die Armen einfach auf das Jenseits vertrösten kann, damit die Verhältnisse in der Welt weiterbestehen können und die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werden kann?

Dies lag sicher nicht in der Absicht Jesu, als er dieses Gleichnis erzählte. Jesus stellt vielmehr in die Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben und will uns aufmerksam machen auf den Ernst unseres Lebens. Es ist vor Gott nicht gleichgültig, wie wir leben. Wir können die Vollendung unseres Lebens verfehlen, so wie der reiche Prasser, der keinen Blick für seine Mitmenschen hatte und deshalb auch kein Mitmensch war, sondern ein Unmensch.

Liebe Schwestern und Brüder, was geschieht eigentlich, wenn wir sterben? Dann wird unser Leben endgültig so sein, wie wir es gelebt haben. Dann lässt sich nichts mehr daran ändern. So bleibt der reiche Prasser das, was er immer war: er hat nur auf sich vertraut und nur auf sich selbst gesehen. Er hat sich wie im Paradies gefühlt und niemand von außen hineingelassen. Vermutlich aus Angst, dieses Paradies sonst zu verlieren. Denn alle Gier ist nur die Kehrseite der Angst, nämlich der Angst, nicht genug zu haben. Es ist, als hätte er eine Mauer um sich selbst gebaut. Im Tod nun wird man kein anderer, sondern man bleibt der, der wir im Leben waren. Jeder Mensch findet im Tod seine endgültige Gestalt. Danach lässt sich nichts mehr ändern. Aber dann lässt sich die Gier auch nicht mehr stillen. Alles das, worauf er gesetzt hatte, was ihm im Leben Sicherheit und Genuss bot, musste der reiche Prasser zurücklassen. Er kann sich damit nicht mehr über seine innere Leere hinwegtrösten. Was bleibt übrig? Nur die völlige Nacktheit dieses Menschen.

Die Unmenschlichkeit des Reichen hatte ihren Grund darin, dass er nicht auf Gott vertraute. Er vertröstete sich mit dem Diesseits und hat so alles verloren. Er glaubte nur an sich und war deshalb unfähig, zu wahrer Menschlichkeit.

Gott aber hat uns dazu gemacht, dass wir menschlich statt unmenschlich leben. Doch wie wird der Mensch menschlich? Jesus selbst hat uns das gezeigt durch sein Leben und Sterben. Er konnte menschlich sein, ja, der wahre Mensch sein, weil er sich in Gemeinschaft mit Gott wusste und Gott zutraute, dass er ewiges Leben schenkt. Menschen können sich füreinander wohl nur öffnen und miteinander teilen, wenn sie sich in Gott geborgen wissen und die Angst überwinden, nicht genug vom Leben abzukriegen. Die ganze Glaubensgeschichte zeigt uns vor allem in den Heiligen, dass Menschlichkeit nur dort wachsen kann, wo Menschen sich unter der Verheißung Gottes wissen und mit einer Perspektive der Ewigkeit leben. Denken wir an Menschen wie Franz von Assisi oder Mutter Teresa. Je mehr ein Mensch mit Gott verbunden ist, umso menschlicher wird er. Denn er steht dann nicht mehr unter Macht der Angst um sich selbst. Alle Einstellung zum Leben und zu den Mitmenschen ändert sich, wenn jemand Gottes Wort Vertrauen schenkt und sich von der Güte Gottes anschauen und einhüllen lässt. Wer sich in Gott weiß, bekommt auch ein Herz für die Armen, einen Blick für die Flüchtlinge, für die vielen Lazarusse, die an den Grenzen der Festung Europa, um Einlass bitten, für die Völker der Dritten Welt, die an unserer westlichen Lebensweise zugrunde gehen.

Der Heilige Vater ermutigt uns immer wieder, an die Grenzen zu gehen, dorthin, wo die Lazarusse unserer Zeit vor unserer Haustür liegen. Doch bevor wir die Türen öffnen können, müssen wir unser Herz öffnen und herausgehen aus dem selbstgemachten Gefängnis unserer Angst, wir könnten selbst zu wenig vom Leben abkriegen und am Ende selbst wie Lazarus werden. Nur wenn wir Gottes Güte annehmen, werden wir menschlicher und wahrhaft Mitmenschen. Denn Gott hat uns dazu gemacht, Mit-Menschen zu sein, die füreinander Verantwortung tragen.

Nirgendwo wird das deutlicher als in der Eucharistiefeier. In diesem Opfermahl vollzieht sich, was Gott für die Menschheit gedacht hat: dass alle als Mitmenschen, als Schwestern und Brüder miteinander zu Tisch sitzen und das Leben miteinander teilen, sich also hineingenommen wissen in die Lebenshingabe des Herrn, in das Leben, das Gott selber ist. Damit alle satt werden an Leben.

 

 

 

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21. Sonntag im Jahreskreis

Jes 66,18-21; Ps 117; Hebr 12,5-7.11-13; Lk 13,22-30

Marienhospital Osnabrück

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

die Bibellesungen des heutigen Sonntags bereiten einiges Kopfzerbrechen. So ist es nicht leicht, sie als frohe Botschaft für uns heute zu erschließen.

Da ist zum einen die 2. Lesung, die von „Züchtigung“ spricht. Der Hebräerbrief will die Züchtigung eines Sohnes durch dessen leiblichen Vater mit der Züchtigung des Christen durch Gott vergleichen. Gewissermaßen so: Wenn ihr leiden müsst, dann betrachtet es als Züchtigung Gottes, so wie ein Vater seinen Sohn züchtigt. Und noch mehr: Gott züchtigt uns gerade weil er uns liebt, so wie ein irdischer Vater seinen Sohn mit der Rute schlägt, weil er ihn liebt. Die Züchtigung scheint also im Dienste der Liebe zu stehen. Können wir diesen Gedanken heute noch nachvollziehen und bejahen? Wohl eher nicht. Vielfach wurde ja der Satz: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er“ über Jahrhunderte fatalerweise benutzt, um die Prügelstrafe zu rechtfertigen. Die älteren unter uns haben vermutlich von ihren Eltern oder in der Schule noch Prügel bekommen. Mein Englischlehrer machte es besonders sadistisch: Ich musste immer mal wieder die Finger auf den Tisch legen, und er schlug dann mit einem Lineal darauf. Fragt sich nur, welch gutes pädagogisches Ziel er mit solcher Misshandlung erreichen wollte. Und kann der Hebräerbrief solches gemeint haben?

Ich habe mir zur Predigtvorbereitung den Urtext auf Griechisch durchgelesen. Und ich war ganz erstaunt, dass da gar nichts von Züchtigung steht, außer in dem atl. Zitat in V. 6. Das griechische Verb παιδεύειν aber kann zwar auch „züchtigen“ heißen, aber seine Grundbedeutung ist „erziehen“. Ganz wörtlich heißt es: „ein Kind formen, gestalten“. Unser Wort Pädagogik kommt ja von παιδεύειν und bedeutet Kinderführung, Kindererziehung. Und gegen Erziehung kann niemand etwas haben. Sie ist etwas Positives. Und dazu gehört eben auch, dass man als Eltern oder Lehrer nicht alles durchgehen lässt. Eine Erziehung , die alles durchgehen lässt, ohne Forderung und Herausforderung, würde die Kinder ja lebensuntüchtig bleiben lassen. Eine Erziehung, die etwas fordert und manchmal auch begründet verbietet und straft, steht also durchaus im Dienste der Liebe und hilft den Heranwachsenden, das Leben später zu meistern. Ich verstehe nicht, warum man das Wort so einseitig mit „züchtigen“ übersetzt hat und damit zu großen Missverständnissen beigetragen hat. Natürlich hat es in der Antike auch die Prügelstrafe gegeben. Aber die Grundbedeutung des Wortes ist „erziehen“. Und das meint etwas viel Umfassenderes.

Und nun will der Text sagen: So wie ein Vater seine Kinder aus Liebe erzieht, so mutet Gott den Seinen Leiden und Entbehrungen zu. Ob man unsere Leiden und Nöte aber von Gott herleiten kann, dürfte wohl auch problematisch sein. Man kann ja an unserem Befinden nicht ablesen, wie Gott es mit uns meint. Wenn es uns gut geht liebt Gott uns ja nicht mehr als wenn es uns schlecht geht. Wie aber können wir nun verstehen, was die 2. Lesung sagen will?

Wohl jeder Mensch kennt auch Leiden und Entbehrungen, Lebenskrisen und auch Krankheit. Auch diese Dinge können uns erziehen, uns helfen, uns mit unseren Grenzen anzunehmen. Oft erkennt man das erst später. Viele machen die Erfahrung, dass sie aus einer tiefen Lebenskrise gestärkt hervorgehen. Oder wenn man eine Krankheit tapfer getragen und dann überwunden hat, kann es sein, dass man hinterher stärker ist als vorher, zumindest seelisch. Es kann sich dann auch eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Gott einstellen. Man kann ganz neu erkennen, dass wir eben nicht alles in der Hand haben und auch das Schwere annehmen können aus Gottes Hand. So kann im Glauben auch alles Schwere, das man ertragen musste, helfen, dass man näher zu Gott findet, dass man demütiger und achtsamer wird. Dass man versteht, dass Gesundheit und Wohlergehen nicht selbstverständlich sind, auch Frieden und Sicherheit nicht. Und dass wir nicht mehr denken müssen, wir seien nicht auf andere angewiesen. Wir dürfen dankbar sein gegenüber all denen, die uns in einer Lebenskrise zur Seite standen und denen, die uns während einer Krankheit gepflegt und ärztlich behandelt haben. Wer sich als Christ oder Christin versteht, weiß, dass wir im letzten alles Gott verdanken. Wir sind Kinder Gottes, weil sein Sohn unser Bruder geworden ist, der dieses Menschenleben mit all seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Prüfungen und Leiden durchlebt und durchlitten hat.

Und damit sind wir beim heutigen Evangelium. Auch hier wieder Kopfzerbrechen. Was meint der Herr mit der engen Tür und der Schwierigkeit, dort hineinzukommen? Er antwortet auf die Frage eines Mannes: „Sind es nur wenige, die gerettet werden?“Aber Jesus antwortet nicht mit Ja oder Nein. Er spricht von der engen Tür, und er will uns ermutigen, alles zu tun, was in unserer Macht steht, um durch diese Tür zu kommen. Nach dem Johannesevangelium ist Jesus selbst „die Tür“. Aber man muss an ihn glauben, dass er die Tür zu Gott, zum Reich Gottes, zum ewigen Leben ist. Und wer glaubt, der folgt ihm nach und tritt durch ihn in das Geheimnis Gottes ein. Wer wirklich glaubt und Jesus nachfolgt, ist eigentlich schon drin. Aber wer nicht glaubt, hat natürlich keine Perspektive der Ewigkeit, steht draußen vor. Für Menschen, die nicht glauben, bleibt der Tod die letzte Gewissheit. Wer glaubt und Jesus nachfolgt hat dagegen Hoffnung auf ewiges Leben in Gottes Wirklichkeit. Und das Wort Gottes scheidet die Menschen in Glaubende und Nichtglaubende. Deshalb muss es uns ein Anliegen sein, dass der Glaube verkündet wird und möglichst vielen Menschen diese Hoffnung auf das endgültige Reich Gottes schenkt. Also „bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.“

Auch hier geht es vermutlich um unsere christliche Erziehung: Weg von einem verkehrten Denken. Denn vielleicht haben wir uns angewöhnt, Gottes Liebe für selbstverständlich zu halten. So als schulde Gott uns seine Liebe. Aber Liebe ist nie selbstverständlich, auch unter Menschen nicht. Sie ist nie geschuldet. Sie ist immer ungeschuldetes Geschenk. Der Mensch kann zwar ohne Anerkennung, Freundschaft und Liebe nicht leben, aber er hat keinen Anspruch darauf. Auch das gehört zum Drama unserer Existenz: Wir sind auf Liebe und Anerkennung angewiesen, aber wir können sie nicht einklagen. Auch Gott gegenüber nicht. Wir können nur unsere leeren Hände hinhalten wie beim Empfang der Kommunion. Es ist Gnade, für die man nur danken kann.

Noch viel mehr könnte man zum Evangelium sagen. Aber für heute mag es reichen. Vielleicht hat es uns zu denken gegeben.

Schließen möchte ich mit ein paar Sätzen des evangelischen Theologen und Märtyrers Dietrich Bonhoeffer. Er hat sie 1944 in der Haft aufgezeichnet, wenige Monate vor seiner Hinrichtung. Bonhoeffer spricht von vier christlichen Gewissheiten, die wir auch in aller Not haben dürfen:

1.    „Gewiß ist, daß wir immer in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes leben dürfen und daß dieses Leben für uns ein ganz neues Leben ist; daß es für uns nichts Unmögliches mehr gibt, weil es für Gott nichts Unmögliches gibt; daß keine irdische Macht uns anrühren kann ohne Gottes Willen, und daß Gefahr und Not uns nur näher zu Gott treiben;

2.    gewiß ist, daß wir nichts zu beanspruchen haben und doch alles erbitten dürfen;

3.    gewiß ist, daß im Leiden unsere Freude, im Sterben unser Leben verborgen ist;

4.    gewiß ist, daß wir in dem allen in einer Gemeinschaft stehen, die uns trägt.

Zu all dem hat Gott in Jesus Ja und Amen gesagt.“

 

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20. Sonntag

Jer 38,4-10; Ps 40; Hebr 12,1-4; Lk 12,49-53

 

Gehalten im Benediktinerinnenkloster in Osnabrück

 

 

Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es brennte schon!

Liebe Schwestern,

scheinbar ein ganz anderer Jesus begegnet uns heute. Nicht der sanftmütige, nicht der pflegeleichte, nicht der, den wir vielleicht gerne hätten. Er spricht heute von Feuer und von Spaltung. Vielleicht sind wir erschrocken im ersten Moment. Man könnte an die gewaltigen Waldbrände überall auf der Welt denken, die verbrannte Erde, der brennende Planet!

Jesus klingt radikal. Und das war er auch. Jesus passt eben nicht in unser Bild von ihm. Er passt nicht in unsere bürgerliche Welt. Kein Wunder: einen pflegeleichten, einen netten, einen frommen, einen angepassten Jesus hätte man wohl nicht ans Kreuz geschlagen. Er wurde gekreuzigt, weil er provozierte, die Menschen beunruhigte und weil er das, was er verkündete, tatsächlich lebte. Er lullte die Menschen nicht ein wie die Tempelpriester. Jesus verhielt sich nicht korrekt, er eckte an, er stand quer zur Religion, zur Politik, zu den Herrschaftsverhältnissen. Denn er sagte die Wahrheit über den Menschen. Er nahm den Menschen die Illusionen, die sie so gerne pflegen: die Illusion, ein guter Mensch vor Gott zu sein, die Illusion, auf dem rechten Weg zu gehen, die Illusion, durch unsere Werke die Erfüllung unseres Lebens finden zu können.

Tatsächlich wurde Jesus von vielen als Brandstifter empfunden: Er verbrennt, was uns so kostbar ist. Er verbrennt unsere Träume vom gelungenen Leben. Er verbrennt religiösen Vorstellungen, indem er sie als Aberglauben entlarvt, er verbrennt auch unsere Gottesbilder. Sie sind nur unsere Projektionen. Und er verbrennt unsere Götzen, also das, woran unser Herz hängt. Und damit auch unsere Vorstellungen von Friede, Freude, Eierkuchen. Wer zu Jesus gehören will, muss sich das gefallen lassen.

Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen!

Jesus selbst war Feuer und Flamme für das Reich Gottes. Sein Herz brannte. Und er möchte mit seinem Feuer nicht nur verbrennen, was Illusion und Täuschung ist, sondern unser Herz entflammen. Wie froh wäre ich, wenn es schon brennte! Ein Mensch, der Feuer und Flamme für etwas ist, der ordnet alles andere dem unter, wofür er lebt und stirbt. Ja, der Mensch findet sich selbst wohl nur, wenn er für etwas leben und sterben kann.

Eine „Wolke von Zeugen“ (2. Lesung) hat uns das vorgelebt, was es heißt, Feuer und Flamme für Jesus zu werden, sich von ihm anstecken zu lassen und voll Leidenschaft für Gott zu brennen. Benedikt, Franz und Klara, Maximilian Kolbe, Mutter Teresa, Dietrich Bonhoeffer, Edith Stein, die Geschwister Scholl – um nur diese paar zu nennen aus der großen Wolke von Zeugen. Menschen, die für Gott brannten – nicht für irgendeinen Gott oder Götzen, nicht für Profit und Gewinn, sondern für den Gott, den Jesus uns gezeigt hat.

Wer sich von Jesus anstecken lässt, wer für seine Sache Feuer und Flamme wird, der brennt aber verbrennt nicht. Verbrennen müssen nur unsere Illusionen. Das Feuer des Glaubens läutert den Menschen wie Gold geläutert wird: Zurück bleibt der Glaubende in Feuer und Flamme. Er verbrennt nicht. Er gleicht dem geheimnisvollen brennenden Dornbusch aus der Bibel (vgl. Ex 3) mitten in der Wüste unserer Zeit: Ein Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt. So war Jesus: Ort der Anwesenheit Gottes in der Welt. So ist jeder, der sich von ihm entflammen lässt. Er brennt, ohne zu verbrennen.

Mit dem Feuer, das Jesus auf die Erde bringt, ist also der Glaube gemeint. Nur in diesem Glauben kann der Mensch die Wahrheit über sich aushalten: indem er auf Jesus blickt, den „Urheber und Vollender des Glaubens“ (2. Lesung). Und die Wahrheit ist, dass wir endlich und vergänglich sind, dass wir Sünder sind, dass auch durch uns viel Unrecht in die Welt kommt, dass wir unser Leben nicht selbst erfüllen und vollenden können. Nur im Glauben lässt sich diese Wahrheit ertragen. Denn sie ist dann umfangen von einer größeren Wahrheit: dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, dass wir in unserer ganzen Erbärmlichkeit in Gottes Liebe geborgen sind.

Nicht alle öffnen sich für das Wort Jesu. Viele verschließen sich. Viele scheinen aus nicht entflammbarem Material zu sein. Jesus selbst hat das – wie vor ihm schon der Prophet Jeremia (1. Lesung) - am eigenen Leib erfahren. Denn an ihm schieden sich die Geister, weil er die Menschen vor die Entscheidung stellte. So kommt es zur Spaltung. Im Inneren eines jeden Menschen. Denn in uns sind auch Anteile, die sich gegen den Glauben wehren: unser Unglaube. Nur wenn wir uns mit diesen Anteilen auseinandersetzen, können wir auch zum inneren Frieden finden. Spaltung entsteht aber auch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, ja auch zwischen Katholiken durch die Kirche hindurch. Was heute ganz offensichtlich ist. Das kann sich bis in die Familien hineinziehen und vielleicht auch in Klostergemeinschaften.

Frieden ist für Jesus eben kein fauler Friede, kein fauler Kompromiss. Frieden bedeutet für Jesus nicht konfliktlose Harmonie und Heilig-Abend-Stimmung unter dem Christbaum. Sondern Friede ist nur durch Auseinandersetzung und Versöhnung zu erreichen, durch offene Gespräche und indem man Konflikten nicht aus dem Weg geht. Letztlich kann Frieden nur wachsen, wo die Menschen Frieden haben mit Gott und deshalb die Interessen anderer anerkennen können.

Liebe Schwestern, im Glauben geht es um Entscheidung. Es geht dabei nicht um irgendeine religiöse Meinung, um Zölibat ja oder nein, um Frauenpriestertum ja oder nein, sondern um Wahrheit und Lüge, um Leben und Tod, um Himmel und Hölle, um Heil und Unheil. Der stets angefochtene Glaube ist das Feuer, das die Gottesfrage lebendig hält. Wer ist Gott? Wozu sind wir gemacht? Warum gibt es uns? Wo finden wir unsere Erfüllung?

Unsere Zeit verdrängt die Gottesfrage. Die Menschen tappen orientierungslos durchs Leben. Viele geben sich der Illusion hin, sie könnten die Erfüllung ihres Lebens in dieser Welt finden. Aber: Eine Krise jagt die andere. Die Welt hält nicht, was Menschen sich von ihr versprechen. Es dominiert die Angst, das Leben zu verpassen: Die Knappheitsängste, die Angst vor dem Krieg, vor dem neuen Klima. Die Welt wird so zu einem geschlossenen System. Sind wir allein mit den Putins dieser Welt? Viele suchen Trost in unverbindlichen religiösen Praktiken, die sie nur ruhig stellen und wie Drogen wirken. Doch Jesus wollte uns keine Beruhigungspillen geben. Die Ruhe, die er verheißt, gibt es nur, wenn wir uns aufgehoben wissen in Gott selbst. Deshalb gilt es, unsere Zeit zu beunruhigen, die Gottesfrage wach zu halten. Sie darf uns nicht zur Ruhe kommen lassen. Denn ohne dieses Feuer, das Jesus gebracht hat, bleiben wir zurückgeworfen auf uns selbst. Gott bleibt dann unerreichbar.

Dieses Feuer am Brennen zu halten – das ist unsere Aufgabe als Christen.  Und Klöster können Brenn-Punkte des Glaubens sein, an denen Gott sich kundtut wie dem Mose am Dornbusch.

 

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18. Sonntag

Predigt zu Kol 3,1-5.9-11

Gehalten in Osnabrück, St. Johann

 

„Ihr seid mit Christus auferweckt ...“

Liebe Schwestern und Brüder,

Wenn wir die Kirche betreten, dann gehen viele zuerst zum Weihwasserbecken und benetzen Stirn, Brust und Schultern mit dem gesegneten Wasser im Zeichen des Kreuzes. Dabei denken wir zurück an unsere Taufe, die die meisten von uns leider nicht bewusst miterlebt haben. Etwas ist bei der Taufe mit uns geschehen: „Ihr seid mit Christus auferweckt“. Paulus will uns in der 2. Lesung sagen: Ihr habt ein neues Sein empfangen, ihr seid andere geworden. Deshalb könnt ihr euer Leben neu und anders orientieren: „Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt, nicht auf das Irdische!“, sagt der Apostel.

Und ein paar Verse weiter sagt er es noch einmal: „Ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und habt den neuen Menschen angezogen“. Auch damit meint er das, was in der Taufe mit uns geschehen ist: Wer ist der alte Mensch, und wer ist der neue, den wir angezogen haben? Der alte Mensch ist der alte Adam, der von der Erbsünde beschädigte Mensch. Der neue Mensch ist Christus, der Sohn Gottes, der unser Bruder geworden ist. Er hat uns gezeigt, wer wir sind und wozu wir berufen sind: neue Menschen zu werden. Ja, wir sind gar nicht die, für die die meisten Menschen sich halten: alter Adam, alte Eva. Nein, wir haben Christuswürde bekommen. Wir sind Kinder Gottes geworden. Denn der Sohn Gottes ist unser Bruder geworden.

„Darum tötet, was irdisch an euch ist!“, sagt Paulus. Lebt als diese neuen Menschen, zu denen ihr berufen seid. Aber wie geht das? Denn der Apostel weiß auch: der alte Adam ist noch nicht ganz tot. Auch der Christ steht in der Versuchung, wieder zurückzufallen in das alte Leben. Und der Apostel führt die typischen Laster des Heidentums, des alten Adam an: Unzucht, böse Begierde und Habsucht, die ein Götzendienst ist. Man könnte noch andere Dinge ergänzen: Bosheit, Rachsucht, Lüge. Diese Dinge widersprechen dem neuen Leben, das wir in der Taufe empfangen haben.

Es geht Paulus um die Freude am Glauben, um die Freude daran, Kinder Gottes zu sein nach dem Bilde Christi. Denn durch die Taufe sind wir Glieder am Leib Christi geworden. Christus will deshalb unser Leben bestimmen.

Warum, Schwestern und Brüder, kommt die Botschaft Jesu durch uns nicht mehr richtig an bei den Menschen? Ob es an uns allen liegt? An der Kirche, die nicht mehr lebt, was sie verkündet? Was kann es heute heißen, zu Christus zu gehören?

Jedes Jahr zu Weihnachten feiern wir, dass Gottes Wort Fleisch geworden ist. Fleisch und Wort – was haben sie miteinander zu tun? Wort meint Sprechen, meint Sprache, Kommunikation. Wenn wir von Gottes Wort sprechen, dann meinen wir das Sprechen Gottes, Gottes Sprache. Und auch das Fleisch des Menschen hat seine Sprache. Nun, wie spricht Fleisch? Fleisch ist verwundbar, ist verderblich, sterblich. Deshalb hat es Angst, verwundet zu werden, zu sterben, Gammelfleisch zu werden. Wegen dieser Angst ist es gierig, hat Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen. Deshalb ist es habsüchtig, oft unersättlich: Gier nach Leben. Es will immer mehr und ist nie zufrieden. Das ist die Existenz des alten Adam.

Wenn nun aber Gottes Wort Fleisch wird, dann wird es nicht wie wir. Wenn Gottes Wort, Gottes Sohn unser Fleisch, also unsere Existenzform angenommen hat, dann hat unser Fleisch in Jesus eine andere Sprache gesprochen: nicht mehr die Sprache des Fleisches, des alten Adam. Es hat vielmehr Gottes Sprache gesprochen, nämlich die Sprache der Liebe, der Hingabe, des Loslassens. Jesus war kein Festhalten an sich selbst, denn er lebte nicht aus Angst um sich selbst. Deshalb war er auch nicht gierig und habsüchtig. sondern ganz uns gar Gabe, Geschenk, Sprache Gottes. In seinem Leben und Sterben hat sich Gottes Wort ausbuchstabiert. Darin hat sich gezeigt, wozu unser Fleisch bestimmt ist, wie Gott es sich gedacht hat.

Liebe Schwestern und Brüder: offenbar ist unser Fleisch, unsere Fleischesexistenz dazu bestimmt, die Sprache des Fleisches, die Sprache des alten Adam zu verlernen. Dafür haben wir unsere Lebenszeit, um nach und nach die Sprache Gottes zu erlernen, die Sprache der Liebe und der Hingabe, des Sich-Verschenkens und des Loslassens. Denn wir müssen, wenn wir zum Glauben gekommen sind, nicht mehr aus Angst um uns selbst leben. Und deshalb müssen wir nicht mehr gierig und habsüchtig sein.

Freilich: Das verwirklichen wir nicht auf Anhieb, sondern nach und nach. Dazu muss man sich immer wieder Gottes Wort sagen lassen, es bedenken, ihm vertrauen. Wenn Gottes Wort – und das ist Christus – in uns ist, wenn Christus unser Leben bestimmt, dann spricht auch unser Fleisch eine andere Sprache. Dann spricht Gott aus uns.

Bitte verwechseln Sie das jetzt nicht mit Moral. Es geht nicht um moralische Klimmzüge. Es geht darum, sich dem Sprechen Gottes in Jesus auszusetzen, sich von seinem Geist erfüllen zu lassen, sich von seinem Wort ansprechen zu lassen und sich so als ganz neue Menschen zu verstehen, als geliebte Kinder Gottes. Die Freude am Glauben, die Freude an Gott, die Perspektive der Ewigkeit verändert wie von selbst unser Tun und Lassen und lässt etwas von Christus in der Welt sichtbar werden. So wirkt sich die Taufgnade in unserem Leben aus.

Wenn wir jetzt Eucharistie feiern, dann denken wir daran: Christus tritt in mein Leben, in mein Herz. Sein Fleisch kommt in mein Fleisch. Es macht mich zu einem neuen Menschen. Und mein Leben ist mit Christus verborgen in Gott, eingewickelt in seine Gnade.

 

 

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17. Sonntag

 

Gen 18,20-32; Ps 138; Kol 2,12-14; Lk 11,1-13

 

Gehalten in Osnabrück, St. Angela und Maria Königin des Friedens

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

Herr, lehre uns beten!

Eine eigenartige Bitte, die der Jünger da ausspricht. Er musste doch eigentlich wissen, was Beten heißt. Als frommer Jude war er mit der Bibel groß geworden und hatte beten gelernt. Was will er nun von Jesus noch mehr lernen?

Gibt es einen Unterscheid zwischen der Art, wie Jesus betete und der Art, wie die anderen Menschen beten? Weit verbreitet ist die Ansicht, beim Beten würden wir zu Gott beten und dann hoffentlich eine Antwort bekommen. Doch wir bekommen keine Antwort. Es ist oft so, als würden wir in ein Telefon sprechen, das nicht angeschlossen ist. Ja, wie sollen denn unsere Worte auch den ewigen Gott erreichen können?

Christliches Beten ist etwas ganz anderes. Nicht wir sprechen zuerst zu Gott und warten dann auf seine Antwort. Es ist vielmehr umgekehrt. Gott hat zuerst zu uns gesprochen. Er hat uns sein Wort gegeben, er hat sich in Jesus selbst zugesagt, er hat uns Gemeinschaft mit sich geschenkt. Christliches Beten ist also unsere Antwort auf Gottes Wort. Nur wer sich schon von Gott angesprochen weiß, kann auch so beten wie Jesus. Beim Beten freuen wir uns darüber, dass Gott schon längst bei uns ist und uns angesprochen hat. Es ist jetzt Gott, der auf unsere Antwort wartet. Beim Beten vertrauen wir uns seinem Wort an. Im Leben und im Sterben dürfen wir uns in seinem Wort geborgen wissen.

Wie aber erreicht unsere Antwort Gott? Jesus hat Gott als Vater angeredet: „Abba“, so hat er Gott angesprochen. Abba ist im Aramäischen die ganz vertraute Anrede eines Kindes an seinen Vater: so wie bei uns Papi. Jesus wusste sich also in einem so vertrauten Verhältnis zu Gott, dass er ihn als Vater anreden konnte. Er verstand sich also in einem Sohnesverhältnis zu Gott. Und nun sagt er zu den Jüngern: Wenn ihr betet, so sollt auch ihr „Vater“ sagen. Jesus nimmt die Jünger also hinein in sein Sohnesverhältnis. Wenn wir Gott nun unseren Vater nennen, dann stehen wir in demselben Verhältnis zu Gott, in dem Jesus stand. Wenn wir Vater zu Gott sagen, dann hört Gott aus unserem Beten die Stimme seines Sohnes. Unser Beten ist dann also schon von Gottes Wort getragen. Es ist die Antwort des Sohnes an den Vater. Nur wenn wir mit Jesus beten, kann unser Beten Gott erreichen.

Wir sehen: Erst von Jesus lernen wir, was Beten heißt: Im Namen Jesu und mit ihm auf Gottes Wort antworten. Jesus hat uns also von einem Gebetsverständnis erlöst, in dem wir meinen, Gott durch inbrünstiges Gebet beeinflussen zu müssen. So wie Abraham in der ersten Lesung meint, Gott beeinflussen und in seiner Haltung verändern zu können. Leider beten viele Menschen immer noch so. Sie möchten, dass ihre Wünsche erfüllt werden. Und sind dann enttäuscht, wenn das, worum sie beten, nicht eintrifft. Gott wird ihnen dann zu einer ganz rätselhaften Größe. Warum schenkt Gott mir nicht die Gesundheit wieder? Warum hat er mich trotz Reisesegen nicht vor dem Unfall bewahrt? Warum hat das Hochwasser alles überflutet, obwohl wir doch gebetet haben? Wir denken dann, unser Leben sei nicht erhört worden. Aber solches Beten ist wohl kein christliches Beten.

Aber wie verträgt sich das mit dem, was Jesus sagt: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet“? Hat er nicht doch gemeint, dass Gott uns unsere Wünsche erfüllt, dass wir durch unser Beten Gott beeinflussen können?

Für Jesus gibt es tatsächlich kein unerhörtes Gebet. Beim Beten geschieht tatsächlich das, worum wir bitten. Gott schenkt uns darin nämlich nicht dies oder das, sondern sich selbst. Und das ist mehr als alles andere. Denn unser Heil besteht ja gar nicht in Gesundheit oder in einem unfallfreien Leben. Unser Heil besteht in Gott selbst, darin also, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben und so auch Unglück, Leiden und Tod annehmen können, ohne zu verzweifeln. Denn auch darin sind wir in Gott geborgen. Und im Gebet vertrauen wir uns in jeder Lage Gott an. Leid und Tod können uns nicht mehr von Gott trennen.

Deshalb sagt Jesus: „Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kinder gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.“

Aha, was Gott uns in jedem Gebet schenkt, ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist ist in Gott die Gemeinschaft von Vater und Sohn. Beim Beten wissen wir: Ich bin im Leben und im Sterben in Gottes Hand.

Das Gebet soll also gar nicht Gott verändern, sondern es soll uns verändern. Wir vertrauen uns Gott an, wir können in Gemeinschaft mit Gott auch unseren Schuldnern vergeben, unsere Feinde annehmen, für Frieden sorgen und die Liebe Gottes weitergeben an andere. So macht unser Gebet auch unsere Welt ein wenig heiler.

Wenn wir das verstanden haben, liebe Schwestern und Brüder, dann dürfen wir natürlich auch um das tägliche Brot bitten. Dabei wissen wir aber, dass das Brot nicht vom Himmel fällt. Wir müssen es selber backen oder beim Bäcker kaufen. Aber in der Bitte um das tägliche Brot bitten wir auch für die Hungernden und mit den Hungernden. Wir als Menschheit beten um das tägliche Brot und machen uns bewusst, dass nicht alles uns gehört. Wir dürfen unseren Überfluss nicht für uns behalten, sondern leere Hände füllen. Und natürlich dürfen wir auch all unsere Not Gott hinhalten: unsere Krankheit, unser Unglück, unsere Schmerzen, den Unfrieden in der Welt. Aber ebenso wenig wie bei der Bitte um das tägliche Brot können wir erwarten, dass sich alles von selbst verändert. Vielmehr wissen wir uns in Gemeinschaft mit Gott, im Heiligen Geist, und können so unser Schicksal annehmen. Wenn dann z. B. durch die Kunst der Ärzte die Gesundheit wiederkehrt, können wir dafür dankbar sein und darin ein wunderbares Gleichnis für unsere Gemeinschaft mit Gott erblicken. Wenn sie nicht wiederkehrt, wissen wir, dass die Krankheit uns von Gott nicht trennen kann. Der Glaube und das Gebet schenkt uns so nicht nur ein neues Verhältnis zu Gott, sondern auch ein neues Verhältnis zur Welt, ein neues Verhältnis zu Gesundheit und Krankheit, zu Glück und Unglück, zu Leben und sogar zum Tod.

Nun könnte man fragen: Kann man in diesem Gebetsverständnis auch für andere beten? Fürbitte halten für das, was in der Welt geschieht?

Auch das darf man, wenn man es im Geist Jesu versteht. Aber man darf nicht erwarten, dass, wenn wir hier für Frieden in der Ukraine beten, dann dort, gewissermaßen automatisch, Frieden einkehrt. In den Fürbitten betet man für andere Menschen. Damit werden wir uns der eigenen Verantwortung für sie vor Gott bewusst, der Verantwortung, die wir selbst für die Welt tragen, für den Frieden, für die Hungernden, für die Unterdrückten, für das Klima. Ja, es geschieht noch mehr: Wir nehmen in den Fürbitten andere Menschen mit hinein in unsere Gemeinschaft mit Gott. Das ist unser Wunsch, dass auch sie sich in Gott geborgen wissen. In Glück und Unglück. Auch dann, wenn niemand mehr etwas für sie tun kann: Im Glauben und in den Fürbitten betrachten wir auch sie und sogar unsere Toten als in Gott für immer geborgen und aufgehoben. Denn eine betende Gemeinde ist vom Heiligen Geist erfüllt. Nur so kann sie auch diesen guten Geist im Alltag verbreiten und tatsächlich die Welt verändern.

Herr, lehre uns beten!

 

 

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16. Sonntag

 

Gen 18,1-10a; Ps 15; Kol 1,24-28; Lk 10,38-42

 

Gehalten in Osnabrück, St. Johann

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Unsere Welt sieht gottverlassen aus. Die ganze Bibel erzählt uns dagegen, wie Gott zur Welt kommen möchte. Sie zeigt uns auch, wie sein Kommen immer wieder scheitert ... an uns Menschen. Wir brauchen nur auf das Kreuz zu schauen. Wie aber kann Gott zur Welt kommen und uns die Gewissheit geben, dass wir nicht gottverlassen sind??

Als erste Lesung haben wir die Geschichte gehört von den drei geheimnisvollen Männern, die Abraham bei den Eichen von Mamre besuchen. Abraham versteht, dass in diesen drei fremden Männern Gott bei ihm zu Besuch war.

Dass die Liturgie zu dieser Erzählung die Geschichte vom Besuch Jesu bei Maria und Marta ausgesucht hat, zeigt, dass es auch darin um das Ankommen Gottes beim Menschen geht. Ja, es geht bei beiden Geschichten um das Kommen Gottes in die Welt und um die Verwandlung der Welt und der Menschen durch sein Kommen. Dazu braucht es Menschen, die ihn ankommen lassen und ihn aufnehmen. Und unsere beiden Texte heute wollen zeigen, wie Gott zur Welt kommt und wie er aufgenommen sein möchte.

Tatsächlich zeigen uns diese beiden biblischen Geschichten, dass Gott nicht im allgemeinen kommt. Wenn Gott kommt, dann kommt er nicht im Fernsehen oder wie der Papst in einem großen Fußballstadion, wo er alle meint und doch keinen persönlich kennt. Die Bibel sagt vielmehr: Wenn Gott kommt, dann kommt er in unser Haus, in unsere Wohnung. Er kommt zu Abraham und Sara vor deren Beduinenzelt, er kommt zu Maria und Marta ins Wohnzimmer. Er kommt also in unseren Privatbereich, dorthin, wo wir uns für die Herren im Haus halten. Doch er erweist sich dort als der eigentlich Herr auch unseres privaten Bereiches. (Tatsächlich wird Jesus zweimal in unserem Text „Kyrios - Herr“ genannt.)

Und damit zeigt sich, dass der Gast gar nicht Gast ist, sondern der wahre Hausherr, der Herr unseres Lebens. Und noch mehr: Abraham will die drei geheimnisvollen Männer königlich bewirten. Er lässt ein Kalb schlachten und zubereiten. Sara werkelt in der Zeltküche und backt Fladenbrot. Abraham bedient die Gäste bei Tisch. Aber am Schluss muss Abraham erkennen: Nicht er war der Gastgeber, sondern Gott hat ihn bewirtet: „In einem Jahr komme ich wieder, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben.“ Abraham und Sara also sind die Beschenkten: Ein Sohn im hohen Alter, das heißt einen Nachkommen, das heißt Zukunft. Abraham wird eine Zukunftsperspektive eröffnet, eine Verheißung, unter der sein Leben nun steht. In diesen Fremden hat er Gott aufgenommen. Es ist dessen Wort, das sein Leben verwandelt, seine bisherige sterile Lebenswirklichkeit in eine fruchtbare Zukunft führt. Denn Abraham war in Sorge um seine Zukunft. Er und seine Frau waren kinderlos geblieben und waren nun schon alt. Auch wir sind in Sorge vor der Zukunft: Corona, Krieg, Knappheitsängste: Gas, Geld.

Und so ist es auch beim Besuch Jesu bei Maria und Marta. Marta will bewirten, sie will volle Schüsseln auftischen. Doch Maria versteht, dass es Jesus ist, der das Eigentliche bringt: Gottes Wort. Und damit verwandelt er ihr Leben. Sie hat das Gute, das Bessere erwählt, eben das einzig Notwendige: Gemeinschaft mit Gott.

Damit zeigt unser Evangelium, wie grundverschieden Jesus aufgenommen werden kann. Maria und Marta sind zwei sehr unterschiedliche Typen. Beide wollen Jesus aufnehmen. Maria sitzt dem Herrn zu Füßen und hört seinen Worten zu. Sie lernt von Jesus. Sie besitzt die Grundhaltung des Hörens. Sie unterbricht den Alltag, nimmt seine Worte in ihr Herz auf. Ganz anders ihre Schwester Marta. Auch sie meint es gut. Sie will Jesus bewirten. Aber sie ärgert sich über ihre Schwester, die ihr nicht hilft, den hohen Gast zu bewirten. Sie fordert den Gast sogar auf, Maria zurechtzuweisen: „Sag ihr, sie soll mir helfen.“ Doch der Herr weist Marta zurecht: „Du machst dir viele Sorgen. Aber nur eines ist notwendig.“ Das eine Notwendige. Maria tut das: sie vermag zu hören, sich zu öffnen, sich etwas sagen zu lassen. So also will Jesus aufgenommen werden.

Man muss nicht ins Kloster eintreten, um das eine Notwendige zu erwählen. Man muss seine Arbeit und sein Engagement in Kirche und Gesellschaft nicht aufgeben. Aber alles das kann nur fruchtbar werden, wenn wir Ohren haben für Gottes Wort, wenn wir zuerst Jesu Wort aufnehmen und es im Herzen bewahren und bedenken: dass wir Kinder Gottes sind, dass wir für die Gemeinschaft mit Gott gemacht sind, dass nicht wir die Herren der Welt sind. Nur dann kann auch all unser Tun, das uns oft so vergeblich, ja so steril vorkommt, fruchtbar werden, weil es dann getragen ist von dieser Verheißung. Gott will unser Leben bestimmen. Nicht wir bestimmen, was Gott will. Nicht unser Tun macht uns gut vor Gott, sondern Gottes Wort macht unser Tun gut. Das Hören und liebevolle Bedenken des Wortes Gottes, Vertrauen in sein Wort, das tägliche Gebet, der sonntägliche Gottesdienst, Achtsamkeit, Exerzitien, die Beichte – das alles kann unser Leben verwandeln, ihm eine ungeahnte Perspektive der Ewigkeit schenken, eben das eine Notwendige, wodurch so viele andere Sorgen an Bedeutung verlieren. Denn der Glaube braucht Nahrung und Stärkung genauso wie das leibliche Leben. Aber dies eine Notwendige kann man vergessen, wenn man mit seiner Betriebsamkeit meint, es dadurch Gott recht zu tun. Gott kann dann nicht ankommen.

Dies alles ist auch heute aktuell. Oft hört man, die Kirche müsse sich der Lebenswirklichkeit der Menschen stärker anpassen. Muss sie das wirklich? Nur um die Kirche voller zu kriegen? Ist die Bibel nicht sehr kritisch gegenüber der Lebenswirklichkeit der Menschen? Kann unsere gesellschaftliche Lebenswirklichkeit der Maßstab sein für ein christliches Leben? Rufen die Propheten der Bibel nicht immer zur Umkehr von einem falschen Leben und von unseren Götzen auf?

In unseren beiden biblischen Geschichten heute wird uns erschlossen, dass man nur mit einem hörenden Herzen Gottes Wort aufnehmen kann. Und dass dieses Wort gerade unsere Lebenswirklichkeit verwandeln will. Wer das Wort Gottes wie Maria hört und Gott in sein Herz aufnimmt, hat das Bessere erwählt, wer es nicht hört oder hören will, der hat dann eben das Schlechtere erwählt. Ihm oder ihr bleibt dann verborgen, was nur durch das Wort Gottes offenbar wird, nämlich dass wir Kinder Gottes sind, vom Vater geliebt wie der eigene Sohn. Wer Gottes Wort nicht hört, dem bleibt eben verborgen, dass er nicht gottverlassen ist. Aber wer es hört und sich sagen lässt, dem wird dieses Verborgene offenbart und der lässt sich von Paulus sagen: „Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit.“ Ja, er ist unter uns wie bei Abraham und Sara, wie bei Maria und Marta. Er deckt jetzt den Tisch für uns.

 

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15. Sonntag im Jahreskreis

 

Dtn 30,9c-14; Ps 69; Kol 1,15-20; Lk 10,25-37

 

Gehalten im Benediktinerinnenkloster von der Ewigen Anbetung in Osnabrück

 

 

Liebe Schwestern,

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehört wohl zu den eindrücklichsten Geschichten im Neuen Testament. Es sagt etwas höchst Bedeutsames über Gott und den Menschen, über religiöse und andere Gesetze, die uns daran hindern, menschlich zu sein. Und menschlich kann man nur sein, wenn man Gott über alles liebt und den Nächsten, wie sich selbst. Das eine geht offenbar nicht ohne das andere.

Der gesetzeskundige Lehrer fragt zuerst: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Es geht also um etwas Großes, um die Vollendung und um die letzte Wahrheit über unser Leben.

„Was liest du im Gesetz“, fragt Jesus. Und der Gesetzeslehrer zitiert völlig richtig aus dem Gesetz der Tora: Gott lieben mit allen Kräften und den Nächsten wie dich selbst.

Nanu, was soll das heißen ... wie dich selbst. Ist meine Selbstliebe das Maß für die Nächstenliebe? So wird es oft missverstanden. Darf also ein Mensch, der hart zu sich selbst ist, auch hart und unbarmherzig zu anderen sein?  Oder kann nur ein selbstverliebter Mensch wirklich lieben? Doch wohl nicht! Was aber meint Nächstenliebe?

„Und wer ist mein Nächster?“, fragt sodann der Gesetzeslehrer. Sind die Flüchtlinge aus der Ukraine meine Nächsten? Oder nur unsere Familie und unsere Freunde oder Ihre Mitschwestern? Oder bin ich mir nur selbst der Nächste?

Die Frage des Gesetzeslehrer: „Wer ist mein Nächster?“ verrät, dass er sich selbst für den Mittelpunkt hält. Und vermutlich geht es mir, geht es uns allen oft so. „Wer ist mein Nächster?“ Es ist als ob wir der Mittelpunkt sind, jeder sich für den Nabel der Welt hält, um dann zu fragen, wie weit darf, soll, muss ich den Kreis um mich ziehen, für den ich mich verantwortlich weiß? Wo endet also meine Verantwortung? Bei meiner Familie? Bei meinem Freundeskreis? Bei den Arbeitskollegen – oder vielleicht erst auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa?

Und nun erzählt Jesus die Geschichte, von dem Mann, der auf dem Weg zwischen Jerusalem und Jericho unter die Räuber fiel, zusammengeschlagen und halbtot liegen blieb. Jesus kritisiert dabei unausgesprochen die Gesetze der Religion, die den vorbeikommenden Priester und den Leviten daran hindern, sich um den hilflos daliegenden verletzten und ausgeraubten Mann zu kümmern. Denn ein Priester durfte nach dem Gesetz keinen Toten berühren. Und er konnte nicht wissen, ob der „Halbtote“ nicht doch schon tot war oder in den nächsten Minuten stirbt.  Der Priester wäre durch die Berührung mit einer Leiche kultisch unrein geworden und hätte seinen Priesterdienst nicht mehr ausführen dürfen. Jesus kommentiert das Verhalten der beiden Geistlichen nicht. Er beschreibt es nur: „Er sah ihn und ging vorüber.“ Kann man sich eine schärfere Kritik der Religion vorstellen? Aber ausgerechnet ein den Juden verhasster „ungläubiger“ Samariter übt wahre Menschlichkeit, lässt sich betreffen von fremdem Leid, kümmert sich um den zusammengeschlagenen hilflosen Mann, unterbricht seine Reise und scheut keine Kosten, um dieses Opfer in einer Herberge unterzubringen und pflegen zu lassen.  Er versetzt sich in dessen Lage und weiß deshalb, was dieser Mensch braucht.

Und dann fragt Jesus ganz überraschend: „Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?“ Jesus vollzieht einen entscheidenden Perspektivwechsel. Nicht mehr: Wer ist mein Nächster?, sondern,: Wem werde ich zum Nächsten? Also nicht mehr: Ich, im Mittelpunkt, frage: Wer ist mein Nächster, sondern der Notleidende wird in die Mitte gestellt und von ihm her wird gedacht. Wer von den dreien ist ihm zum Nächsten geworden? Das ist Jesu Revolution. Er stellt die Dinge auf den Kopf: die Menschen am Rand werden nun zur Mitte unserer Aufmerksamkeit gemacht. Will ich ihnen zum Nächster werden? Und meine Ichgebundenheit aufgeben, meine Angst um mein Wohlergehen? Will ich ein Jünger Jesu werden, der von sich selbst absehen kann und dafür einen Blick hat für fremdes Leid und der Anteil nimmt am Schicksal anderer?

Anders kann man wohl kaum ein Jünger Jesu sein. Anders ähnelt man nur dem Priester und dem Tempeldiener, die, obwohl sie sehen, vorübergehen, die im Fernsehen die Bilder unbetroffen sehen vom fremden Leid und dann ins andere Programm wechseln. Ist das nicht ein Stachel auch in unserem Gewissen? Auch ich frage mich, wie sehr ich zurückbleibe hinter Jesus, wenn ich mich frage: Wem bin ich schon mal zum Nächsten geworden? Und wem nicht?

Nächstenliebe hat also ihr Maß nicht an unserer Eigenliebe. Sie bedeutet in Wirklichkeit, dass man sich in die Situation eines anderen hineinversetzt, so als stünde man selbst an dessen Stelle. Denn erst dann kann man beurteilen, was für ihn notwendig ist.

Doch das Gleichnis heute sagt uns noch mehr. Es geht ja um Gott und um das ewige Leben: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“, fragt der Gesetzeslehrer. Wie also finde ich zu Gott, zur Vollendung, zur Wahrheit meines Lebens? Nur dann, wenn ich Gott liebe und anderen, vielleicht fremden Menschen zum Nächsten werde. Denn Gottesliebe und Menschenliebe sind nicht zu trennen. Man kann Gott eigentlich nur im Menschen lieben. Und man kann die Liebe nicht durch fromme Worte und religiöse Übungen ersetzen. Das lehrt uns Jesus heute.

In Jesus haben Gott und Mensch zusammengefunden. In ihm sind Gott und Mensch untrennbar miteinander verbunden. Und Jesus ist selbst der unter die Räuber Gefallene, der Ausgeraubte, der Geschundene, der an der Lieblosigekit, an der Barbarei dieser Welt zugrunde gegangene Mensch. Er hat sich damit auf die Seite all dieser Opfer gestellt. In ihm ist Gott vom Fernsten zu unserem Nächsten geworden. Und Gott selbst will im Menschen geliebt werden.

Wir feiern jetzt unseren Gott in der Eucharistie, wo er uns zum Nächsten wird, wo er  auch in unsere Wunden, die das Leben geschlagen hat, Wein und heilendes Öl gießt, eben seine Gnade und Barmherzigkeit.

Und wir hören das Wort Jesu: „Dann geh und handle du genauso.“

 

 

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14. Sonntag

Jes 66,10-14c; Ps 66; Gal 4,14-18; Lk 101-12.17-20

Gehalten in der Kapelle des Marienhospitals in Osnabrück

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

jedes Jahr machen sich viele gläubige Christen auf zur Wallfahrt. Sie pilgern nach Telgte, nach Lourdes oder zu Fuß mit nur dem Allernotwenigsten nach Santiago de Compostela. So machen sie sich wieder bewusst, dass unser ganzes Leben ein Weg ist und kein Stillstand. Ein Weg zu Gott. Eine Wallfahrt zeichnet wie im Zeitraffer diesen Weg nach. Man ist unterwegs, aber nicht ziellos. Der Pilger hat ein Ziel. Dieses Ziel nennt man Gnadenort. Man ist überzeugt: Altötting oder Santiago ist ein Ort der Gnade, ein Ort also, wo uns unsere Gemeinschaft mit Gott besonders bewusst wird, weil dort ein Apostelgrab ist oder weil Menschen dort geheilt wurden von vielfältigen Leiden. Man möchte sich der Gnade Gottes vergewissern. Der Mensch hat eine große Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Anerkennung, nach Heilwerden, nach Gnade.

Von solchen Gnadenorten scheint es nur wenige zu geben. Sie sind dünn gesät. Die übrige Welt sieht anders aus.

Im heutigen Evangelium ist es nun genau umgekehrt wie bei der Wallfahrt.

Auch die Jünger Jesu begeben sich auf Wanderschaft. Jesus schickt sie los. Aber nicht zu Gnadenorten, sondern wie Schafe mitten unter die Wölfe. Sollen sie sich etwa auffressen lassen? Mit Wölfen ist unsere gnadenlose Welt gemeint. In der einem nichts geschenkt wird. Welt der Ausbeutung, Welt der Unterdrückung, Welt der Miethaie und der Wucherer. Welt, in der der eine dem anderen das Brot vom Teller nimmt, Welt, in der sich die Menschen gegenseitig das Leben zerstören: durch Krieg und Bürgerkrieg, durch Despoten, die die Menschheit mit Atomwaffen bedrohen. Welt der der Waffenhändler und der Spekulanten, Welt, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Eine wölfische Welt, in der man sich gegenseitig das Leben nicht gönnt. Diese Welt kann kein Maßstab für die Kirche sein.

In genau diese gnadenlose Welt schickt Jesus seine Jünger. Nicht um sich auffressen zu lassen, sondern um die Wölfe in Schafe zu verwandeln, sie befreien von ihrer Wesensart, von der Übermacht der Angst um sich selbst und damit von der Gier, immer mehr zu besitzen, immer mehr Macht über andere zu bekommen. Wölfe sind Menschen, die anderen Angst machen, die Angst verbreiten, denen das Schicksal anderer egal ist. Menschen, die immer nur Beute machen wollen. Die deshalb gnadenlos sind, weil sie selbst um keine Gnade wissen, um keine Barmherzigkeit.

Jesu Botschaft soll überall hingetragen werden. Die Botschaft von der Gnade, vom Frieden, von Gottes Wohlwollen für alle Menschen. Sie soll die Welt verwandeln. Wie aber soll das gehen? Wie erreicht diese Botschaft die Welt und damit die Menschen? Sie kann nur von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Der Glaube fällt nicht vom Himmel. Er ist auch keine private Erleuchtung. Gottes Botschaft kann man sich nur von anderen Menschen sagen lassen. Der Glaube kommt vom Hören. Deshalb müssen die Jünger ganz klein anfangen. Zu den Menschen gehen, in die Häuser, sich aufnehmen lassen und ihnen den Frieden bringen. Den Frieden mit Gott. Dieser Friede mit Gott ist die Voraussetzung auch für den Frieden unter den Menschen und für den Frieden jedes einzelnen mit sich selbst. Jedes Haus, in das die Jünger kommen, soll ein Gnadenort werden, jede Familie ein Ort des Friedens, jede Gemeinde ein Ort der Vergebung und der Gnade.

Kurz gesagt: Die Sendung Jesu kehrt also die Bewegung der Wallfahrt um: Die Jünger werden nicht zu Gnadenorten gesandt, sondern in eine gnadenlose Welt, um sie in einen Gnadenort zu verwandeln.  „Heilt die Kranken, die dort sind und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ Nicht um unser Reich also geht es. Es geht um Gottes Reich. Wo jeder nur sein eigenes Reich sucht, da kann Gottes Reich nicht wachsen. Da kann auch eine menschliche Zukunft nicht entstehen.

Gottes Wort heilt. Es heilt den Menschen in der Tiefe seiner Seele. Wer Gottes Wort annimmt, vertraut sich mit allem, was er hat, Gott an. Dadurch wird man heil – im Leben und im Sterben. Wer Gottes Wort und damit Gottes Frieden nicht annimmt, der ist wie ein Kranker, der die mitgebrachte Medizin verschmäht und an seiner Krankheit zugrunde geht.

Gottes Wort ist auch uns anvertraut wie damals den Jüngern. Alle Christen leben in einer gnadenlosen Welt. Aber genau in dieser Welt sind wir berufen, den Frieden Gottes zu leben und zu verbreiten. Gnadenorte zu schaffen wo immer wir sind. Vergebung, Barmherzigkeit, Güte zu bringen wo Menschen unversöhnlich sind. Glauben zu wecken, wo Angst um sich greift. Trost zu spenden, wo andere verzweifelt sind. Gott zu den Menschen bringen, die keine Hoffnung über dieses kurze Leben hinaus haben. Dann schaffen wir Gnadenorte mitten unter uns. Und wenn Jesus sagt: „Esst und trinkt, was man euch anbietet“, dann können wir das so verstehen: Seid zufrieden mit dem, was ihr habt. Seid dankbar für das, was dieses Leben euch an Gutem schenkt. Es ist keineswegs selbstverständlich. Aber haltet euch nicht für Menschen, die zu kurz kommen. Seid nicht gierig nach immer mehr. Gott hat euch schon überhäuft mit seiner Gnade. Mehr als Gemeinschaft mit Gott kann man nicht haben. Sie ist ein Reichtum, der für die ganze Ewigkeit reicht.

Die Arbeiter für die Ernte Gottes sind wir alle, nicht nur die Priester. Die Berufung, Gottes Wort, Gottes Frieden, Gottes Gnade zu den Menschen zu bringen, haben wir alle durch unsere Firmung. Die Firmung ist die Beauftragung des Christen: Geht! Bringt den Frieden Gottes zu euren Mitmenschen! Dennoch brauchen wir auch gute Priester und Priesterberufungen, die uns Gottes Wort erschließen: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.“ Bitten wir also Gott, dass unsere Gemeinden wieder Nährböden für Priesterberufungen werden!

Gott hat uns beschenkt mit Christuswürde. Unsere Namen sind im Himmel verzeichnet. Gott hat uns die Würde seines Sohnes geschenkt. Im Friedensgruß der hl. Messe, wenn wir einander freundlich anblicken und grüßen, würdigen wir uns gegenseitig als Kinder Gottes. Der Friede Gottes verbindet uns. Gott will eine geschwisterliche Menschheit. Im Friedensgruß der Messe üben wir ein, wozu wir im Alltag gesandt sind.

 

 

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13. Sonntag im Jahreskreis

1 Kön 19,16b.19-21; Ps 16; Gal 5,1.13-18

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

Liebe Schwestern und Brüder,

bei der Predigtvorbereitung bin ich gleich über diesen ersten Satz der 2. Lesung nachdenklich geworden.

Wieso müssen wir befreit werden? Wovon eigentlich?

Und wozu?

Sind wir nicht frei in unserem Land? Haben wir nicht unglaublich viele Möglichkeiten, sinnvoll unser Leben zu verwirklichen? Haben wir nicht Entscheidungsfreiheit, Wahlfreiheit, Informationsfreiheit, Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst und der Wissenschaft, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, Freizügigkeit, die Freiheit, unseren Ehepartner selbst auszuwählen, sexuelle Selbstbestimmung, usw. usf.? Alles Freiheiten, die es in vergangenen Zeiten nicht gab und auch heute noch in anderen Kulturkreisen gar nicht gibt. Diese Freiheiten mussten in früheren Zeiten oft durch große Opfer erkämpft und errungen werden. Wird uns nicht durch das Gesetz unsere Freiheit und unsere Selbstbestimmung garantiert? Sind wir nicht freie Bürger in einem freien Land?

Sind wir nicht schon längst frei? Welche Freiheit könnte uns Christus denn noch geben? Wovon und wozu könnte er uns denn noch befreien? Ist das nicht weltfremd?

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“, mahnt Paulus die Galater, an die er schreibt.

Um welche Freiheit geht es hier? Offenbar nicht nur um geschöpfliche Freiheit.

Es geht um die Freiheit, die Jesus selber hatte und lebte. Das Evangelium zeigt uns, welche Freiheit gemeint ist. Es geht um eine Freiheit, die nur Gott schenken kann und die uns mit dem Glauben gegeben ist, die also nicht nur geschöpflich, sondern göttlich ist.. Es ist die Freiheit der Kinder Gottes. Jesus hatte sie und wollte sie auch anderen geben. Das heutige Evangelium stellt uns diese Freiheit eindringlich vor Augen. Es war eine innere Freiheit, die kein Staat und keine Macht der Welt uns schenken kann. Keine äußere Freiheit von Zwang und Bevormundung, sondern eine innere Freiheit von der Macht der Angst.

Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Sein Leben ist ein Unterwegssein. Der Weg nach Jerusalem ist der Weg zum Kreuz. Jesus weicht ihm nicht aus. Er ist frei, ihn zu gehen. Die Angst hält ihn nicht davon ab. Unterwegs muss er durch das Gebiet der Samariter gehen. Samariter und Juden hassen sich. Deshalb geben die Samariter dem Juden Jesus keine Unterkunft für die Nacht. Die Jünger erhitzen sich. Zur Vergeltung wollen sie das Dorf vernichten, in Schutt und Asche legen. Jesus weist sie zurecht. Er ist frei. Das Gesetz von Rache und Vergeltung bestimmt ihn nicht. Dieser Zwang, es dem anderen heimzuzahlen, weil er mich nicht beachtet hat, weil er mich beleidigt hat, weil er meiner Bitte nicht entsprochen hat, weil er meiner Arbeit nicht genügend Anerkennung schenkt. Jesus ist darüber erhaben. Er denkt gar nicht daran, Böses mit Bösem, Unrecht mit Unrecht zu vergelten.

Auf dem weiteren Weg trifft er Menschen, die allesamt unfrei sind. Sie wollen ihm folgen, mit ihm gehen, haben aber alle irgendwelche Vorbehalte: Ja, aber. Lass mich doch erst noch ... Offenbar meldet sich die Angst. Sie ist es, die den Menschen unfrei macht, ihn daran hindert, das zu tun, was recht ist, ihn daran hindert, Ja zu sagen, wo alle Nein sagen und Nein, wo alle Ja sagen. Die Angst war es, die die Menschen zu Mitläufern machte in der Nazizeit. Die Angst ist es, die uns daran hindert, wahrhaft frei zu sein. Offenbar ist die Sicherheit dann doch wichtiger als die Freiheit.

Ganz anders Jesus: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Ein ungesichertes Leben führt er. Er hat hier kein Zuhause. Aber er hat die Freiheit, die Gott ihm schenkt. Er ist in Gott zuhause, in ihm geborgen. Er hat die Freiheit der Kinder Gottes. Es ist diese Freiheit, die er auch uns schenken will. Zu der er uns befreien möchte.

Denn er weiß: Der Mensch ist ein Knecht der Sünde, weil er beherrscht wird von einer abgrundtiefen Angst. Unsere Vergänglichkeit, also dass wir sterben müssen, hält uns gefangen. Die Furcht vor dem Tod macht uns ängstlich um unser Leben. Diese Angst ist eine fürchterliche Macht. Aus Angst um sich selbst gehen Menschen auch über Leichen, lügen und betrügen ihren Nächsten um einen Vorteil, um ein kleines Stück Leben zu ergattern. Aus Angst hält man sich zurück, wo eigentlich seine Hilfe nötig ist. Angst um das Geld, Angst um die Gesundheit, Angst vor dem Sterben, Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen. Der Mensch – ein Sklave seiner Angst. Das ist die Unfreiheit, von der Christus uns befreien will. „Lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen.“ Die Galater hatten Heilsangst. Sie fürchteten, sie müssten durch vielerlei religiöse Reinheitsvorschriften sich vor Gott angenehm machen. Sie hatten das Evangelium angenommen, viele von ihnen aber fielen wieder zurück in die alten religiösen Verhaltensmuster und damit in die alte Angst: Man muss dieses, man muss jenes tun, um von Gott angenommen zu werden. Gegen sie schreibt Paulus.

Und wie ist es bei uns? Haben nicht auch wir die Botschaft Jesu wieder zu einer knechtischen Religion gemacht? Oder haben wir sie nicht weichgespült und zu einer bloßen Dekoration des Lebens gemacht? Wiegen wir uns damit nicht in einer falschen Sicherheit? Ist unser Christsein wirklich Nachfolge Jesu? Sind wir so frei, mit ihm zu gehen, von ihm zu lernen, was die Freiheit der Kinder Gottes ist? Und was es heißt, nicht mehr unter der Macht der Angst um das eigene Leben zu stehen. Nur wer die Freiheit Jesu hat, die Freiheit der Kinder Gottes, wird frei von sich selbst, kann anderen dienen, den Nächsten und sogar den Feind lieben. Es ist diese Freiheit, zu der Christus uns befreit: die Freiheit von der Macht der Angst um sich selbst, weil wir doch schon in Gott geborgen sind für alle Ewigkeit. Weil keine Macht der Welt uns mehr von Gottes Liebe trennen kann. Nur in dieser Freiheit kann man sich lösen von den eigenen Begierden und der Angst um das eigene Leben. In dieser Freiheit kann man anderen dienen.. In dieser Freiheit kann man auch Krankheit, Unglück und Tod annehmen, ohne zu verzweifeln.

Jesus geht es um das Reich Gottes. Er suchte Menschen, die dafür taugen, die nicht ängstlich zurückblicken auf ihre Vergangenheit und damit die Zukunft, eben das Reich Gottes verpassen. Er will, dass auch wir nicht mehr von Angst beherrscht werden, sondern dass Gott in uns herrscht. Wenn ein Mensch vor keiner Macht der Welt mehr in die Knie geht, wo er sich nicht mehr von der Angst bestimmen lässt, wo er nicht mehr aus Angst gegen sein Gewissen handelt, und nicht mehr Unrecht mit Unrecht vergilt: da bricht die Gottesherrschaft tatsächlich ein. Denn ein solcher Mensch ist nicht mehr von Angst beherrscht, sondern von Gottes Liebe. Er ist ein Glaubender. Er ist wahrhaft frei.

 

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12. Sonntag im Jahreskreis

Osnabrück, St. Johann

 

Deinen Tod, o Herr, verkünden wir!

In jeder hl. Messe, liebe Schwestern und Brüder, rufen wir diese Worte, und zwar genau auf dem Höhepunkt des Gottesdienstes. Und dabei blicken wir auf „den, den man durchbohrt hat“, wie es in der 1. Lesung  aus dem Buch Sacharja heute hieß.

Ist das nicht grausig?

Ja, es ist grausig. Das Kreuz, ein Galgen und Folterwerkzeug ist zum zentralen Bild und Symbol des Christentums geworden. Wo auch immer man eine Kirche betritt, schaut uns dieser Gekreuzigte an, als wollte er sagen: Was habt ihr nur mit mir getan?

Kein Wunder, dass viele Menschen heute das nicht mehr verstehen in unserer Spaß- und Wellnessgesellschaft, in der man gerne allem aus dem Weg geht, was mit Leiden und Tod verbunden ist.

Warum musste Jesus eigentlich sterben, wie Jesus selbst es im heutigen Evangelium vorhersagt: „Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern verworfen werden. Er wird getötet werden“? In vielen Köpfen spukt noch immer die Vorstellung, Gott habe den Tod seines Sohnes gewollt, um in seinem Zorn besänftigt zu werden. Dabei ist diese Vorstellung schon in der Theologie im Mittelalter widerlegt. Denn Gott konnte den Tod des Sohnes nicht fordern, weil Jesus ohne Sünde war.

Nun, fangen wir mit Jesus an: Stellen Sie sich vor, Jesus würde heute leben. Würde es ihm viel anders ergehen als damals? In seiner Zeit waren es vor allem die religiösen Führer, die an ihm Anstoß nahmen und schon früh darüber nachdachten, wie sie ihn am besten loswerden könnten. Er passte nichts ins System, sondern stellte alles auf den Kopf, vor allem, wie er von Gott sprach und wie er den kleinen Leuten Würde gab, gerade auch den Sündern und denen, die in den Augen der From-men vor Gott nichts wert waren. Damit stellte er die Autorität der Führer, der religiösen Experten und auch der Politik in Frage. Damit machte sich Jesus verwundbar. Er musste mit einem bösen Ende rechnen. Dies auch deshalb, weil er kein „Einzeltäter“ war, sondern Anhänger fand, die ihm folgten und an ihn glaubten: Du bist der Christus Gottes.

Lebte Jesus heute, würde er vermutlich durch seine Verkündigung und sein Verhalten noch ganz andere Autoritäten und Systeme herausfordern. Denken wir nur an die Wirtschaft, die tötet, indem sie hier wächst und uns Wohlstand beschert und anderswo Opfer, Hungeropfer produziert. Oder denken wir auch daran, wie im Namen der Religion in Russland ein grausamer Krieg gerechtfertigt wird. Würde es Jesus in dieser Situation anders ergehen als zu seiner Zeit in Palästina? Er war politisch und religiös nicht korrekt. Vermutlich würde er – wenn er hier in Deutschland lebte - wohl mit ständigem Polizeischutz leben müssen.

Jesus starb nicht, weil Gott es so wollte, sondern weil er so lebte und sprach, wie Gott es eigentlich von allen Menschen erwartet: in Wahrheit und Gerechtigkeit. Niemand, keine Macht der Welt konnte ihn davon abbringen, die Wahrheit zu tun und auch andere Menschen für sich, für seinen Weg zu gewinnen. Aber man kann in dieser Welt wohl nicht leben wie Jesus, ohne an ihr zugrunde zu gehen. Und damit hat Jesus, der Messias Gottes, sich auf die Seite aller Opfer der Geschichte gestellt, all derer, die seit Sokrates bis zu den gefallenen Soldaten und getöteten Zivilisten Opfer der Systeme und der Bosheit von Menschen wurden und werden..

Wie uns das heutige Evangelium zeigt, rechnete Jesus mit einem gewaltsamen Ende.

Aber warum hat er uns dadurch erlöst? Und warum sind wir erlösungsbedürftig? Nun, wer Geld und Gut hat und es sich wohl sein lässt, empfindet sich vielleicht gar nicht als erlösungsbedürftig. Aber gerade das ist er! Weil er die Wirklichkeit ausblendet und sich Illusionen hingibt, es könnte immer alles so weitergehen. Weil er trotz ständiger Informationen und Nachrichten-Liveticker die Zeichen der Zeit nicht sieht. Und weil er keinen Blick für andere, für die vielen Gekreuzigten hat. In der Bibel werden solche Menschen, die sich von der Wirklichkeit nicht betreffen lassen, als blind und taub bezeichnet. Eben als erlösungsbedürftig.

Aber wovon müssen wir denn erlöst werden? Können wir das nicht selber? Bedenken wir einmal: Wie kommen wir denn auf die Welt? Nackt, endlich, vergänglich, verwundbar und ohne Gewissheit, von Gott geliebt zu sein. Nur diese todgeweihte Existenz wird uns von unseren Eltern vererbt. Aber der Glaube ist uns nicht angeboren. Diese Tatsache nennen wir „Erbsünde“. Das erzeugt eine abgrundtiefe Angst um uns selbst, um unser Leben. In unserer postmodernen Gesellschaft dominiert vermutlich die Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen. Deshalb wird das Wort „Sicherheit“ so groß geschrieben. Wir sichern uns ab, möchten möglichst unverwundbar sein und träumen von der Abschaffung des Todes. Und doch wächst die Angst ins Unermessliche. Sie hat Macht über uns. Und niemand, keine Macht der Welt kann uns diese Angst nehmen.

Jesus aber wurde nicht von Angst getrieben. Das heißt nicht, dass er keine Angst hatte. Aber die Gewissheit, der Christus Gottes und nicht gottverlassen zu sein, sondern Gemeinschaft mit Gott zu haben, war stärker als alle Angst. Sie hatte keine Macht über ihn. Denn nur Gott kann die Angst des Menschen entmachten.

Jesus lebte in Gemeinschaft mit Gott, in Freundschaft und Vertrauen zu Gott. Das ist eine Gemeinschaft, die Leben und Sterben überdauert. Wer sich so in Gott geborgen weiß, kann auch den Blick auf das Sterben aushalten und seine Vergänglichkeit annehmen. Und die ganze Verkündigung Jesu ging darin auf, auch andere Menschen an dieser Gemeinschaft mit Gott teilhaben zu lassen. So lehrt er die Jünger, ebenfalls Gott als „Vater“ anzureden und sich in seiner Gottesgemeinschaft geborgen zu wissen. Das heißt glauben: Anteil haben an Jesu Gottesgemeinschaft. Sich dessen gewiss sein, dass wir von Gott mit derselben Liebe zwischen Vater und Sohn in Gott geliebt sind. Und genau darin besteht auch unsere Erlösung. Wer sich in Gemeinschaft mit Gott weiß, ist bereits erlöst. Er steht dann nicht mehr unter der Macht der Angst. Der Glaube ist dann stärker als die Angst. Nur so lässt sich Jesus nachfolgen: „Denn wer sein Leben retten will (nämlich aus lauter Angst), wird es verlieren. Wer aber sein leben um meinetwillen verliert, wird es retten.“

Jesus hätte seine Sendung verraten, wenn er aus Angst vor dem Tod zurückgewichen wäre und seine Verkündigung zurückgenommen hätte. Deshalb können wir sagen: Unser Heil hängt am Kreuz. Denn es hängt daran, dass wir uns von der Botschaft Jesu überzeugen lassen, für die er ans Kreuz gegangen ist.

Deinen Tod verkünden wir! Man muss es eigentlich empört rufen. Empört über diese Wirklichkeit, an der Jesus zerbrochen ist. Empört über diese Wirklichkeit, an der so viele zerbrechen. Doch den Blick auf den Gekreuzigten können wir nur im Glauben aushalten, im Glauben, Gemeinschaft mit dem Gott zu haben, der die Toten zum Leben erweckt:

„Und deine Auferstehung preisen wir bis du kommst in Herrlichkeit!“

 

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Dreifaltigkeitssonntag

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

man muss schon einen sehr festen Glauben haben, wenn wir auf den erbärmlichen Zustand der Kirche in Deutschland schauen.  Die Kirche gleicht einem verwüsteten Weinberg. Wir kennen dieses Bild aus dem Alten Testament: Israel als Gottes Weinberg, der verwüstet wurde und nur saure Trauben brachte. Wer die Geschichte Israels kennt, weiß ,wie oft das alte Volk Gottes darniederlag durch menschliches Versagen. Wie aber können wir uns freuen am heutigen Dreifaltigkeitsfest, wenn es in der Kirche auch so aussieht? Was bedeutet unser Glaube an den dreifaltigen Gott? Und wie können wir das verstehen? Der heutige Sonntag möchte uns im Glauben an unsere Gemeinschaft mit Gott bestärken.

 

Im Johannesevangelium nimmt auch Jesus das Bild vom Weinstock auf. Wir kennen dieses Bildwort: Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Und der Vater ist der Winzer. Er nahm ein Bild aus der eigenen Erfahrung, um zu zeigen, wie innig unsere Verbindung mit ihm ist. Denn im Heiligen Land gab und gibt es überall Weinberge. Hätte Jesus bei uns gelebt, dann hätte er vielleicht ein anderes Bild verwendet. In Bayern hätte er sich vielleicht mit dem Hopfengewächs verglichen.  Aber womit, wenn er hier in der Kirche leibhaftig aufträte?  Stellen wir uns das mal vor. Vielleicht würde er sich umgucken und dann auf die Orgel zeigen. Er könnte sagen: Ich bin die Orgel – ihr seid die Pfeifen. (Sind wir ja irgendwie auch). Und der Vater ist dann nicht der Winzer, sondern der Orgelspieler, der also, der den Ton angibt, der die Musik macht. Christus wäre dann das ganze Orgelwerk, doch der Tonangebende ist der Vater: Gottes Wort soll durch die Orgel erklingen, eben das, was Gott uns zu sagen hat. Und dies soll zum großen Konzert werden. Dazu sind viele Pfeifen nötig, nämlich wir. Jede ist einzigartig, hat ihren eigenen Klang. Nicht nur die großen Pfeifen im Prospekt, die man sieht (=Papst und Bischöfe), sondern auch die vielen mittleren und kleinen Pfeifen, die dahinter verborgen sind. Keine darf fehlen, damit es nicht zu Verstimmungen und Misstönen kommt , wenn Gottvater sein großes Konzert des Glaubens ertönen lässt: Das ist sein Wort, seine Botschaft an die ganze Menschheit. Denn nur aus dem Mund von Menschen kann Gottes Wort gehört werden. Jeder ist einzigartig wie eine Orgelpfeife, aber nur gemeinsam, als Kirche, als Gemeinde,  können wir den Herrn zur Sprache bringen und sein Wort hören lassen..

 

Nun, Christus ist das ganze Orgelwerk, jeder von uns eine Pfeife daran. Gottvater ist der Orgelspieler. Aber was bringt die Pfeifen und damit die ganze Orgel zum Tönen? Der Wind muss durch die Orgelpfeifen wehen. Der Wind muss die Pfeifen erfüllen, damit sie zum Klingen kommen. Ohne Wind könnte der Orgelspieler noch so gut spielen. Die Orgel bliebe stumm.

 

Ich bin die Orgel – ihr seid die Pfeifen. Wenn aber der Heilige Geist uns nicht erfüllt und durchweht wie der Wind die Orgelpfeifen, dann kann Gottes Wort nicht ertönen. Dann bleibt Gott stumm in der Welt. Der Heilige Geist ist das in uns, was in der Orgel der Wind ist, der Atem Gottes, der uns belebt und uns zum Klingen bringt: Du öffnest uns den stummen Mund und machst der Welt die Wahrheit kund, heißt es in einem bekannten Pfingstlied. Wenn der Heilige Geist unser Herz nicht erfüllt, dann kann unser Mund nicht von Gott sprechen. Denn nur wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund.

 

Im Glauben sind wir also vom Heiligen Geist erfüllt. Der Heilige Geist ist die Liebe zwischen Vater und Sohn in Gott. Er schenkt uns die Gewissheit, dass wir schon heute und in alle Ewigkeit in Gott geborgen  sind.

 

Nun kann es freilich passieren, dass einzelne Orgelpfeifen verstopft sind. Sie bringen keinen rechten Klang mehr hervor. Es kommt dann zu Misstönen. So kann es auch mit uns Christen sein, dass etwas den Heiligen Geist hemmt, durch uns hindurch zu sprechen. Gottes Melodie wird nicht mehr hörbar. Das ist der Grund, warum alle Christen und Christinnen und auch die Kirche als ganze immer wieder umkehren und sich erneuern muss. Weil das Wort Gottes sonst nicht mehr erklingen kann. Wir nennen das: Die Kirche oder einzelne Glieder an ihr sind nicht mehr glaubwürdig, obwohl Gottes Wort gar nicht unglaubenswürdig werden kann. Aber die Botschaft kommt nicht mehr rüber wegen zu vieler Misstöne.

 

Liebe Schwestern und Brüder, wir sind von Gott nicht mit einer Liebe geliebt, die wir verdienen könnten, sondern aufgenommen in die Liebe zwischen Vater und Sohn. Diese Liebe ist der Heilige Geist. Der ewige Sohn Gottes ist unser Bruder geworden. Er hat uns zu seinen Gliedern gemacht, in seinen Leib aufgenommen, in das große göttliche Orgelwerk. Und so nehmen wir im Glauben teil am dreifaltigen Leben Gottes. Das ist nichts Unverständliches, sondern ganz einfach zu verstehen..

 

In der Eucharistie schenkt Gott uns wieder seinen Sohn in unser Herz. Wenn Christus in uns ist, dann sieht der Vater Christus in uns und liebt uns wie seinen eigenen Sohn. Das ist das ganze Geheimnis unseres Glaubens und das macht uns zu Kindern Gottes aus.

 

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Pfingsten

Apg 2,1-11; Ps 104; Röm 8,8-17; Joh 20,19-23

Gehalten in Osnabrück, St. Johann

 

 

Da saßen sie nun am Osterabend hinter  verschlossen Türen.

Hatten alles verriegelt. Gelähmt von Angst.

Es war erst der dritte Tag nach Jesu Tod am Kreuz.

Groß war die Angst, sie stünden auf der Fahndungsliste.

Die Angst, es könnte auch ihnen so ergehen wie IHM.

Denn schließlich waren sie seine Freunde und Sympathisanten gewesen.

Und nun verstecken sie sich. Schließen sich ein.

Bis der Sturm hoffentlich vorübergeht.

Bis Gras über alles wächst.

Aber es wächst kein Gras drüber.

Denn ER ist da.

ER steht in der Mitte.

Der Gekreuzigte.

Er kommt durch die verschlossene Tür,

er öffnet die verschlossenen Herzen seiner Freunde.

ER findet Zugang zu ihnen.

ER ist da! Den Menschen getötet haben, ist nicht tot bei Gott.

Mein Gott, ER lebt!

Man hat IHN nicht tot gekriegt.

Und ER sagt: Schalom aleichäm: Friede euch!

Friede euren friedlosen und zerrissenen Herzen!

Und dann zeigt er ihnen seine durchbohrten Hände und seine geöffnete Seite.

Die Jünger sehen, was man IHM angetan hat.

Aber ER sagt nicht: Rächt mich! Vergeltet! Zahlt es ihnen heim!, sondern:

Schalom! Schalom ist mehr als Abwesenheit von Krieg, mehr als äußerer Friede. Schalom ist das Versöhnsein mit Gott, mit den Menschen und mit sich selbst und dem eigenen Leben. Schalom.!

Da kommt Freude auf.

Da schwindet die Angst. Aufatmen!

ER ist da.

ER ist bei uns.

So wie jetzt hier bei uns.

Und er sendet sie hinaus: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Sie sollen teilhaben an seiner Sendung, an der Sendung durch den Vater. Und dann haucht er sie an: Empfangt Heiligen Geist.

Im Johannesevangelium geschieht Pfingsten bereits am Osterabend. Denn wie sollten sie den Auferstandenen erkennen ohne Heiligen Geist? Lukas streckt hingegen zwischen Ostern und Pfingsten die Zeit. 50 Tage. Die Jünger treten heraus aus den verschlossenen Türen. Sie haben Mut gefunden, Mut, der stärker ist als die Angst.

Ihr Glaube wird nun öffentlich.. Sie schreien ihn hinaus in die Welt, in diese zerstrittene, friedlose und aus den Fugen geratene Welt. Sie bringen den Frieden und die Versöhnung, den Schalom, den er ihnen geschenkt hat.

Sie erleben wie Menschen verschiedenster Herkunft, verschiedenster Sprachen und Kulturen sich verstehen und mit einer Sprache sprechen.

Das ist das Pfingstwunder.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn das Evangelium von den Jüngern spricht, dann spricht es auch von uns. Wir sind doch die Jünger heute. Wer denn sonst?

Der Herr spricht uns auf unsere Angst an, auf unsere Angst, unser Herz zu öffnen, es groß und weit zu machen. Auf unsere Angst, unsere Wunden zu zeigen, unsere Herzenswunden, die das Leben geschlagen hat.

Auch bei uns regiert Angst: Angst, dass der Krieg uns näher kommt, Angst vor Veränderung, vor der Zukunft, vor dem Klimawandel, Angst vor dem Islam, Angst um die Gesundheit. Auch bei uns gibt es Rückzug ins Private, hinter verriegelte Türen, hinter verschlossene Grenzen. Nur noch Ichs und kein WIR mehr.

Angst kommt von eng. Wer ängstlich ist, denkt eng und wird engherzig und kleingeistig, nur noch auf sich selbst bedacht. Es ist dieser Kleingeist, der die Welt aus den Fugen bringt, der Spaltung bewirkt, der Versöhnung und Verstehen, Frieden und gerechte Verhältnisse verhindert. Der egoistische Kleingeist, der schließlich zum Ungeist wird, zum bösen Geist, zur Zerstörungswut. Der Krieg bringt statt Frieden.

Der Heilige Geist, der Geist Gottes  aber ist der Geist Jesu, der Geist, der mit Jesus in die Welt gekommen ist. In Gott ist der Heilige Geist das göttliche WIR von Vater und Sohn. Er verbindet also Personen, das ist seine Eigentümlichkeit. Er ist der Geist, der uns mit Gott verbindet und untereinander verbindet. Er ist die eine Person in vielen Personen, nämlich in Christus und in uns. Wir nehmen im Glauben teil am WIR Gottes. Denn Gott will die Menschen aus lauter Ichs zum WIR führen, zu einem neuen Miteinander, in dem wir nicht Angst voreinander haben müssen und sogar bereit werden, Angst auch auszuhalten und zu ertragen, ohne mutlos zu werden und uns in uns selbst zu verschließen..

Der Heilige Geist ist der feurige Geist, der unseren Kleingeist überwindet, der Mut gibt, Mut zum Sein, Mut zum Leben und zu seinen Herausforderungen und auch Mut zum Sterben. Er wirkt überall dort, wo ganz verschiedene Menschen zueinander finden, wo Feinde Frieden schließen, wo wir Christen unseren Glauben öffentlich bezeugen, wo Christen auch in Verfolgung standhalten, wo Politiker über ihren Schatten springen. Er schenkt Mut, auch auf Fremde zuzugehen und sie in ihrer Andersartigkeit zu verstehen. Er gibt Mut, in dieser verlogenen Welt die Wahrheit zu sagen. Er gibt Mut, auch denen zu vergeben, die an uns schuldig wurden. Ihnen Frieden, Schalom zu wünschen und nicht Vergeltung. Ja, der Heilige Geist ist die Gabe der Vergebung und der Versöhnung, das große JA Gottes zu uns und zur ganzen Menschheit. Wir stehen unter diesem JA. Gott will die Menschheit zum WIR führen. Wer Friedenhat, kann auch Frieden und Vergebung schenken.

Paulus bringt es auf den Punkt: „Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, so dass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ (2. Lesung) . Paulus sieht in jedem Menschen einen Sklaven, nämlich einen Knecht der Angst um das eigene Leben. Mit dieser Angst werden wir geboren und bleiben an sie versklavt, angekettet. Deshalb sind wir erlösungsbedürftig. Aber Gott hat uns von dieser fürchterlichen Macht der Angst erlöst durch seinen Sohn, der diesen neuen Geist in die Welt gebracht hat, den Geist der Sohnschaft. Es ist der Geist, der Jesus mit dem Vater verbindet. Es ist der Geist, in dem Jesus gelebt hat. Es ist der Geist, in den Jesus auch die Jünger und alle Glaubenden aufgenommen hat: der Geist der Sohnschaft. Auch wir dürfen Gott Abba, Vater! nennen und uns in ihm geborgen wissen in Glück und Unglück, in Freude und Leid, im Leben und im Sterben. In diesem Geist, in diesem Vertrauen, ein geliebtes Kind Gottes zu sein, kann die Angst um uns selbst ihre Macht verlieren.

In dieser Kriegszeit feiern wir Pfingsten, das Fest des feurigen Geistes, der uns begeistern und entflammen will für eine neue und gerechte Welt des Friedens. Es ist der Geist, der die Welt heilen kann. Wir singen wunderbare Lieder und stimmen ein in die herrliche Melodie des Heiligen Geistes: „Komm o du glückselig Licht,/ fülle Herz und Angesicht, /dring bis auf der Seele Grund.“

Singend und feiernd hoffen wir, ein wenig weiterzukommen auf unserem Lebensweg: vertrauend und mutig, die Herausforderungen, die kommen, anzunehmen.

„Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird verwandelt.“

Es ist jetzt Zeit, Eucharistie zu feiern, ein versöhntes WIR zu werden um diesen Tisch des Herrn: die Feier der Wandlung. Brot wird verwandelt in Christus. Schon ein kleines Stück Welt, das verwandelt wird durch den Heiligen Geist. Damit wir es im Geiste Jesu essen und selbst verwandelt werden wie die Jünger am Osterabend und am Pfingsttag.

 

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7. Ostersonntag

Apg 7,55-60; Ps 97; Offb 22,12-14.16-17.20; Joh 17,20-26

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Diese neun Tage zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten sind wie eine kleine Adventszeit. Wir warten auf den Geist von Pfingsten, den Heiligen Geist: Komm, Heiliger Geist und erfülle die Herzen deiner Gläubigen. Sende aus deinen Geist , und das Antlitz der Erde wird neu! Es sind Tage der Sehnsucht. Viele Christen beten in diesen neun Tagen eine Novene, in der die Sehnsucht nach dem Geist Jesu zum Ausdruck kommt.

Es sind auch Tage zwischen Abschied und Wiedersehen. Die Jünger fühlten sich verwaist nach dem Abschied von Jesus. Sie hatten Sehnsucht nach einem Widersehen: Komm, Herr Jesus!, mit diesen Worten endet das Neue Testament. Die 2. Lesung heute aus der Offenbarung des Johannes kündet von dieser Sehnsucht nach dem Wiedersehen. Sehnen und Sehen – zwei Verben, die wohl zusammengehören. Man sehnt sich mit ganzem Herzen danach, das oder den Geliebten, den Ersehnten zu sehen. Wie mag es einer ukrainischen Familie ergehen, deren Vater sich als Soldat in den Krieg verabschiedet? Werden wir, so werden sie bange fragen, ihn, den Ehemann, den Vater, den Bruder wiedersehen? Wird er zurückkehren? Und auch wir sehnen uns nach Frieden, nach dem Ende der Pandemie, nach festem Boden unter den Füßen, nach einer Zukunft ohne Angst. Ja, eigentlich nach einer neuen Welt.

Aber glauben wir noch daran? Seit 2000 Jahren warten wir auf diese Wiederkunft: bis du kommst in Herrlichkeit, rufen wir in jeder Heiligen Messe. Doch wo bleibt er? Hat er uns auf Nimmerwiedersehen verlassen? Sind wir allein auf uns gestellt? Seit Friedrich Nietzsche Gott für tot erklärt hat, ist das Gefühl, gottverlassen zu sein, fast zur vorherrschenden Gefühlslage der Neuzeit geworden. Wir müssen mit unseren Problemen selbst fertig werden: Krieg, Klima, Krankheit – niemand löst sie für uns. Wem können wir vertrauen? Wie können wir Zuversicht gewinnen? Hoffnung, dass am Ende alles zum Guten kommt?

Damals waren es die Jünger Jesu, die verstanden: Ohne diese Sehnsucht nach Jesus, ohne dieses Vertrauen in wahres Menschsein kann man in dieser erbsündlich verfassten Welt nicht leben. Ohne Hoffnung auf Vollendung unseres Lebens muss man versuchen, sein Leben auf Kosten anderer zu vollenden. Man hat es dann aufgegeben, auf die Grundgüte Gottes zu vertrauen, auf sein Wort, dass er – gegen allen Anschein, gegen alle Erfahrung  - bei uns ist und mit uns geht, so wie er mit Jesus bis in das Dunkel des Todes gegangen ist.

Das heutige Evangelium ist ein Abschnitt aus dem großen Abschiedsgebet Jesu vor seinem Leiden im 17. Kapitel des Johannesevangeliums. Es ist sein Vermächtnis. Jesus betet zum Vater für seine Jünger und für alle, die durch ihr Wort an ihn glauben. Also auch für uns. Er wünscht, dass die Welt glaubt, dass der Vater ihn gesandt hat, dass sie also das Vertrauen nicht aufgibt, sondern sich seinen Geist schenken lässt. Wer seinen Geist hat, weiß, dass nichts ihn aus Gottes Liebe reißen kann. Er skizziert damit das, worum es im Glauben im Grunde geht: nicht um eine private religiöse Überzeugung. Auf die kann man sich nicht verlassen. Jesus sagt es deutlich: Die Welt soll erkennen, dass der Vater sie genauso liebt, wie er den Sohn liebt. Das eben heißt glauben: sich gegen allen Anschein von Gott mitderselben Liebe geliebt wissen, mit der Gott von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Diese Liebe zwischen Vater und Sohn in Gott ist dieser Geist, dieser Heilige Geist, der uns Zuversicht schenkt. Ja, wir Christen wissen uns schon in Gott aufgenommen in alle Ewigkeit. Mehr und Größeres gibt es nicht. Denn dieser Geist, der uns erfüllt, ist Gott selbst, der die Liebe ist. Nur er macht uns fähig, Zuversicht zu bewahren, auch in aller Bedrängnis und Not. Man muss es sich sagen lassen. Wer nicht glaubt, bleibt hoffnungslos zurückgeworfen in der Hölle dieser Welt. Deshalb sind gläubige Menschen Hoffnungsträger und Hoffnungszeichen für viele. Wie Stephanus in der 1. Lesung, der mitten im Grauen seiner eigenen Vernichtung den Himmel offen sieht. Sein Glaube und sein Sehnen führt zum Sehen. Die Augen des Glaubens sehen weiter.

Und so kommen wir zurück zur 2. Lesung: Der Geist und die Braut rufen „Komm!“ Der Heilige Geist, der in uns ist, verbindet uns zur Kirche. Es ist der Heilige Geist, der in uns ruft: Komm! Die Kirche ist die Braut, die sich sehnt nach ihrem Bräutigam: Christus. Eine Kirche, die diese Sehnsucht aufgegeben hat, wäre nicht mehr seine Braut. Sie wäre nur noch ein toter Verein. Diese Sehnsucht der Braut nach ihrem Bräutigam möchte dieser Sonntag wieder entfachen, uns hungrig und durstig machen nach ihm.

Und er spricht: Ja, ich komme bald!

Und zwar sehr bald. Die Eucharistie ist dieses allsonntägliche sichtbare Kommen zu uns:

Seht, das Lamm Gottes, der Bräutigam kommt zur Braut und schenkt ihr, schenkt uns seinen Leib. Amen.

Komm, Herr Jesus!

 

 

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Christi Himmelfahrt

Apg 1,1–11; Ps 47; Hebr 9,24–28; 10,19–23; Lk 24,46–53

Gehalten in Osnabrück, St. Johann

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Wohin gehört der Mensch? Was ist seine Bestimmung?

Jesus führte sie hinaus in die Nähe von Betanien, um den Jüngern das zu zeigen.

Betanien ist ein Vorort von Jerusalem. Das ist wohl nicht zufällig. Von hier aus war Jesus auf einem Esel fast triumphal am Palmsonntag in die heilige Stadt Jerusalem eingezogen. Die Menschen bereiteten ihm einen großartigen Empfang. Doch alles kam anders. Der Gang durch die Stadt verwandelte sich in einen Gang durch die Hölle. Die Stimmung schlug binnen weniger Tage um. Auf das Hosanna folgte das Crucifige!, „Kreuzige ihn!“ Was folgte, waren Anklage, Folter und ein schmachvoller Tod am Kreuz. Ein Gang durch die Hölle! Hier in Jerusalem verdichtete sich, was überhaupt sein Lebensweg war: Ein Gang durch die Hölle auf Erden: die Hölle der Politik, die Hölle der Religion, die Hölle des Krieges, der Armut und des Elends, die Hölle des Hasses, die Hölle, die Menschen einander bereiten können und die für so viele Menschen die Lebenswirklichkeit ist.

Und heute stehen wir wieder in Betanien. Mit ihm. „Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben.“ Er segnete sie und verfluchte sie nicht. Obwohl er Grund dazu gehabt hätte nach der Hölle, die er durchgemacht hat. Nein, er segnete sie.

Liebe Schwestern und Brüder, die Hölle auf Erden hat ein Ende. Von Betanien, jenem anfangs hoffnungsvollen Ort, zieht er nun wieder ein. Nicht mehr ins irdische Jerusalem, das bis heute eine Hölle der Religion und der Politik ist, sondern ins himmlische Jerusalem. Dorthin, wo er sich immer daheim und aufgehoben wusste: in die Hände Gottes, in die Hände des Vaters. Er ist „nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen, sondern in den Himmel selbst.“ So der Hebräerbrief. Also nicht auf eine glückliche Insel in der Südsee, in ein Schlaraffenland, in einen überdotierten Aufsichtsratsposten. Er hat auch keinen Jackpot geknackt. Das alles ist nur irdisch, vergänglich, nur von Menschen gemacht. Nein, er ist in den Himmel selbst gegangen, in den Himmel, der nicht von Menschenhand gemacht ist.

Lassen wir uns nicht täuschen, liebe Schwestern und Brüder, von den zeitbedingten Bildern, in denen uns diese Botschaft erreicht. Manche meinen, das sei 1:1 so gemeint gewesen und halten es deshalb für ein Märchen. Als wäre der Herr auf einer Wolke wie in einem Fahrstuhl in den Himmel aufgefahren, so stand es ja in der Lesung aus der Apostelgeschichte. Dies ist ein Bild aus einer Zeit, in der man sich das Universum in drei Etagen vorstellte. Die Erde als Scheibe in der Mitte, darunter die Unterwelt und darüber der Himmel. Die neutestamentlichen Schreiber hatten kein anderes Bild, um anschaulich zu machen, was sie sagen wollten. Heute würde man die Geschichte ganz anders schreiben.

Stellen Sie sich vor, Sie schreiben einen Brief und teilen mit: „Ich komme im Leben nicht auf einen grünen Zweig“. In 1000 Jahren findet man bei Ausgrabungen diesen Brief. Diese bildliche Redewendung ist nicht mehr bekannt. Naive Menschen werden dann denken: „Aha, vor tausend Jahren saßen die Menschen auf Bäumen und versuchten, auf grüne Zweige zu kommen. Vermutlich, um die Blätter zu essen.“ Historiker und Linguisten müssten dann erklären: Nein, so war es nicht. Es ist ein Bild. Damit wollte man ausdrücken: Ich habe im Leben keinen Erfolg, ich komme nicht voran.

So ist es auch mit den alten biblischen Texten. Auch der heutige von der Himmelfahrt will sagen: Jesus ist für immer in Gott vollendet. Nichts konnte ihn aus der Hand Gottes reißen. Der Tod konnte ihn nicht festhalten. Die Liebe Gottes ist stärker als der Tod. Die Hölle ist nicht die letzte Gewissheit. In diesem Bild mit der Wolke veranschaulichte man das.

Das heutige Fest ist ein Fest des Glaubens und der Hoffnung. Der Hoffnung, dass sich alles, unser Leben, unser Schicksal, die Menschheitsgeschichte in Gott vollendet und die Hölle dieser Welt für immer hinter sich lässt: „Wir haben also die Zuversicht, durch das Blut Jesu in das Heiligtum einzutreten. Er hat uns den neuen und lebendigen Weg erschlossen“, so die 2. Lesung aus dem Hebräerbrief. Und so sagt uns das heutige Fest etwas über unsere Bestimmung. Wozu sind wir gemacht? Nicht, um für immer in einem schwarzen Erdloch zu verschwinden, sondern um in Gott vollendet zu werden. Denn der Sohn Gottes hat unser aller Menschsein angenommen. Gott ist in Jesus als Mensch begegnet und hat uns das verkündet. Und unser aller Menschsein hat er mitgenommen „in den Himmel“, m. a. W.: in die Wirklichkeit Gottes hinein. In Christus ist das Menschsein bereits vollendet. Etwas, das keiner von uns machen kann und so unbegreiflich ist wie Gott selbst.

In der Himmelfahrt Christi wurde also unser Menschsein zu Gott erhöht. Unser Menschsein besitzt Christuswürde, Sohneswürde vor Gott. Denn Gott liebt uns mit derselben Liebe, mit der er von Ewigkeit her seinen Sohn liebt.. Himmelfahrt sagt uns: Da gehören wir hin: in den Himmel, in die Vollendung unseres Lebens in Gott.

Liebe Schwestern und Brüder, Betanien ist überall. Auch hier, wo wir in seinem Namen versammelt sind und von ihm gesegnet werden. Hier ist der Ort, von dem aus wir einziehen werden ins himmlische Jerusalem. Auch die Welt wird verwandelt werden in den Himmel Gottes. Aber dazu dürfen wir nicht wie die Jünger fassungslos in den Himmel starren: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel.“ Der Engel lenkt ihren Blick zurück auf die Erde, auf unsere Realität. M. a. W.: „Glotzt nicht beim Loben immer nach oben. Schaut mal zur Seite, dann seht ihr die Pleite!“ Wir alle sind berufen, unsere Welt, die für so viele Menschen eine Hölle ist,  zu verändern, menschlicher und friedlicher zu machen. Füreinander nicht die Hölle zu bereiten, nicht Fluch zu sein, sondern füreinander und für die Welt ein Segen zu sein, den Segen des Auferstandenen weiterzugeben, die Barmherzigkeit Gottes in alle Himmelsrichtungen zu versprühen. In dem Vertrauen, dass unsere Welt einst verwandelt wird in das himmlische Jerusalem. Dazu brauchen wir den Geist Jesu, den heiligen Geist, die Gabe, die Jesus an Pfingsten zu uns herabsendet.

Wir feiern jetzt Eucharistie. In dieser allerkostbarsten Speise bleibt der Herr, der durch diese Hölle auf Erden gegangen ist, uns nahe.

Und wir dem Himmel.

 

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6. Ostersonntag

Apg 15,1–2.22–29; Offb 21,10–14.22–23

Gehalten in Osnabrück, St. Johann, am 22.5.2022

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Wohnraum wird für viele Menschen immer unbezahlbarer. Die Mieten und Immobilienpreise steigen exorbitant. Kündigungen erfolgen; sogar sehr alte Menschen müssen ausziehen. In Folge dieser Entwicklung steigt dann auch die Zahl der Obdachlosen.

Wem die Wohnung gekündigt wird, weil er sie nicht mehr bezahlen kann, erlebt eine große Verunsicherung. Es ist, als werde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Man fühlt sich ungeborgen, schutzlos. Wo bleibe ich? Wo kann ich wohnen? Wo bin ich daheim?

Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen wie Essen und Trinken. Aber zum Wohnen gehört nicht nur eine Wohnung oder ein Haus; es gehören auch Menschen dazu, bei denen man wohnen kann, und sich – auch in schwierigen Situationen – geborgen weiß. In der Ehe geben Mann und Frau einander Wohnung – mit umfassendem Kündigungsschutz. Auch das gehört zum Sinn der Ehe: dass man beieinander wohnen kann. Das Vertrauen, das man zueinander hat, ist dann auch etwas, in dem wir wohnen, geborgen sind. Kinder wohnen bei ihren Eltern und wissen sich behütet und geborgen. Ungeborgenheit ist nur schwer oder kaum zu ertragen. Man ist dann wie auf schwankendem Boden. Wenn Ehen zerbrechen, Familien auseinanderfallen, Vertrauen kaputt geht – solches wird oft als großes Unglück erlebt. Man ist wie aus etwas Vertrautem hinausgeworfen.

Und denken wir schließlich an die vielen Flüchtlinge, deren Häuser zerstört, deren Familien auseinandergerissen sind und die sich in der Fremde aufhalten, wo sie sich nur fremd fühlen.

Der Mensch braucht Wohnung, Geborgenheit, Heimat, Menschen, bei denen er wohnen, bleiben und sein kann.

Aber auch wenn wir alles das haben, uns sicher und heimisch fühlen, so wissen wir doch: Alles das wird einmal zu Ende sein. Alles vergeht. Wenn wir sterben, müssen wir alles verlassen: unser Haus, unsere Lieben, alles, was uns vertraut ist. Der Tod stößt uns hinaus aus aller Geborgenheit. Außerhalb des Glaubens ist das für den Menschen die letzte Gewissheit. Ich verliere alles, sogar mich selbst. Der Tod ist die absolute Ungeborgenheit. Aus Angst davor versuchen wir unsmit aller Kraft ans Leben zu klammern. Aber nützen tut das nichts. Es kann uns nur krank machen.

Auf diese unsere Angst um uns selbst, um unsere Geborgenheit, spricht uns das heutige Evangelium an, wo Jesus sagt:

Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.

Es ging Jesus um eine letzte Geborgenheit in Gott. Er selbst, als Wanderprediger, unbehaust und ungesichert, hat diese Geborgenheit gelebt. Er hat sein Leben mit Haut und Haaren Gott anvertraut. Seine Jünger haben von ihm gelernt, was es heißt, auf Gott zu vertrauen und sich in ihm in aller Ungesichertheit geborgen und aufgehoben zu wissen. Und Jesus hat sie aufgenommen in sein vertrautes Verhältnis zu Gott, den er „Vater“ nannte und dem er sich im Leben und im Sterben anvertraute. Er die Jünger in sein göttliches Haus aufgenommen Das Wort Jesu verstanden sie als Wort Gottes.  Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.

Nur Gott kann uns sagen, dass wir bei ihm wohnen werden. Ja, es ist nicht nur ein hörbares Wort, es ist Jesus selbst. Jesus ist selbst das Wort, das Gott uns gegeben hat, um unsere Angst zu entmachten. In Jesus begegnet uns Gott als Mensch, als Mitmensch.

In unserem Glauben, liebe Schwestern und Brüder, geht es um eine letzte Geborgenheit, um das Wohnen in Gott. Diese Gewissheit ist stärker als alle Angst und Unsicherheit. Denn Gott liebt uns mit derselben Liebe, mit der er von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Wer auf den Sohn hört und ihn liebt, weiß sich auch von Gott dem Vater geliebt. Er lebt und wohnt dann in Gott wie in den eigenen vier Wänden.

Auch die zweite Lesung aus der Offenbarung des Johannes verkündet uns dies als letzte Wahrheit über unser Leben. Es ist eine große Zukunftsvision: Die heilige Stadt Jerusalem, die aus dem Himmel herabkommt und unsere Erde verwandelt in eine neue Stadt. Man könnte denken, es sei Sciencefiction oder wie ein surrealistisches Gemälde von Salvador Dalí. Aber auch hier wird uns diese letzte Geborgenheit in Gott verheißen: Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel. Mit anderen Worten: Nicht mehr Gotteshäuser wird es geben, sondern Gott ist selbst der Tempel, ist selbst das Haus, in dem wir wohnen und von seiner Herrlichkeit erleuchtet werden.

Aus dieser Glaubensgewissheit entstehen Frieden und Freude: Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt. Wir sehen täglich: Die Welt ist zum Frieden unfähig. Sie ist zerstritten. Weil sie keinen Frieden mit Gott hat. Wer keinen Frieden mit Gott hat, wer sich nicht in ihm geborgen weiß, wird auch kaum Frieden mit anderen und mit sich selbst haben. Wer friedlos ist, bringt Unfrieden. Der Friede Christi aber ist der Friede mit Gott, der uns zu friedliebenden Menschen macht, die auch in Konflikten und Streit die Liebe Gottes nicht vergessen, sondern weitergeben auch an Gegner und Feinde.

Diese Liebe ist der neue Geist, der Heilige Geist, der mit Jesus in die Welt gekommen ist. Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. In diesem Geist ist Frieden möglich, Versöhnung und gegenseitiges Verstehen. Ja, es ist dieser Heilige Geist, der uns überhaupt erst zur Vernunft bringt! In diesem Geist ist es möglich, anderen Menschen auch bei uns Wohnung und Heimat zu schenken.

Jesus nimmt im heutigen Evangelium Abschied von seinen Jüngern vor seinem Leiden. Er weiß: Sein Weg ans Kreuz ist der Weg zum Vater, ist der Weg auf Ostern zu. Verständlich, dass die Jünger darüber traurig sind. Aber: Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe. Jesus wohnt in Gott. Und auch wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Aber alles kommt darauf an, dass wir zum Glauben kommen und Jesus lieb haben. Ohne diesen Glauben an Jesus bleiben wir zurückgeworfen auf uns selbst. Ein letztes Zuhause können wir uns nicht geben. Nur im Glauben können wir uns geborgen wissen. Gott selbst ist unsere Zukunft und die Freude wird nicht mehr aufhören.

Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern jetzt Eucharistie. Wir nehmen Jesus auf in unser Herz, ganz leibhaftig, als Nahrung für unseren Glauben. Zu seinen Freunden sagt er: Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück.  In der heiligen Kommunion, wenn wir voll Ehrfurcht diese allerkostbarste Speise essen, kommt er tatsächlich wieder zu uns. Er will in uns wohnen. Und wenn er in uns wohnt, dann wohnen wir schon in Gott.

Unbezahlbar! Aber gratis.

 

 

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4. Ostersonntag

Predigt zu Joh 10,27–30

Gehalten am 8. 5. 22 in Osnabrück, St. Johann, im Kloster der Benediktinerinnen
und im Marienhospital

„Einen Menschen lieben, heißt sagen: Du wirst nicht sterben!“

 

Dieser Satz, liebe Schwestern und Brüder, stammt von Gabriel Marcel, einem Philosophen des 20. Jahrhunderts. „Einen Menschen lieben, heißt sagen: Du wirst nicht sterben!“ Damit hat Gabriel Marcel eine menschliche Grunderfahrung auf den Punkt gebracht. Für einen liebenden Menschen ist der Gedanke unerträglich, der geliebte Mensch könnte sterben, ausgelöscht werden, vernichtet und vergessen werden. Jeder von uns, der einen Menschen liebt, wird diesen Gedanken nachvollziehen können. Dass der geliebte Mensch nicht mehr ist, ist nahezu unvorstellbar.

Und doch sieht die Realität anders aus. Denn auch die geliebten Menschen sterben, so sehr man sich das Gegenteil wünscht. Und man muss Abschied nehmen: von den lieben Eltern, vom geliebten Ehepartner (einer stirbt immer zuerst), von einem Freund, den man über alles gern hatte. Und manchmal müssen Eltern sogar mit Tränen in den Augen in das Grab ihres geliebten Kindes blicken. Und denken wir in diesen Tagen an die gefallenen Soldaten und getöteten Zivilisten in der Ukraine: wohl fast alle geliebte Menschen, um die Abertausende von Familien trauern.

„Du wirst nicht sterben.“ Mit solchen oder anderen Worten versuchen wir uns auch zu trösten, Mut zu machen. Wenn es nach einer Krebsdiagnose heißt: „Du wirst es schaffen!“; „alles wird wieder gut werden“; „wir tun alles für dich“, dann meinen wir genau das: „Du sollst und du wirst nicht sterben.“

Jeder von uns braucht Menschen, die ihm dies versichern. Darin liegt Wertschätzung: „Ich will dich nicht verlieren!“ „Du bist mir ganz viel wert!“ Wer sich so geliebt weiß, weiß auch um seine Würde, um seinen Wert.

Und doch scheint der Tod stärker zu sein als alle unsere Wünsche und Sehnsüchte. Das wissen wir. Der geliebte Mensch wird doch eines Tages meinen liebenden Händen entrissen. Auch wenn man es lange aufschieben kann durch die moderne Medizin – früher oder später kommt die Stunde des Abschieds. Dagegen ist kein Kraut gewachsen.

„Du wirst nicht sterben!“ – Können wir diesem Satz also nicht wirklich trauen? Ist es nur ein frommer Wunsch? Nur eine Vertröstung? Kann dieser Satz wahr sein?

Solange er nur ein Menschenwort ist, wird er uns enttäuschen. Wahr, ganz wahr, kann dieser Satz nur sein, wenn er von Gott gesagt wird. Denn nur er hat die Macht über den Tod. Nur wenn Gott es uns sagt, kann dieser Satz mehr sein als nur ein frommer menschlicher Wunsch, eine Illusion, eine Selbsttäuschung. Nur wenn er Gottes Wort ist, stimmt er: „Du wirst nicht sterben!“ Denn nur Gott kann uns dies sagen.

Es ist das, was Jesus uns heute im Evangelium sagt. Es ist wahrhaft frohe Botschaft, auf die wir uns im Leben und im Sterben verlassen können: „Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben.“ Dies ist eine unglaublich frohe Botschaft. Mit den Schafen meint Jesus uns. Er ist der Hirte, der gute Hirt, der uns durch und durch kennt. Mit „kennen“ ist in der Bibel auch „lieben“ gemeint. So heißt es in der Bibel: „Mann und Frau erkennen sich“, um zu sagen: Sie lieben sich und schenken sich einander. So kennt der gute Hirt seine Schafe. „Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“. Zu jedem ist das gesagt: „Du wirst nicht sterben!; Du darfst gewiss sein: Du wirst nicht zugrunde gehen! Niemand, auch der Tod wird dich nicht aus seiner Hand reißen“, wenn Du zu seinen Schafen gehörst.

Und Jesus begründet es: „Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.“ Es ist also nicht nur ein Menschenwort, wohl aber ein ganz menschliches Wort, das wir hören: „Du wirst nicht sterben!“ Es ist Gottes Wort, das als ganz menschliches Wort uns von Jesus gesagt wird. Es richtet uns auf und schenkt Mut zum Leben, Mut zum Sein.

Denn wer Jesus nachfolgt, seine Stimme hört, sie heraushört aus all den vielen Stimmen, herausfiltert, aus all den vielen betäubenden Stimmen, die uns das Glück auf Erden versprechen, wer Jesu Stimme hört, der weiß: Es ist Gottes Wort, Gottes Stimme, die um unser Vertrauen wirbt. Denn wer zu Jesus gehört, sich zu seinen Schafen zählt, der weiß sich in Gottes Hand, die in allem mächtig ist, „größer als alles“. Denn Jesus „und der Vater sind eins“. In diese Gemeinschaft Jesu mit dem Vater sind auch wir hineingenommen, eingeborgen als Kinder Gottes. Wir sind von Gott geliebt mit derselben Liebe, mit der Gott von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Zu ihm als Erstem hat der Vater gesagt: „Du wirst nicht sterben.“ Ostern haben wir das gefeiert. Ostern ist dieses Wort auch für uns wahr geworden: Der Gekreuzigte lebt. Weil er vom Vater, von Gott geliebt war. Man kann sich nicht vorstellen, dass der geliebte Mensch stirbt. Aber nur Gottes Liebe ist stärker als der Tod. Und weil Gott auch uns – unverdientermaßen –hineingenommen hat in dieselbe Liebe zu seinem Sohn, gilt sie auch uns. Wen Gott liebt, den lässt er nicht auf ewig ins Nichts fallen.

Die ganze Osterzeit sagt uns immer wieder dies: „Du wirst nicht sterben!“ Sie sagt es nicht als Menschenwort, sondern als Gottes Wort, aber ganz menschlich, so dass wir dieses Wort nachsprechen können, Gottes Wort weitersagen können. Keine andere Aufgabe haben wir als Kirche, als dieses göttliche Wort weiterzusagen. Unsere ganze Hirtenaufgabe als Kirche besteht allein darin, dieses Wort so weiterzusagen, dass die Menschen es als Gottes Wort verstehen können.

Denn wir dürfen nicht nur für uns selbst vertrauen. Sondern auch für alle Menschen, und für die, die wir geliebt haben und die gestorben sind. Sie sind in Gottes Hand und niemand kann sie aus seiner Hand reißen. Im Glauben bleiben wir mit ihnen verbunden. Ja, es gehört wohl zu deren Seligkeit dazu, dass wir weiter Gemeinschaft mit ihnen pflegen: im Erinnern, im Beten, im Feiern der Eucharistie, die ja schon Himmel und Erde, Lebende und Verstorbene verbindet.

Liebe Schwestern und Brüder, auch jetzt feiern wir Eucharistie. Der Herr zeigt uns, wir sehr wir mit ihm sogar leibhaftig verbunden sind. Domini sumus – ihm gehören wir. Und so gehören wir Gott in alle Ewigkeit: „Du wirst nicht sterben!

 

 

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3. Ostersonntag

Apg 5,27-32.40b-41; Ps 30; Offb 5,11-14; Joh 21,1-14

Gehalten in Osnabrück, St. Pius und im Marienhospital

Liebe Schwestern und Brüder,

es ist schon das dritte Mal, dass der Auferstandene sich seinen Jüngern zeigt. Das erste Mal war am Abend des Ostersonntags, als die Jünger hinter verschlossenen Türen saßen. Das zweite Mal acht Tage später als Thomas mit dabei war. Und nun zum dritten Mal am See von Tiberias in dieser so geheimnisvollen Geschichte.

Es wird nicht bei diesem dritten Mal bleiben. Oder anders: dieses dritte Mal ist die Weise, wie der Auferstandene sich auch heute noch uns allen zeigt, die an ihn glauben, wenn er in unsere Mitte kommt und sagt: „Kommt und haltet Mahl!“ durch den Mund des Priesters. Dazu sind wir ja hier zusammengekommen: Um dem Herrn leibhaftig zu begegnen.

Simon Petrus, Thomas, Natanaël und die Söhne des Zebedäus werden genannt. Und dann sind da noch zwei andere von den Jüngern. Doch ihr Name wird nicht genannt. Jeder und jede von uns könnte seinen und ihren Namen dort einfügen. Denn jeder, der getauft ist, ist doch ein Jünger oder eine Jüngerin Jesu.

Sie gehen fischen. Offenbar sind sie wieder daheim in Galiläa, wo sie herkommen und wo sie Jesus zuerst kennengelernt haben. Der See – ihre Heimat, ihre Welt. Das Boot und die Fischerei – ihr Beruf, ihr Alltag, ihr Arbeitsplatz. Das Wasser – schwankender Boden – Angst vor dem Nichts. Die Nacht – Dunkelheit. Sie sitzen im selben Boot. Und in dieser Nacht fingen sie nichts – alles vergeblich, alles sinnlos?

Es sind die Fragen, die auch uns zuweilen überkommen: Was soll dieses Leben? All die Mühe, all die Vergeblichkeit. All die Investitionen des Lebens: in Freunde, in Ehepartner, in die Kinder. Investitionen und Mühen, die sich nicht auszahlen. Welchen Sinn hat das Ganze? Wohin treibt unser Leben? In Zeiten des Krieges, in Zeiten der Krankheit. Auf diesem schwankenden Boden. Über dem dunklen Abgrund des Todes.

Es sind nicht wenige, die sich diese Fragen stellen, die sich als Verlierer vorkommen, als Versager, als vom Leben Betrogene, die keinen festen Boden unter den Füßen spüren, die sich scheinbar umsonst abmühen, um am Ende mit leeren Händen dazustehen, mit leeren Netzen wie die Jünger. Und auch die scheinbaren Gewinner, die Erfolgreichen, die es zu was gebracht haben, vielleicht mit vielen Steuertricks – was haben sie denn den anderen wirklich voraus außer Geld? Sitzen wir nicht doch alle im selben Boot, im Boot unserer Endlichkeit über den dunklen Fluten und Abgründen des Lebens? Im Gefängnis unserer Angst?

Die Jünger wussten noch nicht, dass es Jesus war, der am Ufer stand und sie dies fragte: „Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen?“ Sie gestehen ein, dass sie nichts haben. Nur leere Hände. Offenbar dämmerte ihnen – es dämmerte ja bereits – wie vergeblich ihre Existenz war, wie arm an Sinn und Inhalt. Wie wenig, eigentlich nichts, sie einbrachten trotz aller Mühe.

Es ist das Wort Jesu, das sie noch einmal tätig werden lässt: „Werft das Netz auf der rechten Seite aus, und ihr werdet etwas fangen.“ Es ist sein Wort, das sie ermutigt. Und auf dieses Wort hin füllte sich ihr Netz. Sie merken, dass ihr Leben eben doch reicher ist als sie zuvor erfahren haben. Jesu Wort erfüllt ihr Leben mit Sinn. Und jetzt ist es der Jünger, den Jesus liebte, Johannes, einer der beiden Söhne des Zebedäus, der erkennt: „Es ist der Herr“. Johannes ist der Jünger, den Jesus liebte. Diese Liebe ist in ihm nicht ohne Widerhall geblieben. Es ist die Liebe, die ihn Jesus erkennen lässt. Denn man sieht nur mit dem Herzen gut. Er beginnt zu verstehen, es dämmert ihm, dass sie alles ihm verdanken. Er erkennt Jesus wieder. Den Jesus, mit dem die Jünger gegangen sind, dem sie gefolgt sind, der ihnen gezeigt hat, was wahres Menschsein ist und dass auch unser Menschsein nur gelingt in Gemeinschaft mit Gott. Jesus, dieser wahre Mensch ist es, der am frühen Morgen am Ufer steht, im Licht und auf festem Boden. Das Boot ist nicht mehr weit weg vom festen Grund, nur noch 200 Ellen. Es geschieht scheinbar Widersprüchliches: Petrus zieht sich an und springt ins Wasser: Es war sicher kein Taucheranzug. Eher wie eine Taufe und ein Taufkleid. Nicht nackt und voll Scham wie Adam nach dem Sündenfall will er vor dem Herrn erscheinen, sondern bekleidet mit Würde, mit der Würde des Gotteskindes. Vielleicht aber will er auch seine Scham bedecken, die Scham über die Verleugnung in der Nacht vor Jesu Tod. Und nun wirft er sich ohne Angst in die Fluten. Sie können ihm nichts mehr anhaben. Denn er schwimmt auf Jesus zu. Man lernt durch den Glauben eben nicht nur Fischen, sondern auch Schwimmen!

Es geht tatsächlich um unsere nackte Existenz, liebe Schwestern und Brüder. Die nackte Existenz, mit der wir auf die Welt kommen, unser Leben, das dem Tod geweiht ist. Es ist Christus, der unserer todgeweihten Existenz neues Leben einhaucht und neue Nahrung gibt.

Diese Nahrung ist schon für uns bereitet: das geheimnisvolle Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Der Fisch ist ein frühchristliches Symbol für Christus. Das Brot verweist auf die Nahrung, die Gott gibt: Das Brot ist dieser Christus.

Und nun seltsam. Obwohl das Frühstück schon vorbereitet ist, heißt Jesus: „Bringt von den Fischen, die ihr gefangen habt!“ Das, was Gott für uns bereitet hat und das, was wir auf sein Wort hin vollbracht haben, die Gnade Gottes und das, was wir einbringen, kommt zusammen. Nur durch Gottes Wort wird das Leben reich. Und dieser Reichtum wird eingebracht in unsere Gemeinschaft mit Gott.

Nicht nur wir als Einzelne sind gemeint, als Einzelne zwischen Angst und Vertrauen, zwischen Glauben und Zweifel. Natürlich auch. Und wir sollen wissen, dass Jesus jeden Tag am Ufer unseres Lebens steht und uns erkennen lässt, wer wir sind. Aber auch als Gemeinschaft, auch als Kirche sind wir diese Jünger, die mit Petrus im gleichen Boot sitzen und die Erfahrung der Vergeblichkeit, des Zweifels und der Angst machen. Und als Gemeinschaft der Kirche sind wir Sonntag für Sonntag an das feste Ufer gerufen und eingeladen, uns zu versammeln um das geheimnisvolle Kohlenfeuer. Und Jesus kommt. Er sagt: „Kommt und esst!“ Sie erkennen ihn wieder; jedoch nicht an seinem Aussehen, sondern an dem, was er sagt und was er tut: Er reicht uns das Brot und dazu den Fisch, das Brot, das der Fisch ist, das Brot, das Christus ist, das Leben Gottes, das unser Leben als Einzelne und als Kirche reich und wahrhaft menschlich macht.

Ob damals am Ufer des Sees, ob heute hier in dieser Kirche – es ist derselbe Herr, der uns einlädt und dasselbe Brot, mit dem er unseren Glauben stärkt.

 

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5. Fastensonntag

Jes 43,16-21; Phil 3,8-14; Joh 8,1-11

Gehalten im Marienhospital Osnabrück

 

Ertappt! Auf frischer Tat!

Liebe Schwestern und Brüder,

wie mag es wohl der Frau zumute gewesen sein, als sie in flagranti ertappt und von den religiösen Ehrenmännern an die Öffentlichkeit gezerrt wurde, ihre Sünde ans Licht kam? Vermutlich abgrundtiefe Scham, aber auch Angst, Todesangst. Im Gesetz des Alten Testaments steht auf Ehebruch die Todesstrafe: Steinigung. Im Namen der Religion, also im Namen einer guten Sache. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten, die die Frau und mit ihr ihre Sünde ans Tageslicht zerren, stehen für die Religion, für die moralische Autorität. Heute würden wir sagen: für die politische Korrektheit. Das Böse sollte ausgerottet werden aus dem Volk Gottes (vgl. Dtn 22,22). Mit Stumpf und Stiel. Nicht ganz unähnlich unserer heutigen Situation in der Missbrauchskrise. Auch hier kann man überreagieren.

Doch heute sind es wohl weniger pfäffische Autoritäten, die die Schlafzimmer der Leute durchschnüffeln. Dafür aber sind es die Medien, die die Lebensgeschichten, das Sexualleben und die Doktorarbeiten von Politikern und anderer Prominenter unter die Lupe nehmen und zur Entrüstung aufrufen, wenn sie irgendwo einen Fleck auf der weißen Weste finden. Alles das geschieht ebenfalls im Namen einer guten Sache: Im Namen der Presse- und Informationsfreiheit, im Namen der politischen Korrektheit. Nicht mehr Behörden und Richter sitzen zu Gericht, sondern Zeitungen und soziale Netzwerke und deren Nutzer. Auch Gutachten. Shitstorm nennt man das, wenn im Internet hasserfüllte Kommentare sich über andere Menschen ergießen. Es sind die modernen Steinigungen.

So haben wir es in den letzten Jahren gehäuft erlebt. Ist so etwas tatsächlich Pressefreiheit? Ist es nicht oft Medienwillkür? Lust am Fertigmachen und Zerstören einer Person? Gnadenlos! Man muss gar nicht mehr wie in der Antike ins Kolosseum gehen. Man kann zu Hause am Bildschirm und in Echtzeit erleben, wie ein Mensch, eine Führungskraft, ein Professor, ein Autor, eine Parteifunktionärin vor aller Augen von irgendeinem Fernsehmoderator zermürbt und zerstört wird, weil er z. B. etwas gegen die Gendertheorie oder gegen die Tötung von Kindern im Mutterleib gesagt hat. Und wenn sich hinterher herausstellt, dass nichts oder nur wenig dran war an den Vorwürfen wie bei Ex-Bundespräsident Wulf - Die Person ist erledigt. Hingerichtet von den Medien. Gesteinigt von der Masse im Internet. Auch so sehen moderne Leidensgeschichten aus.

Zerstören wir nicht ganze Biographien, weil anno dazumal mal irgendwas war? Oder wegen einer unbedachten Äußerung? Gibt es denn fehlerfreie Menschen mit makellosem Lebenslauf? Wir werden sie vergeblich suchen, selbst unter Bischöfen und Kardinälen. Jeder Mensch hat eben auch seine dunkle Seite, seine Schuldgeschichte. Wer hat sie nicht? Muss man deshalb ein ganzes Leben für wertlos erklären? Erfüllt solche Medienwillkür nicht bereits die Funktionen von Inquisition und Stasi zugleich? Wirkliche Freiheit, auch Pressefreiheit, hat es immer mit Verantwortung zu tun. Wer zieht Zeitungen zur Rechenschaft, die Menschen zerstören, sich selbstgerecht gebärden wie die Pharisäer und im Namen der Korrektheit Menschen vor den glotzenden Augen aller hinrichten? Und geht es überhaupt um eine größere Sache und nicht vielmehr um Lust am Kleinkriegen und am Zerfleischen einer öffentlichen Person, ganz primitiv: guck mal, wir sind mächtiger als du! In was für einer Demokratie leben wir eigentlich? Bewegen wir uns schon auf eine Ochlokratie zu?

Den Schriftgelehrten und Pharisäern von damals ging es eigentlich auch nicht um die Sache. Sie wollten Jesus auf die Probe stellen; denn sie brauchten einen Vorwand, um ihn anzuklagen. Stellt er sich jetzt gegen das Gesetz des Mose, das die Todesstrafe für Ehebruch fordert? In ihren Augen hat er nur zwei Möglichkeiten: Entweder er stellt sich auf die Seite des Gesetzes und ist also einverstanden mit der Steinigung. Dann aber verrät er seine Botschaft.  Oder er stellt sich dagegen und spricht die Frau frei. Dann aber hat man einen Grund, Jesus anzuklagen, weil er sich gegen das Gesetz stellt.

Der Herr aber durchschaut die Situation. Er erkennt ihre Bosheit. Indem er auf die Erde schreibt, gewinnt er Distanz. Was er geschrieben hat, wissen wir nicht. Vielleicht hat er auch nur nachgedacht. Er lässt sich gar nicht auf eine dieser beiden Möglichkeiten ein. Er hebt die Sache auf die existentielle Ebene und rettet damit die Frau und sich selbst: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe doch den ersten Stein auf sie!“ Jesus konfrontiert die frommen Männer so mit ihrer eigenen Geschichte, ohne ihre Sünden öffentlich zu machen. Jeder weiß selbst, welche Leichen er im Keller hat. Und so gehen sie denn einer nach dem anderen fort. Die Ältesten zuerst. Die haben offenbar am wenigsten eine weiße Weste.

Zurück bleiben nur die Sünderin und der Sündlose, der einzige, der ohne Sünde ist. „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“ Jesus ist ohne Sünde. Aber er wirft nicht den ersten Stein. Er sagt sein vergebendes Wort: „Auch ich verurteile dich nicht.“ Damit rechtfertigt er nicht die Sünde der Frau: „Geh und sündige nicht mehr!“ Was Sünde ist, bleibt Sünde. Ehebruch ist schlimm! Aber die Gnade Gottes ist größer und mächtiger als die Sünde. Sie stellt den Menschen wieder in das rechte Verhältnis zu Gott. So verurteilt Jesus wohl die Sünde, aber nicht die Sünderin. Er reduziert den Menschen nicht auf die punktuelle Tat.

Jesus setzt das Gesetz nicht außer kraft. Aber er zeigt, dass Gott barmherzig ist und dass nur Gott richten kann. So wie die Pharisäer können sich auch Medien mit Gott verwechseln und sich an seine Stelle setzen. Jesus aber hat Petrus, der ihn verleugnet hat, zum Haupt der Apostel gemacht. Er hat zwei Zeloten, also ehemalige Terroristen, unter den Aposteln gehabt. Und er hat Paulus, der die frühe Kirche mörderisch verfolgt hat, zum Apostel der Heiden berufen. Gott beruft Sünder, Versager, Täter. Auch das gehört zum Geheimnis der Kirche.  Und eben nicht das Reinheitsgebot von cancel culture.

Als Kirche sind wir berufen, von dieser Barmherzigkeit Gottes zu künden. Nur eine barmherzige Welt wird Zukunft haben. Wer unbarmherzig ist, bleibt auf die Vergangenheit fixiert und hält den Menschen ständig ihre Geschichte vor, anstatt sie zu einer neuen Zukunft zu ermutigen und zum Neubeginn. Vergangenheit muss zwar bewältigt werden, doch darf man nicht auf sie fixiert bleiben. Das gilt auch für die Missbrauchsaufarbeitung. Sonst versteinert man wie die Frau Lots im Alten Testament.

Gott ruft es uns heute durch Jesaja in der 1. Lesung zu: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, ich mache etwas Neues.“ Noch deutlicher wird Paulus in der 2. Lesung: „Ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Jesu Christi alles übertrifft.“ Einfach alles! Paulus hat es unmittelbar vor der heutigen Perikope aufgezählt: seine reinrassige Herkunft aus dem Volk Israel und aus der jüdischen Religion, seine hohe Bildung, seine religiöse und soziale Stellung, seine pharisäische Untadeligkeit: das alles gilt ihm nun als Unrat, als Müll gegenüber der Erkenntnis Jesu Christi. Wer Christus erkennt, erkennt, wie Gott ist. Ja, Paulus hat es verstanden: Christus ist ein Quantensprung in der Religionsgeschichte. Jesus hat das Gesetz nicht aufgehoben. Aber wer Christus gefunden hat, hat Gottes Erbarmen gefunden. Denn Christus – und nur er – hat Himmel und Erde verbunden, Gott und Mensch sind in ihm vereint: Gott begegnet als Mensch. Dieser Mensch spricht die Sprache Gottes, die Sprache der Liebe. Dies ist unfassbar und lässt eigentlich alle Religionen „alt“ aussehen. Eine Welt ohne Christus ist eine Welt ohne Gnade und ohne Erbarmen. Sie bleibt kalt ohne Christus: und kennt nur Gesetz. Sie ist eine Welt voll Selbstgerechtigkeit und Verurteilung. Aber im Glauben an Christus ist die Welt mit ihren Gesetzen unterfangen von der Barmherzigkeit Gottes. In Christus wissen wir uns von Gott angenommen wie der eigene Sohn. Obwohl keiner von uns es verdient hat! Das nennt man Gnade. Deshalb können auch wir einander vergeben und annehmen als Brüder und Schwestern und gemeinsam an einem Tisch sitzen, wo Christus uns seinen Leib zu essen gibt, seinen Leib, der an den gnadenlosen Verhältnissen dieser Welt zerbrach.

 

 

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4. Fastensonntag 

Jos 5,9a.10-12; Ps 34; 2 Kor 5,17-21; Lk 15,1-3.11-32

Gehalten in Osnabrück, St. Johann

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder im Glauben,

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Jesus erzählt es den Pharisäern und Schriftgelehrten. Er hält ihnen den Spiegel vor. Sie sollen sich im älteren Bruder wiedererkennen. Und Jesus zeigt, wie zuvorkommend und barmherzig Gott ist: Wie der Vater im Gleichnis.

Aber wie gehen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zusammen? Die Pharisäer und der ältere Bruder stehen für die Gerechtigkeit. Gott ist gerecht. Dann aber wäre Barmherzigkeit ungerecht. Wir Menschen müssen immer Abstriche machen, können nur teils gerecht und teils barmherzig sein. Aber bei Gott gibt es nur Vollkommenheit. Er ist vollkommen gerecht und vollkommen barmherzig – wie geht das zusammen?

Ob wir uns wohl wiederfinden in einer der handelnden Personen im Gleichnis? War der Vater ungerecht, weil er den jüngeren Sohn wieder aufgenommen hat?  

Oberflächlich betrachtet haben wir es mit einem Nestflüchter zu tun und mit einem Nesthocker. Der jüngere Bruder hält es daheim nicht aus. Man könnte sagen: Er sucht Freiheit und Weite, will heraus aus den vorgezeichneten Bahnen und sich verwirklichen. Er nimmt sein Leben selbst in die Hand. Leider aber bringt er nichts zustande. Er vergeudet sein Geld, verprasst es mit Dirnen und wird am Ende arbeitslos, hat keine Sicherheit. Es gibt viele solcher Schicksale: Menschen, die ihr Leben nicht geregelt kriegen, die von Job zu Job gehen und überall nach kurzer Zeit herausfliegen. Oder solche, die einfach immer Pech haben.

Der Ältere hingegen ist der typische Nesthocker. Er will Sicherheit, er macht alles richtig, er enttäuscht die Eltern nicht. Er riskiert nichts. So verliert er zwar nicht, aber wer nicht wagt, gewinnt auch nicht.

Nun, diese Betrachtung ist nicht falsch, aber eben nur oberflächlich. Jesus will nicht zwei Charaktere zeichnen, sondern er spricht von Gott, ja, von Gottes Zuwendung zu den Menschen, zu den Sündern, zu denen, die sich verirrt und verloren haben. Und er will zeigen, dass Gottes Liebe nicht teilbar ist. Gott liebt den einen nicht mehr als den anderen, den Frommen nicht mehr als den Sünder. Aber der Fromme steht in Gefahr – wie der ältere Bruder -, das nicht zu verstehen. Er meint, auf Gottes Liebe mehr Anspruch zu haben als der Sünder. Er meint, Gott sei ungerecht, wenn er die Sünder genauso liebt wie die, die sich Tag für Tag bemühen, die Gebote zu halten und ein gottgefälliges Leben zu führen.

Jesus eckte bei den Frommen an, weil er sich ganz anders zu den Sündern verhielt und ganz anders von Gott sprach als jene. Er zeigt, dass Gott ganz anders ist, als wir uns ihn vorstellen. Wir stellen ihn uns nach unserem Bild vor und projizieren unser Verständnis in ihn hinein. Dann ist Gott gut zu den Guten und böse zu den Bösen. Aber diesen Gerichstvollzieher-Gott gibt es gar nicht. Der Fromme hat deshalb keinen Grund, verächtlich auf die herabzuschauen, die in seinen Augen so verdorben, so gottlos so unmoralisch und politisch so inkorrekt sind.

Aber vielleicht können wir uns auch im jüngeren, im sog. verlorenen Sohn wiedererkennen. Denn auch wenn wir uns bemühen, Gottes Willen zu erfüllen, so wissen wir doch, dass wir aus Gottes Barmherzigkeit leben. Und nur Gottes Barmherzigkeit kann uns gut machen. Der jüngere Sohn ist der Mensch, der Gott verloren hat. Indem er sich sein Erbteil schon zu Lebzeiten des Vaters hat auszahlen lassen, hat er den Vater eigentlich für tot erklärt. Der Vater war damit für ihn schon gestorben. Er kann jetzt nichts mehr von ihm erwarten. Deshalb ist dieses Gleichnis auch das Gleichnis vom verlorenen und wiedergefundenen Gott, vom für-tot-erklärten Gott, der in Wirklichkeit sich als lebendig erweist.

Die ganze Neuzeit hat seit Nietzsche Gott für tot erklärt. Der Mensch wollte keinen Gott, der ihm in die Karten schaut. Er wollte seines eigenen Glückes Schmied sein, wie der jüngere Sohn im Gleichnis. Dieser will sein Glück, sein Heil, seine Zukunft selber machen, ohne Gott, und macht dabei die Erfahrung, dass ihm die Mittel ausgehen. Und wenn er am Ende bei den Schweinen landet, dann ist das nicht nur ein sozialer Abstieg, sondern ein menschliches Desaster. Tiefer und gottferner konnte man in jüdischen Augen nicht fallen; denn das Schwein gilt den Juden – wie auch den Moslems -  als unreines Tier, das man nicht essen, ja nicht einmal berühren darf. Man fällt damit ganz aus der Gnade Gottes heraus. Das will das Gleichnis sagen: So kann es sein, wenn man Gott verliert und für tot erklärt. Dann ist man allein mit seinen selbstgemachten Göttern, mit seinem Geld, mit den eigenen Mitteln und Ressourcen, denen man alles zugetraut hat, die aber immer weniger werden und uns am Ende im Stich lassen: Kein Öl, kein Gas, keine Kohle! Das merken wir oft erst, wenn wir mit einer ausweglosen Situation konfrontiert werden, etwa mit unserer Vergänglichkeit oder auch mit dem Krieg. Oder mit dem rasanten Klimawandel. Wie viel Zeit haben wir noch?

Der verlorene Sohn hat nun keine Heilsperspektive mehr. Sein Leben ist zur Sackgasse geworden. Nur die Umkehr kann ihn wieder herausführen aus der Sackgasse seines Lebens. Eine wirklich frei Entscheidung aus Liebe zum Vater ist seine Entscheidung freilich nicht, jedenfalls nicht aus Liebe zum Vater. Sie ist notgedrungen. Und eher eine Berechnung. Viel lieber hätte er vermutlich sein vorheriges üppiges Leben weitergeführt. Aber kann man in der Gottferne überhaupt frei sein und frei entscheiden? Immerhin: er versteht, dass er in einer Illusion gelebt hat und jetzt keine Heilschance hat.

Wenn man sieht, wie leer und verlassen unsere Beichtstühle bleiben, liebe Schwestern und Brüder, könnte man denken: Es wird nicht mehr gesündigt. Wir brauchen keine Umkehr mehr. Wir sind schon auf dem richtigen Weg. Ob das nicht auch eine große Illusion ist? Muss nicht jeder von uns auch immer wieder sein Leben überprüfen? Und sich eingestehen, dass wir auch immer zurückbleiben hinter unserer Berufung? Falsche Bindungen, falsche Gewohnheiten, Neid und Eifersucht, Lieblosigkeit und Begierden, Lüge und scheinheiliges Getue, eheliche Untreue, Egoismus und selbst Gewalt kann es auch im Leben von Christen geben. Es ist dann ein Leben mit dem Rücken zu Gott. Und auch der anständige Mensch lebt von der Barmherzigkeit Gottes. Wir haben sie nicht verdient. Sie ist nicht selbstverständlich. Wenn wir, wenn unser bürgerliches Leben der Maßstab wäre, hätten wir alle bei Gott keine Schnitte. Und wollten wir unsere Sünden ganz privat mit dem lieben Gott ausmachen, könnten wir erneut in die Illusion fallen, es sei ja doch alles nicht so schlimm, uns etwas auf uns einbilden und uns die Vergebung nur einreden. Deshalb gibt es ja die Beichte. Sie ist der eigentliche Ort der Wiederversöhnung mit dem Vater. Denn nicht wir sind die letzte Instanz bei der Beurteilung unseres Lebens. Und wenn der Glaube vom Hören kommt, dann kommt auch die Vergebung vom Hören: Man muss sie sich sagen lassen. Nicht nur im allgemeinen, sondern auf meine ganz konkrete Schuld hin, die ich ausgesprochen habe. Wie beim verlorenen Sohn: in der persönlichen Begegnung, im Schmerz über uns selbst und im Bekenntnis geschieht es, dass wir die Worte der Vergebung, die Christus durch den Mund des Priesters spricht, tatsächlich hören und uns nicht nur einbilden.  

Es ist das, was Jesus uns sagen will: So tief ein Mensch auch fallen mag in den Augen der Mitmenschen, die Augen Gottes sehen anders. Es gibt keine Sünde, die so groß ist, dass Gott sie nicht vergeben kann, wenn wir ihn von Herzen darum bitten. Jesus selbst ist die Barmherzigkeit Gottes in Person. Er isst und trinkt mit den Sündern. Die Frommen regen sich darüber auf. Der ältere Bruder im Gleichnis aber kann sich nicht freuen: weder mit seinem Bruder, der eine neue Perspektive erhalten kann, noch mit seinem Vater, der sich über die Heimkehr des Sohnes freut. Er gönnt beiden das Glück nicht. Dabei hat er nichts verloren. Alles, was dem Vater gehört, gehört auch ihm. Die Liebe Gottes ist so unerschöpflich, dass dem Älteren nichts genommen wird, wenn dem Sünder Gnade gewährt wird.

Gottes Gerechtigkeit ist also nicht wie die verteilende Steuergerechtigkeit beim Finanzamt. Seine Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit, mit der er uns gerecht spricht und aus Sündern Gerechte macht, also Menschen, die im (ge)rechten Verhältnis zu ihm stehen. Diese Gerechtigkeit ist seine Barmherzigkeit. Es ist eine gerechte Barmherzigkeit und eine barmherzige Gerechtigkeit. Aber diese Barmherzigkeit Gottes ist nicht selbstverständlich. Einen Anspruch auf Gottes Liebe und Vergebung hat niemand. Sie ist reine Gnade und deshalb unbezahlbar.

Denn Gott schaut uns nicht so an, wie wir es nach unseren Maßstäben verdient hätten, angeschaut zu werden. Er schaut uns an wie seinen eigenen Sohn. Laetare Jerusalem!, heißt dieser 4. Fastensonntag: Freu dich, Jerusalem! Freu dich Kirche! Freu dich, o Christ! Gott hat dich bekleidet mit dem besten Gewand, dem Taufkleid, mit einem Ring und mit Schuhen. Also mit der Würde des Freien, des Sohnes, nicht eines Tagelöhners. Wir haben Sohneswürde. Eine Würde, die Gott allen Menschen zugedacht hat. Und er möchte, dass wir die Würde auch derer, die Gott verloren haben, wieder zum Leuchten bringen.

Im Grunde ist unser Gleichnis eine Ostergeschichte: „Mein Sohn war tot und lebt wieder, er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ Aber auch andersherum: Gott war für mich tot; ich lebte ohne ihn. Und das war der Tod. Aber ich habe Gott wiedergefunden. Eine Geschichte, die Zukunft eröffnet. Tatsächlich ein Grund zum Feiern und das Mastkalb, nein, das Lamm Gottes zu essen. Jetzt!

 

 

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3. Fastensonntag

Ex 3,1-8a.10.13-15; Ps 103; 1 Kor 10,1-6.10-12

Gehalten in Osnabrück St. Johann

 

Liebe Schwestern und Brüder,

am Freitag hat der russische Präsident Putin im Moskauer Olympiastadion vor jubelnder Menge seinen Überfall auf die Ukraine mit Gottes Wort gerechtfertigt. Aus dem Johannesevangelium hat er das Wort Jesu zitiert: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Genau dies täten die russischen Soldaten in der Ukraine bei der „militärischen Spezialoperation“.

Eine solche Rechtfertigung eines Angriffskriegs mit Gottes Wort ist an Perversion wohl kaum zu überbieten. Will er damit sein schlechtes Gewissen im Namen Gottes wegerklären? Indem er damit den Anschein erweckt, Gott selbst stehe auf seiner Seite? Im Namen Gottes erklärt er damit abgrundtief Böses als Gutes. Wer solches tut, steht völlig im Unheil. Und entweiht den Namen Gottes.

Geheiligt werde dein Name! So sprechen wir jedes Mal, wenn wir das Vaterunser beten. Die erste Lesung heute aus dem Buch Exodus konfrontiert uns mit diesem Namen. Gott offenbart dem Mose am brennenden Dornbusch seinen Namen: JHWH. Ein schwer unübersetzbares hebräisches Wort: Ich bin der „Ich bin da“. Das ist der Name unseres Gottes: Ein Ereignis. Ich bin da. Wie aber heiligt man diesen Namen?

Auch wir Menschen tragen einen Namen. Wir sind nicht nummeriert, sondern werden beim Namen gerufen. Jeder ist auch darauf bedacht, einen guten Namen zu haben, eben einen Namen, der nicht in den Schmutz getreten oder missbraucht wird.

Manche Menschen haben sogar einen großen Namen. Vor Namen wie Platon, Mozart oder Goethe empfindet man Bewunderung und Respekt. Ganz anders vor den Namen Hitler, Stalin, Putin. Es kann einem grausen, wenn man diese Namen hört. Vor anderen Namen spürt man Ehrfurcht und Verehrung, z. B. beim hl. Franz, bei Mutter Theresa oder auch bei Buddha. Und von Jesus wird in der Bibel gesagt, dass Gott ihm einen Namen über allen Namen gegeben hat, vor dem alle Knie sich beugen sollen (Phil 2,9-10). Sein Name ist eben größer als alle Namen. Keiner ist mit seinem zu vergleichen. Denn in seinem Namen werden Himmel und Erde, werden Gott und Mensch verbunden und wir bekommen etwas, das kein Mensch uns geben kann: eine Perspektive der Ewigkeit. Und um die geht es, wenn wir Gottes Namen heilig halten.

Mit seinem Namen JHWH versichert Gott dem Mose, dass er Da ist, dass er seinem Volk nahe ist, dass er unser Leid und unsere Not kennt. Und er will durch Mose sein geschundenes Volk aus Ägypten, aus der Sklaverei hinausführen in die Freiheit, in ein neues Land, aus der Gewalt in den Frieden.

Gott offenbart sich dem Mose auch als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und wer an diesen Gott glaubt, darf auch den eigenen Namen an die Namen Abrahams, Isaaks und Jakobs anhängen. Er ist auch der Gott Martins und Sybilles, Renates und Michaels und wie wir alle heißen. Es entsteht so eine schier endlose Reihe von Namen: eben ein riesiges Volk Gottes. Und jeder von uns ist ein Glied in dieser Reihe, unser unverwechselbarer Name, der eingeschrieben ist in Gott. „Dein Name ist über uns ausgerufen.“

In Jesus hat sich Gott nun endgültig als dieser Jahwe gezeigt. In Jesus hat Gott uns hineingenommen in seine Gemeinschaft mit seinem Sohn. Gott hat sich an seinem Sohn als ein zum Leben erweckender Gott gezeigt, der auch uns aus dem Tod ruft. In Jesus hat sich der Name Gottes als wahr erwiesen: er ist für uns da. Er ist nicht nur der Gott Israels, sondern der unbegreifliche Gott aller Menschen, das Geheimnis der Welt, der ohne den nichts ist. Auch der Name Jesus enthält in der ersten Silbe eine Kurzform von Jahwe. Jesus hieß in seiner Sprache Jeschua, was soviel heißt wie „Jahwe rettet“.

Gott will aber, dass wir seinen Namen heilig halten. Deshalb sagt er zu Mose aus dem brennenden Dornbusch, der nicht verbrennt.: „Komm nicht näher heran. Zieh deine Schuhe aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden!“ Wofür steht dieser Dornbusch? Warum verbrennt er nicht? Offenbar bekommt Mose es hier mit dem Anspruch des Gewissens zu tun. Mose war ja allein aus Ägypten geflohen; denn er hatte in vermeintlich guter Absicht einen Ägypter erschlagen. Was liegt näher als zu versuchen, das schlechte Gewissen loszuwerden, zu unterdrücken? Das Gewissen brennt aber verbrennt nicht, vergeht nicht. Dafür ist der brennende und nicht verbrennende Dornbusch ein anschauliches Bild. Man wird das brennende Gewissen nicht los und zugleich ertrug Mose es nicht, dass anderen Menschen Unrecht widerfuhr. Man hat es darin wirklich mit dem Anspruch Gottes zu tun. Putin aber versucht diesen Anspruch zu unterdrücken, indem er Gott auf seine Seite zieht. Gelingen wird ihm das nicht.

Mose aber verhüllte sein Gesicht denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und er stellte sich dem Anspruch Gottes. Im Vater unser beten wir darum, dass Gottes Name geheiligt werde. Wie geht das?

Das deutsche Wort „heilig“ kommt ursprünglich wohl von „heil“ im Gegensatz zu „kaputt“. Was Kaputtsein ist, wissen wir aus eigener Erfahrung. Wir sehnen uns danach, heil und ganz zu sein. Mit „heilig“ aber meinen wir ein Heilsein, das es nur in Gott gibt. Gott allein ist heilig. Er ist nicht ein Stück heiler Welt. Wir können nur dadurch heilig werden, dass wir an seinem Heilsein teilbekommen.

Nun wissen wir, dass es solches Heilsein bei uns Menschen nicht gibt. Vielmehr ist auch alles, was heil aussieht, immer davon bedroht, zerstört zu werden, wie der Krieg in der Ukraine uns zeigt.. Auch den guten Ruf eines Menschen kann man ruinieren. In den Medien geschieht das ständig. Name und Ruf gehören ja zusammen. Wir werden beim Namen gerufen. Jeder hat einen Rufnamen. Wir ehren den Namen eines Menschen, wenn wir seinen Ruf wahren ihm Respekt entgegenbringen.

Wenn wir Gottes Namen heiligen, dann erkennen wir ihn als unseren Gott und Herrn an. Nicht wir sind die Herren der Welt und die Herren über Leben und Tod, sondern Gott allein. Das muss auch in der aktuellen Diskussion um die Gentechnik und die Euthanasie immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Gottes Name wird eben nicht geheiligt und groß gemacht, wo Menschen sich an seine Stelle zu setzen versuchen und sich zu Herren über andere machen. Gottes Name wird eben nicht geheiligt, wenn im Namen Gottes Angriffskriege geführt werden. Dann wird Gottes Name für eigene Interessen missbraucht. Gott erscheint dann als brauchbar für unsere Ziele. Gott aber lässt sich nicht „gebrauchen“, wie man einen Gegenstand gebraucht und dann wieder wegstellt.

Wir sollen auch nicht in Aberglauben fallen und Gott und Welt miteinander verwechseln. Menschen lassen sich leicht für Idole begeistern. Auch Hitler begeisterte die Menschen dermaßen, dass sie ihn wie einen Heilbringer feierten und damit wie Gott verehrten. Dann geschah unendlich viel Unheil.

Gottes Name wird am besten dadurch geheiligt und geehrt, dass man seinem Wort glaubt, sich ihm anvertraut und sich von ihm geliebt weiß wie sein eigener Sohn. Und dass man dem Anspruch des Gewissens folgt, sein Gewissen erforscht, Unrecht bereut und umkehrt zum wahren Gott. Denn „wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle umkommen“, sagt Jesus heute im Evangelium. Die hl. Beichte ist das Sakrament der Umkehr.

Wir beten ausdrücklich immer wieder um die Heiligung des Namens Gottes. weil wir in Gefahr sind, uns auch selbst an seine Stelle zu setzen. Denn jeder möchte auch groß sein und einen bedeutenden und geschätzten Namen haben. „Geheiligt werde dein Name“ heißt dann auch: Nicht mein Name soll groß sein. Gottes Name soll leuchten und über allem stehen. Auch über meinem Namen. Denn nur im Namen Gottes bekommen auch unsere Namen einen Wert für die Ewigkeit.

 

 

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2. Fastensonntag

 

Gen 15,5.12.17-18; Ps 27; Phil 3,17 – 4,1

 

Gehalten in Osnabrück-Sutthausen, Maria Königin des Friedens

 

 

„Unsere Heimat ist im Himmel“, sagt Paulus heute in der 2. Lesung.

Also, liebe Schwestern und Brüder, sind wir hier auf Erden nur wie auf der Durchreise, wie Fremdlinge, wie Ausländer? Können wir das glauben? Ist das nur eine Vertröstung auf das Jenseits? Um uns unsere Vergänglichkeit ein wenig zu versüßen? Eine Fata Morgana, die uns hilft, die Wüste des Lebens zu ertragen, die aber nur ein Wunschgebilde ist?

Der 2. Fastensonntag ist ein Schlüssellochsonntag. Es ist so, als wenn wir schon mal durchs Schlüsselloch das Ziel unseres Lebens für einen Moment sehen: den verklärten Jesus auf dem Berg, Highlight seines irdischen Lebens. Dahin also geht die Reise! Und Paulus fasst es in die Worte: Christus wird auch unseren armseligen Leib verwandeln in die Gestalt seines verherrlichten Leibes.

Tatsächlich ist die österliche Bußzeit Vorbereitung auf Ostern, auf das Fest des Lebens und der unzerstörbaren Freude. Auch in dieser schrecklichen Zeit des Krieges. Die Bußzeit ist ein Weg. Dieser Weg steht aber für unseren ganzen Lebensweg: Wir sind unterwegs in unsere Heimat. Gott ist diese Heimat.

Doch dieser Weg ist kein leichter Weg. Für viele ist er ein schwerer Weg. Denn der Weg auf Ostern zu ist auch der Weg auf Karfreitag zu. Es ist derselbe Weg. Und dass unser Weg auf Karfreitag zu auch der Weg zum Leben ist – das lässt sich nur im Glauben erkennen.

Was ist das überhaupt – glauben. Wie kann man das glauben, dass wir auf unserem Weg, der oft so beschwerlich ist und für den man viel Mut braucht und der todsicher im Tod endet, dass das der Weg zum Leben ist. Wie können wir so sicher sein, dass unser Lebensweg sich bei Gott im Himmel vollendet. Dass unser Leben herrlich sein wird?

Unser Glaube kann angefochten sein. Mitunter spüren wir vielleicht, dass er schwach ist. Dass wir uns lieber mit dem Diesseits vertrösten, mit dem, was es wirklich gibt, was man sieht, was man kaufen kann, was man essen kann. Die Sorge um das tägliche Brot und um die Gesundheit kann uns ja keiner abnehmen.

Dann gibt es die Schicksalsschläge im Leben. Meint Gott es denn wirklich gut mit mir? Warum trifft mich dieses Unglück? Dieser Verlust? Diese Krankheit? Ein brutaler Krieg? Mitunter scheint auch in unserem Leben die Sonne unterzugehen wie bei Abraham. Große, unheimliche Angst überfiel ihn. Trotz der Verheißung, die an ihn erging und an die er glaubte. Auch Abraham, der Vater des Glaubens, zweifelt, ihm wird bang ums Herz und es wird dunkel um ihn. Erst Gottes Wort lichtet dieses Dunkel, als Gott den Bund mit ihm schließt: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Grenzbach Ägyptens bis zum großen Strom, dem Eufrat. Gott verheißt Zukunft. Es ist auch heute schwer, daran zu glauben.

Gott schließt einen Bund mit Abraham und verspricht ihm Zukunft. Dieses vergängliche Leben ist eben nicht alles. Die Welt ist nicht alles, was wir haben. Und doch haben wir es nicht leicht mit dem Glauben. Man hat ihn nicht fix und fertig. Die Angst um uns selbst kann sich wieder einstellen wie bei Abraham und uns herunterziehen.

Das Evangelium von heute möchte uns Mut machen zum Glauben, zum Vertrauen. Die Jünger sehen Jesus im Glauben. Die Zeit damals war nicht besser als heute. Doch Jesus sieht wie verwandelt aus. Sie verstehen sein Wort, sie erkennen ihn als Gottes Sohn. Sie hören Gottes Wort: „Das ist mein auserwählter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören.

Der Glaube ist uns nicht angeboren. Dass Gott bei uns ist, dass er unsere Zukunft ist, dass er unser ewiges Leben und unsere himmlische Heimat ist – das kann man sich nur sagen lassen. Der Glaube kommt vom Hören. Man muss es sich sagen lassen: von Gott und natürlich heute von anderen Menschen, die schon glauben. Wer glaubt, vertraut sich diesem Wort an. Glauben ist Vertrauen. Dem Wort Gottes mehr vertrauen, als unserer Erfahrung, bloß vergänglich und gottverlassen und den todbringenden Mächten ausgeliefert zu sein.

Wer zum Glauben kommt, tritt ein in eine große Glaubensgemeinschaft, in einen großen Strom der Glaubenden: seit Abraham: „Sieh zum Himmel hinaus und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. So zahlreich werden deine Nachkommen sein.“ Wie ist doch diese Verheißung in Erfüllung gegangen: Schaut euch die Kirche an: fast 2 Milliarden Christen, Sterne hier auf Erden. Ganz zu schweigen von den Sternen, die schon in der Heimat im Himmel sind. Jeder von uns wie ein Stern, einer von Myriaden von Sternen. Sterne leuchten, funkeln, erhellen den Himmel und vertreiben die Finsternis. Jeder von uns kann so leuchten wie ein Stern in der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit des Lebens: unsere Hoffnung, unsere Liebe und Menschenfreundlichkeit, unser Vertrauen in Gottes Wort, unser Mut, auch Leiden anzunehmen, und auf schwankendem Boden zu gehen macht uns bereits in diesem Leben Jesus ähnlich. Nächstes Jahr sind es 80 Jahre, dass die Geschwister Hans und Sophie Scholl und andere Mitglieder der Weißen Rose hingerichtet wurden: Sie waren funkelnde Sterne in tief dunkler Zeit. Auch heute gibt es solche Menschen in russischen Gefängnissen und Arbeitslagern. Das heißt an der Verklärung Christi schon in diesem Leben teilzuhaben: Verklärung heißt: in der Vergänglichkeit dieses Lebens das unzerstörbare Leben Gottes bezeugen, angesichts des Todes und der todbringenden Kräfte das Lied des Lebens singen, angesichts des Kreuzes die Auferstehung preisen. Im Vertrauen, dass wir mit Gott im Bund sind und er uns nicht fallen lässt in endgültige Finsternis.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, unser Glaube braucht Nahrung. Man muss ihn sich immer wieder sagen lassen. Wir müssen uns auch gegenseitig darin bestärken und füreinander Glaubenszeugen sein, die Gottes Wort hören und es weitersagen.

Dieses Wort wird unsere Nahrung in der Eucharistie. Um unseren Glauben zu stärken und unsere Hoffnung zu beleben: Wir sind gemacht für die ewige Gemeinschaft mit Gott. Oder, wie Paulus sagt: für den Himmel und nicht für das Grab. Denn der Glaube kommt wohl vom Hören. Aber er führt zum Sehen: die Jünger sahen auf dem Berg, wer Jesus wirklich ist. Auch wir können unsere Augen auf ihn richten in dieser dunklen Zeit. Und wir sehen im Blick auf Christus, den auserwählten Sohn auch, wer wir wirklich sind: Gottes Kinder.

Und eines Tages werden wir Ihn sehen wie er ist.  Und das wird unsere Heimat sein.

 

 

 

 

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1. Fastensonntag

Dtn 26,4-10; Ps 91; Röm 10,8-13; Lk 4,1-13

Gehalten in Osnabrück, St. Johann

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Führe uns nicht in Versuchung! So beten wir im Vaterunser. Sollen wir uns vorstellen, dass Gott uns in Versuchung führt? Wie ein Teufel? Und in welche Versuchung? Will er uns etwa testen? Stellen wir uns einen Raucher vor, der beschlossen hat, mit dem Rauchen aufzuhören. Es fällt ihm schwer, aber er ist zuversichtlich, es zu schaffen. Da trifft er nach ein paar Tagen seinen besten Freund. Dieser weiß vom Entschluss seines Freundes. Und dennoch bietet er ihm mit einem Grinsen eine Zigarette an. Ist das nicht gemein?

Können wir uns vorstellen, dass Gott so handelt? Müssen wir ihn extra darum bitten, das nicht zu tun? Ist Gott einer, der „Ätsch“ sagt, „da bist Du aber reingetappt“? Spielt er mit uns?

Heute, am 1. Fastensonntag, hören wir von den Versuchungen Jesu durch den Teufel. Auch Jesus wurde also versucht. Aber was sind Versuchungen? Und wer ist der Teufel, der uns versucht? Ist es etwa Gott selbst?

Die Versuchung, liebe Schwestern und Brüder, ist der Ernstfall des Glaubens. In solchen Situationen kann sich unser Glaube bewähren. Denn die Versuchung ist eine Entscheidungssituation. Ich muss mich entscheiden zwischen Gut und Böse, zwischen Wahr und Unwahr, Treue und Untreue., Glaube und Unglaube. Mein Gewissen ist gefragt, z. B. wenn ich meine Einkommensteuer erkläre, wenn ich versucht bin, etwas im Supermarkt mitgehen zu lassen. Ständig müssen wir uns entscheiden und manchmal stehen auch hohe Werte auf dem Spiel: Treue, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Freiheit, ungeborenes Leben. Kann ich dem Bösen widerstehen oder gebe ich ihm nach? Das Böse erscheint dann oft in einer wunderschönen Verpackung. Es gaukelt mir vor, dass es mir besser gehen wird, wenn ich mich dafür entscheide, also dass es vorteilhaft für mich sei. Das Böse verkleidet sich als Gutes. Und das ist eben das Teuflische.

Solche Entscheidungssituationen können sehr vielfältig sein. Jeder weiß selbst am besten, in welchen Versuchungen er schon gestanden hat und vielleicht gefallen ist. Versuchungen gehören zum Menschen. Tiere haben keine Versuchung, weil sie keine Entscheidungsfreiheit haben und auch kein schlechtes Gewissen bekommen. Der Mensch aber soll sich in Freiheit für das Gute entscheiden. Das Kriterium kann nicht sein, was besser ist für mich, sondern was an sich gut ist., auch wenn es zu meinem Nachteil ist, z. B. wenn ich in der Versuchung stehe zu lügen. Bei unserer Taufe und unserer Firmung haben wir es öffentlich gesagt und in jeder Osternacht wieder: Ich widersage dem Bösen, dem Satan und all seiner Pracht. Denn letztlich stehen wir in der Versuchung vor der Entscheidung zwischen Liebe zu Gott und Liebe zur Welt.

Das heißt nicht, dass man die Welt nicht lieben darf. Aber man darf sie nicht mit Gott verwechseln. Es geht also in der Versuchung und auch bei den Versuchungen Jesu um das 1. Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ Das ist die große Gefahr, der der Mensch erliegen kann. Denn je faszinierender etwas ist, umso leichter vergötzt man es, je mehr man es haben will, umso mehr verspricht man sich davon und hängt sein Herz daran. Und je betörender ein Mensch ist, um so leichter idolisiert und vergötzt man ihn. An Hitler wurde geglaubt wie an Gott. Von der Atombombe verspricht man sich Sicherheit und Frieden. Vom Kapitalismus verspricht man sich Wohlstand. Und von dem religiösen Gott, den wir uns vorstellen und uns zuhanden gemacht haben, versprechen wir uns Schutz in allen Lebenslagen. Aber wenn wir dann merken, dass weder Hitler noch die Atombombe, noch der Kapitalismus und auch der selbstgemachte Gott, der nur unsere Projektion ist, nicht halten, was sie versprechen, dann verzweifeln wir. Dann zeigen alle diese Götzen und Götter ihre teuflische Fratze. Der große Theologe Karl Barth hat es so auf den Punkt gebracht: „Eine Welt voller Götzen ist eine Welt voller Dämonen.“

Ja, und jetzt wissen wir auch, wer der Teufel ist: er ist die mit Gott verwechselte Welt, die uns vom wahren Gott, von der Gemeinschaft mit Gott und vom ewigen Leben abschneidet. Alles Irdische, das wir mit Gott verwechseln, ist der Teufel, ist das Böse.

Jesus durchschaute das in der Wüste, als ihn die Versuchung überkam. Er ist ihr nicht erlegen. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Der Mensch ist nicht reduzierbar auf ein reines Konsumwesen, auf ein Fresswesen. Denn es gibt noch eine andere Etage des Hungers. Das Brot, der Konsum, der Kapitalismus und damit die Versuchung, die Steine, die Erde in etwas Aufessbares zu verwandeln durch Düngemittel, Glyphosat, verbrecherische Massentierhaltung, die Abholzung der Urwälder, also sich Konsum zu beschaffen auf Kosten der Schöpfung, auf Kosten der Armen, dieser ganze Wahnsinn unserer kapitalistischen Wirtschaft, die alle Ressourcen in Essbares, verwandeln will: sie zeigt uns jetzt ihre teuflische Fratze: Klimakatastrophe, Flutkatastrophe, Verwüstung der Erde.

Dann die Versuchung zur Macht: „All die Macht und Herrlichkeit will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst.“ Der Mensch, der in die Knie geht vor den Mächtigen, der kein Rückgrat hat, ist oft auch der, der selbst den lieben Gott über andere spielen möchte. Ja, von Geld, von Sex, von Vergnügen kann man vielleicht irgendwann genug haben. Von Macht nie: etwas zu sagen haben über andere, andere instrumentalisieren, sie beherrschen – das gibt es nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Es gibt viele kleine Putins. Und es gibt den großen Putin, an dem wir auch wieder die dämonische Fratze hinter der gepflegten Erscheinung erkennen. Wo Macht vergötzt wird und wo man vor den Mächtigen in die Knie geht, da betet man den Teufel an.

Und schließlich gibt es die Versuchung, Gott zu versuchen: „Wenn du Gottes Sohn bist“ – der Teufel benutzt gerne fromme Worte, um uns irrezuführen –, „dann stürz dich hier hinab. Gott wird dich doch sicher auffangen.“ Wohl die teuflischste aller Versuchungen: Sich Gott zuhanden machen, Gott berechenbar machen, Gott brauchbar machen, Macht über Gott gewinnen, wollen, dass Gott macht, was ich will. Was meinen wir wenn wir bei den Fürbitten rufen: „Wir bitte dich, erhöre uns“– wie muss das wohl klingen in Gottes Ohr: Gott soll machen, er soll eingreifen? Beginnt da nicht die Religion des Aberglaubens und der Magie? Magie heißt, man möchte sich Gottes bemächtigen. Am liebsten würden wir ihn vielleicht zwingen gerade in diesen Tagen, da uns so bang ums Herz ist. Aber diesen Gott, der tut, was wir wollen, den wir berechnen und den wir auf die Probe stellen möchten - den gibt es nicht. Gott sei Dank! Er wäre ja nur wie ein Superwesen, ein Batman, ein vergrößertes Abziehbild von uns und wir wären nicht mehr sein Abbild, sondern selbst der Teufel. Nicht Gott muss sich verändern. Wir sind es, die sich ändern müssen, damit Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit wachsen.

„Führe uns nicht in Versuchung“ – ja, wie können wir diese Bitte verstehen?

In unserer Vaterunser-Bitte beten wir nicht darum, uns mögen alle Konflikte erspart bleiben. Wir bitten aber darum, dass wir nicht über unsere Kraft versucht werden, sondern dass Gott uns die Glaubenskraft geben möge, auch in entscheidenden Situationen zu seinem Wort zu stehen und das Rechte zu tun. Er möge uns in solchen Versuchungen nicht verlassen, sondern uns durch sein Wort führen. Das ist ja auch der Sinn der Firmung, die wir als Jugendliche empfangen haben: uns diesen Geist der Glaubenskraft und der Stärke schenken zu lassen, so dass wir auch bereit werden, Nachteile dafür in Kauf zu nehmen, dass wir Christen sind.

Jesus hat die List des Versuchers durchschaut. Er hat gewollt, was Gott will. Er ist seinen Weg in Freiheit gegangen. Er ging vor niemand in die Knie und lebte voll Menschlichkeit als wahres Ebenbild Gottes, als Sohn Gottes, der in allem uns gleich war - außer der Sünde.

Ob wir von ihm lernen können in dieser Fastenzeit?

Von Gottes Wort leben, den Gott Jesu anbeten, alles andere dadurch relativieren, um Vergebung bitten, mit den Armen und Flüchtlingen teilen und den Glauben nähren mit dem Brot, das nicht verdirbt und in der Gewissheit leben, dass wir Gott gehören.

 

 

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8. Sonntag im Jahreskreis

Sir 27,4-7; 1 Kor 15,54-58; Lk 6,39-45

 

Gehalten in Osnabrück St. Wiho und in Maria Königin des Friedens

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Wenn sich dieses Verwesliche mit Unverweslichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit – dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg.“  (1 Kor 15,54) So schreibt Paulus an die Korinther. Was bedeutet das?

Ein Mensch stirbt. Sein Herz hört auf zu schlagen. Das Gehirn erlischt. so wie wenn eine Festplatte plötzlich leer ist. Ein Organ nach dem anderen hört dann auf zu funktionieren. Der Körper – eben noch durchblutet und warm – wird eiskalt. Bald wird die Totenstarre eintreten.

Die Angehörigen, die dabei sind, blicken zu ihrem Toten. Sie drücken ihm die Augen zu. Sein Leichnam liegt bleich und stumm in seinem Bett. Er ist irgendwie noch da, aber tatsächlich doch nicht da. Wo ist er oder sie? Ist der Mensch ins Nichts gefallen? Ausgelöscht? Für immer?

Liebe Schwestern und Brüder, solche Momente berühren uns zutiefst. An dem Sterbenden und Toten sehen wir, was jedem von uns früher oder später blüht. Ist das Nichts unsere Zukunft? Hat der Tod das allerletzte Wort? Ist er unsere letzte Gewissheit? Angesichts eines furchtbaren Krieges werden solche Fragen erst recht virulent. Wir sind ratlos.

Der Tod gibt zu denken. Er gibt viele Fragen auf. Aber er gibt keine Antwort. Man kann natürlich spekulieren und sich irgendein Leben nach dem Tod ausmalen. Oder Seelenwanderung. Aber das alles sind nur Spekulationen, Phantasien. Sie geben keine Gewissheit. Und niemand kann uns vor dem Tod retten: Kein Arzt, kein Wundermittel, keine Philosophie, keine Religion. Niemand kann dem Tod entrinnen. Er ist endgültig.

Alles in uns sträubt sich dagegen. Am liebsten verdrängen wir den Gedanken. Der Gedanke an den Tod holt uns immer wieder ein. Entfliehen kann man ihm nicht. Wir sind vergänglich und verwelken wie eine Blume in der Vase, die heute noch wunderschön ist und übermorgen entsorgt wird.

Sterben wir wirklich ins Nichts hinein? Verlöschen wir unwiederbringlich? Und bleiben wir so auf ewig unvollendet? Denn jeder Mensch stirbt unvollendet und vollendungsbedürftig. Und tatsächlich kann nichts Irdisches den Menschen vollenden. Selbst wenn wir großes Glück im Leben haben, gesund und reich sind, uns alles leisten könnten, was das Herz begehrt – es könnte uns alles nicht satt machen und vollenden. Wenn es eine Vollendung unseres Lebens gibt, dann kann nur Gott diese Vollendung sein. Der Mensch kann sich mit nichts zufrieden geben, was weniger als Gott ist, was also selbst nur vergänglich ist. Der hl. Thomas von Aquin sagt: Der Mensch ist ein „desiderium naturale ad videndum Deum“, eine Sehnsucht, Gott zu schauen.

Aber woher nehmen wir das Vertrauen, dass es so ist, dass Gott uns auch im Tod rettet und vollendet?

Ja, liebe Schwestern und Brüder: Dafür haben wir nur ein Wort. Nichts weiter als ein Wort. Jesus ist dieses Wort. Wenn es wahr ist, muss es Gottes Wort sein. In Jesus hat sich ausbuchstabiert, wer Gott für uns sein will. Nur er kann uns retten vor dem ewigen Tod.

In der zweiten Lesung, in dem kurzen Abschnitt aus dem ersten Korintherbrief, haben wir es gehört: „Wenn sich das Verwesliche mit Unverweslichkeit bekleidet und das Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg.

Paulus bezieht sich hier auf die Auferstehung Jesu. Dessen Gemeinschaft mit Gott war stärker als der Tod. Wenn wir von der Auferstehung Jesu sprechen, dann sagen wir, dass der Tod gegen seine Gemeinschaft mit dem Vater keine Macht mehr hatte.  In jeder Messe feiern wir also diese Entmachtung des Todes und der todbringen Kräfte, wie sie sich jetzt in der Ukraine austoben..

Es geht nicht um ein Leben nach dem Tod, also gewissermaßen eine Fortsetzung dieses Lebens in anderen Sphären, sondern um die Vollendung unseres Lebens in Gott. Und die ist so unbegreiflich wie Gott selbst. Nur in Bildern können wir davon sprechen. Mehr als Bilder haben wir nicht.

Paulus schreibt, dass sich das Verwesliche, also unser irdisches, vergängliches Leben, mit Unverweslichkeit bekleidet. Das ist sein Bild. Paulus will sagen: Es ist so, wie wenn man sich ein Kleid überzieht. Und er sagt es noch einmal: Das Sterbliche bekleidet sich mit Unsterblichkeit.

Aber wie geht das? Wie ziehen wir uns dieses Kleid der Unsterblichkeit an, um den Tod zu entmachten? Und wie sieht dieses Kleid aus? Und wie bekommen wir es? Ist es eine kugelsichere Weste wie Polizisten sie tragen?

Ganz einfach, liebe Schwestern und Brüder: Wir bekleiden unsere Vergänglichkeit mit Unvergänglichkeit, indem wir zum Glauben an Jesus als den Christus Gottes kommen.

Das ewige Leben beginnt nicht erst mit dem Tod, sondern es beginnt dann, wenn jemand zum Glauben kommt. Jesus sagt es selbst im Johannesevangelium: „Wer glaubt, hat das ewige Leben.“ (Joh 6,47) Also nicht erst in der Zukunft, sondern schon jetzt. Denn im Glauben vertrauen wir auf die Botschaft Jesu, dass wir Anteilhaben an seiner Gemeinschaft mit Gott. Wer Jesu Botschaft annimmt, bekommt dieselbe Gemeinschaft, die Jesus mit Gott hat. Denn Glauben heißt Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu. Wer verstanden hat, dass Jesus das Wort Gottes ist, dass in ihm der unbegreifliche Gott als Mensch begegnet, der kann sich im Leben und im Sterben, im Krieg und im Frieden auf dieses Wort verlassen.

Deshalb kann jeder Christ mit Paulus sagen: „Tod, wo ist dein Sieg? Wo ist dein Stachel? Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus.“ Es ist, als würde Paulus den Tod auslachen. Dieser vermag es nicht mehr, uns aus Gottes Hand zu reißen.

Der christliche Glaube also schenkt uns ewiges Leben. Die Gemeinschaft mit Gott, die wir im Himmel haben werden, ist ja keine andere Gemeinschaft mit Gott als die, die wir schon jetzt im Glauben haben. Die Gewissheit, Gemeinschaft mit Gott zu haben, ist bereits unser ewiges Leben.

Unser Glaube ist also die Entmachtung des Todes. Er ist es ja, der uns mit Angst erfüllt und macht, dass wir uns an alles mögliche klammern und sogar egoistisch werden können. Aber wenn wir glauben, dass der Tod schon entmachtet ist, dann müssen wir nicht mehr von Angst um uns selbst getrieben sein. Denn im Glauben vertrauen wir darauf, dass sich unser Leben in Gott vollenden wird.

Ja, der Glaube ist es, der uns überhaupt erst gut macht. Weil er die Angst um uns selbst überwindet, die Angst, die uns egoistisch macht. Der Glaube entmachtet die Angst und befreit zur Liebe und gibt uns ein gutes Herz. Im Glauben wird der Mensch wie ein guter Baum, der auch gute Früchte bringt, wie Jesus im heutigen Evangelium sagt. Wer aber nur aus Angst um sich selbst, um den eigenen Vorteil, oder – wie Wladimir Putin – nur um seine Macht fürchtet und sie mit aller Gewalt durchsetzt und über Tausende von Leichen geht, der ist wie ein schlechter Baum, der keine gute Frucht bringt. Er wird den Sieg nicht davontragen.

Und so sieht das Kleid der Unverweslichkeit aus: Es ist das Gewand eines Menschen, der liebt, der sich verschenkt, der anderen dient, weil er dem Wort Gottes vertraut. Im Glauben sieht man es einem solchen Menschen an, dass er bereits das Kleid der Unsterblichkeit trägt.

Zum Glauben an Jesus kommen bedeutet also, dass wir unsere Vergänglichkeit mir Unvergänglichkeit bekleiden. Der christliche Glaube ist wie ein Kleid, das uns auch in Gottes Augen schön und unsterblich aussehen lässt wie sein eigener Sohn. In diesem Kleid sind wir geborgen. Ja, Gott selbst ist dieses Kleid, das uns umhüllt im Leben und im Tod.

Wenn wir jetzt Eucharistie feiern, dann feiern wir unsere Gemeinschaft mit Gott, dann lassen wir uns wieder mit Gott beschenken und bekleiden. Dann wird die eucharistische Gabe unsere Speise der Unsterblichkeit. „Denn wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“ (Joh 6,58)

 

 

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7. Sonntag im Jahreskreis

1 Sam 26,2.7-9.12-13.22-23; Ps 103; 1 Kor 15,45-49; Lk 6,27-38

Gehalten am 20.2.22 Kapelle Marienhospital Osnabrück

 

Liebe Schwestern und Brüder:

„Liebt eure Feinde!“ „Tut denen Gutes, die euch hassen!“ und die vielen anderen Gebote Jesu: wer soll das erfüllen? Sind wir damit nicht total überfordert? Soll ein Ukrainer oder Nawalny Putin lieben? Kann ich einem Feind, einem, der mich zutiefst verletzt hat, wie einem Freund begegnen? Ist nur der Einzelne Mensch dazu aufgefordert, so zu handeln?. Oder auch Staaten und Völker? Der frühere Bundeskanzler Schmidt hat ja gesagt, mit den Grundsätzen der Bergpredigt könne man keine Politik machen.

Aber Mahatma Gandhi, der kein Christ war, hat nicht nur gesagt, sondern auch gezeigt, dass es geht. Und wir sehen, wie der Nahostkonflikt nimmer endet, weil keiner der Feinde auf den anderen zugeht und das Risiko des ersten Schritts in Kauf nimmt. Denn alle haben Angst voreinander, abgrundtiefe Angst. Daraus entsteht die Logik der Gewalt: Wie du mir, so ich dir. Ohne Bergpredigt kann Politik wohl erst recht nicht gehen und Frieden schaffen. So scheinen Jesu Forderungen durchaus vernünftig zu sein. Aus Unrecht, das mit Unrecht beantwortet wird, folgt zwangsläufig eine unendliche Kette von Unrecht.  Das gilt zwischen Nachbarn, die um den Gartenzaun oder den Apfelbaum streiten und prozessieren, das gilt zwischen Geschwistern, die wegen des Erbes zu Feinden werden, genauso wie für die große Politik. Ein großer Schuldzusammenhang: die Sünde der Welt. Wenn wir es nicht im Kleinen lernen, wie soll es dann im Großen sein.

Und dennoch überfordern uns die Weisungen Jesu. Lieber handeln wir unvernünftig als vernünftig. Was ist bloß mit uns los?

Als ich diese Predigt vorbereitete, kam mir ein Erlebnis in den Sinn, das ich vor 35 Jahren als junger Priester hatte. Es ist mir noch in ganz lebendiger Erinnerung. Ich war in Brasilien zu Gast bei einer Schwesterngemeinschaft. Eines Tages fragten die Schwestern, ob ich Lust hätte am nächsten Tag mit Ihnen zu einer Außenstation zu fahren, wo sie kranke Menschen versorgen wollten. Einmal im Monat führen sie dorthin. Ich sagte zu und war gespannt.

In aller Herrgottsfrühe fuhren wir mit einem Geländewagen über Stock und Stein in eine ganz abgelegene Gegend, eine Art Urwald. Nach zwei bis drei Stunden kamen wir bei einer ganz schlichten Kapelle aus Holz an, die mitten im Urwald stand. Viele Menschen waren schon dort und warteten auf die Schwestern. Sie waren aus der umliegenden  Gegend gekommen: Männer, Frauen und Kinder. Die Schwestern schlossen die Kapelle auf. Darin befand sich ein großer Medikamentenschrank, eine kleine Apotheke. Der Reihe nach behandelten die Schwestern die Menschen, die gekommen waren: Sie verbanden Wunden, verteilten Medikamente und erklärten, wie sie einzunehmen waren, maßen Fieber und Blutdruck. Und vor allem: sie trösteten und ermutigten diese armen, einfachen Menschen, schenkten ihnen Hoffnung, Würde und Vertrauen. Sie hatten Zeit für ihre Patienten. Zur Mittagszeit wurde dann in der Kapelle zu Mittag gegessen. Dabei fragte mich eine Schwester, ob ich bereit wäre, am späteren Nachmittag, wenn sie mit den Behandlungen fertig wären, die hl. Messe mit den Menschen zu feiern. Nur einmal im Monat käme der Pfarrer dorthin. Ich sagte gerne zu. Um mich vorzubereiten schaute ich in die Texte für diesen Tag. Das Tagesevangelium war aus der Bergpredigt, wo Jesus sagt: Ihr sollt eure Feinde lieben und segnen, die euch hassen. Ogottogott, dachte ich. Wie kann ich das diesen Menschen vermitteln, die doch selbst Opfer von ungerechten Verhältnissen sind. Wie sollen sie ihre Unterdücker lieben, die sie in Armut und Elend halten? Ich überlegte hin und her. Waren die meisten Menschen, die zur Zeit Jesu in Palästina lebten, nicht auch entrechtete und ausgebeutete Menschen?

Da noch Zeit war bis zur Messe, streifte ich nachdenklich ein wenig durch den Urwald und schaute mich um. Da kam mir eine Idee. Ich sah einen großen Kaktus, der zwischen den Bäumen wuchs. Mit meinem Taschenmesser schnitt ich ihn vorsichtig ab.

Ich konnte nur ein bisschen Portugiesisch. Wie mache ich das? Zum Glück war meine Mutter Italienerin und ich habe von Kindesbeinen an italienisch gesprochen, das dem Portugiesischen eng verwandt ist. Aber ich dachte: Besser, du bringst die Leute zum Sprechen.

Als ich dann im Gottesdienst das Evangelium vorgelesen hatte: Liebt eure Feinde!, zeigte ich den Kaktus. „Was ist das?“, fragte ich. Die Leute antworteten im Chor: „Cacto“. Ich sagte: „Eine eigenartige Pflanze. In Deutschland wächst sie nicht wild.“ Und dann fasste ich den Kaktus an einer stacheligen Stelle an und sagte „Aua“. Alle riefen: „Nicht anfassen – das sind Stacheln, espinhos.“ Ja, stachelig ist diese Pflanze. Man kann sich verletzen. Und schließlich fragte ich: „Haben wir eigentlich auch Stacheln?“ „Und wie“, sagten einige. „Wir tun uns weh, wir verletzen uns gegenseitig, wir zanken uns“. Und einige erzählten ganze Geschichten, wie sie sich gegenseitig weh taten: in den Familien, unter Nachbarn: Neid, Missgunst, Streitsucht, sexuelle Gewalt. Also fasste ich zusammen: „Sind wir Menschen wie Kakteen?“ Ja, sie stimmten zu. „Wir sind so.“ Und dann fragte ich: „Hatte Jesus, unser Herr, auch Stacheln“. „Nein“, riefen alle im Chor, „o Senhor, der Herr hatte keine Stacheln. Er war gut zu allen.“ „Das stimmt“, sagte ich, „aber man hat ihn umgebracht.“ Sie wurden still und nachdenklich. „Ja“, sagte ich, „man hat ihn getötet, weil er gut war. Er ist ohne Angst auf die Menschen zugegangen und wollte ihnen zeigen, dass Gott unser aller Vater ist, auch der Bösen, und wir deshalb alle Brüder und Schwestern sind. Und schließlich hat er jeden von uns in die Arme genommen, nicht nur die Kinder, er hat jeden Kaktus mit seinen Stacheln umarmt – und daran ist er zugrunde gegangen, an uns, das hat ihn das Leben gekostet. Und so hat Jesus selbst seine Feinde geliebt. Er hat es uns vorgelebt, was das heißt, damit wir unsere Stacheln verlieren, damit wir menschlich werden, damit wir nicht mehr Angst voreinander haben, damit wir gut werden.

Aber wie werden wir gut und gütig? Das könnte ja unser Label werden auf unserer Stirn: nicht gut und günstig wie bei Edeka, sondern gut und gütig. Ja, wie werden wir das? Sicher nicht durch sittliche Kraftanstrengungen oder moralische Klimmzüge Das bringt nichts. Das ist gegen unsere Natur. Aber was ist unsere Natur?

Wie so oft, kann auch heute der hl. Paulus uns das erklären. Die zweite Lesung heute aus dem ersten Brief an die Korinther spricht von zweierlei Mensch: danach gibt es den ersten Adam und den letzten Adam, also Adam und Christus. Der erste Adam, das sind wir, stammt von der Erde und ist Erde. Ja, nach der Bibel haben er und seine Frau ihre Unschuld verloren und damit auch ihre wahre Menschlichkeit. Durch die Ursünde wurden alle folgenden Menschen ohne Gottvertrauen geboren, mit dieser abgrundtiefen Angst um sich selbst, die uns immer wieder unmenschlich werden lässt. Wir können uns nicht selbst daraus erlösen. Wir sehnen uns zwar nach dieser wahren Menschlichkeit – eine Erinnerung an das verlorene Paradies – aber wir können sie nicht aus eigener Kraft wieder herstellen. Und so werden wir immer wieder unmenschlich, vergelten Böses mit Bösem, Unrecht mit Unrecht. Und so wird nichts besser, nichts menschlicher, nichts gütiger, sondern alles nur noch schlimmer: „Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren.“ Nur Gott kann den Menschen gut machen. Deshalb spricht Paulus vom letzten Adam, also von Christus. Er stammt vom Himmel, von Gott. Und er ist der wahre Mensch, wie Gott sich jeden von uns gedacht hat. „Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren.“

Wer sind diese Nachfahren? Das sind die, die an ihn glauben, die sich von ihm, von seinem Wort  berühren lassen, ihm in Freude nachfolgen, von seinem Geist inspiriert sind, - also anders denken als man gemeinhin denkt - weil sie sich als Kinder Gottes wissen, egal ob gesund oder krank, ob Mann, Frau oder Divers, ob Greis oder Kind, ob glücklich oder unglücklich: die Christen. Sie tragen sogar seinen Namen. Sie lernen von ihm und werden nach und nach wie er, oder, wie Paulus sagt, nach dem Bild des Himmlischen gestaltet. Es ist der Glaube, das Vertrauen auf Christus, das uns christusförmig macht, das uns verwandelt, sodass wir ihm ähnlich werden: gut und gütig!

Und so ist es Zeit, die eucharistische Wandlung zu feiern. Das in Christus verwandelte Brot will auch uns verwandeln in Christus. Nahrung für unseren Glauben. Damit wir die Stacheln verlieren.

 

 

 

 

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6. Sonntag im Jahreskreis

Jer 17,5-8; 1 Kor 15,12.16-20; Lk 6,17.20-26

Gehalten in Osnabrück, St. Johann am 13.2.22

 

„Wehe euch, ihr Reichen!“ Solche Rufe scheinen nicht in unser Bild von Jesus zu passen, liebe Schwestern und Brüder. In der Kirche erwartet man eher kuschelige Sätze, die uns nicht allzu sehr in Frage stellen. Aber Wehe-Rufe? Das klingt nach Drohbotschaft.

Womit Pfarrer sich heute unbeliebt machen, ist dafür anderen erlaubt. Ärzten z. B. : Wehe euch, ihr Raucher; ihr Trinker,  ihr Dicken; ihr Fastfood-Esser; – ihr habt kein langes Leben zu erwarten! Auch Grüne dürfen so reden: Wehe euch, wenn ihr nichts ändert am CO2-Ausstoß, dann werden eure Enkel wie die Beduinen in der oberbayrischen Wüste leben und den Kölner Dom wird man nur noch besichtigen können, wenn die Nordsee gerade Ebbe hat.

Aber von Pfarrern hört man solche Worte nicht gerne. Das grenzt dann schon an geistlichen Missbrauch, wenn unsere Lebenswirklichkeit in Frage gestellt wird. Darf man aber nicht darauf hinweisen, dass das Wohl der Seele, das Seelenheil also, auch bedroht sein kann durch eine vor Gott und den Armen falsche Lebensweise? Darf man das also nicht mehr sagen?: Wenn Du so gierig nach Geld, so karrieregeil, so rücksichtslos, zynisch und gottlos lebst, wenn du nicht mehr loskommst von den Pornos im Internet, wenn du nicht mehr betest und deine Sünden nicht mehr bereust – ja, dann hast du auch vor Gott keine guten Karten. Dann kann auch deine Seele nicht heil vor Gott stehen. Dann verdirbst du sie.

Und dann kommt wieder so ein Sonntag wie heute, an dem diese Wehe-Rufe vorgelesen werden. Und als Prediger hat man dann ein Problem; denn die Leute hören das nicht gerne. Doch damit hat Jesus die Menschen in die Entscheidung gerufen. Und er hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Der Sinn des Lebens, das Lebensglück besteht eben nicht im materiellen Reichtum, im beruflichen Fortkommen, im gesellschaftlichen Aufstieg, im Gelingen unserer Pläne – in all den Dingen, die uns so heilig geworden sind. So kann man das Leben auch verfehlen, man kann Gott verfehlen und damit den Sinn des Lebens.

Jesus öffnet uns die Augen für ein neue Sichtweise. Und stellt uns in die Entscheidung. Ja, der heutige Abschnitt aus dem Evangelium erinnert uns daran, dass es bei Glauben und Unglauben um eine sehr ernste Entscheidung geht mit sehr weitreichenden Konsequenzen. Die christliche Botschaft ist eben nicht so etwas wie eine Droge oder oder ein religiöses Beruhigungsmittel. Vielmehr sollen wir unruhig werden. Und wenn wir einmal genau hinschauen, wer da gemeint ist mit den Wehe-Rufen, dann gelingt es wohl kaum mehr, mit dem Finger auf andere zu zeigen:

·    Wehe euch, ihr Reichen!, wird da gesagt. Sind wir das nicht? Sicher, Millionäre sind wir nicht, aber wir gehören doch zum reichen und wohlhabenden Teil der Menschheit, der im Überfluss lebt?

·    Wehe euch, die ihr jetzt satt seid! Satt sind wir auch – im Gegensatz zu einem sehr großen Teil der Menschheit.

·    Wehe euch, die ihr jetzt lacht! Naja, vielleicht ist uns nicht jederzeit zum Lachen zumute. Aber im großen und ganzen bilden wir doch eine Spaßgesellschaft, wenn auch gebremst durch Corona. Aber nichts fürchten manche mehr als „Schluss mit lustig“.

Schon drei der vier Weherufe, liebe Gemeinde, passen auch auf uns.

Nun, will er uns verfluchen? Sollen wir ihm aus den Augen gehen?

Anders scheint er zu den Armen zu stehen, zu den Hungernden, zu den Trauernden und zu denen, die wegen des Glaubens an Jesus Nachteile auf sich nehmen. Diese werden selig gepriesen. Aber in diesen können sich die meisten von uns – wie gesagt - kaum wiederfinden.

Jesus ist offenbar nicht neutral, nicht unparteiisch. Er nimmt vielmehr Partei für die Benachteiligten, für die, die am Rande stehen. Es ist der Rand der Gesellschaft, den Jesus in die Mitte rückt. Und er selbst lässt sich an diesen Rand drängen, aus seiner Religion ausschließen und beschimpfen und am Ende ans Kreuz nageln. Dieses Kreuz am Rande der Stadt, auf der Müllhalde Golgota, dieser zu Tode gequälte und grausam hingerichtete junge Mann wird zur Mitte der Kirche. Und damit ist eigentlich der Rand der Gesellschaft zur Mitte der Kirche geworden. Aber leben wir das wirklich? Ist der Rand der Gesellschaft wirklich die Mitte unseres kirchlichen Gemeindelebens? Sind nicht vielmehr das Geld, das Fortkommen, die Gesundheit, die Mobilität, unsere Idole und wir selbst das, worum sich in unserem Leben alles dreht? Mich bedrängt dieser Gedanke: Kann man in Westeuropa überhaupt noch Christ sein? Leben wir nicht auch auf Kosten der Armen, der Hungernden, der Ausgebeuteten? Kommen wir noch weg von all den Dingen, die uns so heilig sind? Ich fürchte nicht. Oder doch?

Gerhard Trabert z. B., der heute für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Dieser Arzt und Sozialarbeiter hat tatsächlich den Rand der Gesellschaft zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht. Müssten wir nicht von Herzen wünschen, dass er heute gewählt wird? Es wäre wohl ein Wunder.

Vielleicht können wir unseres Evangeliums etwas froher werden, wenn wir noch einmal den Text genau anschauen. Da werden Menschen selig gepriesen, die arm, hungrig, trauernd sind und verfolgt, beschimpft, gemobbt werden. Ist das nicht ziemlich unverschämt? Da werden Menschen, für die wir eher Mitleid empfinden sollten, glücklich geheißen. Hört sich ja geradezu zynisch an: Glücklich seid ihr Behinderten, ihr Bettler auf der Straße, ihr Abgehängten, ihr Migranten in der Abschiebehaft. Freut euch und jubelt! Kann das gemeint sein? Wollte Jesus sich über diese Menschen lustig machen? Wie hören sich die Seligpreisungen in deren Ohren eigentlich an?

Nun, Jesus sagt aber gar nicht, sie sollten sich über ihre Not freuen, oder über ihren Hunger. Jesus sagt auch nicht, das Glück liege im Weinen und im Gehasstwerden von anderen. Vielmehr spricht er von der Zukunft: ihr werdet satt werden; ihr werdet lachen. Er schenkt ihnen eine Glaubensperspektive. Sie können all das Unerträgliche annehmen, ertragen, weil sie diese Glaubensperspektive haben und in ihrer Armut und ihrem Unglück nicht ihre letzte Gewissheit sehen. Es ist diese Perspektive, die sie am Leben nicht verzweifeln lässt und im tiefsten ihr Glück ausmacht. Jesus erkennt offenbar, dass diese Armen und Trauernden nur deshalb an ihrem Schicksal nicht zerbrechen, weil sie Glauben haben. Und bei selbstzufriedenen Reichen und Satten erkennt er offenbar, dass ihr Unglaube und ihre Angst sie daran hindert, menschlich zu sein und ihren Überfluss zu teilen. Sie haben keine Glaubensperspektive, die ihre Angst um sich selbst entmachtet. Das ist aber eine Perspektive, die kein Mensch sich selbst geben kann. Man muss sie sich schenken lassen. Von Jesus, von anderen Glaubenden, von Menschen, die diese Perspektive bereits leben.

Jesus hat sich auf die Seite der Verlierer gestellt, weil er auf Gott, seinen Vater, vertraute. Und er stellt alle in die Entscheidung, das auch zu tun. Dazu lädt Jesus uns mit seiner Botschaft ein. Er will uns teilhaben lassen an diesem seinen Gott und uns mit hineinnehmen in sein Verhältnis zu Gott. Glauben bedeutet, Anteil haben an Jesu Gottesverhältnis, also an Jesu Gemeinschaft mit Gott. Wer diese Gemeinschaft mit Gott mit Jesus teilt, gewinnt diese österliche Perspektive der Ewigkeit, von der Paulus in der 2. Lesung gesprochen hat. Es ist der Mensch, von dem auch Jeremia in der 1. Lesung spricht: „Gesegnet der Mensch, dessen Hoffnung der Herr ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist. … Seine Blätter bleiben grün auch wenn Hitze kommt“.

Wer diese Perspektive hat, wer sich für den Gott Jesu entscheidet, der ist wahrhaft selig zu preisen. Er kann sich an allem erfreuen, auch an den Gütern und Freuden dieser Welt, an seiner Gesundheit, an seinen Mitmenschen – und braucht doch nicht zu verzweifeln, wenn er das alles verliert. Denn das letzte Glück liegt nicht in ihnen, sondern in der Gemeinschaft mit Gott. Glücklich der Mensch, der alles das loslassen kann, ohne für immer zu sterben.

 

 

 

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5. Sonntag im Jahreskreis

Lk 5,1-11

Gehalten am 6.2.22 in Osnabrück, St. Johann

  

Unsere Kirche steckt in einer tiefen Krise, liebe Schwestern und Brüder.
Die Menschen laufen davon. Der Priesternachwuchs geht gegen Null.
Die Kirche hat den Menschen offenbar nichts mehr zu sagen.

Ganz anders war es damals am See Genezareth:

Das Volk drängte sich um Jesus.

Es wollte das Wort Gottes hören.

Wie bitte? Was wollte es hören?

Das Wort Gottes! Ganz genau.

Aber was ist denn das Wort Gottes?

Wie spricht Gott denn?

Dröhnt etwa eine laute Stimme vom Himmel?

Und wie können wir Gott hören?

Was hören wir?

Und was hat Gott uns zu sagen, das für uns wichtig ist?

Liebe Gemeinde, es ist gar nicht so einfach zu verstehen, was Gottes Wort ist und was es uns sagt.

Haben Sie schon einmal Gott sprechen gehört?

Das Evangelium von heute sagt, dass das Volk sich um Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören.

Aha, Gottes Wort kommt also nicht wie eine dröhnende Stimme vom Himmel.
Es kommt auch nicht wie eine leise Stimme aus unserem Inneren.
Denn das könnte ja auch eine Einbildung sein.

Es kommt aus dem Munde Jesu.

Aus dem Munde eines Menschen.

Ja, der Glaube kommt vom Hinhören.

Und es ist ein Mensch, der seinen Mitmenschen etwas sagt, was nur Gott sagen kann.

Was sagt uns Gott in seinem Wort?

Etwa: Du musst das tun, du darfst jenes nicht tun?

Wodurch unterscheidet es sich von anderen Worten?

Von leeren Worten, von bloßen Menschenworten, von den vielen hohlen Plastikwörtern aus der Presse, aus der Politik, aus den Talkshows

Woran erkennt man, dass dieses Wort Jesu in Wahrheit Gottes Wort ist?

Nun, an dem, was es sagt und womit es uns anspricht.

Wenn ein Wort tatsächlich Gottes Wort ist, dann muss es uns etwas sagen, was nur Gott sagen kann.

Das einzige, was nur Gott uns sagen kann, ist: GOTT. Ist Er selber.

Alles andere können wir uns auch selber sagen.

Wie dick die Mauern von Jericho waren, brauchen wir uns nicht von Gott sagen zu lassen.

Und wie alt die Welt ist, das können wir auch selber herausfinden.

Und dass man nicht lügen darf, ist auch kein Glaubensgeheimnis. Das kann auch jeder Ungläubige verstehen.

Das einzige, was Gott uns mitteilen kann, ist ER selbst.

Aber was heißt das, liebe Gemeinde?

Wenn Gott nicht bei uns ist, sich uns nicht mitteilt, dann sind wir auf uns selbst gestellt, unserem eigenen Schicksal ausgeliefert, unserer abgrundtiefen Angst vor dem Tod.

Wenn wir mit Gott nicht verbunden sind, dann ist der Tod unsere letzte Gewissheit. Wenn wir gottverlassen sind, dann gibt es nichts, worauf wir uns im Leben und im Sterben verlassen können.

Dann stehen wir vor unserem Leben wie die Jünger vor ihren leeren Fischernetzen, nachdem sie die ganze Nacht vergeblich gearbeitet haben.

Gottes Wort hören heißt also soviel wie:

sich Gott schenken lassen,

sich Gott mitteilen lassen,

mit Gott Gemeinschaft bekommen,

einen neuen und ewigen Bund eingehen,

ein Kind Gottes werden.

Jesus ist dieses Wort, das Gott uns gegeben hat.

Jesus ist das Wort Gottes, das Fleisch wurde wie wir.

In seinem Fleisch bis zum Tod am Kreuz hat er ausbuchstabiert, was Gott uns sagen will:

Dass wir seine Kinder sind.

Dass Gott uns zugewandt ist wie seinem eigenen Sohn.

Nur in diesem Glauben an Gottes Wort können sich unsere leeren Netze wieder füllen. Und mehr als dieses Wort brauchen wir nicht, um Kirche zu sein.

Zu wem spricht Jesus denn am Ufer des Sees Genezareth?

Zu perspektivlosen galiläischen Fischern am Rand der Welt,

auch zu solchen, die auch nach der 100. Bewerbung wieder eine Absage bekommen und nach der 35. Kontaktanzeige wieder einen Korb.

Zu Menschen, die am Ende des Lebens auf eine magere Rente blicken, auf viel vergebliche Mühe, auf enttäuschte Erwartungen und zerbrochene Beziehungen. Auf viel Sünde.

Nichts gefangen – die ganze Nacht! Leere Netze, leere Hände. Das ganze Leben – dunkel wie eine Nacht.

Er spricht auch zu unserer Kirche heute, die in der Krise steckt, tief im Dreck und die nicht mehr weiß, wie sie da raus kommt,

wie sie wieder Menschen für Christus gewinnt, Menschenfischer aus uns macht, wie sie wieder den Weg zu Gott zeigt.

Zu uns allen sagt Jesus Gottes Wort.

Mögen Priester und Bischöfe auch persönlich unglaubwürdig sein – Gottes Wort ist immer glaubenswürdig.

Zu uns sagt er, was nur Gott mitteilen kann: sich selbst.

Aber wenn wir nicht auf ihn hören, wenn wir uns nicht von ihm ansprechen lassen – dann werden wir nie aus der Krise kommen, trotz all der gut gemeinten Reformrezepte.

Jesus nimmt Menschen, Sünder wie Petrus, hinein in seine eigene Gemeinschaft mit Gott.

Er schenkt ihnen eine Perspektive der Ewigkeit.

Er gibt ihnen seine eigene Sohneswürde.

Es ist Gottes gutes Wort, das uns wieder herausführen kann aus den Sackgassen des Lebens. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns wieder von Gott ansprechen lassen. Uns öffnen für sein Wort. Und ihm antworten durch unser Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe. Beten, Gottesdienst feiern, regelmäßig uns Gottes Vergebung in der Beichte schenken lassen. Und voll Liebe und Ehrfurcht die heilige Kommunion empfangen, um mit Jesus eins zu werden. Uns von Gott ansprechen und von seinem Geist erfüllen lassen. Jesus nachfolgen! Dies ist der einzige Weg aus der Krise: für Priester, für Bischöfe und für Laien. Dass wir uns wieder um Jesus drängen und uns von ihm sagen lassen, was Gott uns zu sagen hat.

Volle Netze! Die Jünger waren baff und konnten nur staunen: Unglaublich!

Gegen alle Erfahrung sollten diese erfahrenen Fischer, die die ganze Nacht nichts gefangen hatten, jetzt bei Tag die Netze wieder auswerfen? Was ein Blödsinn!, muss ein Fischer sagen. Das widerspricht doch aller Erfahrung. Doch Petrus sagt: „Auf dein Wort hin werde ich die Netze wieder auswerfen!“ Er vertraut dem Wort Jesus mehr als seiner Berufserfahrung. Und siehe da: Die Netze füllen sich mit soviel Fischen, dass die Netze zu reißen drohen.

Dieses Wunder zeigt, was geschieht, wenn Gottes Wort beim Menschen ankommt, wenn der Mensch Gottes Wort mehr vertraut als seiner Erfahrung:

Aus scheinbarer Vergeblichkeit entsteht neuer Sinn;

Aus einem Leben ohne Perspektive wird eine Perspektive der Ewigkeit.

Und die, die sich Gottes Wort haben sagen lassen und deren Leben sich dadurch gewandelt hat, werden dieses Wort weitersagen und mit ihm Menschen fangen und zur Gemeinschaft mit Gott führen.

Wenn das in unserer Kirche kaum mehr geschieht,

wenn die Menschen sich nicht mehr hindrängen zur Kirche wie damals zu Jesus am Ufer des Sees,

dann ist das wohl ein Zeichen dafür, dass in der Kirche zwar über vieles gesprochen wird, über Strukturen, über Veränderungen und Reformen, wo Gottes Wort selbst aber wohl nur noch selten zur Sprache kommt, wo man Jesus kaum mehr findet hinter all der Organisation, den Milliardenvermögen, der Hierarchie, hinter all den Pastoralplänen und Gutachten und Beratungsgremien.

Die Eucharistie, die wir jetzt feiern, lädt uns wieder ein, uns um Jesus zu drängen. Wir sind eingeladen, ihm zu folgen, auf ihn zu hören, ihn als Gottes Wort aufzunehmen in unser Herz, Gott unsere leeren Hände hinzuhalten.

Er füllt sie. Er schenkt uns seinen Sohn in unsere leeren Hände.

 

 

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4. Sonntag im Jahreskreis 2022

Gehalten in der Kapelle des Marienhospitals Osnabrück
am 30.1.22

Jer 1,4-5.17-19; Ps 71; 1 Kor 12,31 – 13,13; Lk 4,21-30

 

Jesus wird gemobbt, ja, fast gelyncht: „Sie trieben Jesus zur Stadt hinaus und wollten ihn den Abhang des Berges hinabstürzen.“

Wer die Erfahrung des Mobbing schon einmal gemacht hat, weiß, wie einem zumute wird, liebe Schwestern und Brüder.

Wie schrecklich diese Geschichte doch endet, die uns das Evangelium des Lukas heute erzählt. Wie in einem Zeitraffer fasst sie die ganze Jesusgeschichte an einem einzigen Sabbatvormittag zusammen. Wir hörten heute den zweiten Teil der Perikope, deren ersten wir vergangenen Sonntag aus dem 4. Kapitel des Lukas gehört haben.

Letzten Sonntag hörten wir:

·      Jesus ist zu Besuch in seiner Heimatstadt und geht am Sabbat zum Gottesdienst in die Synagoge.

·      Als Lektor liest er der Gemeinde aus der Bibel vor und legt den Text aus.

·      Er bezieht die Messiasverheißung auf sich und beansprucht die Erfüllung dieses Schriftworts zu sein.

·      So wird er aus einem Hörer des Wortes Gottes zu dessen Verkünder.

Der heutige Abschnitt setzt die Geschichte fort:

·      Die anwesende Gemeinde stimmt ihm zuerst zu.

·      Dann aber sagen die Leute – wohl in skeptischem Tonfall: Ist das nicht der Sohn Josefs? Wir kennen ihn doch! Er war unser Nachbar. Wie kann er also die Erfüllung der Heiligen Schrift sein?

·      Und Jesus legt noch nach und sagt Dinge, die die Erregung steigern. Gott wird seine Großtaten auch außerhalb Israels wirken. Das reicht. Die Leute geraten in Wut und schmeißen ihn hinaus.

Der Text heute ist wie eine Ouvertüre zu Beginn der öffentlichen Verkündigung Jesu: Die Heimatgemeinde Jesu steht für ganz Israel. Sein Volk hat ihn nicht angenommen. Auf das Hosanna folgte das „Kreuzige ihn“. Die Geschichte wird kein Happyend haben. So erging es schon den Propheten in ihrer Heimat, so ist es Jesus, dem Messias, in seinem Volk ergangen. Und so scheint es ihm auch heute zu gehen in den christlichen Stammlanden.

Erst die Mittelmeeranrainer, dann ganz Europa ist christliches Stammland. Und ausgerechnet hier möchte man sich losstrampeln vom Christentum, Jesus loswerden, sich das Glück und das Heil und die Religion selber machen. Wir erleben es doch seit Jahrzehnten, wie Europa sich nach und nach entchristlicht. Immer mehr Menschen wollen nichts mehr vom Christentum hören.

·      Die Kirchen werden leerer.

·      Die Beichtstühle stehen da wie Museumsstücke.

·      Priester will fast keiner mehr werden, obwohl es ein wunderschöner Beruf ist.

·      Der Begriff der Ehe wird ausgehöhlt und umdefiniert.

·      Die Kreuze in der Schule werden abgehängt.

·      Blasphemische Karikaturen verhöhnen Christus (Charlie Hebdo), gesellschaftlich angesehene Zeitschriften wie Stern und Spiegel machen den Glauben an Christus lächerlich.

So zeigt sich ein Überdruss und sogar ein Widerwille gegen das Christentum. Glaubt man den Soziologen, dann ist das Christentum in unseren Breiten eine langsam aber sicher aussterbende Religion. Und dann kam auch noch der unselige Missbrauchsskandal und die Lieblosigkeit gegenüber den Opfern. Ganz im Gegensatz vom Hohenlied der Liebe, das wir als 2. Lesung aus dem 1. Korintherbrief gehört haben.

Was ist geschehen?

Die Ursachen sind heute sicher andere als bei der Ablehnung Jesu in Nazaret. Die Ursachen liegen vermutlich zuerst bei uns, bei der Kirche. Nicht befreiend, nicht ermutigend wirkte ihre Botschaft auf so viele. Viele haben die christliche Erziehung als einengend und erdrückend erfahren. Christlicher Glaube wurde verwechselt mit einer strengen Moral, mit erhobenem Zeigefinger, ja oftmals auch mit Höllenangst. Vielleicht ist es kein Wunder, dass große Teile unserer Gesellschaft sich losstrampeln vom Christentum. Sie haben den Glauben nicht so erfahren, wie Jesus selbst sich in seiner Heimatsynagoge vorgestellt hat, als er sagte: Dieses Schriftwort aus Jesaja hat sich heute in euren Ohren erfüllt:

Der Geist des Herrn ruht auf mir. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ Jesus macht sich diese Worte hier ganz zu Beginn seines öffentlichen Auftretens zu seinem Programm.

Aber offenbar haben nur wenige die Botschaft Jesu so in ihrem Leben erfahren: als befreiend, als erhellend, als wegweisend – eben als göttlich. Die Großtaten Gottes kennt man nur vom Hörensagen. Sie ereignen sich anscheinend immer nur woanders wie bei der Witwe von Sarepta oder beim Syrer Naaman oder in Fatima und Medjugorje – aber fast nie bei uns.

Und so sind wir nun – nach den Massenaustritten - der letzte Rest des Christentums. Faktisch schon eine Minderheit in unserer Gesellschaft und keine besonders beliebte. Und nun stellen wir uns vor, dieser Rest vergeht auch. Wenn in 20 Jahren ein großer Teil meiner Generation gestorben sein wird und der Glaube an die Kinder und Jugendlichen nicht weitergegeben wird – wie viel Christen wird es dann noch geben in unserem Land? Und stellen wir uns vor, was wäre, wenn Christus uns ganz verlässt, so wie er Nazaret verließ an jenem Sabbat. Wir wären völlig auf uns gestellt. Der Tod wäre unsere letzte Gewissheit. Wir wären völlig gottverlassen. Niemand, der uns Antwort gibt auf unsere letzten Fragen. Wir wüssten am Ende nicht mehr, wer wir sind. Selbstsüchtig müsste jeder zusehen, dass er soviel wie möglich in diesem kurzen Leben zusammenrafft. Von wegen Liebe!

In der 1. Lesung haben wir von der Berufung des Jeremia zum Propheten gehört. Ich denke, diese Berufung ergeht heute an uns. Ein Prophet ist nicht einer, der in die Zukunft schaut wie ein Wahrsager, sondern ist einer, der die Wahrheit sagt, Gottes Wahrheit, Gottes Wort. Und Gottes Wahrheit ist Jesus. Die Wahrheit in Person. An ihm können wir erkennen, was es um uns, was es um den Menschen ist: Kind Gottes, bestimmt zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit. Es ist dies die befreiende, erhellende, wegweisende Wahrheit für unsere kranke Gesellschaft. Wir verbleibende Christen sind wohl berufen, unserer Gesellschaft befreiend, erhellend, tröstend, wegweisend und kritisch begleitend die Botschaft Jesu zu bezeugen. Denn wenn es keine Zeugen Christi mehr gibt, dann wissen wir Christus auch nicht mehr bei uns. Kein Gott mehr, der uns sein menschliches Antlitz zeigt! In Frau X und Herrn Y und in Pfarrer Z. und Schwester L. Menschen von nebenan, wie der Sohn Josefs.

Man muss mutig sein, um die Wahrheit zu sagen. Nicht jeder will sie hören. Und vielleicht verschweigen wir sie oft, wo wir sie sagen müssten, wenn unser Glaube an Christus lächerlich gemacht wird, wenn man unsere Kirche verächtlich darstellt und man uns für Leute von gestern hält, oder – noch schlimmer – für Komplizen des Missbrauchs. Wir müssen nicht alles hinnehmen, was man uns nachsagt. Aber nur wenn wir selbst uns vom Wort Gottes ermutigen und senden lassen, werden wir auch wieder die Kraft zum Zeugnis finden. Denn die Freude an Gott, die Freude am Glauben, die Freude daran, Kinder Gottes zu sein, ist unsere Kraft.

In der Eucharistie, die wir jetzt feiern, nehmen wir – anders als die Gemeinde in Nazaret - Jesus auf. Er ist die Quelle unserer Kraft. Und die Liebe in Person.

 

 

 

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3. Sonntag im Jahreskreis

 

Neh 8,2-4a.5-6.8-10; 1 Kor 12,12-14.27; Lk 1,1-4; 4,14-21

 

Gehalten am 23.1.22 in Osnabrück, Maria Königin

 

 

„Alle Leute weinten, als sie die Worte des Gesetzes hörten.“

Liebe Schwestern und Brüder, die Menschen aus dem Nehemiabuch in der 1. Lesung weinten, als Esra ihnen die Worte des Gesetzes Gottes vorlas. Offenbar weinten sie, weil sie spürten, wie weit sie hinter der Weisung des Gesetzes zurückgeblieben waren. Ja, es ist zum Heulen! Auch heute. Über die Kirche: oder besser: Über die Priester und Bischöfe, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden und werden. Das Münchner Gutachten hält ihnen wieder ihr Versagen vor Augen. Weinen hat man keinen gesehen.

Die Kirche macht vielen Menschen Kopfzerbrechen, auch solchen, die ihr immer eng verbunden waren. Denn die Kirche in Deutschland aber auch anderswo ist in einem erbärmlichen Zustand. Ein verwüsteter Weinberg! Bis in unsere unmittelbare Nähe erfahren wir die Kirche und mehr noch ihren Klerus als kaputt, als ruiniert und nicht mehr als den Leib Christi, wie Paulus schreibt, als die Gegenwart Christi in der Welt. Wo Priester Kinder schänden, wo Bischöfe diese Schande vertuschen – da kann der Teufel nicht weit sein. So erfahren selbst viele bisher treue Kirchenmitglieder den Zustand der Kirche. Nicht wenige halten es in ihr nicht mehr aus und kehren ihr den Rücken. Viele Ältere haben in ihrer Jugend unter einer allzu rigiden Sexualmoral und starken Schuldgefühlen und manchmal Höllenangst gelitten und sehen jetzt, dass selbst Priester sich nicht daran halten. Anderen fällt es zunehmend schwer, ihr Dabeibleiben nach außen hin zu rechtfertigen. Wir spüren, wie es uns innerlich zerreißen kann zwischen dem Anspruch der Kirche und ihrer erbärmlichen Wirklichkeit. Das passt nicht zusammen. Diese Kirche hat in den Augen so vieler ihr Vertrauen verspielt. Und Außenstehende lachen über ihren Anspruch, der Leib Christi, das Sakrament, also das Zeichen und Werkzeug für die Gegenwart Gottes in der Welt zu sein, die Säule und Feste der Wahrheit, wie es im NT heißt (vgl. 1 Tim 3,15). Das klingt irgendwie hohl. Wie können wir noch an die heilige katholische Kirche glauben? Es gibt doch in ihr so viel Unheiliges, Schändliches, soviel Lüge, Falschheit und Heuchelei. Und das soll die Künderin der Königsherrschaft Gottes sein? Der Leib Christi? Die Weise, wie Christus in der Welt präsent ist? Der Tempel des Heiligen Geistes? Spinnen wir?

Liebe Schwestern und Brüder, auch mir fällt es schwer, diese Widersprüche, diese Gegensätze zusammenzudenken und auszuhalten. Das eine scheint mit dem anderen nichts zu tun zuhaben. Und so kann man entweder leicht realitätsblind werden, die Wirklichkeit, wie sie ist, ausblenden oder schönreden, um die Kirche weiter zu idealisieren. Es ist wie bei einem Menschen, der seine eigene dunkle Seite, seine schuldbeladene Vergangenheit verdrängt und abspaltet, um sich einigermaßen auf den Beinen halten zu können.  Oder man fixiert sich ganz und gar auf die eigene unheile Seite. Dann kann man sich selbst nicht mehr mögen und entzweit sich mit sich selbst. Und so hat auch die Kirche und ihr Klerus, der ja nun aus Sündern besteht, eine dunkle Seite. Wenn man nur diese sieht, dann fragt man sich, ob man noch bleiben kann. Aber es gibt auch eine helle Seite. Weder die eine noch die andere sollte man ausblenden und verdrängen, sondern nüchtern beide Seiten betrachten, das Kranke und die gesunden Anteile, das Heilige und das Sündige. Denn sonst wäre tatsächlich kaum etwas zu retten. Die Kirche ist ja viel mehr als ihr verdorbener Klerus Denn die Kirche ist auch die Kirche der Heiligen, einer Katharina von Siena, einer Theresia von Avila, eines Franz von Assisi, einer Edith Stein und einer Mutter Teresa von Kalkutta.

Niemand hat ein Patentrezept, um die Kirche von soviel Bösem zu heilen. Nur Gott kann es, indem er uns zur Umkehr führt und zum Glauben.

Mir selbst hilft es, mit dieser Situation umzugehen, wenn ich mir vor Augen stelle, dass mich die Botschaft Jesu ohne Kirche nie erreicht hätte. Es gäbe auch keine Bibel, kein Christentum. Ich verdanke der Kirche doch den Glauben an Christus und damit auch die Hoffnung auf ewiges Leben.

Ja, wer ist die Kirche und wofür ist sie da. Man kann eigentlich nur gegen die Erfahrung glauben. Wir können es uns heute wieder sagen lassen. Von Paulus: „Ihr seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm.“ Ob wir das glauben können? Wir alle zusammen sind Kirche. Sie besteht aus Sündern, aus Menschen, die hinter den Weisungen Gottes zurückbleiben. Wir haben uns nicht von uns aus zur Kirche zusammengeschlossen wie ein Verein, in den man ein- und austreten kann, sondern wir sind zusammengerufen worden. Paulus spricht von der Taufe: hier wurden wir in diesen Leib eingefügt, wurden wir Glieder Christi. Weil wir getauft sind. Und umso schlimmer wiegt das, was in den letzten Jahrzehnten durch getaufte und geweihte Christen geschehen ist.

Und wenn die Kirche Leib Christi genannt wird, dann heißt das: Christus wird durch die Kirche in der Welt präsent, sichtbar und hörbar. Ohne Kirche wäre er abwesend. Nur durch die Kirche, also durch uns, will er gegenwärtig werden. „Leib Christi“ heißt Präsenz Christi. Wir sind die, die Christus darstellen sollen. An uns, an der Kirche wird er wiedererkannt oder eben nicht.

Doch dazu müssen wir unser Leben von ihm formen lassen. Seine Gestalt soll durch die Kirche erkennbar werden. Unser Leben soll christusförmig sein. Eben durch die Liebe zueinander.

Das ist vermutlich das Problem der Kirche heute. Es fällt z. Zt. wahnsinnig schwer, in ihr die Gestalt Christi zu erkennen, seine Gegenwart wahrzunehmen und aus der Stimme der Kirche seine Stimme, sein Wort herauszuhören. Es ist wirklich zum Heulen: das Versagen der Bischöfe, ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und die Unfähigkeit vieler von ihnen, Schmerz und Reue zu empfinden und Buße zu tun.

Und so ist vielen nicht nur die Freude an der Kirche, sondern auch die Freude am Glauben, die Freude an Gott vergangen. Was verbinden wir überhaupt mit Gott?

Wie die 1. Lesung aus dem Nehemiabuch sagt, kann nur die Freude an Gott die Kraft der Kirche sein. Nur sie kann uns Profil geben und die Konturen Christi wieder sichtbar werden lassen.

Dazu aber muss man auf Gottes Wort hören. Die erste Lesung berichtet, wie Esra das ganze Volk versammelt und vom frühen Morgen bis zum Mittag den Menschen das Wort Gottes vorliest und erklärt. Und das ganze Volk lauschte aufmerksam.

Im Evangelium heute ist es ähnlich. Jesus liest in der Synagoge aus dem Buch Jesaja vor und präsentiert sich selbst als Erfüllung dieser Worte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ Jesus formuliert hier ganz zu Beginn seines öffentlichen Auftretens seine Sendung, sein Programm. Für diese Sendung hat er alles auf sich genommen – auch das Kreuz. Denn seine Perspektive war Gott, sein Vater. Die Freude an Gott war seine Kraft. Wir alle sind gerufen, an dieser befreienden Sendung teilzunehmen.

Nur so kann die Gestalt Christi in der Kirche wohl wieder präsent werden, liebe Schwestern und Brüder, wo sie an seiner Sendung teilnimmt und die Menschen einlädt, Jesus nachzufolgen, seine Perspektive der Ewigkeit anzunehmen, sich sein befreiendes und vergebendes Wort sagen zu lassen.

Heute ist Sonntag, „ein heiliger Tag zu Ehren des Herrn. Seid nicht traurig und weint nicht!“ So ruft Esra uns aus fernen Zeiten zu, „sondern geht und haltet ein festliches Mahl!“

Das wollen auch wir jetzt tun, Christus schenkt uns seinen Leib. Wir essen seinen Leib, damit man in uns als Kirche Ihn wiedererkennt und seine Stimme hört.

„Macht euch also keine Sorgen – die Freude am Herrn ist eure Kraft.“

 

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 2. Sonntag im Jahreskreis

Jes 62,1-5, Ps 96; 1 Kor 12,4-11; Joh 2,1-11

Gehalten in Osnabrück, St. Johann, am 16.1.2022

 

 

Liebe Gemeinde,

Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich.

Diese Worte aus dem Propheten Jesaja, die wir in der ersten Lesung gehört haben, sind der Schlüssel, um das heutige Evangelium zu verstehen: Es geht nicht um ein chemisches Wunder, sondern um die Hochzeit Gottes mit uns, seiner Kirche. Es geht um unsere Gemeinschaft mit Gott.

Das ganze Johannesevangelium zeichnet Jesus als den Brin­ger des Lebens, als unseren Bräutigam, durch den unsere todverfallene Existenz verwandelt und erneuert werden soll.

Und so spricht das Evangelium auch von uns, von unserer Sehnsucht nach dem großen Fest des Lebens, von unseren eigenen Aus­weglosigkeiten, von unserer Angst, zu wenig vom Leben ab­zukriegen, Angst, dass der Ofen bald aus sein könnte. Doch schließlich spricht es von der Ver­wandlung all dessen in eine große Hoffnung, von der Verwandlung unseres Le­bens in Freude und von dem Aufstrahlen der Herrlichkeit Gottes mitten in unse­rer Todverfallenheit.

Es ist Maria, die darauf aufmerksam macht, daß der Wein ausgegangen ist: Sie haben keinen Wein mehr! Sie sieht, was den Hochzeitsgästen fehlt. Es fehlt das Eigentliche, das, was das Fest zum Fest macht, was das Herz des Men­schen er­freut. Dafür steht der Wein. Er verbindet Men­schen zu ausgelassenem und fröh­lichem Miteinander. Und nun ist er ausgegangen. Damit ist das Fest zuende, ja, es ist gescheitert. Es hört auf, ein Fest zu sein. Ernüchte­rung kehrt ein, Frust über das misslungene Fest, das gescheiterte Leben.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist nicht nur das Problem einzelner, dass das Le­ben aufhört, festlich, freudig, zu­versichtlich zu sein. Ist es nicht auch das Pro­blem unse­rer Kirche? Gerade diese Gemeinschaft der Kirche soll ja das Bild für die Hochzeit Gottes mit den Menschen, für seine Einladung zum Fest darstellen. Sie ist selbst die Braut Christi. Doch ich habe oft diesen Ein­druck: Nirgendwo wird soviel von der Freude, von der frohen Botschaft, vom Evangelium gesprochen wie in der Kirche, und doch ist zugleich so we­nig von die­ser Freude tatsächlich anzutreffen. Sie haben keinen Wein mehr, sie sind am Ende mit ihrem Latein - könnte Maria genauso von der Kirche sagen wie damals in Kana.

Ist da nicht vielmehr Frust, Enttäuschung, bittere Erfah­rung? Fühlen sich nicht viele in der Kirche eher verletzt und manchmal sogar abgestoßen, anstatt aufgerichtet? Und haben nicht viele resigniert, weil all ihr Einsatz und alle Mühe so wenig fruchtet? Und wirken die vielen Worte in unseren Predigten und Gottes­diensten nicht oft wie Worthülsen, wie Worte, die sich abge­nutzt haben und uns nicht mehr wirklich so ansprechen, dass unsere Hoffnung gestärkt und unsere Freude am Glauben wie­der belebt wird? Und ganz zu schweigen von den vielen innerkirchlichen Un­stimmigkeiten und Streitigkeiten, von den Holzwegen und Verständigungsproblemen und all den Dingen, derer viele so unsagbar müde geworden sind!

Sie haben keinen Wein mehr!, stellt Maria fest. Die Luft ist raus, die Puste ist ausgegangen. Vielleicht war zur Zeit des Johev um 100 nach Christus auch schon eine Er­müdung in der Kirche da, die anfängliche Freude des Anfangs abgeebbt, der Glaube nicht mehr der machtvolle und völlig uner­wartete Einbruch der Herrlichkeit Gottes in unsere Welt. Vielleicht wollteder Verfasser des Johev seine Gemeinde wieder in der Freude am Glauben bestärken und die Hoffnung neu entfachen. in den Herzen der Christen.

Sie haben keinen Wein mehr! Vielleicht ist der gute Wein auch verdorben worden durch so viel Missbrauch, so daß er nicht mehr in die fest­liche Stimmung versetzt, in die Freude, in die Trunken­heit des Geistes, von der die Pfingsterzählung in der Apg berichtet. Vielleicht ist der Wein umgekippt, im Laufe der Jahrhunderte sauer geworden, zu Essig, fast ungenieß­bar. Ist der Glaube nicht im Laufe der Zeit wieder zu ei­ner schweren Last geworden? Ein schweres, unhandliches Paket aus tausend Vor­schriften, Geboten und Verboten, aus erhobenen Zeigefingern und quälenden Schuldgefühlen bei allen möglichen Kleinigkeiten. Wie soll da wirklich Freude aufkommen, wenn man solchen Essig trinkt? Werden nicht tausend reli­giöse und moralische Vorleistungen verlangt, damit man sich von Gott geliebt und angenommen wissen kann? So als müssten wir ihm und einander ständig den Nachweis unserer Daseinsberechtigung erbringen. So ist der gute Wein, den Gott mit Jesus in diese Welt gegeben hat, zu Essig geworden. Er schmeckt einfach nicht mehr. Aber woher nehmen wir den guten Wein wieder?

Die Versuchung ist groß, ihn selbst herstellen zu wollen, den Essig wieder zu Wein zu machen. Aber auch das gelingt offenbar nicht. Es kommt dann verlän­gerter Wein dabei heraus, verdünnter Wein, verwässerter Wein. Verlängertes Le­ben, verdünntes Leben. verwässertes Leben ist die Folge, aber nicht das Fest intensiver Freude, einer Freude, die auch dann noch trägt und Hoffnung gibt, wenn die Tage trübe sind und wir nicht mehr weiter wissen.

So kann man den guten Wein verdünnen und verwässern: aus Jesus wird einfach ein guter Mensch gemacht, ein sittli­ches Vorbild, ein Ideal des Humanen. Man kann unseren Glauben reduzieren auf soziales Engagement oder auf Moral. Aus der Kir­che kann man einen Wohlfahrtsverband machen. Man kann un­seren Glauben zu einer un­verbindlichen Lebenshilfe machen oder ihn einfach in Psychotherapie aufgehen lassen. Man kann ihn auflösen in einen Mythos, wie er uns in den Sagen und Märchen begegnet. Man kann die Wahrheit Christi soweit relativie­ren, dass am Ende nur noch wahr ist, was mir gut tut.

Solcherart verdünnter und verwässerter Wein schmeckt zunächst vielleicht bes­ser als saurer Essig. Aber ihm fehlt das Eigentliche. Er bleibt der Versuch, uns selbst zu retten, uns selbst das Eigentliche zu geben. Er bleibt Ersatz für das Leben, ja für Gott selbst. Gottesersatz in einer Welt und Gesellschaft, in der Gott für tot erklärt ist, in der er beharrlich verschwie­gen wird. Der verwässerte Wein ist nichts anderes als et­was diffuse Wellness oder Droge, um et­was von der Angst zu vertrei­ben, die tief in unserer Seele steckt. Aber er führt nicht zum Fest der Freude, zur Hochzeit Gottes mit den Menschen, in der Gott uns heimholt in seine Liebe und Ge­borgenheit.

Liebe Schwestern und Brüder, es ist wieder Maria, die uns die ent­scheidenden Worte sagt: Was ER euch sagt, das tut! Es kommt also nicht auf uns an, auf unsere Selbstrettungs­versuche und Ersatzgetränke. Es kommt dar­auf an, dass wir tun, was ER uns sagt. Und was sagt er? Füllt die Krüge mit Wasser! Also füllt sie mit dem, was ihr habt: mit eurem Leben, eurem guten Willen, mit euren Dun­kelheiten. Tut alles da hinein, was in eurer Hand ist und in eurem Her­zen: eure Traurigkeit und euren Frust, eure Schuld, und eure Tränen. Habt keine Angst! Ihr dürft ihm alles in die Hand geben, alles Unerlöste und Verwundete in eurem Le­ben, alle Enttäuschungen. Tut alles in die großen Krüge. Vertraut euch ihm und seinem Wort ganz einfach an. Er wird alles das, was ihr in die Krüge gebt, verwandeln in Leben und Freude.

Denn wir sind in den Augen Gottes zutiefst daseinsberechtigt, ange­nommen und bejaht. Ja, wir sind un­serem Gott so teuer, dass auch das Teuerste nicht zu teuer für ihn war: sein Sohn, den er uns geschenkt hat und in dem die Wahrheit Gottes in unserer Welt aufgestrahlt ist. Ich darf mich hineingenommen wissen in die Liebe des Vaters zum Sohn. Er verwandelt alles in den guten Wein der Freude.

Kana kann überall sein. Auch jetzt geschieht dieses Geheimnis in der Eucharistiefeier: Wandlung. Wir tragen die Schale mit Brot und den Krug mit dem irdischen Wein vor ihn. Was geben wir alles da mit hinein? Von unserem Leben, unserer Mühe, von unseren Ent­täuschungen und Bedrängnissen und ungelösten Pro­blemen. Er wird uns das und noch viel mehr verwandelt zurückgeben. Er selbst tritt in unser Le­ben als Wein der Freude und Brot des Lebens.

 

 

 

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Taufe Jesu 2022

Jes 42,5a.1-4.6-7; Ps 29; Apg 10,34-38; Lk 3,15-16.21-22

Gehalten am 9.1.22 in Osnabrück, St. Johann

Lebenskrisen, liebe Schwestern und Brüder, Lebenskrisen bleiben wohl keinem Menschen erspart. Sie können mal durch äußere Umstände und Schick­salsschläge ausgelöst werden. Aber dunkle, unbekannte Mächte kön­nen auch ohne äußeren Anlass aus der Tiefe unserer Seele aufsteigen, uns quälen und unser Leben in einen chaotischen Zustand versetzen, in dem wir uns hilflos und ohn­mächtig fühlen. Abgründe können sich auftun. Und bodenlose Angst kann uns davor be­fallen, in diese fin­stere Tiefe hineingezogen zu werden. organisieren

Wer das schon einmal erlebt und überwunden hat, der weiß im Rückblick, warum er diesem Chaos entronnen ist. Er hat sich diesen unheimlichen Kräften gestellt und ist nicht vor seinen Dunkelheiten geflüch­tet. Denn vor seinem Schatten kann man nicht weglaufen. Nur wer sich diesen dunklen, oft quälenden Kräften stellt, wird aus der Krise auch gestärkt und erneuert her­vorgehen.

Wir neigen vielleicht manchmal dazu, Jesus von diesen Erfahrun­gen auszunehmen, so als wäre er schon als Kind fix und fertig und erwachsen gewesen. Manchen scheint der Gedanke ungehörig, Je­sus habe – wie alle anderen Menschen auch – innere Auseinanderset­zungen durchmachen und seine Identität klären müssen. Dabei zeigen die biblischen Geschichten von den Versuchungen Jesu in der Wüste und von seiner Todes­angst am Ölberg, dass auch er mit dem Bösen und um seinen Weg hat ringen müssen.

Die Geschichte von der Taufe Jesu will uns wohl zunächst sagen: auch Jesus hat Zeit gebraucht, um zu verstehen, wer er ist und in welchem Verhältnis zu Gott er steht. Wenn der Sohn Gottes – wie die Kirche immer gelehrt hat – in allem uns gleich geworden ist, außer der Sünde, dann gibt es nichts Menschliches, das aus seinem Leben aus­genommen war, mit Ausnahme der Sünde. Aber die ist ja nichts Men­schliches, sondern etwas durch und durch Unmenschliches. Manche Christen meinen, Jesus habe über­menschliche Fähigkeiten gehabt, Naturge­setze aufzuheben und er hätte von Natur aus gewusst, was an­dere nicht wissen konnten. Aber dann wäre er nicht wirklich in allem uns gleich gewesen, wie das Dogma es deutlich sagt.

Auch Jesus musste mit sich ringen, nach seiner Berufung fra­gen und seinen Weg und seine Bestimmung suchen. Auch er hatte sich auseinan­derzusetzen mit seiner Welt und mit den dunklen Mächten, die auch ihn heimsuchten und denen er überall, wo er hinkam, begegnete. Denken wir nur an die vielen Besessenen, mit denen Jesus zu tun bekam und an die Wut, die ihm von vielen frommen Menschen entgegenschlug.

Seine Taufe stellt gewissermaßen den Punkt in seinem Leben dar, wo Jesus sich darüber gewiss geworden ist, wer er war und wel­chen Weg er gehen sollte. Er weiß sich über dem Abgrund dieses Lebens mit einer un­verbrüchlichen Treue von Gott angenommen und gehalten. Er weiß sich in Gottes Liebe so geborgen, dass er sich als Sohn Gottes verstehen kann und fortan in dieser vertrauten Gemein­schaft mit Gott lebt, den er seinen Vater nennt.

Das Bild, das die Bibel gebraucht, um auszudrücken, welches Selbstverständnis er gefunden hat, ist nicht zu stark gewählt: „Der Himmel tat sich auf“. Das ist ein Bild dafür, dass das Dun­kel sich lichtet, das Dickicht der Probleme sich löst, die chaoti­schen Mächte ihre Macht verlieren und das eigene Dasein hell und klar wird, weil es sich bejaht und angenommen weiß.

Es ist wohl allein diese Gewissheit, bejaht zu sein, die auch uns über den Abgrund unse­rer eigenen Dunkelheit tragen kann, über den Abgrund un­serer Angst, zu wenig vom Leben abzubekommen.

„Du bist mein geliebter Sohn.“ Dies ist Jesu Selbstverständnis. Es ist die eigentliche Aufgabe aller Mütter und Väter, ihren Kindern diese Gewissheit zu geben: Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter. In einem noch viel umfassenderen Sinn können sie dann diese Gewissheit als wahres Wort Gottes verstehen. Gott selbst will auch uns so annehmen, wie er seinen eigenen Sohn von Ewigkeit her liebt.

Keine Macht der Welt vermag fortan Jesus von seinem Weg abzu­bringen, ihn unmensch­lich und böse werden zu lassen. Selbst der Tod ist für ihn nicht mehr das letzte Wort. Er kann auch dieser dunklen Macht ins Gesicht schauen in der Gewissheit, dass er der geliebte Sohn Gottes ist und bleibt.

Es gibt eine schöne griechische Ikone aus dem 14. Jahrhun­dert. Sie stellt die Taufe Jesu im Jordan dar. Die Szene spielt sich auf dieser Ikone in einer engen Schlucht ab. Zwischen zwei schroff abfallenden Felsen erscheinen in der Tiefe die dunklen, fast schwarzen Fluten des Jordan. Der Fluss ist wie eingezwängt in dieses Geklüfte. In diesen Schlund einer schwarzen Flut taucht Jesus ein, gleichsam in die dunkle Tiefe unserer Welt und in die Abgründe unseres Herzens, in das Reich des Todes. Dorthin ist der Sohn Gottes hinabgestiegen. Diese dunkle Realität un­seres Lebens und unse­rer Welt, diesen dunklen Strom der Geschichte mit seiner Boden­losigkeit hat er mit Haut und Haaren angenommen.

Das ist der Ort, wo Gott und Mensch sich begegnen: in der ab­gründigen Tiefe unseres Herzens, in der Zerrissenheit unserer Seele, in der von teuflischen Mächten geschüttelten Realität unserer Welt. Jesus wird getauft, indem er eintaucht in die Abgründe dieses Lebens. Aber was in Wirklichkeit „gewaschen“, gereinigt und geklärt wird, sind die dunklen Fluten, das schmut­zige Jordan-Wasser unserer Wirklichkeit. Es wimmelt wieder von Fischen, von Leben in diesem durch Jesus gereinigten und geheiligten Wasser. Der Fisch ist ein Christussymbol.

Gott heilt uns nicht an der Oberfläche. Er will uns in der Tiefe heilen und uns zum Leuchten bringen. Nur wenn wir ihn in diese Tiefe, in die Leere unseres Herzens, in unser eigenes Dunkel einlas­sen, können auch wir zur Wahrheit und Klarheit unseres Lebens fin­den: Wenn wir uns nur von jenem menschenfreundlichen Licht, das mit Jesus gekommen ist, treffen lassen und sein heller Lichtstrahl einfallen kann in unsere Finsternis. Wenn wir uns in unserer Sprachlosigkeit ansprechen lassen von seinem guten und über alles gewiss machenden Wort.

Wir dürfen uns hineingenommen wissen in Jesu Sohnesverhältnis zum Vater, nämlich in den Heiligen Geist, in dem auch wir Gott als unseren Vater anreden dürfen. Er ist der Gott, dessen Gemeinschaft uns über den Abgrund unserer Angst hinüberträgt in das Leben.

Mit der Taufe Jesu beginnt auch seine öffentliche Verkündi­gung. Sie besteht einfach darin, Menschen in sein Gottesverhält­nis hineinzu­nehmen, sie der Liebe Gottes gewiss zu machen und sie so den Mäch­ten des Todes, den Dunkelheiten in der Tiefe unserer Seele zu entrei­ßen.

Jesus ermöglicht es uns, uns ebenfalls als Söhne und Töchter Gottes zu verstehen. Denn Gott hat zu uns keine andere Liebe als die Liebe zu seinem Sohn. Der Himmel kann auch in uns und über uns aufgehen, wenn wir uns so verlässlich von Gott geliebt wissen. Wenn Gott selbst in unsere Dunkelheit eintritt, dann öffnet sich der Himmel auch in unseren Herzen.

Es ist diese Gewissheit, die uns die Schwere und Dunkelheit unseres Lebens aushalten lässt, es hell und wahrhaftig macht. Es ist die Freude an diesem rettenden Gott, die uns zuversichtlich und mit Hoffnung unseren Weg durch Höhen und Tie­fen gehen lässt.

In jeder Eucharistiefeier, liebe Schwestern und Brüder, nehmen wir Jesus wieder auf in unser Herz. Wir lassen den Herrn hinabsteigen und eintauchen in unser Leben, in unser Innerstes. So chaotisch es dort auch aussehen mag, es gilt das, was wir in jeder hl. Messe zu ihm sagen: „Sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele ge­sund!“

 

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„Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14)
Weihnachten 2021

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens am 25.12.21

 

„Und das Wort ist Fleisch geworden!“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

Von Gottes Wort ist die Rede und vom Fleisch. Wie bringt man das zusammen – Wort und Fleisch? Um was für Fleisch geht es? Und um welches Wort? Und wie „spricht“ Fleisch und wie „spricht“ Gott? Kann es da einen Zusammenklang geben? Können Fleisch und Gott dasselbe sagen?

 

Fleisch, liebe Gemeinde, lebendiges Fleisch ist das, was unser irdisches Sein ausmacht. Als ein kleiner Klumpen Fleisch kommen wir auf die Welt, hungrig und schreiend nach Leben. Und am Ende ist es altes Fleisch, das in einer Holzkiste begraben wird. Und bevor es soweit ist, hegen und pflegen wir dies Fleisch, halten es frisch und fit, ja, auch schön und verführerisch soll es sein, „sexy“ sagen wir dazu. Die ganze Kosmetikindustrie, aber auch die Ärzte und Apotheker leben davon, sein Haltbarkeitsdatum hinauszuschieben. Aber früher oder später ist alle Mühe umsonst: es vergeht doch.

 

Nun, das kennen wir: die Sorge um unser Fleisch. Essen und Trinken, gesunde Ernährung, Körperpflege. Fleisch ist eine Quelle der Lust und der Freude, solange es blüht. Wir kennen das Wort „Fleischeslust“. Und Fleisch wird auch zu einer Last und einer Qual: wenn wir krank sind, wenn wir alt und schwach werden. Das alles bestimmt unseren Alltag. Fleisch ist vergänglich. Deshalb ist es so gierig, gierig auch nach anderem Fleisch. Unser Fleisch spricht eben seine Sprache: die Sprache der Angst und die Sprache der Begierde. Wobei die Begierde nur Ausdruck der Angst ist, zuwenig vom Leben abzukriegen, leer auszugehen, Gammelfleisch zu werden, zu vergehen und zurückzufallen ins Nichts.

 

Das Fleisch bestimmt unser Leben. Aber Fleisch ist nicht nur unser Äußeres, gewissermaßen eine sterbliche Hülle. Für die Bibel ist Fleisch der ganze Mensch, mit allem, was sein Leben ausmacht. Es ist nicht nur ein Teil des Menschen, sondern es ist der Mensch mit seinem Hoffen und Sehnen, seinem Lachen und Weinen, seinem Glauben und seiner Verzweiflung, mit all seiner Gier und Lust und seiner Angst um sich selbst. Auch das kennen wir. Mehr oder weniger gut.

 

Nun aber sagt das Evangelium, dass Gottes Wort, das Gott selbst ist, der Gott nämlich, den „kein Mensch je gesehen“ (Joh 1,18) hat, der „in unzugänglichem Licht wohnt“ (1 Tim 6,16), weil er gewissermaßen das Gegenteil vom vergänglichen Fleisch und „über alles unaussprechlich erhaben“ ist (Vaticanum I), dass dieses Wort Gottes, das Gott selber ist, Fleisch geworden sei.

 

Nanu, da reibt man sich doch die Augen.

Ist im Himmerl ein Betriebsunfall passiert?

 

Nun, was sollen wir dazu sagen? Gott wird Fleisch, unser Fleisch. Wie sollen wir das verstehen? Das Evangelium sagt nicht: Gott hat sich des Fleisches bedient. So wie ein Violinspieler auf seiner Violine nur spielt. Vielmehr ist der Violinspieler die Violine geworden. So ist Gott unser Fleisch geradezu geworden.

 

In Jesus hat sich Gottes Wort ausbuchstabiert. In seinem Fleisch. In einem Menschen wie wir. In seinem irdischen Leben, in seinem Zeugnis bis zum Kreuz und in seinem qualvollen Sterben hat Gott uns das gesagt, was er uns sagen will: sich selbst. Und mit seinem Fleisch gibt er uns sein Wort, dass wir nicht mehr aus Angst um uns leben müssen, dass wir in seiner Gemeinschaft geborgen sind im Leben und im Sterben.

 

Wenn das wahr ist, liebe Schwestern und Brüder, dann hat in Jesus unser Fleisch bereits eine andere Sprache gesprochen als die Sprache des Fleisches. In Jesus hat unser Fleisch nicht mehr die Sprache der Angst und der Gier gesprochen, sondern die Sprache Gottes, die die Sprache der Liebe ist, der Hoffnung, der Solidarität, des Tröstens und des Schenkens und vor allem „der Wahrheit und der Gnade“ (Joh 1,14). Das Evangelium kann sogar sagen, dass wir die Herrlichkeit des Wortes Gottes nicht nur gehört, sondern gesehen haben: An Jesu Fleisch „sehen“ wir im Glauben das Sprechen Gottes. Es hat unter uns gewohnt, sich bei uns in Szene gesetzt (καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡµῖν).

 

Das heißt: von Jesus gilt dann auch umgekehrt: Nicht nur: Gottes Wort ist Fleisch geworden, sondern auch: Unser Fleisch ist Gottes Wort geworden. Menschliches, irdisches Fleisch spricht nicht mehr die Sprache des Fleisches, sondern die Sprache Gottes! Überlegen Sie mal!!!

 

Was fangen wir nun damit an?

 

Wer sich Gottes Wort sagen lässt, dem kann eine ähnliche Verwandlung zuteil werden. Wo Gottes Wort ins Fleisch kommt, da verwandelt sich das Fleisch. Da lassen wir uns sagen, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, dieselbe Gemeinschaft, die Jesus mit Gott hat. Da lassen wir uns sagen, dass wir Kinder Gottes sind, und eben nicht nur vergängliches Fleisch, sondern gemacht für die Ewigkeit. Dann hören wir auf, Sklaven der Angst um uns selbst zu sein und damit Sklaven des Fleisches. Und dann spricht unser Fleisch nicht mehr die Sprache der Angst und der Begierde, sondern da beginnt es, die Sprache Gottes zu sprechen, die die Sprache der Liebe und der Hoffnung ist, der Wahrheit und der Gnade.

 

Es geht Weihnachten zutiefst um unsere Bestimmung, liebe Gemeinde. Wozu sind wir gemacht? Wem wollen wir trauen? Dem, was wir von uns aus an uns sehen, nämlich unserer Vergänglichkeit, oder dem Wort, das sich in Jesu Leben und Sterben ausbuchstabiert hat und uns sagt, dass wir zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit bestimmt sind?

 

Und es geht Weihnachten um die Verwandlung unseres Lebens. Dass wir heute einander beschenken und einander gut sind, ist auch Ausdruck dessen, dass wir dazu bestimmt sind, die Sprache Gottes zu sprechen. Die Sprache der Liebe und der Hoffnung eben in einer Welt, in der die Sprache der Gier und des Egoismus, der Gewalt und der Angst übermächtig ist und alles zu übertönen scheint. Wer sich so verwandeln lässt, muss selbst damit rechnen, in dieser Welt den kürzeren zu ziehen. Aber damit bekommt er Anteil am Schicksal Jesu, wird christusförmig (vgl. Phil 2,5ff).

 

Seine Hingabe für uns, die wir jetzt in der Eucharistie feiern, sein geschundenes Fleisch am Kreuz, bezeugt die Sprache, die dieses Fleisch sein ganzes Leben hindurch gesprochen hat. Dieses Fleisch ist das Wort Gottes. In dieser Stunde schenkt er uns wieder sein hingegebenes und lebendiges Fleisch, um unser vergängliches und todgeweihtes Fleisch unvergänglich zu machen.

 

 

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4. Advent

St. Pius, Osnabrück

Mi 5,1-4a; Hebr 10,5-10; Lk 1,39-45

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Kann ich was mitbringen?“, so fragen wir manchmal, wenn wir eine Einladung von Freunden annehmen. „Bring dich selber mit – das reicht“, so lautet dann mitunter die Antwort.

„Bring dich selber mit!“

Es kommt vor, dass wir mit dieser Auskunft nicht zufrieden sind. Vielleicht meinen wir, uns zu blamieren, wenn wir dann mit leeren Händen bei den Freunden ankommen. Irgendetwas müssen wir doch mitbringen. Das gehört sich doch so.

Sind wir selbst denn zu wenig?

So sieht es aus. Vielleicht mehr im Unterbewussten sagt uns etwas: Ich selbst bin zu wenig. Ich muss mehr mitbringen als nur mich selbst.

Das Evangelium heute erzählt von einer Begegnung. Die schwangere Maria besucht ihre Cousine Elisabet, die ebenfalls gesegneten Leibes ist. Zwei Frauen, zwei werdende Mütter, gesegneten Leibes, guter Hoffnung, zukunftsschwanger. Der Besuch gelingt, er führt zur Freude, er bewegt Elisabet bis ins Innerste: In ihr hüpft es vor Freude. Das Leben hat Zukunft!

Von Maria wird nicht gesagt, sie habe erstmal ein Gastgeschenk aus dem Koffer geholt und Elisabet damit erfreut. Aber - sie hat auch nicht nur sich selbst mitgebracht. Sie hat viel mehr mitgebracht als nur sich selbst. Sie hat Jesus mitgebracht: noch verborgen in ihrem Leib und doch schon sichtbar an ihrem Leib. Mit Gottes Wort geht sie schwanger, um es leibhaftig zur Welt zu bringen.

Das, was Maria mitbringt, bringt einiges in Bewegung bis hinein in den Bauch der Elisabet. Diese spürt, dass ihr Bauch auch nicht leer ist, ja, ihr Leben nicht leer, nicht sinnleer ist. Das Kind hüpft – Zukunft regt sich, Zukunft wird lebendig, wo Gottes Wort ankommt, wo Menschen es mitbringen, wo es angenommen wird, wo es weitergesagt wird. In dieser unserer Gesellschaft, die ihre Zukunft verspielt, wo die Alten immer mehr werden und die Jungen immer weniger, wo so viele Kinder im Mutterleib getötet werden, da fehlt offenbar etwas, das mehr ist als wir.

Es sieht wirklich so aus, dass wir uns selbst genügen. Es scheint, dass wir nichts mehr erhoffen als das, was wir selber produzieren, um es dann aufzuessen. Ja, dass wir bereits die Zukunft unserer Enkel verfrühstücken. Dass wir nur noch an das glauben, was wir selber können, dass wir nur noch mit dem rechnen, was berechenbar und kalkulierbar ist. Und dass wir uns nur noch das sagen lassen, was wir ohnehin schon zu wissen meinen und was uns nicht in Frage stellt. Alles, was jenseits unseres Horizonts liegt, jenseits des realistisch Erwartbaren, das nehmen wir nicht so ernst. Dann aber bleiben wir leer und steril und unfruchtbar. Und dann bleiben wir eingeschlossen in uns selbst.

Und doch, manchmal spüren wir es drängend: Ich muss mehr mitbringen als mich selbst. Aber was ist es, dieses Mehr als ich selbst, dieser Mehrwert, den wir selbst nicht machen können?

Ja, wer bin ich selbst? Wenn ich mich so betrachte, wie ich bin, meine nackte Existenz, dann weiß ich: das ist alles sehr begrenzt, zerbrechlich und ohne Perspektive über den Tod hinaus. Wenn ich mich aber von Gott angesprochen weiß, wenn Gottes Wort mich getroffen und bewegt hat, dann weiß ich bis ins Innerste, dass ich unendlich viel mehr bin als ich selbst. Und dann kann ich tatsächlich mehr mitbringen zu den Menschen als nur mich selbst: nämlich Gottes Wort und Gottes Verheißung, den Christus in uns, der unserem Leben Wert, Würde und eine Perspektive der Ewigkeit schenkt.  Eine Verheißung, unter der auch unsere Kinder von der Empfängnis an im Mutterleib stehen. Als Christen haben wir den Menschen mehr zu sagen als nur „Frohe Weihnacht!“ oder „Gute Besserung!“ Im Grunde leere und gedankenlose Floskeln, die nur dann etwas sagen, wenn sie hörbar gefüllt sind mit Gottes Verheißung. Wenn sie Fleisch werden, d. h. Hand und Fuß bekommen in unseren Taten.

„Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“, sagt Elisabet zu Maria. Ja, selig, wer mit Gottes Wort schwanger geht wie Maria. Offenbar sind wir alle dazu berufen, ausersehen, diesem Wort zu glauben und damit schwanger zu gehen, d. h. es in uns Gestalt gewinnen zu lassen und zur Welt zu bringen: mehr mitbringen als uns selbst. Gott mitbringen zu den Gästen. Darum geht es.

Wie bringt man Gottes Wort zu den Menschen? Sicher nicht mit nervigen frommen und salbungsvollen Worten. Auch nicht mir erhobenen Zeigefingern. Aber indem wir andere an unserer Freude teilnehmen lassen und an unserem Vertrauen in Gottes Wort. Indem wir selbst zuversichtlich und froh durchs Leben gehen und nicht wie Leute, die den Eindruck machen, sie seien zu kurz gekommen. Indem wir anderen zu verstehen geben, wie kostbar sie sind. Und ihnen zeigen, dass auch sie mehr in sich tragen als sie denken. Und indem wir ihnen auch mit Worten sagen, woher wir unsere Kraft zum Leben auch in schweren Stunden nehmen.  Dann kann auch in ihnen etwas hüpfen, sich regen, was bislang verborgen war. Dann kommt der Prozess des Glaubens in Gang.

Ich will mehr mitbringen als nur mich selbst. Jeder von uns kann das, wenn er nur schwanger geht mit Gottes Wort wie Maria. Und wo Christen mit Gottes Wort schwanger gehen, da verbreiten sie Hoffnung und Zuversicht, da schenken sie der Welt mehr als sich selbst. Da bringen sie Gott zu Welt, zu einer Welt, die nur noch an sich selbst glaubt und gerade so ihre Zukunft verspielt. Aber wo Gott zur Welt kommt, da kommen Menschen in Bewegung, da regt sich neues Leben, da erzählt man wieder von der Zukunft und Gott wird der Friede sein.   

Die Begegnung Marias und Elisabets: eine adventliche, ja, eine schon fast weihnachtliche Begegnung. Aber dabei geht es nicht nur um Maria und Elisabet. Es geht um jeden von uns: Begegnung von Menschen, Beziehungen, Ehen gelingen nur und bereichern nur und öffnen neue Perspektiven, wenn jeder mehr mitbringt als nur sich selbst.

In dieser hl. Messe schenkt der Herr uns wieder sich selbst. Denn in ihm begegnen wir Gott. Durch die Opfergabe seines Leibes sind wir ein für allemal geheiligt. Er kommt in unser Inneres, damit wir mit ihm schwanger gehen wie Maria und ihn mitbringen zu den Menschen, zu denen Gott uns führt.

 

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Christkönigssonntag

Dan 7,2a.13b-14; Ps 93; Offb 1,5b-8; Joh 18,33b-37

Gehalten in Osnabrück St. Johann

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Der französische Theologe Alfred Loisy hat 1902 den Satz geprägt: 

Jesus verkündete das Reich Gottes – gekommen ist die Kirche.

Irgendwie ernüchternd! Vermutlich mehr als ernüchternd, eher enttäuschend aus heutiger Sicht. Die Königsherrschaft Gottes, das Zentrum von Jesu Botschaft, scheint ausgeblieben zu sein. Statt dessen entstand die Kirche.

Es hat Zeiten gegeben, da hat man die Kirche bereits für dieses Reich Gottes gehalten. Manche Kirchenlieder wie „Ein Haus voll Glorie schauet“ in der ursprünglichen Textfassung zeugen noch von diesem Triumphalismus, den wir aus heutiger Sicht als unangemessen empfinden. Denn die Kirche in Westeuropa, vor alem in Deutschland, befindet sich in einem erbärmlichen Zustand. Sie gleicht einem verwüsteten Weinberg. Bis in unsere unmittelbare Nähe erfahren wir die Kirche und mehr noch ihren Klerus als kaputt, als ruiniert und nicht mehr als die Stadt Gottes, als das Zelt Gottes auf Erden. Wo Priester Kinder schänden, wo Bischöfe diese Schande vertuschen – da kann der Teufel nicht weit sein. So erfahren selbst viele bisher treue Kirchenmitglieder den Zustand der Kirche. Nicht wenige halten es in ihr nicht mehr aus und kehren ihr den Rücken. Manche haben in ihrer Jugend unter einer allzu rigiden Sexualmoral und starken Schuldgefühlen und Höllenangst gelitten und sehen jetzt, dass selbst Priester sich nicht daran halten. Anderen fällt es zunehmend schwer, ihr Dabeibleiben nach außen hin zu rechtfertigen. Wir spüren, wie es uns innerlich zerreissen kann zwischen dem Anspruch der Kirche und ihrer erbärmlichen Wirklichkeit. Das passt nicht zusammen. Diese Kirche hat in den Augen so vieler ihr Vertrauen verspielt. Und Außenstehende lachen über ihren Anspruch, das Sakrament, also das Zeichen und Werkzeug für die Gegenwart Gottes in der Welt zu sein oder, wie das Neue Testament es sagt, „die Säule und Feste der Wahrheit.“ (1 Tim 3,15). Das klingt hohl. Wie können wir noch an die heilige katholische Kirche glauben? Es gibt doch in ihr so viel Unheiliges, Schändliches, soviel Lüge, Falschheit und Heuchelei. Und das soll die Künderin der Königsherrschaft Gottes sein? Der Leib Christi? Die Weise, wie Christus in der Welt präsent ist? Der Tempel des Heiligen Geistes? Spinnen wir?

Liebe Schwestern und Brüder, auch mir fällt es schwer, diese Widersprüche, diese Gegensätze zusammenzudenken und diese Ambivalenz auszuhalten. Das eine scheint mit dem anderen nichts zu tun zuhaben. Und so kann man entweder leicht realitätsblind werden, die Wirklichkeit, wie sie ist, ausblenden oder schönreden, um die Kirche weiter zu idealisieren. Es ist wie bei einem Menschen, der seine eigene dunkle Seite, seine schuldbeladene Vergangenheit verdrängt und abspaltet, um sich einigermaßen auf den Beinen halten zu können.  Oder man fixiert sich ganz und gar auf die eigene unheile Seite. Dann kann man sich selbst nicht mehr mögen und entzweit sich mit sich selbst. Und so hat auch die Kirche und ihr Klerus, der ja nun aus Sündern besteht, eine dunkle Seite. Wenn man nur diese sieht, dann fragt man sich, ob man noch bleiben kann.  Aber es gibt auch eine helle Seite. Weder die eine noch die andere sollte man ausblenden und verdrängen, sondern nüchtern beide Seiten betrachten, das Kranke und die gesunden Anteile. Denn sonst wäre tatsächlich kaum etwas zu retten.

Mir selbst hilft es, mit dieser Situation umzugehen, wenn ich mir vor Augen halte, dass mich die Botschaft Jesu ohne diese Kirche nie erreicht hätte. Es gäbe auch keine Bibel. Dass ich ihr doch den Glauben an Christus verdanke und damit auch die Hoffnung auf ewiges Leben. Und dass Christus ein Königtum verkörpert, das nicht von dieser Welt ist, dass er der Fingerzeig Gottes ist, durch den wir mehr erwarten und erhoffen dürfen als die Welt uns bietet. Jesus steht vor Pilatus, dem Statthalter des gottgleichen römischen Kaisers: gefesselt, gefoltert und zerschlagen und sagt: „Ja, ich bin ein König.“ Geradezu paradox ist diese Situation. Er, der Gekreuzigte – ein König. Nur im Glauben kann man das sagen. Denn er ist den Königsweg gegangen, den Weg der Freiheit. Weder hat er gekuscht vor den Mächtigen noch ist er an der Wirklichkeit verzweifelt. Denn sein Königtum ist nicht von dieser Welt. Er wurde tödlich getroffen – und doch ist er der König. Und „seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft“, wie das Buch Daniel verheißen hat. Es ist ein Königtum, für das Pilatus blind ist. Dieser kann nur in der Logik der Macht des römischen Kaisers denken. Aber wer an das Königtum Christi glaubt, weiß sich nicht mehr als Spielball der Mächte und Gewalten dieser Welt. Der weiß, dass die Herrschaft des Marktes, die Herrschaft der Hitlers und der Stalins, der Putins und der Lukaschenkos und auch die Macht der Angst um uns selbst keinen Bestand haben wird. Und dass auch die dunkle Seite der Kirche nicht unsere letzte Gewissheit ist. Wir können doch in dieser lebendigen Hoffnung leben, für das Königtum Gottes geschaffen zu sein. Denn Christus – niemand sonst – ist „der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Welt.“ Er hat uns hineingenommen in sein Verhältnis zum Vater. Er hat uns offenbar gemacht, dass Gott uns liebt wie seinen Sohn. Alles das bliebe uns verborgen, wenn es die Kirche als Glaubensgemeinschaft nicht gäbe. Sie ist das Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes.

Und so hilft es mir auch, angesichts ihrer irdischen beschämenden Wirklichkeit in der Kirche zu bleiben, wenn ich mir vor Augen führe, dass dieses Wort bei vielen wirklich angekommen ist und Früchte getragen hat. Selbst in Zeiten, in denen es um die Kirche noch schlimmer stand als heute. Die Heiligen stehen für eine noch viel größere Schar von Christen und Christinnen, die schon im Himmel sind und die – wie bruchstückhaft auch immer – das Evangelium angenommen und gelebt haben. Sie haben uns ebenfalls Kunde gebracht von diesem Königtum, das nicht von dieser Welt ist. Wenn ein Dietrich Bonhoeffer, ein Pater Alfred Delp oder die Studenten Hans und Sophie Scholl vor keinem Pilatus, vor keinem Freisler, vor keiner Macht der Welt mehr in die Knie gingen – dann war in ihnen die Königsherrschaft Gottes offenbar schon angekommen. Dann herrschte Christus in ihnen. Ein König, der nicht knechtet, sondern frei macht. So schreibt der evangelische Theologe Gerhard Ebeling in seiner Dogmatik des christlichen Glaubens: „Die Kirchengeschichte und die von ihr bestimmte allgemeine Geschichte stellen unbestreitbar, aufs Ganze gesehen, keine strahlende Geschichte der Freiheit dar, obschon hier die Anzeichen von Unfreiheit besonders auffallen und z. T. überhaupt erst als solche empfunden werden dank einer trotz allem die Kirchengeschichte durchziehenden Leuchtspur der Freiheit.“ Denn die Kirche ist auch die Kirche einer Katharina von Siena, einer Theresia von Avila, eines Franz von Assisi, einer Edith Stein und einer Mutter Teresa von Kalkutta.

Niemand hat ein Patentrezept, um die Kirche von soviel Bösem zu heilen. Nur Gott kann es, indem er uns alle zur Umkehr führt und zum Glauben. In einem schönen Lied aus dem Gotteslob (484) heißt es in der letzten Strophe:

„Gedenke, Herr, die Kirche zu erlösen, sie zu befreien aus der Macht des Bösen, als Zeugen deiner Liebe uns zu senden und zu vollenden.“

 

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32. Sonntag

1 Kön 17,10-16; Ps 146; Hebr 9,24-28; Mk 12,38-44

Gehalten am 7.10.2021 in Osnabrück, St. Johann

 

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben an Christus,

wie finden wir eigentlich einen Zugang zu Gott? Die Bibel sagt doch, Gott wohnt in unzugänglichem Licht. Aber wie kommen wir dann in den Himmel?  Als Kinder haben wir noch gebetet: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ Aber kommt man durch Frömmigkeit in den Himmel?

Vorhin haben wir einen Abschnitt aus dem Hebräerbrief gehört. Für viele ist er ein Brief mit sieben Siegeln, irgendwie rätselhaft und schwer zu verstehen. Den Verfasser kennen wir nicht. Es muss ein philosophisch hochgebildeter antiker Christ gewesen sein. Denn er reflektiert auf ganz hohem Niveau den Glauben an Christus und lotet die ganze Tiefe unseres Glaubens aus. Dazu bedient er sich neuplatonischer Begriffe wie Abbild und Urbild.

Der Brief richtet sich an die Hebräer, also an eine Gemeinde aus Judenchristen.  Deshalb zeigt er immer wieder auf, dass die religiöse Wirklichkeit, also der alttestamentliche Opferkult, nur ein schwaches Abbild, eine bloß irdische Nachbildung des eigentlichen Urbildes ist. Er will die Gemeinde im Glauben stärken und zeigen, dass die Opfertat Christi das wahre göttliche Urbild ist. Seine Opfertat hat uns erlöst und uns Gemeinschaft mit Gott geschenkt.

Und so sagt er: „Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst.“

Jenes von Menschenhand gemachte Heiligtum war der Jerusalemer Tempel. Er galt den Juden als das Haus Gottes, als Gottes Gegenwart in seinem Volk. Aber nur der jüdische Hohepriester durfte einmal im Jahr das innerste Heiligtum betreten und das Blut der geopferten Lämmer über der Sühneplatte ausgießen, wobei er allein den hochheiligen Gottesnamen JAHWE ausrief.  Niemand sonst durfte diesen Namen in den Mund nehmen.

Und so hoffte er, Vergebung für die Sünden des Volkes zu erlangen.

Doch Christus ist nicht in einen von Menschenhand gemachten Tempel gegangen, sondern in den Himmel selbst. Mit „Himmel“ ist die unbegreifliche Wirklichkeit Gottes selbst gemeint. Nicht ein Tempel aus Stein, auch nicht der astronomische Himmel ist gemeint, der im Englischen „Sky“ heißt, sondern das, was der Engländer „haeven“ nennt. In der Bibel steht „Himmel“ oft für Gott. Der Hebräerbrief will damit sagen: Christus ist wirklich in Gott hineingegangen. Und er hat dabei nicht fremdes Blut von Opferlämmern vergossen, sondern sein eigenes. Und deshalb ist nur er der wahre Hohepriester, das Urbild eines jeden Priesters. Und dieses Opfer hat er ein für allemal vollbracht. Damit hat er ein für allemal die Vergebung und Erlösung für alle Menschen aller Zeiten erwirkt. Er hat durch sein Opfer unsere Sünde getilgt.

Was aber heißt „Sünde“? Dieses Wort bedeutet die Trennung von Gott. Sündenvergebung dagegen meint, dass die Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt wird und wir Anteil am Himmel, an Gott selbst bekommen, nämlich eine Perspektive der Ewigkeit. Nur der Sohn Gottes – und nicht der alttestamentliche Hohepriester – konnte uns dieses ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott schenken. Denn der Sohn Gottes ist ein Mensch wie wir geworden, unser Bruder. Und so wird Gott auch unser Vater. Jesus hat uns aufgenommen in seine Gemeinschaft mit Gott und damit in den Himmel selbst. Er ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er ist die einzige Hoffnung, die wir haben können.

Aber warum war dazu ein Opfer nötig, nämlich das Kreuzesopfer Jesu? Musste Gott etwa durch das Blut seines Sohnes besänftigt werden? Brauchte Gott dieses Opfer?

Keineswegs. Gott braucht gar nichts. Ihm gehört doch schon alles. Aber wir brauchten es, um zum Glauben zu kommen. Hier dreht der Hebräerbrief auch den religiösen Opferbegriff um. Nicht wir bringen Gott ein Opfer dar, sondern umgekehrt: Gott hat uns ein Opfer gebracht. Er hat uns seinen Sohn geschenkt. Doch Menschen haben ihn gekreuzigt, ihn umgebracht. „Deinen Tod verkünden wir“, rufen wir in jeder hl. Messe. Empört und entrüstet müssten wir das rufen. Doch dann sagen wir: „Deine Auferstehung preisen wir.“ Genau das meint der Hebräerbrief, wenn er sagt, dass Christus in den Himmel selbst gegangen ist, und zwar mit seinem eigenen Blut, mit dem Opfer, das er uns gebracht hat.

Die Erlösung war also keine billige Gnade, kein Schwamm drüber, keine Selbstverständlichkeit, sondern teure Gnade. Sie hat einen hohen Preis gekostet. Auch das Teuerste war Gott nicht zu teuer, um uns mit Christus Anteil am Himmel zu geben. Und dies ist ein für allemal durch das Opfer Christi geschehen. Es kann und braucht nicht wiederholt zu werden. „Ein für allemal“, sagt der Hebräerbrief.

Und damit sind auch alle religiösen Opfer in den Tempeln der Menschheit abgelöst und für unwirksam erklärt. Und auch die vielen Opfer, die Menschen ihren Götzen darbringen, sollen nicht mehr sein. Wie viele Opfer, Menschenopfer kostet doch der Gott Kapitalismus, wie viele Opfer erzeugt doch eine Kultur der Habgier und der Knappheitsängste in unserer Gesellschaft und eine Kultur des Todes, in der die Tötung von Kindern im Mutterleib wie ein Menschenrecht eingeklagt wird. Macht Schluss mit den Opfern! Auch so versteht man den Hebräerbrief richtig.

Aber was ist mit der hl. Messe, liebe Schwestern und Brüder? Sie ist doch immer noch eine Opferfeier. Manche blenden das aus. Sie verstehen nicht, dass wir durch ein Opfer erlöst sind. Und dieses wird in der Eucharistie nicht wiederholt. Es ist doch ein für allemal geschehen. Aber Jesus sagt selbst: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Ja, er ist da. Aber er ist nicht als irgendwer oder irgendwie da. Vielmehr ist er natürlich bei uns als der, der sich für uns hingegeben und verschenkt hat. Er schenkt uns ja seinen Leib und sein Blut. Er ist also mit seinem Opfer unter uns – und nicht anders. Deshalb spricht der Priester die Hingabeworte Jesu über Brot und Wein: „für euch und für so viele vergossen“. Und am Schluss des Hochgebets hält der Priester im Namen von uns allen und zugleich an Christi  statt Gott den Leib und das Blut seines Sohnes hin: „Durch ihn und mit ihm und in ihm ...“. Er ahmt die himmlische Liturgie nach und macht sie sakramental sichtbar: Wie im Himmel, so auf Erden: Christus, der mit seinem Blut hineingeht in den Himmel und uns den Himmel öffnet.

„Bis du kommst in Herrlichkeit“, rufen wir auch. Wir erwarten ihn. Wir werden ihm endgültig begegnen, wenn unsere letzte Stunde vorbei ist. Unser Sterben ist sein Kommen. Und er kommt – so sagt es der Hebräerbrief  – „um die zu retten, die ihn erwarten.“

 

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30. Sonntag im Jahreskreis

Jer 31,7-9; Ps 126; Hebr 5,1-6; Mk 10,46-52

Gehalten am 24.10.2021 im Marienhospital Osnabrück

 

„Geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“ So sprach Jesus zu Bartimäus Und so spricht der Herr auch zu uns, wenn wir ihn bitten, endlich sehend zu werden.

Jesus, liebe Schwestern und Brüder, war kein Augenarzt und auch kein Wunderdoktor. Er wollte Menschen durch sein Wort zum Glauben führen und ihnen so neue Augen schenken und auf die Füße stellen. Die Geschichte vom blinden Bartimäus ist eine Geschichte auch über uns, über unsere Blindheit und unsere Erlösungsbedürftigkeit. Mehr als anderswo erfahren wir in einem Krankenhaus, wie zerbrechlich und wie erlösungsbedürftig wir sind. Und Blindheit meint, im Dunkel sein, in der Finsternis. Es heißt auch: alles schwarz sehen. Ohne Hoffnung sein. Bartimäus fiel es wie Schuppen von den Augen, als er Jesus begegnete.

Wie können wir das Evangelium des heutigen Sonntag verstehen, so dass sich uns die Augen öffnen, die Augen des Glaubens, die weiter sehen als unsere natürlichen Augen.

Vor über 50 Jahren machte ich Abitur. Anschließend fuhren wir mit der Abiturklasse nach Rom. Staunend standen wir im Petersdom vor der Pietà Michelangelos, diesem Meisterwerk der Bildhauerkunst. Es zeigt in geradezu vollendeter Kunst die trauernde Maria, die ihren ermordeten Sohn in ihrem Schoß hält. Unser Lehrer sagte uns damals: „Ihr müsst euch das so vorstellen: die Pietà war ursprünglich ein roher Marmorblock, in dem keiner etwas Besonderes sah. Doch Michelangelo hat mit den Augen des Künstlers diese vollendete Figur bereits in dem Marmorblock gesehen. Sie steckte da schon drin. Seine Aufgabe war es, diese vollendete Figur aus dem Marmorblock gewissermaßen herauszuschälen. Damit konnte er allen zeigen, was sie nicht gesehen hatten, er aber bereits gesehen hatte.“

Das sind die Augen des Künstlers! Nicht alle haben solche Augen. Aber es gibt auch die Augen der Liebe. Die können wir alle haben. Was heißt das?

Nun, wie schauen wir uns eigentlich gegenseitig an?

Wie schauen Ehepartner einander an?

Wie Eltern ihre Kinder?

Wie Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler?

Wie Ärzte und Krankenschwestern ihre Patienten?

Die Augen der Liebe sind das Gegenteil der Augen der Begierde. Mit den Augen der Begierde schaut man einen anderen Menschen nur egoistisch und gierig an: Wozu kann er mir nützen? Wozu kann ich ihn gebrauchen? Was habe ich von ihm? Der andere wird dann bloß ein Mittel zum Zweck. Und die Gier ist nur die Kehrseite der Angst, die uns daran hindert, den anderen so zu sehen, wie er wirklich ist..

Die Augen der Liebe sind dagegen so wie die Augen des Künstlers. Sie sehen bereits, was der andere erträumt, was in ihm leben will, wonach er sich sehnt, welche Gestalt sich da herausschälen möchte. Und mit den Augen der Liebe kann man einander helfen, der Mensch zu werden, der man sein soll, die eigene Bestimmung und Berufung zu finden und die Gestalt auszubilden, die noch unvollendet und unverwirklicht aber erträumt und ersehnt ist. Viele Menschen müssen zeitlebens darunter leiden, dass ihre Eltern sie nicht genügend mit den Augen der Liebe angeschaut haben und aus ihren Kindern etwas anderes machen wollten, als was in ihnen angelegt war. Diese leiden darunter, dass niemand ihnen hilft, ihre wahre Gestalt zu verwirklichen. Denn niemand kann sich selbst verwirklichen. Wir sind alle aufeinander angewiesen.

Es gibt also die Augen des Künstlers und die Augen der Liebe. Und dann gibt es auch die Augen des Glaubens. Und irgendwie sind die Augen der Liebe immer auch Augen des Glaubens: denn sie sehen etwas, was man mit bloßem Auge nicht sieht. Aber die Augen des Glaubens muss man sich erst von anderen Glaubenden schenken lassen. Wie Bartimäus in Jericho. Was sind das für Augen?

Gläubige Menschen sehen nun mal mehr und tiefer als ungläubige. Mit den Augen des Glaubens sehen wir in Jesus den Sohn Gottes, der einer von uns wurde und in dessen Wort wir dem unbegreiflichen Gott begegnen. Auch die Welt sieht deshalb im Glauben anders aus als im Unglauben. Sie ist nicht nur ein Zufallsprodukt des Universums, ein Menschheitsfriedhof, sondern dazu bestimmt, in das Reich Gottes verwandelt zu werden, in eine neue Erde, in das neue Jerusalem, das darauf wartet, vollendet zu werden. Im Glauben sehen wir auch im Menschen nicht einfach nur eine intelligente Biomaschine, die dazu bestimmt ist, früher oder später in einem dunklen Erdloch zu verschwinden. Ja wir können als Glaubende sogar den Blick auf den Gekreuzigten aushalten, weil wir in ihm schon das österliche Leben sehen. Im Glauben sind wir Kinder Gottes, bestimmt zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit. Denn Jesus hat uns aufgenommen in sein Sohnesverhältnis zum Vater. Deshalb sind wir Kinder Gottes. In Gesundheit und in Krankheit, im Leben und im Sterben.

Die Augen des Künstlers, die Augen der Liebe, die Augen des Glaubens. Sie sehen, was man ohne Liebe und ohne Glauben nicht sieht. So gesehen kommen wir alle blind auf die Welt. Die Theologen sagen: mit der Erbsünde; denn der Glaube ist uns nicht angeboren. Die Augen des Glaubens müssen uns erst durch gläubige Eltern und andere Menschen geschenkt werden. Der Glaube kommt deshalb vom Hören – doch er führt zum Sehen, schenkt neue Augen, damit wir ineinander sehen und erkennen, wer wir wirklich sind und wozu wir gemacht sind.

Tatsächlich hat sich das Leben des Bartimäus grundlegend geändert. Er hockt nicht mehr erbärmlich als Bettler am Straßenrand, sondern folgt jetzt Jesus nach auf dessen Weg nach Jerusalem, auf dessen Weg zum Kreuz. Er geht hinter Jesus her. Er kann also sagen: Dein Weg ist auch mein Weg. Er muss nicht mehr aus lauter Angst um sich selbst betteln gehen.

Und wenn wir nun von unseren Augen sprechen, dann müssen wir auch von Gottes Augen reden. Mit welchen Augen schaut Gott uns eigentlich an? Sicher nicht so, wie manche Menschen uns anschauen und uns einordnen. Er schaut uns auch nicht so an, wie wir es aufgrund unserer Werke verdient hätten angeschaut zu werden. Er schaut uns vielmehr mit den Augen der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit an – gerade in unserer Vergänglichkeit, in unserer Angst um uns selbst, um unsere Gesundheit. Der Sohn Gottes ist ja einer von uns geworden, ein Mensch wie wir, ohnmächtig, hilflos, verwundbar wie wir. Er hat unser Los geteilt. Aber so erkennt Gott der Vater in jedem von uns seinen Sohn wieder. Jeder von uns darf sich von Gott mit denselben Augen angeschaut wissen, mit denen Gott von Ewigkeit her seinen Sohn anschaut. Denn Gott hat keine andere Liebe zu uns als die Liebe zu seinem Sohn. Man muss sie nicht erst verdienen. Wer sich so verstehen kann, für den geschieht der rettende Glaube. Irgendwie hat man dann den Tod schon hinter sich.

Augen des Künstlers, Augen des Glaubens und der Liebe, Augen Gottes! Unser Blick und Gottes Blick treffen sich in Jesus. Indem wir ihn erkennen, erkennen wir, wer wir selber sind und wozu wir bestimmt sind: Jesus nachzufolgen und mit neuen Augen das neue Land, die Zukunft zu suchen und zu bauen, die Gott uns verheißt; dem Wort Gottes zu trauen, auch dann, wenn alles dagegen spricht und auch anderen Menschen diese Augen schenken. Das ist Glaube. Und wo ein Mensch sich so versteht – da wird er nicht mehr aufgefressen von der Angst vor dem Nichts. Sie verliert dann ihre Macht.

Wir feiern jetzt die Eucharistie. Und auch hier geht es um unsere Augen, um die neuen Augen, die Gott uns schenkt: Mit den Augen des Glaubens erkennen wir bereits in einem Bissen verderblichen Brotes den Leib Christi. „Seht, das Lamm Gottes!“ In der Hingabe seines Leibes an uns sehen wir das Leben. Christus, der wahre Hohepriester schenkt uns seinen Leib wie ein Bräutigam seiner Braut seinen Leib schenkt. Halten wir ihm – wie Bartimäus, der blinde Bettler - unsere leeren Hände hin!  

Er wird sie füllen.

 

 

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29. Sonntag im Jahreskreis

 Jes 53,10-11; Ps 33; Hebr 4,14-16; Mk 10,35-45

 Gehalten am 17.10.2021 im Marienhospital Osnabrück

 

 

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

 

 „Fundbüro“ heißt ein Roman von Siegfried Lenz. Fundbüro. Er beginnt mit einem jungen Mann, Henry Neff, der sich um eine Stelle als Mitarbeiter im Fundbüro eines großen Bahnhofs, ich glaube im Hamburger Hauptbahnhof, bewirbt. Beim Bewerbungsgespräch wird ihm gesagt:

„Sie sind jetzt 24, Herr Neff, 24, mein Gott, da müsste man die erste Schiene gelegt haben, auf ein Ziel zusteuern … Und jetzt sind sie bei uns gelandet, auf unserem Abstellgleis …, denn von hier aus beginnt man keine Laufbahn, bei uns gibt es keine Aufstiegsmöglichkeit, irgendwann fühlt man sich ausrangiert.“ (13)

Diese warnenden Worte beeindrucken den jungen Mann ganz und gar nicht: „Das Aufsteigen überlasse ich gern anderen“, erwidert er, „mir genügt’s, wenn ich mich wohl fühle bei der Arbeit.“ (14)

Er bekommt die Stelle.

Staunend schaut er sich in den ersten Tagen im Fundbüro um: Was die Leute so alles verlieren und im Zug liegen lassen! Sogar eine Mönchskutte hängt bei den Fundsachen und wartet auf ihren Besitzer. Sie wird nie abgeholt!

Ja, und dann merkt er – nicht ohne Freude – worauf er sich eingelassen hat. Ins Fundbüro kommen nur Verlierer. Menschen nämlich, die hoffen, das wiederzufinden, was sie verloren haben. Es ist ihm immer wieder eine Freude, andere damit glücklich zu machen. Mit langen Gesichtern kommen sie – mit strahlenden Augen ziehen sie wieder fort. Sie bekommen das wieder, was ihnen schon gehörte, und wissen sich doch als Beschenkte.

Dieser völlig säkulare Roman, liebe Schwestern und Brüder, hat mich zum Nachdenken angeregt. Es geht um das Verlieren und das Finden und um das Fundbüro, den Ort, wo das Verlorene aufbewahrt und wiedergegeben wird. Offenbar geht es in diesem Roman um unsere Gesellschaft, in der es Gewinner gibt, in der es aber zunehmend auch Verlierer gibt: Emanzipationsverlierer, Globalisierungsverlierer, also Menschen, die von diesen Segnungen und Verheißungen unserer Zeit nichts abbekommen. Oder denken wir an die vielen, die ihre Arbeit verlieren, oder ihren Partner, ihr Lebensglück, ihre Gesundheit. Was geht nicht alles verloren, auch an Würde, an Glauben, an Hoffnung und Zukunftsperspektive. Wo ist das Fundbüro, an dem man etwas von dem Verlorenen, von den verlorenen Beziehungen, dem verlorenen Lebenssinn, der verlorenen Würde und dem verlorenen Glauben, also Gott, wiederfinden kann? Wäre das nicht die Rolle der Kirche in unserer Zeit? Die Kirche als Glaubensgemeinschaft ist es doch, die um das Geheimnis der Liebe Gottes weiß und verkündet, wozu der Mensch gemacht und geschaffen ist.

Ist die Kirche so ein Fundbüro?

Es gibt im NT viele Bilder für die Kirche: Ackerfeld, Tempel, Weinberg, Braut und Leib Christi – warum nicht auch Fundbüro? Gottes Fundbüro! Ein Ort, wo die Verlierer des Lebens etwas wiederfinden: an Würde, an Anerkennung, an Gemeinschaft, an Glauben und Vertrauen in Gottes Wort. Wo sie im Sakrament der Buße ihre Unschuld wiederfinden. Ja vermutlich noch viel mehr als das, was sie meinten verloren zu haben: gar eine Perspektive der Ewigkeit! Die uns trägt in Gesundheit und Krankheit, im Leben und im Sterben. Wo die vielen Unglückseligen selig werden.

Aber das Personal im Fundbüro Kirche ist rar geworden. Fast niemand will das mehr machen. Die Zahl der Priesteranwärter in unserem Bistum geht gegen Null. Vielleicht haben wir falsche Prioritäten gesetzt. Vielleicht haben wir diesen Fundbürocharakter der Kirche vergessen. Womöglich haben wir das Evangelium längst ersetzt durch eine totalitäre Kirchenideologie, die eher ausgrenzt und fallen lässt und Bedingungen und Hürden aufstellt, anstatt in die Weite und in die Freiheit zu führen. Oder wir sind schon selbst – trotz unseres Christseins – so versessen auf Aufstiegsmöglichkeiten und Karriere und Anerkennung, dass wir uns gar nicht mehr als Fundbüro verstehen, geschweige denn – wie Henry Neff – dort arbeiten möchten. Denn im Fundbüro darf man nicht nach oben schauen, sondern den Menschen, den Verlierern, in die Augen: „Was hast du verloren?“ Oder haben wir vielleicht vergessen, dass wir doch selbst im Fundbüro Kirche das bekommen haben, was uns selig machen kann? Nämlich den Glauben an Gottes Wort. Solange wir aber nach oben schielen, nach Größe und Macht streben oder die Menschen beneiden, die es zu etwas gebracht haben, werden wir uns immer klein und mickrig fühlen – eben als Verlierer.

Wie wenig haben auch die beiden Jünger Jakobus und Johannes von dem verstanden, was Jesus tagtäglich gelehrt und gelebt hat: das Dasein für andere, die Hingabe und am Ende sein Opfer am Kreuz als Lösepreis für so viele. Bis in die Tiefe unseres Erdenlebens und –sterbens ist er, der Gottessohn, der erhabene Hohepriester, herabgestiegen, auf Augenhöhe mit uns, um mitzufühlen mit unseren Schwächen. Das macht seine Größe aus. Und so können wir es gut verstehen, wie peinlich den anderen Jüngern die Bitte der beiden Zebedäussöhne war, im Himmel die Ehrenplätze zu bekommen. Ja, wie peinlich ist es doch, wenn Priester und Bischöfe Karriere machen wollen und nach Macht streben. Und dann in vielen Fällen ihre Macht missbrauchen und, obwohl sie das Heil verkünden, Unheil anrichten. Gar so oft bei Kindern und Jugendlichen, den Schwächsten Gliedern der Kirche.

Dies war für Jesus Grund, um seine Jünger gründlich zu belehren: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht über sie missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein!“ Bei uns also, in der Kirche, in den Gemeinden. Jesus dreht die Maßstäbe um: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein.“ Wirklich groß sind nur Menschen, die anderen dienen und helfen, dieses Leben zu bestehen. Ja, die Würde des Christen oder der Christin besteht darin, anderen Würde und Liebe und Anerkennung zu schenken und in den Bedrängnissen des Lebens zu helfen, die Hoffnung und das Vertrauen in Gottes Wort zu bewahren. Und auch die Würde des Priesters besteht darin, die Würde der Mitchristen zum Leuchten zu bringen. Auch in diesem Hospital wird es viele geben, die ihr Leben in den Dienst der Kranken gestellt haben: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die in ihrem Dienst Kranke und Sterbende begleiten und Seelsorger, die auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen dafür Sorgen, dass Hoffnung wieder aufkeimt.

Und auch geistliche Macht ist nur geliehene Macht. Sie ist nur recht gebraucht, wenn man sie nicht für sich selbst gebraucht, sondern in Dienst stellt für die Ohnmächtigen, für die also, die keine Stimme haben, für die Verlierer und für die missbrauchten Opfer, für die Kinder im Mutterleib und die, die am Ende des Lebens nicht mehr für sich sprechen können. Wenn wir, die heutigen Jünger und Jüngerinnen Jesus das verstehen, kann unsere Kirche wieder ein Ort werden, ein Fundbüro, wo Menschen das wiederfinden, was sie verloren haben: den Glauben an Christus und den Sinn ihres Lebens.

Wenn wir jetzt Eucharistie feiern, dann wird das Leben und Sterben Jesu wieder unter uns gegenwärtig als Lösepreis für uns und für so viele.

 

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28. Sonntag

Weish 7,7-11; Ps 90; Hebr 4,12-13

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

 

Verdammt! Der Preis scheint mir zu hoch für den Himmel. Das kann ich nicht. Hab letztes Jahr von meinen Eltern geerbt: sehr viel Geld und ein schönes großes Haus. Soll ich das alles in den Himmel investieren? Alles drangeben und dafür einen Schatz im Himmel anhäufen? Das Risiko scheint mir zu hoch. Was ist, wenn nachher gar kein Himmel kommt. Wer weiß? Dabei bin ich immer anständig gewesen: Hab nichts Illegales getan, hab keinen umgebracht. War meiner Frau stets treu. Gestohlen und gelogen hab ich eigentlich auch nicht. Und schließlich habe ich für eine gute Pflege meiner Eltern gesorgt. Was will er denn noch mehr, dieser Wanderprediger? Alles drangeben. Und dann hinter ihm her und mit seiner Jüngerhorde durchs Land ziehen, ohne Geld, ohne Haus, ohne Sicherheit. Na, bin ich denn bekloppt? Dabei möchte ich leben, nicht nur gut, sondern ewig. Und der Meister hat ja nun mal Worte ewigen Lebens. Er mochte mich auch, das habe ich gemerkt. Aber er hat mich ziehen lassen. Er ist mir nicht hinterher gelaufen, um zu sagen: Na, so ernst habe ich das nicht gemeint. Wahrscheinlich gibt es den Himmel nicht zu herabgesetzten Preisen.  Ganz oder gar nicht. Aber ich trau dem Braten nicht so ganz.

 

So könnte er bei sich gedacht haben, der reiche Mann, als er traurig wegging, liebe Schwestern und Brüder. Sein Herz hing an seinem Vermögen. Er konnte die Liebe zu Jesus nicht erwidern. Vielleicht können auch wir diese Gedanken nachvollziehen. Und darin womöglich sogar uns selbst wiedererkennen. Vielleicht war das der gesunde Menschenverstand: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Wenn ich den Spatz loslasse, um die Taube auf dem Dach zu holen und sie vorher wegfliegt, bevor ich auf dem Dach bin, dann habe ich nichts mehr. Ja, der gesunde Menschenverstand! Aber Weisheit klingt anders, wie wir aus der 1. Lesung gehört haben: „Ich zog die Weisheit, Zeptern und Thronen vor, Reichtum achtete ich für nichts im Vergleich zu ihr.“

 

In diese Entscheidung hat Jesus den reichen Mann gestellt. Sein Wort, das Wort Gottes, „ist wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“, so hieß es in der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief.  Es scheidet zwischen Glaube und Unglaube. Der Herr legt diesen Unterschied offen. Und so „liegt alles nackt und bloß vor den Augen“ Gottes. Denn Jesus geht es um den Glauben und somit um Gott: „Niemand ist gut außer der eine Gott“, so sagt er im heutigen Evangelium. Und so stellt er den Mann vor die Entscheidung: „Wer ist dein Gott?“ Martin Luther hat es einprägsam auf die Formel gebracht: „Woran du dein Herz hängst – das ist dein Gott.“ Das Herz des reichen Mannes hing am Geld.

 

Doch Geld ist ein Gott, den man erst haben muss, um sich dann darauf zu verlassen. Und dabei muss man immer Angst haben, diesen Gott wieder zu verlieren. Denn es vergeht, es wird durch Inflation aufgefressen, es wird ausgegeben und irgendwann ist es alle. Aber der Gott, zu dem Jesus uns führen will, den kann man nicht erst haben, um sich dann auf ihn zu verlassen. Man kann ihn nur so haben, dass man sich auf ihn verlässt. Und so kann man ihn nicht mehr verlieren. Und nur so verbürgt er ewiges Leben.

 

Es geht also nicht darum, Geld schlecht zu reden. Man braucht es ja, um in dieser Welt zu leben. Geld an sich ist nicht schlecht. Es ist sogar eine der genialsten Erfindungen: Man braucht nicht mehr Waren zu tauschen. Aber unsere Beziehung zum Geld kann verkehrt sein. Wenn man sein Herz daran hängt, es zu seinem Gott erhebt, zum Ein und Alles, dann wird es zum Abgott und letztendlich zum Teufel, der mich von Gott trennt. Dann „geht eher ein Kamel durch das Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“

 

Wir dürfen genauso erschrecken wie die Jünger als sie dieses Wort aus dem Mund des Herrn hörten. Sie verstanden es so: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ Vermutlich niemand. Aber „Jesus sah sie an und sagte:  Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.“ Tatsächlich kann kein Mensch aus eigener Kraft zu Gott finden. Nach dem NT wohnt er in unzugänglichem Licht. Weder durch Anständigkeit, noch durch ein moralisch einwandfreies Leben und gute Werke kann man Gemeinschaft mit Gott und ewiges Leben verdienen. Denn dann müssten wir uns ja wieder auf uns selbst verlassen, auf unsere  guten Taten. Wir würden uns selbst rechtfertigen wollen, ja, wir würden uns selbst mit Gott verwechseln. Wir sind aber bloß Geschöpfe, zerbrechlich und vergänglich wie alles Übrige auf der Welt. Und wenn wir sterben verlieren wir alles, woran wir unser Herz gehängt haben.

 

Aber für Gott ist es möglich. In Jesus hat er selbst uns Gemeinschaft mit sich angeboten  und damit ewiges Leben. Er hat uns sein Wort gegeben. Es erschließt sich uns nur im Glauben. Auf dieses Wort kann man sich im Leben und im Sterben verlassen.

 

Zählen dann aber unsere guten Werke nicht mehr? Tatsächlich kann man sich vor Gott nicht auf sie verlassen. Aber wer sich bereits von Gott geliebt und angenommen weiß, der wird diese Liebe weitergeben wollen und auch die Gebote halten. Und der hängt sein Herz nicht mehr um jeden Preis an Irdisches. Denn nur ein guter Baum trägt gute Früchte. Es sind nicht die Früchte, die den Baum gut machen. Und so erkennt man auch einen guten Menschen an seinen Werken, aber es sind nicht die Werke, die ihn gut machen. Es ist allein der Glaube an den allein guten Gott, der uns gut und gerecht macht, und uns befähigt, ohne Angst um uns selbst Gottes Güte weiterzuschenken.

 

Das dürfte die wahre Weisheit sein. Jesus Christus ist diese Weisheit in Person. Man behält am Ende nur, woran man nicht geklebt hat, sondern was man verschenkt hat. Das meinen wir, wenn wir seine Auferstehung preisen. Und auch Gott kann man nicht haben wie einen Besitz, sondern nur, indem man sich auf ihn verlässt. Gott ist kein Wesen, das über uns schwebt. Vielmehr ereignet er sich. Es geschieht Gemeinschaft mit Gott, wenn wir uns ihm anvertrauen und an ihn verschenken. Im Glauben, im Vertrauen an Gottes Wort ereignet sich so das ewige Leben. Diesen Glauben anzunehmen aus den Händen der Kirche ist die Gnade, die uns geschenkt ist und für die wir danken.

 

In der Eucharistie werden wir wieder reich beschenkt mit dem Allerkostbarsten. Christus verschenkt sich selbst an uns in seinem Opfer. Er kommt in unser Herz, damit unser Herz für immer und ewig an Ihm hängt.

 

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27. Sonntag im Jahreskreis

Gen 2,18-24; Hebr 2,9-11; Mk 10,2-16

Gehalten am 3.10.21 in Osnabrück, St. Johann

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“

Liebe Schwestern und Brüder, dieses Bibelwort aus der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags dürfte wohl allseits Zustimmung finden. Es entspricht einer unserer ganz grundlegenden Erfahrungen. Der Mensch kann nicht ohne den Mitmenschen leben. Nur in Beziehungen, im Ja zueinander, im Mit- und Füreinander kann der Mensch wahrhaft Mensch sein.

Dabei kommt einer dieser Beziehungen in der Bibel eine Sonderstellung zu: der Beziehung von Mann und Frau: diese werden „ein Fleisch“. Eben hier sieht die Schrift nicht nur die individuelle Verwirklichung der beiden Partner, sondern auch die Zukunft der Menschheit. Mann und Frau sind vor Gott gleichwertig und doch verschieden. Als solche sind sie füreinander geschaffen. Nur zusammen können sie neues Leben schenken und wachsen lassen. Keine andere zwischenmenschliche Beziehung hat diese Bestimmung der fruchtbaren Weitergabe des Lebens. Sie ist einzigartig. Und sie entspricht der Schöpfungsordnung. Ja noch mehr: Die Menschheit besteht aus Frauen und Männern. Der Geschlechterkampf, wie er in der Geschichte immer wieder aufgebrochen ist, zeigt, dass wir uns schwer tun, die rechte Beziehung zwischen Mann und Frau zu definieren und zu leben. Doch schon auf ihren ersten Seiten sagt uns die Bibel, dass Gott die Einheit des Menschengeschlechtes will und nicht seine Spaltung. Es geht um die Einheit und Versöhntheit des Menschengeschlechts, das in diesem Ein-Fleisch-Werden anschaulich gelebt wird. Es geht um Liebe, die den anderen in seinem Anderssein und nicht bloß in seinem Wie-ich-Sein annimmt. Zwar ist die Frau „Fleisch von meinem Fleisch“, was die Gleichwertigkeit zum Ausdruck bringt. Und doch wird sie anders bezeichnet als der Mann: „Frau soll sie heißen“. Weil sie in ihrem Wesen anders ist als der Mann. Nur dem Zusammenkommen dieser Andersheiten, ihrer gegenseitigen Annahme und Liebe, ist auch Zukunft verheißen.

Diese Gedanken sind heute keineswegs mehr selbstverständlich und manchmal nur sehr schwer vermittelbar. Zum einen erleben wir eine hohe Scheidungsrate und eine wachsende Anzahl von Scheidungswaisen. Zum anderen sehen viele auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Beziehungen, die der Ehe gleichwertig seien. Sicher, auch homosexuelle Menschen haben den gleichen Wunsch nach Geborgenheit und Liebe und sehnen sich nach Partnerschaft wie alle anderen Menschen auch. Doch – bei allem Respekt vor ernstgemeinten homosexuellen Partnerschaften – als Kirche können wir sie wohl nicht „Ehe“ nennen. Nur willkürlich hat der Staat den Begriff „Ehe“ umdefiniert. Das ist ein ungeheurer Kulturbruch, nicht nur mit der Tradition der Kirche, sondern der ganzen Menschheitsgeschichte. Die Ehe von Mann und Frau aber ist einzigartig unter allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn nur die Liebesbeziehung von Frau und Mann verbürgt die Zukunft des Menschengeschlechts und dessen Einheit. Und auch Mann und Frau sind nicht einfach austauschbar, wie es uns unsere Wirtschaft und die Gender-Denkungsart seit langem einredet, sondern zutiefst verschieden. Sie sind komplementär. Sie ergänzen einander und schaffen so und nur so eine neue Generation. Die Gesellschaft und der Staat sind für ihren Fortbestand auf die Ehe geradezu angewiesen. Auch stellen Mann und Frau in ihrem Zusammensein eine anthropologische Ganzheit dar. Jedes Ehepaar steht für die Einheit der ganzen Menschheit aus Frauen und Männern.

Auch Jesus stellt sich im Evangelium in diese Tradition. Ja, er radikalisiert dieses Verständnis, indem er die Ehescheidung ablehnt und sie als Ehebruch qualifiziert. Dass die Kirche bis heute an der Unauflöslichkeit der Ehe festgehalten hat, wird von vielen als hart und als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Viele sehen darin eine Überforderung der Ehepartner. Anderen leuchtet nicht mehr ein, warum man sich für immer an einen Partner binden soll. Aber der christliche Glaube ist nie zeitgemäß, sondern einfach human. Aber als solcher ist er für viele auch ein Ärgernis.

Die Menschheit hat Jahrtausende gebraucht, um die menschenwürdigste Form der partnerschaftlichen Beziehung herauszufinden. Sie hat vermutlich mühsam lernen müssen, dass man nur in der Geborgenheit einer lebenslangen Bindung und verlässlichen Treue einander ganz anvertrauen kann. Dass man auch - es klingt paradox, ist es aber nicht - allein in der Bindung frei wird. Nur indem Mann und Frau einander Wohnung geben, und zwar mit umfassendem Kündigungsschutz, können sie auch das volle Glück einer Liebesbeziehung finden und zudem neues Leben in Geborgenheit heranwachsen lassen. So werden Mann und Frau in der Ehe zu Hütern der menschlichen Zukunft.

Haben wir in unserer Gesellschaft vielleicht diesen langen und mühsamen Lernprozess der Menschheit vergessen? Begeben wir uns vielleicht auf Irrwege, deren Tragweite für das Menschenbild, für die Menschlichkeit und für das gesellschaftliche Zusammenleben wir noch gar nicht absehen?

Weil die Ehe eine einzigartige Beziehung ist, ist sie für uns Christen ein Sakrament, ein heiliges Zeichen. Denn sie stellt dar, was unsere Gemeinschaft mit Gott ist: Gott verbindet Mann und Frau in Liebe miteinander und lässt sie fruchtbar sein für die Zukunft. Doch diese Verbindung wurzelt darin, dass wir mit Gott verbunden sind, wie in einer Ehe: „neuer und ewiger Bund“. Im Alten Testament wird das Verhältnis zwischen Gott und Israel oft im Bild der Ehe veranschaulicht. Im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern wird die Kirche als Braut Christi verstanden. Weil die Ehe diese unsere Gemeinschaft mit Gott abbildet, deshalb ist sie ein Sakrament. Die Eheleute bejahen einander mit derselben Liebe, mit der sie sich selbst und einander von Gott geliebt wissen. So wie ein Spiegel die Strahlen der Sonne reflektiert, so soll die Ehe die Liebe Gottes reflektieren und Kindern in dieser Liebe ein Aufwachsen in Geborgenheit schenken.

Die Unauflöslichkeit der Ehe gründet im Eheversprechen, das Mann und Frau sich geben. Dieses Versprechen umfasst auch die Zustimmung dazu, es nicht selber zurücknehmen und es auch nicht einvernehmlich zurückgeben zu können. Es ist als ob sie sich sagten: Ich will in alle Zukunft nur so glücklich sein, dass ich will, dass du es auch bist.

Das Leben in der Ehe ist sicher oft kein leichter Weg. Die vielen zerbrochenen Ehen zeigen das. Man muss die Fähigkeit bewahren, einander immer wieder überraschende Freude zu bereiten und füreinander aufmerksam zu sein. Man muss auch immer wieder die Bereitschaft zur Versöhnung haben. Aber gerade in der Treue, in der Vergebung  und im Durchhalten von Krisen und Meinungsverschiedenheiten zeigt sich und reift die Liebe.

Nun aber zeigt sich, dass viele Ehen trotzdem scheitern. Wie soll die Kirche damit umgehen? Könnte es nicht auch sein, dass eine Ehe endgültig tot ist, weil sie Gottes Liebe überhaupt nicht mehr widerspiegelt und somit nur noch schwerlich Sakrament genannt werden kann? Wenn das eucharistische, gewandelte Brot im Tabernakel verschimmelt und nicht mehr essbar ist, dann ist es kein Sakrament mehr. Könnte solches nicht auch von der Ehe gelten, so dass der Bischof eine solche Ehe für tot erklären könnte? In dieser Richtung könnte vielleicht eine Antwort auf das Problem der zerbrochenen Ehen liegen.

Die Bibel sagt, dass die Eheleute ein Fleisch werden. Tatsächlich gehen alle unsere Beziehungen über das Fleisch. Der Mensch ist Fleisch, er ist Leib. Der Leib ist nicht nur ein Zusatz zur Seele. Nur in seinem Leib und als Leib kommt der Mensch zur Erscheinung, stellt er sich dar, wird er gegenwärtig. Der Leib spiegelt seine einmalige Geschichte wider. Sorge um den Menschen ist zuallererst Sorge um den Leib: dem Hunger, dem Durst, dem Schmerz, dem Frieren abhelfen. Ebenso geht alle Kommunikation über den Leib: Augen, Mund, Ohren, Hände, Mimik und Gestik.

Das gilt erst recht für die Liebe: Wenn ein junger Mann und eine junge Frau ineinander verliebt sind, sich gegenseitig begehrenswert und liebenswert finden und das Vertrauen zwischen ihnen wächst, dann sucht sich ihre Liebe einen leiblichen Ausdruck. Früher oder später gibt die eine dem anderen zu verstehen, ob nun mit Worten oder anders: „Schenk mir Deinen Leib!“ Wenn die Liebe erwidert wird, wird der andere sagen: „Nimm meinen Leib!“.

Nanu, das sind doch die Worte, die wir in jeder Eucharistiefeier hören: „Nehmt, das ist mein Leib“. In der hl. Messe geschieht eben das, was in einem Brautgemach geschieht: Braut und Bräutigam schenken einander ihren Leib – und damit sich selbst. Christus und die Kirche schließen einen neuen und ewigen Bund, wie eine Ehe. Wir sehen: Auch die Liebe Gottes ist nicht platonisch. Die Eucharistie macht den Eros Gottes offenbar, den „neuen und ewigen Bund“, seine unverbrüchliche Liebe zur Menschheit bis zum Tod am Kreuz, zur Hingabe des Leibes im Feuer des Heiligen Geistes: „Jesus, ihn sehen wir um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“, so die 2. Lesung. Die Kirche lebt von der Hingabe seines Leibes. In jeder hl. Messe feiert Christus Hochzeit mit uns, seiner Kirche, und wird mit uns „ein Fleisch“.

Die Ehe stellt so dieses Mysterium dar als sichtbares Zeichen dieser gegenseitigen und fruchtbaren Hingabe. Es ist das innigste Ineinander von Personen.

In der Eucharistie, die wir jetzt feiern, wird dieses Geheimnis für uns alle zur Quelle unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unserer Liebe.

 

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26. Sonntag im Jahreskreis 2021

 

Num 11,25-29; Ps 19; Jak 5,1-6; Mk 9,38-43.45.47-48

 

Gehalten am 26.9.21 in der Kapelle des Marienhospitals in Osnabrück

 

 

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

 

ja, im Glauben! Worum geht es da eigentlich? Was ist der Glaube? Wie entsteht er? Wie kommt man zum Glauben?

 

Über den Glauben gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Für manche Menschen meint Glauben soviel wie nicht Wissen, vermuten, annehmen, dass es Gott gibt, obwohl es keine Beweise dafür gibt. Mit dem christlichen Glauben hat das allerdings wohl kaum etwas zu tun.

 

Andere sehen im Glauben eine große Morallehre: der Glaube schreibt vor, was man darf und was man nicht darf. Er verbietet gerade das, worauf man Lust hat und gebietet, was man eigentlich nicht gerne tut. Aber stimmt das? Dürfen Ungläubige lügen und ungerecht sein? Was gut und was böse ist, das kann man auch ohne den Glauben erkennen. Dass ich nicht lügen darf, ist kein Glaubensgeheimnis. Das sieht jeder ein. Also Glaube ist nicht Moral.

 

Für andere meint Glauben das feste Fürwahrhalten von Glaubenssätzen, von Dogmen. Je mehr man davon für wahr hält, umso besser. Man grenzt sich ab gegenüber denen, die an solche Sätze nicht glauben. Naiv meint man dann: Die Evangelischen haben weniger Dogmen. Also haben sie auch weniger Wahrheit und weniger Glauben. Der Glaube setzt sich aber nicht aus mehr oder weniger Sätzen zusammen, die man für wahr halten müsste.

 

Für das Evangelium ist Glauben etwas anderes. Man kann Glauben auch mit „unbedingtes Vertrauen“ übersetzen. Vertrauen in was oder wen? Was ist eigentlich so vertrauenswürdig, dass man sich mit seinem ganzen Leben darauf verlassen kann und auch noch vertrauensvoll sterben kann? In der Welt gibt es nichts, was so vertrauenswürdig ist, auch nicht die Bischöfe und Kardinäle, die soviel Vertrauen verspielt haben. Denn alles ist vergänglich. Die 2. Lesung aus dem Jakobusbrief sagt es ganz deutlich. Auch der Reichtum verfault. Er ist so vergänglich wie wir. Wer sich darauf verlässt, betrügt sich selbst. Eine Mahnung nicht nur an uns als einzelne, sondern auch an die Kirche als ganze. Der Glaube schwindet je reicher eine Kirche ist.

 

Der Glaube kommt vom Hören! Niemand von uns hat ihn von Natur aus. Worauf ist eigentlich zu hören, wenn wir zum Glauben kommen wollen? Hören kann man nur auf ein Wort. Was sagt uns dieses Wort? Es sagt uns etwas, worauf wir selbst gar nicht kommen können: dass wir Gemeinschaft mit Gott haben. Dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, kann uns nur Gott selber sagen. Aber er sagt es uns im mitmenschlichen Wort. Nur durch andere Menschen können wir zum Glauben kommen. Geschichtlich geht dieses Wort zurück auf Jesus. Er ist der Ursprung des Glaubens. Und wenn sein Wort wahr ist, dann muss es sich um Gottes Wort handeln. Denn niemand anders als Gott selbst kann uns mitteilen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, eine Gemeinschaft, die auch im Tod nicht zerbricht. Auch wenn alles im Leben und spätestens im Sterben zerbricht: Gesundheit, Beziehungen, Reichtum, Beruf – alles werden wir einmal zurücklassen müssen. Doch Gemeinschaft mit Gott ist unverbrüchlich. Gegen sie hat auch der Tod keine Macht. Das feiern wir Ostern.

 

Im Glauben geht es also um nichts anderes als um unsere Gemeinschaft mit Gott. Glauben heißt, sich unserer Gemeinschaft mit Gott anvertrauen, uns auf Gottes Wort verlassen – was auch immer geschehen mag. All die vielen Geschichten der Bibel sagen auf verschiedene Weise und in sehr verschiedenen, uns oft fremden Bildern immer dasselbe: Wir dürfen uns mit Gott im Bund wissen. Darauf sollen wir uns verlassen.

 

Nur dieser Glaube an Gottes Wort überwindet die Macht der Angst um uns selbst. Denn der Glaube ist stärker als die Angst. Der Glaube macht uns menschlich, die Angst dagegen unmenschlich, gierig, neidisch und böse. Der Glaube dagegen entmachtet die Angst und lässt uns menschlich statt unmenschlich werden.

 

Im Glauben, im Vertrauen an Gottes Güte kann man gelassen bleiben. Man muss dann z. B. keine Angst mehr davor haben, dass es Wahrheit auch in anderen Religionen gibt. Einer der Jünger im heutigen Evangelium wurde wieder von der Angst gepackt, auch außerhalb des Jüngerkreises würden Dämonen, sprich Angst, vertrieben. Jesus reagiert ganz gelassen: Hindert ihn nicht! Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Auch außerhalb der Kirche gibt es Wahrheit und Glauben. Muslime hören z. B. aus dem Koran, dass Gott barmherzig ist und verlassen sich darauf. Haben sie etwa Unrecht? Ist etwa der christliche Glaube weniger wahr, wenn es auch in anderen Religionen Wahrheit gibt? Ganz und gar nicht! Die Wahrheit Christi lässt uns auch die Wahrheit anderswo erkennen und sogar anerkennen. Gottes Geist ist nicht einzugrenzen. Er endet nicht dort, wo die Kirche endet. Auch anderswo vertrauen Menschen sich mit ihrer ganzen Existenz Gott an und verlassen sich auf sein Wort.

 

Auch in der 1. Lesung haben wir gehört, dass Gottes Geist nicht nur die amtlichen 70 Ältesten erfüllte. Auch draußen im Lager gab es welche, auf die Gottes Geist sich niederließ: Eldad und Medad. Auch sie redeten prophetisch. Josua war ganz aufgeregt und lief zu Mose: Hindere sie daran! Auch Mose bleibt gelassen. Er wünscht: Wenn nur das ganze Volk zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf alle legte.

 

Lange haben wir gelernt, nur der Papst und die Bischöfe hätten den Beistand des Heiligen Geistes. Das Volk Gottes also nicht? Die Heilige Schrift belehrt uns eines anderen. Der Geist Gottes ist auch nicht begrenzt auf Papst und Bischöfe. Auch sie haben keinen wahreren Glauben als jeder Christ. Denn nur im Heiligen Geist können wir uns in Gemeinschaft mit Gott wissen. Der Beistand des Geistes ist allen verheißen, dem ganzen Volk Gottes durch Taufe und Firmung.

 

Schwer zu verstehen ist vielleicht der zweite Teil des heutigen Evangeliums: Mühlstein um den Hals, Augen ausreißen, Hand und Fuß abhacken. Recht schrecklich hören sich solche Worte für unsere Ohren an. Was sollen wir damit anfangen?

 

Wir sehen daran, wie groß der zeitliche und kulturelle Abstand ist zwischen der Bibel und unserer Zeit. Man wählte halt andere Bilder als heute um auszudrücken, worum es im Glauben geht. Allzu lange auch hat man diese Verse rein moralisch ausgelegt, hauptsächlich sexualmoralisch. Aber auch hier geht es um den Glauben bzw. um den Abfall vom Glauben. Denn es heißt: „Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Anstoß gibt ...“ Es geht also um den Glauben der Kleinen, der Armen, der einfachen Menschen. Wer sie vom Glauben an Jesus abbringen will, der begeht eben ein Verbrechen. Und dann geht es um die Anfechtung des Glaubens. Solange wir auf Erden leben, ist der Glaube angefochten. Es gibt vieles, was uns vom Glauben, von Gott wegziehen möchte. Auge, Hand und Fuß sind die Andockpunkte in uns. Je faszinierender etwas ist, umso größer werden unsere Augen, umso mehr sind wir in Versuchung, etwas Irdisches mit Gott zu verwechseln und sich Heil davon zu versprechen. Das aber wäre in Wirklichkeit Unheil. Besser wäre es, man hätte solche Augen nicht. Auch die Hand des Menschen kann Verschiedenes ausdrücken: sie kann eine bittende oder schenkende Hand sein. Sie kann aber auch eine gierige, raffende Hand sein. Damit aber hat man bereits das Vertrauen in Gott aufgegeben und möchte sich selber sichern und sich auf das verlassen, was man zusammengerafft hat. Es wäre besser, wenn man solche Hände nicht hätte. Und mit den Füßen laufen wir denen nach, die uns ein Heil versprechen, das sie gar nicht geben können. Solche Füße sollten wir besser nicht haben. Denn wer sich von Gott entfernt, kann sich nur noch auf sich selbst verlassen. Er muss krampfhaft festhalten und jeden Zipfel Leben gegen andere verteidigen. So entsteht bereits die Hölle auf Erden.

 

Wir sehen: Im Glauben geht es um etwas ganz Wichtiges: Um unser Menschsein. Man kann sein Leben auch verfehlen, vermurksen, verpfuschen. Wenn wir nicht mit Gott verbunden bleiben, dann laufen wir mit unseren Füßen in die Irre, greifen mit unseren Händen letztlich ins Leere und lassen unsere Augen täuschen vom Blendwerk des Geldes.

 

Die drastischen Worte Jesu wollen uns also sagen, dass es bei Glauben und Unglauben um alles oder nichts geht, um Tod oder Leben, um Heil oder Unheil. Sie rufen uns auf, uns das wieder bewusst zu machen und auf seinem Weg zu bleiben. Auch der Glaube soll Hand und Fuß und Auge haben: Nicht gierige, sondern liebende Augen, keine raffenden Hände, sondern bittende und schenkende. Und Füße, die Jesu Weg mitgehen.

 

Wir feiern jetzt Eucharistie. Glauben heißt auch, mit leeren Händen vor Gott zu stehen und alles von ihm zu erwarten. Es gibt wohl kein sprechenderes und schöneres Zeichen vor Gott als das Ausstrecken unserer leeren Hände bei der Kommunion. So wie wenn man ein kostbares Geschenk entgegennimmt: Gott schenkt uns Gemeinschaft mit sich, er füllt unsere leeren Hände mit seinem Leben. Er schenkt seinen Sohn in unsere leeren Hände und erfüllt uns so mit seinem Geist.

 

 

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25. Sonntag

Gehalten in Osnabrück, Maria Rosenkranz und Heilig Kreuz

Weish 2,1a.12.17-20; Ps 54; Jak 3,16 – 4,3; Mk 9,30-37

 

Der Menschensohn wird in die Hände von Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten.

Was heißt das, liebe Gemeinde? Warum ist es Jesus so ergangen? So wie vielen anderen vor und nach ihm. Das Buch der Weisheit (1. Lesung) sagt es: Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg ... Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen. Und die zweite Lesung aus dem Jakobusbrief fragt: Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. ... Ihr mordet und seid eifersüchtig. ... Ihr streitet und führt Krieg. Bis in die Kirche hinein, in die Gemeinden und in die Familien gibt es Streitsucht und unversöhnliche Fronten. Also hat es alles etwas mit uns zu tun.

Mir kommt ein Ereignis in den Sinn, das ich vor 35 Jahren als junger Priester erlebt habe, das mir aber noch in ganz lebendiger Erinnerung ist. Ich war in Brasilien zu Gast bei einer Schwesterngemeinschaft. Eines Tages fragten die Schwestern, ob ich Lust hätte am nächsten Tag mit Ihnen zu einer Außenstation zu fahren, wo sie kranke Menschen versorgen wollten. Einmal im Monat führen sie dorthin. Ich sagte zu und war gespannt.

In aller Herrgottsfrühe fuhren wir mit einem Geländewagen über Stock und Stein in eine ganz abgelegene Gegend, eine Art Urwald. Nach mehreren Stunden kamen wir bei einer ganz einfachen Kapelle aus Holz an, die mitten im Urwald stand. Viele Menschen waren schon dort und warteten auf die Schwestern. Sie waren aus der umliegenden  Gegend gekommen: Männer, Frauen und Kinder. Die Schwestern schlossen die Kapelle auf. Darin befand sich ein großer Medikamentenschrank, eine kleine Apotheke. Der Reihe nach behandelten die Schwestern die Menschen, die gekommen waren: Sie verbanden Wunden, verteilten Medikamente und erklärten, wie sie einzunehmen waren, maßen Fieber und Blutdruck. Und vor allem: sie trösteten und ermutigten diese armen, einfachen Menschen, schenkten ihnen Hoffnung , Würde und Vertrauen. Zur Mittagszeit wurde dann in der Kapelle zu Mittag gegessen. Dabei fragte mich eine Schwester, ob ich bereit wäre, am Nachmittag, wenn sie mit den Behandlungen fertig wären, die hl. Messe mit den Menschen zu feiern. Nur selten käme ein Priester in die Gegend. Ich sagte gerne zu. Um mich vorzubereiten schaute ich in die Texte für diesen Tag. Das Tagesevangelium war aus der Bergpredigt, wo Jesus sagt: Ihr sollt eure Feinde lieben und segnen, die euch hassen. Ogottogott, dachte ich. Wie kann ich das diesen Menschen vermitteln, die doch selbst Opfer von ungerechten Verhältnissen sind. Wie sollen sie ihre Unterdücker lieben, die sie in Armut und Elend halten? Ich überlegte hin und her. Waren die Menschen, denen Jesus das sagte, nicht auch entrechtete und ausgebeutete Menschen? Da noch etwas Zeit war, ging ich nachdenklich ein wenig durch den Urwald und schaute mich um. Da kam mir eine Idee. Ich sah einen großen Kaktus, der zwischen den Bäumen wuchs. Mit meinem Taschenmesser schnitt ich ihn vorsichtig ab.

Ich konnte nur wenig Portugiesisch. Wie mache ich das? Zum Glück war meine Mutter Italienerin und ich habe von Kindesbeinen an italienisch gesprochen, das dem Portugiesischen eng verwandt ist. Aber ich dachte: Du musst die Leute zum Sprechen bringen.

Als ich dann im Gottesdienst das Evangelium vorgelesen hatte: Liebt eure Feinde!, zeigte ich den Kaktus. „Wie heißt diese Pflanze?“, fragte ich. Die Leute antworteten im Chor: „Cacto“. Ich sagte: „Eine eigenartige Pflanze. In Deutschland wächst sie nicht wild.“ Und dann fasste ich den Kaktus an einer stacheligen Stelle an und sagte „Aua“. Alle riefen: „Nicht anfassen – das sind Stacheln, espinhos.“ Ja, stachelig ist diese Pflanze. Man kann sich verletzen. Und schließlich fragte ich: „Haben wir eigentlich auch Stacheln?“ „Und wie“, sagten einige. „Wir tun uns weh, wir verletzen uns gegenseitig“. Und einige erzählten ganze Geschichten, wie sie sich gegenseitig weh taten: in den Familien, unter Nachbarn: Neid, Missgunst, Streitsucht. Also fasste ich zusammen: „Sind wir Menschen wie Kakteen?“ Ja, sie stimmten zu. Und dann fragte ich: „Hatte Jesus, unser Herr, auch Stacheln“. „Nein“, riefen alle, „der Herr hatte keine Stacheln. Er war gut zu allen.“ „Das stimmt“, sagte ich, „aber man hat ihn umgebracht.“ Sie wurden still und nachdenklich. „Ja“, sagte ich, „man hat ihn getötet, weil er gut war. Er hat jeden von uns in die Arme genommen, nicht nur die Kinder, er hat jeden Kaktus mit seinen Stacheln umarmt – und daran ist er zugrunde gegangen, das hat ihn das Leben gekostet. Und so hat Jesus selbst seine Feinde geliebt. Er hat es uns vorgelebt, was das heißt, damit wir unsere Stacheln verlieren, damit wir menschlich werden, damit wir nicht mehr Angst voreinander haben, damit wir gut werden.

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Ja, liebe Gemeinde: die Bibel sieht den Menschen ganz realistisch. Er ist nicht gut aus sich. Er muss erst gut werden. Durch Gottes Wort, durch Vertrauen in sein Wort, durch den Glauben erst wird er ein liebender Mensch.

Warum musste Jesus sterben? In vielen Köpfen, liebe Gemeinde,  gibt es immer noch die Vorstellung: Gott wollte es so. Gott musste durch den Tod seines Sohnes versöhnt und besänftigt werden. Doch diese Vorstellung ist völlig verkehrt. Was wäre das für ein grausamer Gott, der das Blut seines Sohnes sehen will? Ein solcher Gott ist nur eine menschliche Projektion. Aber einen solchen Gott gibt es nicht. Hierin besteht der Wahrheitskern des Atheismus: Zu Recht lehnt ein Atheist einen solchen Gott ab. Und Jesus selbst hat in seiner Botschaft immer wieder gegen diese Vorstellung von Gott gekämpft. Er hat sich gerade denen zugewandt, die in der Religion seiner Zeit als von Gott verworfen galten. Mit seinem Wort und seinem Leben hat er gezeigt, dass Gott den Menschen nicht klein macht, ihm nicht Angst macht, sondern aufnimmt wie seinen eigenen Sohn. Aber die Herrschaftsstrukturen in seiner Zeit beruhten gerade darauf, mit Gott den Menschen Angst zu machen. Sie sollten nicht nur Angst vor den Menschen haben, sondern auch vor Gott. Gott wurde benutzt, missbraucht als Garant für die herrschenden Strukturen. Und nicht nur damals, auch später in der Kirche. Mit Berufung auf Gott stabilisierte man die Ordnung der Gesellschaft: Arm und Reich, Sklaven und Herren, Macht und Ohnmacht, Gute und Böse, Gerechte und Sünder. Doch mit seiner Botschaft eckte Jesus an, er war unbequem. Denn er stellte die Herrschaftsstrukturen in Frage und damit die „Ordnung“ auf den Kopf. Er zeigte, dass Gott ganz anders ist. Indem er das ohnmächtige Kind in die Mitte stellte und es in seine Arme nahm, zeigte er, wie Gott es mit den Menschen meint.

Wir machen uns das heute vielleicht nicht mehr klar, dass alle Menschen voneinander abhängig sind in Wohl und Wehe. Der heutige Individualismus, wonach jeder Mensch sich unabhängig wähnt und selbstbestimmt, dürfte ein großer und fataler Irrtum sein. Vielmehr hängen wir doch alle voneinander ab. Nur einander können Menschen zum Leben und zur Freiheit helfen. Und einander können sie sich freilich auch das Leben zur Hölle machen. An den missbrauchten und entwürdigten Kindern können wir das deutlich ablesen. Auch an den Flüchtlingen. Jeder ist auf andere angewiesen. Wir können nur einander helfen zu wachsen und uns zu entfalten wie ein Kind, anstatt uns gegenseitig  klein zu machen, zu verletzen und so unsere Menschlichkeit zu zerstören.

Wenn der Mensch in die Hände von solchen Menschen fällt, dann hat er meist nichts zu lachen. Der Herr ist selbst in die Hände der Menschen gefallen. Nicht weil Gott es so wollte, sondern weil er die Menschen gegen sich aufbrachte, die mit Gott anderen Angst und Schrecken bereiteten. Weil er andere aus der Angst um sich selbst befreite, deshalb musste er beseitigt werden. Denn nichts fürchten Machthaber so sehr wie angstfreie Menschen, die sich nicht mehr einschüchtern lassen. Jesus ging nicht an Gott zugrunde, sondern an der Bosheit von Menschen. Er hätte seine Botschaft, sich selbst und damit Gott verraten, wenn er sich hätte einschüchtern lassen und geschwiegen hätte. Er wurde nicht ein Opfer Gottes, sondern ein Opfer der Unmenschlichkeit. Wegen seiner Menschlichkeit wurde er getötet. Weil er so lebte, wie Gott es von jedem von uns erwartet: in Wahrheit und Gerechtigkeit, menschlich statt unmenschlich zu sein.

Wir alle sind dazu berufen, Jesus zu folgen auf seinem Weg. Einander anzunehmen. Denn wer ein solches Kind, einen Hilfsbedürftigen, einen Flüchtling menschlich aufnimmt, der nimmt Jesus auf und damit den, der ihn gesandt hat. Wer sich von Jesus berühren und in die Arme nehmen lässt, wer in die Hände Jesu fällt, fällt in die Hände Gottes. Und so lässt sich der gnädige Gott nur im gnädigen Menschen finden. Gott ist nicht tot. Der Herr ist auferstanden. Die Liebe ist stärker als der Tod. Und der Tod ist ohnmächtig angesichts der Liebe Gottes. Deshalb ist Jesus der Weg, dem wir folgen. Denn wir glauben an ihn. Und sein Opfer am Kreuz sagt uns: Schluss mit den Opfern!

Lasst und jetzt dankbar sein Opfer, seine Hingabe für uns und für alle feiern.

Damir auch wir unsere Stacheln verlieren.

 

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Mariä Aufnahme in den Himmel

Gehalten in Osnabrück, St. Johann am 14./15. August 2021

Offb 11,19a; 12,1-6a.10ab; Ps 45; 1 Kor 15,20-37a; Lk 1,39-56

 

Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“

So ein Satz, liebe Schwestern und Brüder, ist wie ein Schatz.

In ihm steht alles, was unseren Glauben ausmacht, alles, was zu unserem Heil nötig ist.

Alle Glaubenssätze sind solche Schätze. Denn sie verheißen uns den Himmel und damit eine Perspektive der Ewigkeit. Ja, die Kirche hat eine große Schatztruhe. Sonntag für Sonntag wird sie geöffnet. Uns wird dann immer wieder dieser Schatz gezeigt: Zuerst Christus. Im Glauben an ihn haben auch wir schon ewiges Leben. „Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“

So wie wir uns erfahren, als Adam, als Eva, sind wir dem Tod geweiht. Im Glauben an Christus aber haben wir ewiges Leben. Gott selbst hat es uns versprochen.

Der Schatz unseres Glaubens ist mit vielen wunderschönen Perlen besetzt: Da sind die wunderbaren Sakramente, die uns einhüllen in Gottes Gnade.

Da ist die Bibel, die Ur-Kunde des Glaubens, die Gottes Wort überliefert.

Da ist das Glaubensbekenntnis.

Da sind die Heiligen, die uns den christlichen Glauben und christliches Sterben vorgelebt haben.

Ja, und was finden wir noch in unserer Schatztruhe? Heute ist es Maria, die uns gezeigt wird. Und das Dogma von ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel. Papst Pius XII. hat es 1950 in Rom feierlich im Namen der ganzen Kirche unfehlbar verkündet. Das heutige Fest selbst ist aber viel älter. Es geht zurück auf die frühe Kirche. Schon sie sah in Maria die kostbarste unter den Perlen der Heiligen. Denn sie ist das Urbild der Kirche, das Modell allen christlichen Lebens, der heile Kern unserer Kirche., auch wenn außen herum manches faul ist. Alles, was wir von Maria sagen, gilt dann auch von uns: Wir sind bestimmt zum ewigen Leben, und zwar mit Leib und Seele, mit Haut und Haaren. Marias irdisches Ende war nicht Verwesung und Asche, sondern unermessliche Freude in Gottes Herrlichkeit, in der Gemeinschaft mit ihrem Sohn, also wir sagen dafür: im Himmel.

Wenn das immer schon die unumstrittene Überzeugung der Kirche war – warum dann ein dickes Dogma daraus machen?

1950 wurde es  definiert. Das war kurz nach dem 2. Weltkrieg. Europa lag in Schutt und Asche. Die vielen Toten und Verstümmelten, die Leichenberge von Auschwitz. Nach dem Krieg waren wir gewissermaßen am Nullpunkt angekommen. Es war doch so gewesen wie das schreckliche apokalyptische Zeichen aus der Johannesoffenbarung in der 1. Lesung: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern war über Europa gekommen. Mit seinem Schwanz brachte er den Himmel scheinbar zum Einsturz.  Und nun galt est, den Menschen eine neue Perspektive zu geben, es galt zu verkünden, „dass die Macht und die Herrschaft unseres Gottes“ stärker ist als der Drache des Todes und des Verderbens. Die Geschichte soll und wird nicht in Schutt und Asche enden. Die Menschen sollen verstehen, dass wir nicht für den Untergang und die Vernichtung gemacht sind. Dass unsere entstellte und von Natur aus kaputte Adamsexistenz, die zum Tod führt, nicht das ist, was wir wirklich sind.

Ja, und in dieser desolaten Situation hat der Papst damals die große Schatzkiste der Kirche aufgemacht und Maria herausgeholt. Er hat sie uns vor Augen geführt. Guckt mal, was wir haben: Die Mutter Jesu, die für uns die Mutter Gottes ist: sie ist doch im Himmel – mit Leib und Seele, also als ganzer, als heiler Mensch. Alles kann wieder heil werden, weil Gott uns zum Heil bestimmt hat. Die Geschichte wird nicht in Schutt und Asche enden. Sie wird ihr Ziel erreichen in der Freude bei Gott und im Lachen der Kinder Gottes im Himmel.  Selbst der Leib hat eine Zukunft bei Gott.

Zurück zur Schatzkiste. Man kann natürlich einen Schatz zeigen und vorführen wie ein Museumsstück, das mit uns gar nichts zu tun hat, und es dann wieder wegschließen. Aber bei unseren Schätzen geht es nicht um Museumsstücke  In ihnen sollen wir uns selbst wiedererkennen, nämlich wer wir wirklich sind und wozu wir von Gott bestimmt sind. Gerne redet man ja heute von der Selbstbestimmung. Wir behandeln sie manchmal, als sei sie der allerhöchste Wert, das Allerheiligste unserer demokratischen Gesellschaft. Aber zum Himmel können wir uns nicht selbst bestimmen. Da bleiben wir Adam und Eva. Und als Adam und Eva müssen wir alle sterben. Aus und vorbei. Da gibt es nichts zu bestimmen.

Doch im Glauben wissen wir, dass Gottes Bestimmung aller Selbstbestimmung vorausliegt. Gott hat uns zu viel mehr bestimmt, nämlich zur Gemeinschaft mit Ihm in alle Ewigkeit. „In Christus werden alle lebendig gemacht werden“, sagt Paulus, „alle, die zu Christus gehören.“ Und dieses Leben bei Gott betrifft auch unseren Leib. Wir können nicht selig und vollendet werden ohne unseren Leib. Er gehört zu unserer Geschichte. Ja, wir sind Leib. Ohne Leib wären wir amputiert. Das christliche Heil ist kein ungeschichtliches Heil und deshalb auch keine Befreiung aus dem Leib, sondern der ganze Mensch soll bei Gott ankommen.

Mit Leib ist nicht bloß unser Körper gemeint. Unser Körper erneuert sich. Etwa alle 7 Jahre haben wir einen neuen Körper. Aber unser Leib ist immer derselbe von der Geburt bis zum Tod. Damit ist unsere Identität gemeint, unsere Geschichte, alles das, was uns ausmacht und geprägt hat, was uns verletzt, was uns erfreut hat, was wir vollbracht haben, unser Denken, Hören, Sehen und Empfinden, ja alles, was unsere irdische Existenz ausmacht. Und eben das wird von Maria gesagt: Ihre ganze Existenz, ihre Offenheit für Gott, ihr Ja zu ihrem Auftrag, Gottes Sohn zu gebären, ihre Freude am Glauben, ihr Muttersein, aber auch ihr Schmerz und ihre Trauer – das alles macht ihre leibliche Existenz aus. Und alles das ist in Gott vollendet, ist die ewige Krone auf ihrem Leben. Dazu war sie bestimmt. Dazu hat Christus sie als erste erlöst.

Aber wenn wir auf sie schauen, dann dürfen wir erkennen: auch jeder von uns ist zu dieser Vollendung bestimmt. Und zwar mit Leib und Seele, als ganze Menschen. Ohne Leib kein volles Heil. Mit Leib und Seele will Gott uns bei sich haben.

Die junge Maria trug die Gestalt Christi in ihrem Schoß – wir haben es im Evangelium gehört – und brachte ihn zu Welt. Sie pries Gott im Magnificat, ihrem Jubellied: „Gott hat auf seine niedere Magd geschaut.“ Was hat Gott da gesehen?

Es gibt eine wunderschöne russische Ikone. Sie zeigt die schwangere Maria in der Haltung des Gebets. Aber man sieht nicht nur Maria. Die Ikone zeigt, was im Inneren Mariens heranwächst: Jesus. Es ist, als würde man – wie beim Ultraschall - in das Innerste Mariens schauen. Gott sah seinen Sohn in ihr und so ist Maria aufgenommen in die Liebe des Vaters zu seinem Sohn.

Er hat die Gestalt seines Sohnes in ihr gesehen. „Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.“ Auch wir heute preisen sie selig. Aber auch wir dürfen in dieselben Worte einstimmen. Denn auch wir nehmen in der Eucharistie, die wir jetzt feiern, den Leib des Sohnes in unseren Leib auf. Gott schaut auch auf uns armselige Menschen und sieht in uns bereits die Gestalt seines Sohnes in uns, der in uns heranwachsen soll, und uns seine Gestalt gibt mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele. So dürfen wir uns selbst zusammen mit Maria in Gott geborgen wissen – als Gottes Schatz.

 

 

 

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19. Sonntag im Jahreskreis

Gehalten in Osnabrück, St. Pius und Maria Königin des Friedens

1 Kön 19,4-8; Ps 34; Eph 4,30 – 5,2

 

 

Mit jeder Mahlzeit, liebe Schwestern und Brüder, mit jeder Mahlzeit, die wir zu uns nehmen, schieben wir den Tod um einen Tag auf.

Diese Tatsache mag uns angesichts des Überangebots an Lebensmitteln und angesichts unserer vollen Kühlschränke gar nicht mehr bewusst sein. Aber für Millionen Menschen in den Hungergebieten Afrikas ist sie ständig präsent. Ob es morgen und übermorgen etwas zu essen gibt, ist alles andere als gewiss.

Wir sehen: Jemand zu essen geben, heißt, ihm Leben geben, ihn vor dem Tod bewahren, jedenfalls vorläufig.

Verhungern kann man nicht nur körperlich. Auch seelisch kann man darben: wenn keine Anerkennung da ist; wenn Liebe und Geborgenheit fehlen; wenn Menschen diskriminiert oder gemobbt werden. Jeder kann in eine Situation kommen, wo er nicht mehr weiter weiß, wo die Kräfte fehlen, um weiterzugehen. Eine schlimme Diagnose des Arztes, ein drohender finanzieller Ruin; der Verlust eines geliebten Menschen oder gar des eigenen Kindes. Und ein Mensch liegt am Boden und weiß nicht mehr weiter. Woher die Kräfte nehmen, um weiterzugehen? Der Lebensweg scheint verstellt zu sein. Und manch einer wünscht sich in solcher Situation nur noch den Tod.

So ging es schon dem biblischen Propheten Elija. Die erste Lesung heute schildert, wie er mutlos unter einem Ginsterstrauch in der Wüste lag und sich den Tod wünschte. Dabei wollte er sein Leben retten vor der rachsüchtigen Königin Isebel, die geschworen hatte, ihn zu töten. Er war auf der Flucht. Nun aber schien alles aus zu sein.  Um ihn herum nur Wüste! Und so spricht er zu Gott: „Nun ist es genug, Herr! Nimm mein Leben!“

Wer körperlich oder seelisch am Verhungern ist, dem versagen die Kräfte. Er wird mutlos. Auch das Vertrauen schwindet dann.

Vielen Menschen geht es so. Manche nehmen sich sogar das Leben, weil nichts mehr da ist, woran sie Hoffnung knüpfen können.

Hunger ist vielschichtig, liebe Gemeinde. Es gibt viele Arten des Hungers: Hunger nach Brot, Hunger nach Heilung, Hunger nach Liebe und Anerkennung, Hunger nach Frieden, nach Leben, nach Gemeinschaft. Ja, und es gibt auch Hunger nach Gott. Denn der Mensch strebt über alles das hinaus, was die Welt zu bieten hat. Nichts in der Welt kann unseren Hunger letztlich stillen. Schlimm genug, dass wir unseren Hunger nach Gott nicht selten mit irdischer Speise wie mit Drogen zu betäuben versuchen. Echt schlimm aber wird es dann, wenn dieser Hunger richtig weh tut und keine Stärkung in Sicht ist. Am Ende kann auch der Glaube sterben.

Die Bibel weiß sehr genau um den Menschen, um seinen unstillbaren Hunger, um die Gefährdung des Glaubens. Denn auch der Glaube kann verhungern, wenn er keine Nahrung bekommt, kein stärkendes Wort, das ihn wieder aufrichtet und neuen Mut schenkt, den Weg weiterzugehen.

Wir sehen: Nicht nur der Leib braucht Nahrung. Auch der Glaube muss genährt werden. Der Mensch muss Gottes Wort vernehmen, um Mut und Vertrauen zu fassen. Sonst bleiben wir gefangen in unserem Hunger und letztlich im Tod.

Bei Elija war es der Engel, der ihm das entscheidende Wort sagte: Steh auf und iss! Wer dieser Engel wohl war? Wir denken dann vielleicht vorschnell an ein unsichtbares Geschöpf, so etwas wie einen Geist. Und denken dann: So etwas gab es damals in der Bibel. Aber heute? Ich hab noch keinen Engel gesehen. Tatsächlich aber kann jeder von uns ein solcher Engel sein, ein Engel, der dem Glauben neue Nahrung schenkt. „Du bist ein Engel“, sagen wir ja manchmal, oft etwas gedankenlos. Aber wenn ein Mensch unserem Glauben wirklich neue Nahrung schenkt, dann ist er tatsächlich ein Engel. Denn er sagt uns etwas, das eigentlich nur Gott sagen kann: Dass wir nicht verloren sind, auch dann nicht, wenn es irdisch keine Hoffnung mehr gibt. Die Mutter, die ihr Kind tröstet; die Eltern, die ihrem Kind Glauben und Vertrauen in Gottes Liebe vermitteln; Eheleute, die einander helfen, das Leben zu bestehen; Menschen, die andere Menschen davor bewahren, zu verzweifeln, die einander Liebe und Geborgenheit schenken, Christen, die von ihrem Glauben erzählen und anderen Mut machen, auf Gott zu vertrauen – sie alle sind solche Engel. Denn der Glaube kommt vom Hören. Er ist uns nicht angeboren. Wir können uns den Glauben nicht selber schenken. Wir sind aufeinander, auf Engel angewiesen. Und Engel ist jemand, der eine Botschaft bringt, die er ebenfalls nicht selbst erfunden hat, sondern die er ebenso empfangen hat. Nur wenn der Glaube Nahrung bekommt, können Menschen wieder vom Boden aufstehen und gestärkt weitergehen und Vertrauen bekommen, dass sie in Gottes Händen geborgen sind, eingewickelt in die Gnade.

Eine ganz große Bedeutung hat der Gottesdienst. Hier bekommen wir durch die Verkündigung des Wortes Gottes und in der Eucharistie echte Nahrung für den Glauben. Wer den Gottesdienst vernachlässigt, schwächt seinen Glauben und den der anderen Mitchristen. Schauen Sie, hier in der Kirche sind viele leere Plätze. Jeder leere Platz schwächt den Glauben der Anwesenden. Aber jeder von uns, der anwesend ist, stärkt allein durch sein Dasein, durch sein Mitbeten, Mitsingen, durch sein Hören des Wortes Gottes und sein Eingehen in das Opfer Christi den Glauben der anderen. Das ist der tiefste Sinn des Sonntagsgebotes: dass wir durch unser Dabeisein einander im Glauben stärken. Es ist das Mindeste, was die Kirche von ihren Gliedern an seelsorglicher Mitverantwortung erwarten darf: dass sie sich am Sonntag um den Herrn versammeln und füreinander den Glauben bezeugen, füreinander Engel, Boten Gottes sind.

Das Wort, mit dem wir einander im Glauben bestärken, kann also wie Brot sein, wie das Brot, das neben Elijas Kopf lag und in glühender Asche gebacken war. Mit der glühenden Asche ist wohl mehr gemeint: glühende Liebe. Das Wort, das Glauben schenkt, ist wie Brot, das in glühender Liebe gebacken ist. In Gottes Liebe. In Gottes ewiger Liebe, in der Liebe, mit der der Vater seinen Sohn liebt, der sich für uns hingegeben hat als Gabe und als Opfer, das Gott gefällt, wie es in der 2. Lesung hieß. Denn Gott hat uns seinen Sohn geschenkt und in ihm sein Wort gegeben, sein vertrauenserweckendes Wort: Wir sind nicht verloren! In keiner Situation! Wir sind vielmehr hineingenommen in die glühende Liebe des Vaters zum Sohn. Dieses Wort ist wie Brot, das man essen kann: Nahrung für unseren schwachen Glauben. Wer glaubt hat bereits ewiges Leben, sagt Jesus heute im Evangelium. Denn wer das Wort Gottes annimmt und ihm vertraut, den kann selbst der Tod nicht mehr aus der glühenden Liebe des Vaters zum Sohn herausreißen. Im Glauben haben wir das ewige Leben schon jetzt. Unsere Gemeinschaft mit Gott im Himmel wird keine andere sein als die, die wir schon jetzt im Glauben haben. Aber solange wir in diesem Leben sind, darf der Glaube nicht verhungern. Er muss genährt werden.  Ohne Gottes Wort würde er verkümmern und wir würden zurückfallen in unser aussichtsloses Leben. Dieses Wort ist wie Brot. Wie bei Elija: „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus. Wir können uns von seinem Wort und damit von ihm selbst ernähren wie von Brot. Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. Es schenkt uns die Kraft, unseren Weg auch durch Wüsten zu gehen.

Gott hat uns in Jesus sein Wort gegeben. Jesus ist deshalb das Brot des Lebens, die Gabe, die Gott gibt.

Ganz am Schluss des heutigen Evangeliums spricht Jesus, die Gabe Gottes, auch von einer Gabe, die er nun gibt: „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt.“ Die lebendige Gabe, die der Vater gibt, gibt nun Jesus: Er schenkt sich selbst. Er ist nicht ein Brot nur zum Anschauen, sondern zum Essen. Indem wir ihn essen, ihn uns einverleiben, verkünden wir seine Liebe, die bis zum Tod ging für uns. Damit wir uns im Leben Gottes geborgen wissen.

Mit jeder Mahlzeit, die wir hier im Gottesdienst einnehmen, rückt der Tod wieder fern.

 

 

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17. Sonntag im Jahreskreis

gehalten in Osnabrück, St. Pius

2 Kön 4,42-44; Ps 145; Eph 4,1-6; Joh 6,1-15

Liebe Schwestern und Brüder,

 

sich gesund ernähren – das ist heute ein Muss, so etwas wie ein neues Dogma unserer Zeit. Bio, Öko, Vollkorn, Vitamine, dazu auch Sport – wir wollen ja fit bleiben und lange leben. Dumm nur, dass ungesunde Ernährung oft so viel besser schmeckt als gesunde! Man muss halt Opfer bringen – für den Leib, für die Linie, für die Gesundheit.  Aber auch für die Umwelt. Ich selber will nicht mehr das Fleisch von gequälten Tieren aus der Massentierhaltung essen. Das ist Sünde!

 

Ähnlich ist es bei der Nahrung für die Seele. Denn nicht nur der Leib braucht gesunde Nahrung. Auch die Seele. Und da sind viele vielleicht weniger wählerisch. Oft kann man gar nichts dagegen tun. Denken wir nur, was alles an Gift in unsere Seelen dringt, ob wir wollen oder nicht: Werbung, die uns einredet: „Geiz ist geil!“ und „Ich bin doch nicht blöd!“, Bild-Zeitung, virtuelle Welten im Internet, Pornographie, Gewaltfilme, die manchen zu realer Gewalt anregen – wie bei den vielen Amok-Tätern in den letzten Jahren. Es gibt Kinder, die den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzen, primitive Ballerspiele bedienen und Pornos gucken. Von wegen gesunde Ernährung! Wo es um die Nahrung für die Seele geht, da bedient manche sich nicht selten aus der Mülltonne. Anstatt das Handy mal wegzulegen, den Fernseher auszuschalten und den Abend mit einem guten Buch, mit der Heiligen Schrift oder mit anspruchsvoller Musik zu verbringen.

 

Auch die Liturgie des heutigen Sonntags spricht von Ernährung. Die erste Lesung aus dem AT berichtet von einem Brotwunder. Und im Evangelium haben wir die Geschichte von der großen Speisung gehört. An den kommenden Sonntagen wird dieses Thema weiter entfaltet. Fast das ganze 6. Kapitel des Johannesevangeliums wird uns abschnittweise an den nächsten 4 Sonntagen vorgelesen: Die johanneische Brotrede. Als Ouvertüre dazu haben wir eben heute die Geschichte von der großen Speisung gehört. Die hungrige Menge wird satt. Wovon eigentlich? Etwa von Brötchen?

 

Schon damals wurde diese Geschichte gründlich missverstanden. Die Menschen meinten, Jesus müsse übermenschliche Fähigkeiten haben. Aus fünf Broten würden Tausende. Semmeln regnen vom Himmel. Endlich müssen wir nicht mehr selber Getreide säen, ernten, Körner mahlen, Brot backen, Brot bezahlen. Wenn wir uns Jesus zum König machen, dann sind wir alle Sorge um das tägliche Brot los und leben im Schlaraffenland.

 

Jesus aber entzog sich solchen Erwartungen und verschwand allein auf dem Berg.

 

Es ging ihm offenbar um eine andere Nahrung. Jesus war kein Zauberer. Auch verfügte er nicht über übermenschliche Fähigkeiten. Er war in allem uns gleich – außer der Sünde. Er war wahrhaft Mensch wie wir. Dass er keine Sünde hatte, heißt, dass er Gemeinschaft mit Gott hatte, unverbrüchliche Gemeinschaft und Geborgenheit in Gottes Liebe. Und das Brot, das er geben und austeilen will, ist diese Gemeinschaft mit Gott. Er wollte den Menschen Anteil geben an sich selber, an seinem Sohnesverhältnis. Weil er wusste: die Menschen werden nur so weniger ängstlich um sich selber, weniger habsüchtig, dafür großzügiger, liebevoller, menschlicher, wenn sie sich in Gott geborgen wissen. Deshalb hungert ja auch die halbe Menschheit nach irdischem Brot, weil die andere Hälfte alles für sich behält und Angst hat um das eigene Hab und Gut, um das Erarbeitete, um den Lebensstandard. Nur im Glauben an Gottes Liebe und Güte können die Menschen ihr Herz für andere öffnen, auf Privilegien verzichten, für gerechte Verhältnisse sorgen.

 

Dafür braucht es eben dieses andere, dieses einzig gesunde Brot, das Jesus gibt. Keiner von uns kann es backen. 200 Denare, also alles Geld der Welt reicht nicht aus, um es zu kaufen. Man kann es mit Fleiß nicht verdienen. Man muss es sich schenken lassen. Und man muss dafür empfänglich sein.

 

Sehen Sie, liebe Schwestern und Brüder, so wie der Leib täglich Nahrung braucht, so braucht auch die Seele Nahrung. Und auch der Glaube muss genährt werden. Diese Nahrung ist das Wort Jesu, seine Botschaft, dass wir nicht allein auf uns gestellt sind, um uns heil zu machen. Dass wir das irdische Brot nicht für das ein und alles halten müssen: unseren Wohlstand, unser Geld, unsere Häuser. Wahre Menschlichkeit entsteht dort, wo wir Gottes Liebe und Barmherzigkeit, wo wir Gottes Wort annehmen. Es gibt dem Glauben Nahrung: ich bin ein Kind Gottes, ob arm oder reich, ob glücklich oder verzweifelt, ob gesund oder krank, im Leben oder im Sterben.

 

Das Brot, das Gott gibt, ist sein Sohn. Von ihm nährt sich unser Glaube. Ohne ihn bleiben wir verloren, unserer Angst um uns selbst preisgegeben. Dann können wir kaum anders, als zu raffen und für uns zu behalten, was doch eigentlich für alle da sein soll. Dann kann sich das Wunder der Liebe auch nicht unter uns ereignen. Dann bleibt jeder gefangen in sich selbst, in seinen egoistischen Interessen. Dann wird die Liebe, zu der Gott uns bestimmt hat, nicht globalisiert. Ja, die Geschichte von der großen Speisung ist die Geschichte von der Globalisierung der Liebe, der brotvermehrenden Liebe und Gemeinschaft unter den Menschen. Sie entsteht dort, wo Menschen sich in Gemeinschaft mit Gott wissen wie Jesus. Es entsteht dann unter Menschen das, was wir in der zweiten Lesung aus dem Epheserbrief gehört haben: ein Leib und ein Geist, eine gemeinsame Hoffnung. Denn es ist ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.

 

In der Geschichte von der großen Speisung ist es ein kleiner Junge, der offenbar das Wort Jesu verstanden hat. Er gibt das Wenige weg, das er hat: fünf Brote und zwei Fische. Die Geschichte sagt es nicht, aber es ist wohl anzunehmen, dass auch andere etwas Proviant dabei hatten und dem Beispiel des kleinen Jungen gefolgt sind. Was ist, wenn es so war? Wenn die, die wie der kleine Junge ihren Proviant geteilt haben mit denen, die nichts hatten? Wäre das etwa kein Wunder? Es wäre doch auf das Wort Jesu hin geschehen. Sein Wort wäre Nahrung für ihren Glauben gewesen. Es hätte ihr Herz geöffnet für die anderen. Es ist das Wunder, auf das die Welt auch heute wartet: die Globalisierung der Liebe, die Leben schenkt.

 

Doch für ein solches Wunder braucht man die Nahrung Gottes: sein Wort. Man muss es aufnehmen. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Nahrung und Stärkung für den Glauben, der die Liebe erzeugt, damit die Menschen das weitergeben, was sie selbst empfangen haben. Das Brot, das Gott schenkt, ist unerschöpflich. Es schenkt nicht nur langes Leben, sondern ewiges. Denn es ist Gott selbst, der sich uns schenkt. Es führt Menschen zusammen und verschwistert sie.  Es ist auch ein Ruf, denen zu helfen, die im Hochwasser alles verloren haben. Es ist Brot gegen den Tod.

 

Die Grundgestalt des christlichen Gottesdienstes ist die Eucharistiefeier. In ihr spielen wir sakramental die Geschichte von der großen Speisung nach. Menschen, ganz verschiedene Menschen, Gerechte und Sünder, Sympathische und Unsympathische, Dumme und Kluge – sie alle finden an einem Tisch zusammen. Denn wir alle sind hungrig nach Leben, nach Liebe und nach Gott. Wir halten Gott wie die Bettler unsere leeren Hände hin. Und Gott füllt unsere leeren Hände. Er schenkt uns nicht ein Stück Brot, sondern wirklich seinen Sohn als gesunde Nahrung für die Welt. Den Leib Christi! Die Eucharistiefeier: Ein Sehnsuchtsspiel. Das Spiel mit dem Namen: Alle Menschen werden satt.

 

Damit sich das Wunder ereignet, auf das die Welt noch immer wartet.

 

 

 

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16. Sonntag im Jahreskreis 2021

Gehalten am 17. u. 18.7.2021 in St. Maria Königin in Osnabrück-Sutthausen

Jer 23,1-6; Ps 23; Eph 2,13-18; Mk 6,3034

 

Das Leben ist anderswo.

Liebe Schwestern und Brüder,

So heißt der Titel eines Romans des tschechischen Schriftstellers Milan Kundera. Das Leben ist anderswo. Also nicht hier, bei mir, wo ich gerade bin. Der Titel dieses Buches gibt also Anlass zu fragen: Wo ist das Leben, das wahre Leben? Wo finde ich es?

Dieser Buchtitel fasst wohl zusammen, was unsere postmoderne Gesellschaft ausmacht: Mobilität, Deregulierung, keine Gottesgewissheit. Und alles hängt miteinander zusammen: das Zusammenbrechen letzter Gewissheiten führt zu immer mehr Mobilität:, Flucht aus dem Alltag,  Flucht vor sich selber. Es gibt nicht mehr den Weg zum Leben, sondern jeder probiert seinen eigenen aus.

Gewiss, es gibt für viele Menschen den Drang, auszubrechen aus entwürdigenden Verhältnissen, aus Krieg und Bürgerkrieg, aus entsetzlicher Not dorthin zu fliehen, wo die Lebensbedingungen besser sind. Aber bei uns ist es anders. Wir haben alles, und doch sind so viele unzufrieden.

Das Leben scheint immer anderswo zu sein. Für die einen auf den Südseeinseln, für andere in einem buddhistischen Kloster, wieder für andere in Thailand. Und auch wenn man nicht reist: der Alltag ist öde. „Endlich Freitag“! Das sog. Wochenende verspricht Leben, Zerstreuung, Spaß. Man geht shoppen, man geht auf die Piste. Immer auf der Suche nach dem Leben, das anderswo ist. Im Lottogewinn, im großen Geld an der Börse, im Datingchat mit völlig Unbekannten. Andere fühlen sich in ihrer Ehe wie hinter Gitter. Raus da! Das Leben ist anderswo

Die damit verbundene Mobilität führt zu einer progressiven Beschleunigung des Lebens: Nur nichts verpassen! Es ist die letzte Gelegenheit!  Der Philosoph René Descartes hatte noch zu Beginn der Neuzeit gesagt: „Ich denke, also bin ich.“ Durch das Denken vergewisserte er sich seiner Existenz. Heute ist es nicht mehr das Denken, sondern das Erleben. Ich erlebe, also bin ich. Nur wenn ich etwas erlebe, wenn ich den Kick spüre, fühle ich, dass ich bin, bin meiner selbst gewiss. Der Weltraumtourismus wird bald dafür sorgen. Vielleicht ist das Leben ja im All.

Liebe Schwestern und Brüder, auch wenn ich etwas karikiert habe: das Problem unserer Zeit ist wohl dieses: Es ist vielen nicht mehr klar, wer sie eigentlich sind und wozu.. Ohne wirkliche Maßstäbe und Orientierungen. Alles ist dereguliert. Alles ist gleich gültig. Jeder hat seine Wahrheit. Sogar das Geschlecht möchte man wählen können. Man probiert aus. Doch alle Erlebnisse sind kurz, oft enttäuschend. Das war’s dann. Das Leben entgleitet wieder. Man muss neu suchen. Das Leben ist anderswo.

Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen. Denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Das Mitleid Jesu galt nicht nur den Menschen seiner Zeit. Es gilt auch uns, unserer Gesellschaft, unserer Lebensweise. Schafe, die keinen Hirten haben, keine Gewissheit, keine Orientierung, keinen festen Boden unter den Füßen. Und gibt es sie überhaupt noch: die Hirten, die den Weg kennen, die Gewissheit, auf die man sich verlassen kann? Vielleicht Frau Baerbock, oder Klaus Kleber? Und wenn es sie gibt – wer hört noch auf sie?

Sehr deutlich sagt es der Prophet Jeremia in der ersten Lesung, und zwar zu den Hirten seiner Zeit, das waren damals die politischen und religiösen Führer Israels „Ihr habt meine Schafe zerstreut und versprengt und habt euch nicht um sie gekümmert.“ Harte Worte. Das heißt: Ihr habt meinen Schafen keine gute Weide gegeben. Ihr habt sie sich selbst überlassen. Ihr seid selbst Getriebene der Finanzmärkte, der Bild-Zeitung, der Meinungsumfragen. Und auch ihr Pfarrer und Bischöfe: Lebt ihr wirklich, was ihr verkündet? Oder seid auch ihr schon glückssüchtig, karrieregeil, biedert euch an, um ja nicht anzuecken, um beliebt zu sein?  Haben wir nicht die Botschaft weichgespült und damit irrrelevant gemacht?

Seit einiger Zeit hört man, dass immer mehr Menschen aus unserer Kirche austreten. Aber zu denken gibt, dass aus der evangelischen Kirche etwa gleich viele austreten. Und das, obwohl dort so gut wie alles verwirklicht ist, was der Zeitgeist fordert. Sollen auch wir diesen Weg gehen? Offenbar ist es nicht der richtige. Es kann auch an den Hirten liegen, dass sie nicht mehr ein klares christliches Profil zeigen, wirklich vom Glauben sprechen, von unserer Gemeinschaft mit Gott, vom ewigen Leben und von der Liebe, die daraus folgt.

 Schafe ohne Hirten! Das ist das Stichwort dieses Sonntags. Was machen Schafe ohne Hirten? Jeder sucht sich selbst seine Weideplätze, wird sich selbst zum Hirten. Denn das Leben ist anderswo. Bis alles abgegrast und abgefressen ist, alles langweilig geworden ist. Wo ist der nächste Kick?

Und Jesus lehrte sie lange, heißt der letzte Satz des heutigen Evangeliums. Was er die Menschen wohl gelehrt haben mag? Das wird hier nicht gesagt. Aber es lässt sich erschließen. Denn Jesus lebte, was er sagte. Sein Weg war gerade. Er suchte das Leben nicht anderswo, sondern brachte das Leben. Das Leben war in ihm. Er wusste sich gehalten, geliebt, angenommen. Er war mit Gott dem Vater im Bund. Dies war es, was er den Menschen vermitteln wollte: Das Leben ist verborgen auch schon in euch. Ihr müsst es gar nicht woanders suchen. Ihr habt Gemeinschaft mit Gott. Ihr seid mit ihm im selben Bund, in dem ich bin. In Gott könnt ihr Ruhe finden von der rastlosen Jagd nach dem Leben, nach dem Glück, nach der Fata Morgana.

Jesus stellt seine Zuhörer vor die Entscheidung: Wie wollt ihr euch verstehen? Wollt ihr euch von euch aus verstehen? Dann aber bleibt eure Angst um euch selbst, und eure Vergänglichkeit und der Tod bleiben eure letzte Gewissheit. Denn kein Mensch kann seine Vollendung in diesem Leben finden. Oder wollt ihr euch beschenken lassen mit der Gewissheit, Kinder Gottes zu sein? Eine Gewissheit, die Leben und Sterben überdauert.

Das heißt nicht, dass man sich nicht an den Dingen des Lebens erfreuen darf. Aber wahre Freude kann man an allem nur haben, wenn man sich in Gemeinschaft mit Gott weiß. Sonst muss man immer fürchten, das kurze Glück wieder zu verlieren und muss sich einbilden, das Leben sei anderswo. Denn in Gemeinschaft mit Gott wird jedes kleine Glück zu einem Bild und Gleichnis dieser Gemeinschaft mit Gott. Wenn man aber kein Glück hat oder Leben, Gesundheit, Glück wieder verliert, dann muss man nicht verzweifeln, es mit Zähnen und Klauen verteidigen und festhalten.. Denn nur in Gemeinschaft mit Gott kommt man wirklich zur Ruhe: „Ruht ein wenig aus!“, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Sie waren offen für sein Wort. Sie ließen sich sagen, wer sie wirklich waren: Keine Schafe ohne Hirten, sondern Kinder Gottes. Denn allein durch Christus „haben wir Zugang zum Vater“ (Eph 2,18), also zum Leben Gottes. In dieser Gewissheit braucht man nicht mehr den Rattenfängern, den Gauklern, den Verheißungen des Marktes zu trauen und ihnen nachzulaufen. Denn das Leben ist nicht anderswo. Anderswo ist es nur als Fata Morgana. Das Leben ist in Wirklichkeit schon in uns. Man muss es nur annehmen und dann leben, was es heißt, in Gemeinschaft mit Gott zu sein: indem wir Verantwortung übernehmen, uns der Not anderer zuwenden, in der Ehe auch in Krisen treu und liebevoll sind, wahrhaftig bleiben und die Angst überwinden, vom Leben zu wenig abzukriegen. Denn wahrhaft verlässlich ist nur Gottes Wort, Gottes Verheißung. Nur wer mit Gott versöhnt ist, kann auch mit sich, mit den anderen und mit dem Leben versöhnt sein.

Wir feiern jetzt Eucharistie. Wir wissen, wer unser wahrer Hirt ist, der unser Dasein behütet und selbst unser Weideplatz ist. Auch in dieser Stunde sagt er: Ruht ein wenig aus! Entschleunigt das Leben! Seid gelassener, habt Zeit füreinander! Sie läuft euch nicht weg. Ihr verpasst nichts, wenn ihr dies und das nicht mehr erlebt. Aber alle an andere Menschen und an Gott verschenkte Zeit ist gewonnene Zeit. Alle Suche nach dem Leben anderswo, ist allzu oft verlorene Zeit.

Und so schenkt Gott uns wieder seinen Sohn in unsere leeren Hände und unser leeres Herz. Damit wir wissen: Das Leben ist schon in uns. Anderswo gibt es kein volleres, kein ewiges Leben.

 

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15. Sonntag  2021

 

Am 7,12-15; Ps 85; Eph 1,3-10; Mk 6,7-13

 

Gehalten in Osnabrück St. Pius

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

„Der Herr gab den Jüngern Vollmacht über die unreinen Geister.“

Wer aber sind diese „unreinen Geister“? Und was machen sie mit den Menschen, dass man sie austreiben muss?

In der Bibel werden sie auch Dämonen genannt. Nun scheint es aber, als wüssten wir schon, was gemeint ist: irgendwelche skurrile unsichtbare teuflische Wesen, die manchmal in Menschen hineinfahren und von ihnen Besitz ergreifen.

Zur Zeit Jesu waren das gar nicht ganz seltene Fälle, sondern überall wimmelte es geradezu von Besessenen. Im Volk gab es einen regelrechten Teufelsglauben. Für uns heute ist so etwas kaum mehr nachvollziehbar.

Der antike Mensch erlebte die Welt ganz anders als wir. Sie war ihm voller Rätsel. Es gab soviel Unerklärliches. Und was er nicht erklären konnte, das versuchte er mit irgendwelchen unsichtbaren Mächten zu erklären. So stand z. B. für die alten Griechen hinter allen Phänomenen eine Gottheit, und zwar entweder eine gute oder eine böse. Für die Menschen der Bibel kam so etwas nicht in Frage, weil sie ja nur den Einen Gott verehrten. Aber so verschieden von den anderen waren sie auch nicht: sie stellten sich Engel und Dämonen vor, also gute oder böse geistige Geschöpfe. Hinter vielen bösen Erfahrungen vermuteten sie dämonische Wesen, z. B. bei Unglücksfällen und unerklärlichen, vor allem psychischen Krankheiten. Sie hatten ständig Angst vor solchen Dämonen und erfuhren sich selbst als Spielball teuflischer Mächte und Gewalten.

Wie soll man sie sich vorstellen? Vielleicht wie unsichtbare böse Raubvögel, die überall ihr Unwesen trieben und versuchten, sich der Menschen zu bemächtigen. Bedenken wir: das Leben der einfachen Bevölkerung war damals sehr schwer. Armut, Elend, viele unbehandelte Krankheiten und Behinderungen, Kriege und Gewalt, politische Unruhen, Naturkatastrophen machten den meisten das Leben zur Qual.

Und Jesus gab den Jüngern Macht über die unreinen Geister. Ja, wenn Jesus und seine Jünger diese unreinen Geister vertreiben konnten, dann erlebte man Erlösung.

Aber, liebe Schwestern und Brüder, was sollen wir heute mit diesem Geisterglauben anfangen? Wir sind aufgeklärt, wir können die Welt weitgehend erklären, wir glauben nicht an Gespenster und ähnlichen Zauber.

Aber Angst haben wir trotzdem. Und unsicher sind wir oft auch. Denn der Boden, auf dem wir stehen, ist immer noch schwankend und das Leben zerbrechlich. In der Hand haben wir unser Schicksal nicht. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Und nicht selten erfahren auch wir uns wie Spielbälle von Mächten, die es nicht gut mit uns meinen: Drohende Kriege, Amokläufer, Selbstmordattentäter, Inflation, Viren, Finanzkrisen, Flüchtlingsströme, Terror, Naturgewalten, Umweltkatastrophen – ständig scheinen wir ausgeliefert zu sein an derartige todbringende Mächte und Gewalten.

Das alles erzeugt Angst. Die Angst um uns selbst, die uns manchmal erschaudern lässt. Mit der Angst um unser Leben kommen wir bereits auf die Welt. Gegen sie scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Das liegt an unserer Verwundbarkeit. Wir sind zerbrechlich und fürchten um unser Leben. Doch wenn die Angst übermächtig wird, dann treibt sie uns zum Bösen, dann werden wir selbst Werkzeuge dieser Mächte und Gewalten: wir lügen aus Angst vor der Wahrheit, wir können aus lauter Angst gegen unser Gewissen handeln um keine Nachteile zu haben. Ja, wir können sogar uns erpressen lassen, Werkzeuge der Unmenschlichkeit zu werden, zu mobben, zu denunzieren, zu verleumden, um selbst Vorteile davon zu haben. Die Angst bestimmt das Leben wie ein Dämon. Auch Diktaturen und Korruption sind Kettenreaktionen von Angst und Erpressung. Wir erleben sie wie höhere Gewalten, gegen die wir ohnmächtig sind. Sie haben uns in der Hand.

Aktuell erleben wir wohl  den Coronavirus wie eine solche Macht über unser Leben. Auch die Börsenkurse sind wie Mächte, die über uns walten: der Dollarkurs, die Konjunktur, der Dax. Und auch Dinge, die wir anfangs als große Errungenschaft gefeiert haben wie die Kernspaltung, können mit einem Mal ein  teuflisches Gesicht zeigen.

Wie Sie sehen, die Rede von den Dämonen hat durchaus einen Sitz auch in unserem Leben. Es ist die Ambivalenz des Lebens. Machtlos, hilflos können wir uns angesichts solche Mächte vorkommen. Und auch Besessenheit gibt es: Banker und Immobilienbesitzer, die vom Geld besessen sind, Spekulanten, für die das Geld ihr Gott ist, Machthaber, die selbst den lieben Gott über ihr Volk spielen, weil Macht ihr Ein und Alles ist, korrupte Politiker, die für Macht und Geld ihre Seele und ihr Volk verkaufen Und wenn wir Opfer solcher Mächte werden, dann sprechen wir von „höherer Gewalt“. Aber hinter alledem steckt die Angst: Angst um das eigene Fortkommen, Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen, Angst, Nachteile zu erleiden, Angst, unbedeutend zu sein. Die Angst hört niemals auf. Wo sie mächtig wird, ist sie der eigentliche Motor des Bösen, der Teufel, der die Menschlichkeit verdirbt.

Vielleicht verstehen wir, was es heißt, Macht zu haben über die unreinen Geister. Allein Gottes Wort kann dieser Angst die Macht nehmen. Der Glaube ist stärker, ist mächtiger als die Angst. Und genau darum geht es. Jesus sendet die Jünger aus, diese Angst zu entmachten. Die Menschen sollen sich nicht als Spielball der Mächte und Gewalten erfahren, als Spielball der Finanzmärkte und der Banken, als Spielball der Politik, als Spielball der Naturgewalten, als Spielball ihrer Gene, als Opfer ihrer Erziehung. Das alles beraubt den Menschen seiner Würde. Vielmehr sollen die Menschen ihr Leben im Leben und im Sterben in Gottes Hand legen. Nur dann wird man Herr über die Angst. Wir sollen Vertrauen haben, dass Gott Herr ist auch über diese Gewalten. Denn Gott ist selbst nicht eine Macht neben anderen, sondern der Herr über sie.

Im Glauben hat Gott uns seinen guten Geist geschenkt, der stärker ist als alle Geister dieser Welt. Ja, wie der Epheserbrief uns in der 2. Lesung sagt, hat Gott „uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus“. Denn wer im Glauben Gemeinschaft mit Jesus hat, der hat auch Gemeinschaft mit Gott. Diese Gemeinschaft ist der Heilige Geist. Zu dieser Gemeinschaft mit sich hat Gott uns schon „erwählt vor der Erschaffung der Welt.“  Wir sind also schon von Anfang an nicht nur geschaffen und damit Spielball aller möglichen Mächte, sondern sind bereits „in Christus“ geschaffen und sind deshalb Kinder Gottes. Wer das zur Gewissheit seines Lebens macht, der ist schon nicht mehr versklavt an die Mächte. Ja, der lässt sich von ihnen nicht mehr imponieren. Wenn ein Dietrich Bonhoeffer oder Sophie Scholl vor der imponierenden Macht der Nazis nicht in die Knie gingen, dann war bei ihnen Gottes Herrschaft wirklich angekommen. Das Vertrauen in Gott ist dann stärker als alle Dämonen. Nur so bewahren sie – auch im Tod – ihre Freiheit und ihre Identität.

Wir alle sind gerufen und dazu bestimmt, uns im Glauben als Kinder Gottes zu definieren. Wer das tut, weiß sich auch gesandt, andere von der Macht der Dämonen zu befreien, wie die Jünger und auch wie Amos in der 1. Lesung: „Rede als Prophet zu meinem Volk Israel.“ Und wir sind wie die Jünger ausgesandt, heute die Menschen vom Dämon der Angst zu befreien. Allein durch unseren Glauben, unser Gottvertrauen und unser gutes Wort. Mehr brauchen wir nicht mitzunehmen.

In der Eucharistiefeier sammeln wir uns um den Herrn wie die Jünger, damit er uns sende wie sie: Damit wir durch unser Wort und Beispiel einander Mut und Vertrauen in Gottes Liebe schenken und uns nach Kräften einsetzen für Frieden und Gerechtigkeit und so Macht haben über die Dämonen. Und in dieser Stunde preisen wir wieder unseren Gott und singen: „Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und Gewalten.“ 

 

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14. Sonntag im Jahreskreis

Osnabrück, Maria Königin des Friedens

und St. Johann

Ez 1,28c-2,5; Ps 123; 2 Kor 12,7-10; Mk 6,1b-6

 

Jesus kommt wieder nach Hause. Zu Besuch in seiner Heimatstadt. Doch er fühlt sich als Fremder in seiner Familie, unter seinen Mitbürgern, in seiner Heimatgemeinde, im Gottesdienst. Seine Gemeinde lehnt ihn ab. Er wundert sich über ihren Unglauben. Und kann auch kein Wunder tun.

Dies geschieht ausgerechnet im Gottesdienst, am Sabbat, in der Synagoge von Nazareth.

Der Text berichtet nicht, was Jesus da gesagt hat. Aber die Reaktion seiner Zuhörer lässt es erahnen: Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? Sie erkennen Jesus, den alten Bekannten, nicht wieder. Offenbar hat er ganz anders von Gott gesprochen, als es die Gottesdienstbesucher gewohnt waren. Es passte nicht in ihre religiöse Vorstellung, in ihre Vorverständnis und zu ihren Erwartungen. Sie verstanden ihn nicht. Es war wohl sein Anspruch, nicht nur von Gott zu reden, sondern Gott selbst durch sein Wort zu den Menschen zu bringen. Und genau da verschließen sich seine Zuhörer. Denn sie meinen, ihn zu kennen und stecken ihn in ihre Schubladen: Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria? Er war doch einer von ihnen, hat als Bube mit anderen Kindern auf der Straße gespielt. Dann hat er Zimmermann gelernt. Wir kennen ihn doch, er wohnte um die Ecke. Das ist für sie der Grund, Jesus abzulehnen. Er ist kein Schriftgelehrter, kein Priester, sondern ein Laie, ein einfacher Bauarbeiter, ein Mensch wie wir – und jetzt kommt er hochtrabend mit dem lieben Gott und wir sollen ihm das abnehmen. Dabei bringt er unsere religiösen Vorstellungen völlig durcheinander.

Sie verschließen sich. Es ist wie eine Erfüllung der 1. Lesung aus dem Ezechielbuch: „Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen.“ Sie wollen bei ihren Vorstellungen bleiben. Sie wollen nicht nachdenken. Aber sie ziehen selbst den Kürzeren. Gott kann nicht zu ihnen kommen, bei ihnen einkehren und ihre Herzen verwandeln. Jesu Wort fällt nicht auf fruchtbaren Boden. Und die Nazaretaner bleiben Gefangene ihres Vorverständnisses und ihrer Vorurteile und ihrer mickrigen Erwartungen.

Doch warum? Einzig und allein, weil Jesus ein alter Bekannter ist, der um die Ecke gewohnt hat und ein wahrer Mensch war wie sie.

Was fordern sie? Was verlangen sie? Welches Gottesverständnis hatten sie?

Sie dachten offenbar: Der Messias muss ganz anders sein als wir. Wie ein Außerirdischer. Oder wie ein machtvoller Held, der hier im Land aufräumt und alle bösen Menschen vertreibt. Aber dass Gott ihnen so nahe kommt und durch ihresgleichen zu ihnen spricht, das konnten sie nicht glauben. Dass der Sohn Gottes das erbärmliche Leben mit ihnen teilt: das tägliche Leben mit seinen vielen Sorgen und Problemen, mit den kleinen und großen Freuden, mit all der Mühsal und Plage. Dies ging weder in ihren Kopf noch in ihr Herz. Und so konnte Gott auch nicht eintreten in ihr Leben, in ihre Gemeinde, in ihre Häuser, in ihre Familien.

Ob es bei uns wohl anders wäre? Hätten wir Jesus wohl aufgenommen? Könnte er bei uns Machttaten wirken? Oder würde er sich genauso schnell abwenden wie damals von Nazareth? Bloß weg von hier. Sind wir wirklich ganz anders als die Nazaretaner? Geht unsere Offenheit so weit, dass wir uns von unseren Nachbarn Gottes Wort, also das letzte und endgültige Wort über unser Leben sagen lassen würden? Oder würden wir eher denken: Kennen wir doch! Was wollen die uns denn schon groß sagen?

Das Evangelium von heute macht uns eines klar: An Jesus konnte man nicht ablesen, dass er Gottes Sohn war. Er war ein Mensch, der in allem uns gleich war. Seine Gottessohnschaft war ihm nicht anzusehen. Er verfügte auch nicht über übermenschliche Fähigkeiten. Tatsächlich konnte er keine Machttaten tun in Nazareth. Wunder sind also wohl keine spektakulären Aktionen oder Durchbrechungen der Naturgesetze, die man ungläubigen Menschen vorführen könnte, die also automatisch ablaufen und uns imponieren. Leider stellen sich viele religiöse Menschen Gottes Handeln auch heute noch immer so vor. Sie denken: Gott muss ein Superwesen sein, das spektakulär in die Welt eingreift. Aber das ist nur eine Projektion unserer eigenen Allmachtsphantasien. Einen solchen Gott gibt es gar nicht. Aber die Nazaretaner sind nicht die einzigen, die solche Vorstellungen haben. Auch bei uns gibt es sie. Oder sie denken: Wenn Jesus wirklich der Messias ist, dann müsste er Übermenschliches vollbringen, also ein Supermensch sein, der kann, was wir nicht können. Aber genau das war Jesus nicht! Er kam ganz einfach als ein Mensch wie wir.

So sagt uns das Evangelium heute: Gott kommt als Mensch. Er begegnet uns in aller Menschlichkeit. Er kommt mit menschlichen Worten, mit menschlichen Gebärden, mit einem menschlichen Herzen. Nur so ist er bei uns. Er will Glauben wecken, Vertrauen in sein Wort. Vertrauen, dass wir nicht gottverlassen unserem eigenen Schicksal überlassen sind. Dieser Glaube und die Liebe, die daraus folgt, ist das einzige Wunder, das Jesus wirkt, aber nur wenn wir es wollen, wenn wir uns für ihn öffnen. Der Glaube ist ein Wunder Gottes, weil er von uns nicht produzierbar ist. Wir können ihn nicht machen. Wir können durch unsere Vorstellungen nicht bewirken, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben. Wir können sie uns nur schenken lassen: Von einem Menschen wie Jesus, von Vater und Mutter, auch von der Bäckersfrau, bei der wir die Semmeln kaufen, von der Putzfrau, die unsere Wohnung sauber hält, vom Klempner, der unsere verstopfte Toilette repariert, von der indischen Krankenschwester, die uns auf dem Sterbebett tröstet. Jeder kann ein Bote Gottes, kann ein Zeuge seines Wortes sein. Es kommt nur darauf an, offen dafür zu sein und sich von ganz gewöhnlichen Menschen das eine Wort sagen zu lassen, das nur Gott sagen kann.  

Jesus kritisiert und korrigiert unser Vorverständnis, mit dem wir immer schon meinen, zu wissen, wie Gott zu sein hat. Doch das ist nur ein Gott, den wir nach unserem Bild geschaffen haben. Es gibt ihn nicht wirklich. Das Geheimnis Gottes ist in Wirklichkeit seine Menschwerdung. Nur indem er sich in unser Leben hat hineinverwickeln lassen, hat er auch uns in sein Leben aufgenommen. Nur mit den Augen des Glaubens können wir das erkennen, mit Augen und Ohren, die offen sind für alles, was an Menschlichkeit, an Humanität um uns herum geschieht: Wo Kranke gepflegt werden, Flüchtlinge gerettet und aufgenommen, Traurige getröstet, Hungernde gespeist und Zweifelnde im Glauben bestärkt und wo Sterbende liebevoll begleitet werden. Wenn wir solches als Gottes Wort nicht mehr wahrnehmen, da verflüchtigt es sich wie Jesus sich aus Nazareth verflüchtigt hat. Wenn wir aber das Menschliche verlieren, da verlieren wir auch die Gemeinschaft mit Gott.

Diese wahre Menschlichkeit hat Jesus mit seinem Leben bezeugt. Für sie ist er am Kreuz gestorben. Er wurde ein Opfer nicht nur seiner beschränkten Heimatgemeinde, sondern auch unmenschlicher Bosheit.

Dieses sein Opfer soll nun in dieser Stunde von uns gefeiert und unter uns gegenwärtig werden. Und in der unscheinbaren Gestalt gewöhnlichen Brotes möchte er aufgenommen werden, um in uns das Wunder des Glaubens zu bewirken.  Aber das geschieht nicht ohne unsere Bekehrung.

 

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13. Sonntag im Jahreskreis 2021

Predigt zu Mk 5,21-43

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Dieses Evangelium spricht vermutlich die Frauen unter uns besonders an. Eine Frau wird von ihrem jah­relangen chronischen Blutfluss geheilt und ein Mädchen aus dem Schlaf des Todes in das Leben zurückgeholt.

Vielleicht erinnern sich einige von uns noch an die Golfkriege im Irak. Damals zeigte das Fernsehen Satellitenbilder aus dem All von der Golfregion, auf denen aus der Ferne ganz deut­lich die ökologischen Zerstörungen in dieser Gegend zu sehen waren. Es waren beeindruckende Bilder. Ich habe gedacht: Die Erde blutet. Sie verliert immer mehr an Le­ben und Lebenskraft. Irgendwann ist sie verblutet.

Und sie blutet ja wirklich: aus den Adern Tausender von Kriegs- und Terroropfern. Sie blutet im dezimierten tropischen Regenwald. Sie blutet durch all das, was wir der Natur an Gewalt antun. Sie blutet im Verlust all dessen, was wir aus unserer Welt in hemmungsloser Gier nach immer mehr herausholen und verpulvern. Erst vor wenigen Tagen hat der Papst in seiner neuen Enzyklika Laudato sii eine Umkehr, ein anderes Verhältnis zur Natur von uns allen gefordert, damit wir uns nicht das Leben abschneiden.

Im Grunde ist das die gleiche Erfahrung, die die Frau im Evange­lium mit sich selbst macht. Sie verliert Blut, sie verliert Leben. Sie erleidet einen kontinuierlichen Lebensverlust und damit Ver­lust an Lebensmöglichkeiten.

Unsere Begriffe von Wachstum und Fortschritt - verschleiern sie im Grunde nicht nur diesen fortschreitenden Verlust an Leben und Le­bensmöglichkeiten? Während wir immer mehr Überflüssiges produzie­ren, also scheinbar wachsen, werden lebenswichtige Dinge genau dadurch immer knapper: saubere Luft, rei­nes Wasser, unversehrte Natur.

Und viele Menschen spüren das auch an sich selbst. Unter dem Stichwort Kommunikationstechnik und Kommunikationsgesellschaft wird oft verschleiert, dass das Zusammenleben zugleich auch beziehungsärmer und die zwischenmenschlichen Begegnungen immer oberflächlicher werden können. Unsere zerstörten und gescheiterten Beziehungen - ein Stück Le­bensverlust. Ehen verbluten, und in vielen Familien haben sich die einzelnen nichts mehr zu sagen. Früher saß noch eine ganze Familie vor einem einzigen Fernseher, und man stritt sich immerhin noch um das Programm. Heute hingegen sitzt in manchen Familien schon jeder einzelne vor mehreren Bildschirmen. Und ein Kapitel für sich sind in unserer Gesellschaft die alten Menschen, die oft in Altershei­men unter Bedingungen leben, die kein Studentenwohnheim seinen Be­wohnern zumuten dürfte. Durch Beziehungslosigkeit verlieren sie ihr Leben oft lange, bevor sie sterben.

Angst und Sorge um die Zukunft oder um den Arbeitsplatz nagen an der seelischen Gesundheit vieler Menschen in Europa. Viele junge Men­schen sind ohne Lebensperspektive. Und das burnout, die Depressionen, an denen viele Menschen leiden, machen den Lebensverlust besonders deutlich.

Die Frau im Evangelium hatte schon alles mögliche versucht, um diesen Lebensverlust zu stoppen. Viele Ärzte hat sie aufgesucht, viel Geld ausgegeben und damit nochmals Lebensmöglichkeiten geopfert. Und doch waren alle diese Rettungsversuche vergeblich. Alles war nur noch schlimmer geworden.

Ja, und wie ist das bei uns? Was sind unsere Selbstheilungsversu­che? Die vielen Patentrezepte und selbsternannten Heilbringer, die uns das Blaue vom Himmel versprechen! Und hier eine Therapie und dort noch eine Yoga-Gruppe und die vielen Ratgeber-Bücher! Und nochmals neue Psycho-Methoden! Und was bringt alles das wirklich? Wir er­reichen doch immer nur das Symptom. Es ist wie Griechenland: Tausend diplomatische Bemühungen, um zu einer Einigung  zu kommen, und noch einen Kredit und noch eine Finanzspritze - und am Ende ist alles nur noch schlimmer. Und das Ge­fühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit breitet sich umso stärker aus.

Ja, ratlos und am Ende unseres Lateins, enttäuscht und resigniert kann man sein angesichts all der Misserfolge bei dem Bemühen, uns heil zu machen, uns zu retten, den ständigen Lebensverlust zu stoppen.

Aber das alles zeigt, dass unsere Verletzungen nicht an der Ober­fläche liegen. Die Frau im Evangelium hat keine Schürfwunde. Es genügt kein Pflaster, um den Blutstrom zu stillen. Ihre Blutung be­trifft sie als Frau, in ihrer Identität. Tief in ihrem Inneren ist sie verletzt.

Das Unheil kann nicht leicht repariert werden. Alle unsere Reparaturbemühungen bleiben an der Oberfläche, sind wie äußerliche Pfla­ster und Verbände. Die eigentliche Quelle für unseren Lebensver­lust sitzt aber tief in uns, betrifft uns im innersten Kern unse­rer Existenz. Viel tiefer noch sitzt die Wunde als dort, wohin un­sere Psychologie vorzudringen vermag.

Doch die Frau im Evangelium hat sich noch eine Hoffnung bewahrt: sie hofft, den zu finden, der sie in der Tiefe heilen und retten kann, der ihrem Lebensverlust ein Ende setzt und ihrem Leben einen neuen Anfang. Sie hat von Jesus gehört. Sehr magisch und abergläubisch kommt es uns vor, wie sie versucht, durch die Berührung seines Gewandes Heilung zu erlangen. Als ob sie wieder so einen Heiler aufsuchte. Und einen Moment ist sie in der Gefahr, auf diese Weise doch wieder bei dem alten oberflächlichen Strickmuster zu bleiben.

Doch dabei bleibt es nicht. Es kommt zur Begegnung. Mit Jesus. Eine tiefe Begegnung, die unter die Haut geht. Sie fasst Vertrauen und sagt ihm die ganze Wahrheit.

Die ganze Wahrheit - sie ist die Voraussetzung für alle Heilung. Es ist die Selbsttäuschung, die ich schon gar nicht mehr merke, die mich krank macht, die Täuschung über die eigene Situation. Es sind meine Zweifel, es ist mein Unglaube, der mich krank macht. Die ganze Wahrheit aber kann ich nur zu dem sagen, der mir hilft, sie zuzulassen und zu dem ich volles Vertrauen habe. Und die ganze Wahrheit kann man nur unter Furcht und Zittern sagen. Das ist keine Information, die man cool miteilt und die ein anderer nur zur Kenntnis nimmt. Die blutflüssige Frau lässt es zu, dass ein anderer bis in ihr Innerstes vordringen darf. Und das kostet etwas.

Die ganze Wahrheit, liebe Schwestern und Brüder, ist nicht die halbe Wahrheit. Diese wäre nur wieder die Unwahrheit Die ganze Wahrheit ist die, dass Menschen in dem Wahn leben können, sich selbst heil und gesund zu machen, dass wir unsere Endlichkeit nicht aushalten, dass wir uns als unvollkommene Menschen oder als kranke Menschen nicht annehmen können. Die ganze Wahrheit kann darin bestehen, dass wir uns für jemand halten, der wir gar nicht sind. Die Wahrheit kann auch darin bestehen, dass wir Schuld auf uns geladen und dann verdrängt haben.  Die ganze Wahrheit heißt, sich selbst und den anderen nicht mehr täuschen über sich selbst. Es geht dabei auch um unseren Schatten, um unsere dunkle Seite. Und es geht darum, einzusehen, dass die Quelle unseres Lebensverlustes, unserer Blutung nicht an der Oberfläche sitzt. Unser Unheil liegt eben nicht nur in unserer Erziehung begründet, in der Weise, wie unsere Eltern und Lehrer mit uns in der Kindheit umgegangen sind. Und nicht nur die Um­stände sind schuld oder die deprimierende politische Großwetter­lage. Die Quelle des Unheils sitzt vielmehr tief in uns, dort näm­lich, wo wir uns über uns selbst täuschen, unsere dunkle Seite nicht wahrhaben wollen und meinen, uns selbst Gott sein zu können. Die ganze Wahrheit bedeutet auch zuzulassen, dass Jesus uns dort berührt und heil macht, wo wir zutiefst verwun­det und verletzt sind.

Dann aber geht es um die Wahrheit, die Jesus selbst uns sagt: Wir sind gar nicht die, für die wir uns selber halten. Wir sind gar nicht diese für den Tod gemachten Wesen, die ständig aus Angst versuchen müssen, sich zu heilen, sich größer zu machen als sie sind, die eigene Schuld zu verdrängen. In Wirklichkeit sind wir Kinder Gottes, bestimmt zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit. In Jesus begegnete der Frau diese Wahrheit: alles was dir zustößt, aller Lebensverlust, den du erleidest, alle vergeblichen Bemühungen, alle Unvollkommenheiten, die du an dir selbst nicht magst, ja, selbst der verhasste Tod: all dies kann dich nicht aus dem Leben Gottes reißen. Es ist diese Wahrheit, zutiefst angenommen und geliebt zu sein, die die Frau in die Lage versetzte, zu ihrer erbärmlichen Wahrheit zu stehen und all die vergeblichen Heilungsversuche ihrer Identität sein zu lassen. In der Begegnung mit Jesus hat sie zu ihrer wahren Identität gefunden: Kind Gottes ohne Wenn und Aber zu sein.  

Hier liegt das Geheimnis unseres Heils. Die Beziehung zu Jesus so zu pflegen, dass er in unser Innerstes vordringen darf, um unse­ren Lebensverlust zu stillen. Das heißt glauben. "Dein Glaube hat dich gerettet."

In der Begegnung mit Jesus können wir zuversichtlich und mit Hoff­nung auch in einer dunklen Welt leben. Wir können dann auch Licht in dieses Dunkel hineintragen. Wo ein Mensch sich wirklich von Je­sus hat anrühren lassen, wo er sich von ihm Gottes Wort sagen lässt und im Vertrauen auf ihn lebt, da hat sich schon ein Stück unserer Welt verändert.

Gottes Wort sagt etwas, das tatsächlich nur Gott sagen kann: dass wir Gemeinschaft mit ihm haben. Oder wie es in der 1. Lesung aus dem alttestamentlichen Weisheitsbuch heißt: „Zum Sein hat er alles geschaffen. Das Totenreich hat keine Macht auf Erden. Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht“. Indem der Sohn ein Mensch wurde, wurde jeder Mensch hineingenommen in das Verhältnis des Vaters zum Sohn. Sich von Jesus anrühren lassen, heißt an seinem Gottesverhältnis teilhaben. Der Tod hat keine Macht mehr dagegen.

Im heutigen Evangelium führt der Weg Jesu vom See zum Ufer. Das Heil kommt nicht aus uns. Es ist vielmehr "extra nos" und will zu uns kommen, um "in nobis" zu sein. Nachdem er aus dem Boot gestie­gen ist, steht Jesus in einer großen Öffentlichkeit. Nach der Bitte des Jaïrus, seine Tochter zu heilen, führt der Weg Jesu erst in die Begegnung mit der blutflüssigen Frau. Dann steht Jesus vor dem Haus des Jaïrus. Schließlich ist er im Haus, und dann geht er in das Schlafzimmer des Mädchens hinein, wo er ihm Leben schenkt. Es ist also ein Weg von außen nach innen, aus der Öffentlichkeit in den intimen und inneren Bereich des Menschen. Wäre Jesus draußen geblieben - er hätte das Mädchen nicht an die Hand nehmen können. Hätte die blutflüssige Frau ihn nicht zu sich eingelassen, sie wäre nicht geheilt nach Hause gegangen.

Wenn wir Jesus draußen lassen und ihm nur von Ferne zuhören, wird er uns nicht heilen können. Wir können auch mit den Ohren hören, aber unser Herz verschließen. Auch auf diese Weise sperren wir ihn aus. Erst wenn wir ihn einlassen in die innerste Kammer unseres Lebens, wird er uns auch sein Leben schenken, seine Hoffnung, seine Zuversicht. Dann wird er uns auf die Füße stellen, damit wir umhergehen und nicht untätig und apathisch bleiben - wie tot -, sondern seine lebendige Hoffnung verbreiten.

Ganz am Schluss sagt der Herr, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben. Ich finde das einen besonders liebenswürdigen Zug an Jesus, wie er sich um den ganzen Menschen sorgt. Aber dahinter steckt noch mehr. Und eben das geschieht auch in dieser Stunde: nachdem sein Wort an uns ergangen ist, will Jesus auch uns aus dem Tod rufen und selbst unser Essen, unser Lebensmittel sein. Ein weiteres Zeichen dafür, dass er uns in unserem innersten Kern erreichen will.

Wenn wir ihn wirklich aufnehmen und mit dem Herzen glauben, dass er in diesem Stück Brot zu uns kommt - dann sind wir schon geheilt, prall voller Leben.

 

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10. Sonntag im Jahreskreis

 

Gen 3,9-15; Ps 130; 2 Kor 4,13 – 5,1 

Gehalten am 6. Juni 2021 in der Kapelle des Marienhospitals in Osnabrück

 

„Er ist von Sinnen“, sagen seine Familienangehörigen über Jesus.

„Er ist vom Teufel besessen“, erklären die Schriftgelehrten, ja, „mit Hilfe des Oberteufels treibt er die Dämonen aus.“

Zweifellos: Jesus wird nicht verstanden: weder von seiner Mutter und seinen Geschwistern, noch von denen, die meinen, die Heilige Schrift zu verstehen.

„Er ist verrückt.“ Zugespitzt: „Er ist vom Teufel besessen.“

So redet man über jemand, der sich nicht einfügt in die bestehende Ordnung, der nicht mitmacht mit den gängigen Lebens-, Denk- und Verhaltensmustern. Familie und religiöse Menschen empfinden sein Verhalten und seine Worte als absonderliche Störung. Tatsächlich prallen hier Welten aufeinander: Familie und religiöse Gesellschaft auf der einen Seite und auf der anderen Jesus und seine Ankündigung der Gottesherrschaft. Schärfer konnte Markus den Kontrast nicht schildern. Das ganze Markusevangelium zeigt diesen Konflikt zwischen der Welt wie sie ist und dem, woran Jesus glaubt und was er bringen will.

Die erste Lesung, die Erzählung vom Sündenfall des Menschen, macht sehr deutlich, was das für eine Welt ist, in die dann Jesus eintritt: Die teuflische Herrschaft der Angst des Menschen um sich selbst, die eine Dynamik des Bösen und der Gewalt ausgelöst hat, aus der wir uns nicht von uns aus befreien können. Was als paradiesische Gemeinschaft mit Gott gedacht war, verwandelt sich zu unerträglicher Nacktheit: „Ich geriet in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich“, sagt Adam zu Gott. Die Menschen können sich auch vor Gott nicht mehr unbefangen zeigen, wie sie sind. Sie müssen sich verstecken und Masken aufsetzen, weil sie sich als schutzlos und gottverlassen erfahren. Das Vertrauen, in Gott geborgen zu sein, ist einer bodenlosen Angst gewichen, mit der auch jeder von uns auf die Welt gekommen ist.

In diesem zerrütteten Gottesverhältnis werden auch alle anderen Beziehungen zerstört. Der Mensch will für sein Handeln nicht mehr Verantwortung übernehmen. Adam versucht sich zu rechtfertigen, indem er die Verantwortung auf seine Frau abwälzt: „Die Frau, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen.“ Und die Frau: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen.“ Es beginnt die ganze Dynamik des Bösen, die die Geschichte bis heute durchzieht, die sich fortsetzt im Brudermord von Kain und Abel, im Turmbau zu Babel und in Auschwitz und Ruanda und im Nahen Osten und bei der Missbrauchsaufarbeitung noch an kein Ende gekommen ist.

Ja, die Schlange! Ein Symbol für die teuflische Angst, die sich unbemerkt einschleicht und urplötzlich da ist und uns verhext. Auch in scheinbar ganz „normalen“ Zusammenhängen: in Familien, im Berufsleben, im Alltag. Sie zeigt sich in Rivalität, in Angst voreinander, in familiärer Gewalt, in raffinierten Unterdrückungsmechanismen, in einer zwanghaften und angsterzeugenden kirchlichen Sexualmoral, die unfrei macht. Die Bibel zeigt ganz realistisch, wie der Mensch sich eingesperrt hat in seine eigene Angst und Unsicherheit. Viele versuchen sie zu besiegen, indem sie anderen Angst machen, sie erniedrigen und demütigen, nicht selten in Familie und Beruf. Die Geschichte vom Sündenfall ist ja nicht die Geschichte eines imaginären menschlichen Urpaares, sondern eine Geschichte über jeden von uns wie Gott uns gedacht hat und über das, was dann aus uns geworden ist. Weil wir Menschen von Anfang an unsere Geschöpflichkeit und Endlichkeit nicht aushalten. Von Natur fehlt uns seit Adam, also von Anfang an, das Vertrauen in Gottes Güte, das allein unsere Angst um uns selbst entmachten könnte. In der Kirche nennen wir diesen Zustand die Erbsünde. Und wo die Angst des Menschen um sich selbst nicht entmachtet ist, da kann auch die Dynamik des Bösen, der Teufelskreis der Gewalt nicht durchbrochen werden. Wir können uns selbst nicht daraus befreien.

Es ist die Welt, in die Jesus gekommen ist mit der Ankündigung der Gottesherrschaft: Wo Gott nicht herrscht, da herrschen andere Götter, nämlich dämonische Mächte, die uns in der Hand haben. Jesus hat einen Blick dafür. Die Menschen haben sich offenbar eingeredet, der Lauf der Welt sei normal: Oben und unten, arm und reich, Herrscher und Beherrschte, die Diktatur der Medien, die andere Menschen erbarmungslos zerfleischt, die Diktatur der Finanzmärkte, das tägliche Getriebensein von der Angst ums Geld, um den Arbeitsplatz, um Wachstum, ums Fortkommen. Die Angst schließlich vor Gott, dem wir nicht so recht trauen und die uns treibt, es ihm durch religiöse Übungen und Opfer recht zu machen, ihn gnädig zu stimmen, damit er uns nicht böse anschaut, so wie Adam seinen Blick empfunden hat, als er sein Wort hörte: „Wo bist du, Mensch?“

Ja, wohin ist der Mensch gekommen. Es sind diese unheilvollen Zusammenhänge, in die Jesus gekommen ist. „Er ist verrückt“, sagen die einen, „er ist vom Teufel besessen“, sagen die anderen. In ihrer Optik ist es auch so. Sie halten ihre Welt, in der sie sich eingerichtet haben, die alltäglichen Demütigungen und Verletzungen, die gegenseitigen Schuldzuweisungen im Alltag für völlig normal. So ist das halt im wirklichen Leben.

Doch Jesus dreht den Spieß um: er empfindet diese Welt als von Sinnen, als verrückt, ja als teuflisch. Er weiß, die Menschen kommen aus eigener Kraft nicht mehr heraus aus diesem Teufelskreis: „Wie kann der Satan den Satan austreiben?“, fragt er zurück. Die Welt kann sich selbst nicht heilen. Die Menschheit ist in sich gespalten. Sie kann keinen Bestand haben. Mit all ihren Errungenschaften und Erfindungen, mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz lässt sich die Menschheit nicht heilen. Sie bleibt immer in der Kuhle, in die sie schon im Anfang hineingefallen ist: in die abgrundtiefe Angst um sich selbst. Mit Angst kann man nicht Angst entmachten. Und indem man anderen Angst macht, kann man auch sich selbst die Angst nicht nachhaltig nehmen. Denn wo die Mitte fehlt, das Vertrauen in den gütigen Gott, da kann der Mensch nicht frei werden von seiner Angst. Wo man sich von Jesus nicht helfen lässt, sondern ihn für spinnert, für verrückt, ja für dämonisch erklärt, da bleiben wir splitternackt wie Adam und Eva dem Tode preisgegeben. Und das Antlitz des gütigen Gottes, das sich in Jesus zeigt, verwandelt sich in menschlicher Optik in eine dämonische Fratze, vor der man erneut Angst haben muss. Denn wenn man Gut und Böse, Menschliches und Unmenschliches nicht mehr unterscheiden kann, sondern im Guten das Böse sieht, dann kann man auf keine Vergebung mehr hoffen..

Mit Jesus aber bricht wahre Menschlichkeit in diese Barbarei des Seins ein. Er ist der wahre Mensch, der neue Adam, der Mensch also, so wie Gott ihn sich von allem Anfang gedacht hat. Kein Übermensch, der sein möchte wie Gott, sondern wahrhaft Mensch. Denn er lebte nicht mehr aus der teuflischen Angst um sich selbst. Deshalb wurde er nicht unmenschlich. Er lebte aus dem unbedingten Vertrauen auf Gott, den er Vater nannte. Und er konnte andere ebenfalls aus der Angst um sich selbst befreien. Deshalb auch wurde er als Bedrohung empfunden, sogar von seiner Familie und vor allem von den Herrscher und von der etablierten Religion. Denn auch die Religion zementierte die Verhältnisse und trug nicht mehr zur Befreiung der Menschen bei. Eigenartig, ist Ihnen das schon mal aufgefallen: Jesus hatte immer nur mit frommen Menschen Probleme. Am Ende brachten sie ihn ans Kreuz. Weil er das ganze System in Frage stellte, dieses  Minenfeld der Angst.

Als seine Mutter und seine leiblichen Geschwister dann auftauchen, um ihn zu sprechen und wieder nach Hause zu holen, da erwidert er: „Wer ist denn meine Mutter und wer sind meine Geschwister?“  Und er schaut auf die Menschen, die ihm zuhören: „Das hier sind meine Mutter und meine Geschwister.“ Wer Gottes Wort hört und den Herrschaftswechsel vollzieht aus einer dämonischen Welt sich unter Gottes Herrschaft stellt, der gehört nun zu seiner Familie. Nicht mehr Blutsbande begründen für Jesus seine Familie, nicht mehr natürliche und bloß geschöpfliche Bindungen, sondern sein Geist. Jesus ist gekommen, um die Menschheit wieder zusammenzuführen in eine herrschaftsfreie Gemeinschaft. Kirche sollte diese neue Gemeinschaft sein, die nur noch Gott herrschen lässt. In der die Menschen nicht mehr Angst voreinander und vor Gott haben müssen. Aber was ist auch aus der Kirche geworden?

In der Eucharistie bricht der Herr wieder ein in unser Leben. Er gibt uns Anteil an seiner Freiheit vor Gott und den Menschen. Damit auch wir Verrückte werden in den Augen der Welt, die seinem Wort mehr trauen als aller Erfahrung von Unheil. Man muss ihm nur von Herzen glauben.

 

 

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Dreifaltigkeitssonntag

Dtn 4,32-34.39-40; Ps 33; Röm 8,14-17; Mt 28, 16-20 

Gehalten am 29 Mai 2021 in Osnabrück, St. Johann

 

 

Ich bin bei euch alle Tage.

Mit diesen Worten, liebe Schwestern und Brüder, schenkt Jesus die Gewissheit, dass wir nicht alleingelassen sind: an keinem Tag. Wer diesem Wort Glauben schenkt und ihm vertraut, darf dessen gewiss sein: an allen Tagen, in Glück und Unglück, in den Höhen und Tiefen des Lebens, ja auch im Sterben ist Gott bei uns.

Und Pfingsten hieß es: O, wie gut und freundlich ist dein Geist in uns, o Herr!

In diesen wenigen Worten steckt das ganze Geheimnis unseres Glaubens Kann es etwas Größeres geben? Eine größere Gewissheit? Einen größerer Trost? Wohl kaum. Kann man mehr glauben als das? Wenn ein Kind sagt: „Der liebe Gott ist immer bei mir“, dann ist das schon der ganze christliche Glaube. Denn mehr als in Gott geborgen kann man nicht sein. Das ist nicht steigerbar.

Ich bin bei euch. Dieses Wort Jesu ist nur die Übersetzung des alttestamentlichen Gottesnamens Jahwe: Heute sollst du erkennen: Jahwe ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten, keiner sonst, hieß es in der 1. Lesung. Aber Jahwe ist nicht nur ein Name. Er drückt auch das Wesen Gottes aus: Ich bin der Ich-bin-bei euch. Oder anders herum: Wenn ich nicht bei euch bin, dann seid ihr verloren. Dann verschlingt euch der Tod. Nur wenn ich bei euch bin und ihr bei mir bleibt, habt ihr schon jetzt ewiges Leben.

Aber wie kann Gott bei uns sein, wenn er doch im Himmel ist, in unzugänglichem Licht? Gott ist doch nicht ein höchstes Wesen im Universum, das über uns schwebt. Er ist der, ohne den nichts ist. Also ist er nicht ein Stück Welt.

Doch Gott hat sich uns bekannt gemacht in Jesus. Wir sagen: Er hat den Sohn gesandt. Damit hat er uns nicht irgendetwas gegeben, sondern er hat sich selbst geschenkt, selbst ausbuchstabiert in diesem Menschenleben Jesu. Und zwar so sehr, dass Jesu Wort Gottes Wort ist. In Jesus begegnet Gott uns als Mensch. Näher als so kann Gott uns gar nicht kommen. Dieser Jesus ist das Bei-uns-Sein Gottes in Person. Er wurde unser Bruder und hat alles mit uns geteilt: das Leben mit seiner Freude und mit seiner Armut, mit Glück und Unglück, mit Schmerz und Leid. Und er hat uns gelehrt, so wie er Gott als unseren Vater anzureden. Denn wenn der Sohn Gottes unser Bruder geworden ist, dann ist Gott auch unser Vater. Jesus hat also nicht nur von Gott geredet, sondern er hat uns Gemeinschaft mit Gott geschenkt, und zwar dieselbe Gemeinschaft, die Jesus mit dem Vater hat. Die spätere Theologie und die Kirche haben dann daraus gefolgert: Jesus ist zwar nicht der Vater und der Vater ist nicht der Sohn und doch sind sie nicht zwei verschiedene Götter. Jesus selber sagt es ja: „Ich und der Vater sind eins“.  Gott ist also nicht nur ein einsames Ich, sondern er verschenkt sich als Vater von Ewigkeit her an den Sohn. Gott ist also ein Ich und ein Du. Aber Ich und Du sind noch nicht alles. Ich und Du bilden nämlich ein Drittes, ein Wir. Dieses Wir nennen wir den Heiligen Geist. Er ist die Liebe, die in Gott Vater und Sohn verbindet. In ihm sind sie eins. Der Heilige Geist ist die Liebe, mit der Gott seinen Sohn liebt und er ist die Liebe, mit der der Sohn den Vater wiederliebt. Und in genau diese Liebe, in dieses Wir Gottes hat Jesus uns hineingenommen: in seine Gemeinschaft mit dem Vater. Gott hat uns aufgenommen in die Liebe zwischen Vater und Sohn. Deshalb ist Gottes Liebe bedingungslos. Sie hat ihr Maß nicht an uns. Nicht wir begründen oder rechtfertigen sie. Denn keiner, mag er auch noch so heilig sein, kann sich selbst vor Gott liebenswert machen. Gottes Liebe hängt eben nicht ab von unserem Gutsein oder von unseren Qualitäten. Er lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse. Denn Gottes Liebe hat ihr Maß allein am Sohn. Deshalb ist sie maßlos.

Wer sich in dieser Liebe des Vaters zum Sohn geborgen weiß, muss nicht mehr aus Angst um sich selbst leben, sondern kann sich loslassen, kann auch unvermeidliches Leid annehmen, kann auch im Tod noch Hoffnung haben, ganz in Gottes Liebe geborgen zu sein und in dieser Liebe glückselig wieder aufzuwachen. Denn wir sind aufgenommen in den Heiligen Geist, in die ewige Liebe zwischen Vater und Sohn. Deshalb sagt Paulus uns heute in der 2. Lesung: Ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven (des Todes) macht, so dass ihr immer noch Angst haben müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Kindern Gottes macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater. Und deshalb sind wir „Miterben“ mit Christus. Das, was er vom Vater hat, hat er auch uns geschenkt.

Machen wir uns das bewusst: Wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln, dann stehen wir nicht gottverlassen vor einem schweigenden und rätselhaften Gott in einem fernen Himmel. Denn Jahwe ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten. Das lässt sich nur so verstehen: Wenn wir Gottesdienst feiern, dann stehen wir immer mit dem Sohn im Heiligen Geist vor Gott dem Vater. Der Sohn steht auf unserer Seite, auf der Erde unten, mit uns vor dem Vater. Nur er kann uns durch den Heiligen Geist mit dem Vater verbinden. Der Heilige Geist ist ja sein Sohnesverhältnis, das wir von ihm „geerbt“ haben. Denn wir haben in der Taufe dieses Sohnesverhältnis zum Vater bekommen. Wir stehen also immer schon zusammen mit dem Sohn im Heiligen Geist vor dem Vater, also immer schon mit Gott in Gott vor Gott.  Das ist völlig unbegreiflich, aber keineswegs unverständlich.

Es ist der Gott Israels, der uns in Jesus sein dreifaltiges Geheimnis gezeigt hat, um uns in dieses Wir mit dem Sohn aufzunehmen. Deshalb gibt Jesus den Jüngern den Auftrag, die Menschen zu taufen „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Das ist eigentlich nicht gut übersetzt. Im griechischen Urtext steht nämlich gar nicht „auf den Namen“, sondern „in den Namen“. Wie ich schon sagte: Der Name Gottes ist nicht nur ein Name, sondern drückt das Wesen Gottes aus. Wer „in den Namen des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ getauft wird, der wird in Gott selber hineingetauft, hineingetaucht. Auch wenn wir gerade nicht beten und fromm sind, wenn wir unseren oft mühsamen Alltag leben, vielleicht leiden müssen oder uns trostlos fühlen, dürfen wir dessen gewiss sein, dass wir in Gott selber eingeborgen sind, dass wir mit Gott in Gott vor Gott leben.

Denn zu allen Menschen sagt er: Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage.

Die Eucharistie, die wir jetzt feiern, ist das sprechende Zeichen für unser In-Gott-Sein. Christus ist bei uns, sichtbar im Priester, und schenkt uns sich selbst, damit wir ihn aufnehmen, gläubig essen und der Vater so in uns seinen Sohn sieht und liebt.

 

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Pfingsten 2021

Apg 2,1-11; Ps 104; 1 Kor 12,3b-7.12-13

Gehalten am 22.5.21  in Osnabrück, Maria Königin des Friedens und
 am 23.5.21 im Marienhospital Osnabrück

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Pfingsten – ein Fest überschäumender Freude, Fest des göttlichen Lebens, des Heiligen Geistes. In diesem Geist sind wir versammelt und lassen uns von seinem Kommen überraschen. Denn wir versammeln uns immer MIT Gott, IN Gott, VOR Gott, nämlich mit dem Sohn im Heiligen Geist vor dem Vater.

Was geschieht eigentlich an Pfingsten?

Vor vielen Jahren sprach mich nach dem Pfingstgottesdienst ein kleines Mädchen an: „Pfingsten ist ja ein komisches Fest, Herr Pfarrer“, sagte sie. „Wie meinst du das?“ fragte ich zurück. „Ja, man sieht nichts an Pfingsten. Weihnachten sieht man die Krippe mit dem Christkind und den Weihnachtsbaum mit vielen Lichtern. Ostern sieht man die große Osterkerze und es gibt Osterwasser und bunte Ostereier. Aber Pfingsten sieht man nichts.“

Ich wurde nachdenklich, und dann sagte ich: „Stimmt, in der Kirche sieht man nichts Neues. Das Neue sieht man nur von außen. Man sieht uns, die Kirche, unsere Gemeinde, die im Heiligen Geist versammelt ist und diesen Geist weitergeben will.

Ja, Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Am ersten Pfingsten staunten die Menschen, als sie die Apostel und Maria sahen, wie sie vom Heiligen Geist erfüllt waren und Feuer und Flamme für Jesus und seine Botschaft waren. Erst hielten sie sie für betrunken. Doch die Jünger waren trunken vom Heiligen Geist.  trauten sich heraus aus ihrem selbstgewählten Lockdown, sie überwanden ihre Angst und fassten Mut. Und verkündeten überall die Liebe Gottes, die Vergebung der Sünden und die frohe Nachricht, dass wir nicht unserem Schicksal ausgeliefert, sondern zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander berufen sind.

Das war die Initialzündung der Kirche. So etwas hatte man noch nie gesehen. Und viele bekehrten sich und ließen sich taufen, Menschen aus aller Herren Länder, aus vielen Sprachen und Kulturen und nach und nach breitete sich die Kirche aus über die ganze Erde. Auch bei uns.

Was ist nun übriggeblieben von dieser Initialzündung der Kirche? Wie sieht sie von außen aus? Wer staunt noch? Wer sieht noch in uns das Wunder Gottes? Die Kirche in Deutschland gleicht eher einem verwüsteten Weinberg. Missbrauchsgeschichten ohne Ende! Soviel verlorenes Vertrauen in die Priester! Parteiungen und Streit unter Christen. Man versteht sich nicht mehr. Unsere Kirche zieht kaum mehr jemand an. Im Gegenteil: viele laufen davon. Überall hört man spöttische Kommentare. Stehen wir als Kirche vor dem Ende? Hat Gott die Kirche verlassen? Zündet sein Wort und sein Geist nicht mehr?

Wir sollten uns nicht dadurch entmutigen lassen. Es hat immer wieder Zeiten gegeben, in denen die Kirche unansehnlich war. Schon bei den Kirchenvätern in den ersten Jahrhunderten und auch später, als die Kirche sich spaltete in Ost und West und dann noch einmal im Westen während der Reformation. Die Kirchenväter sprachen vom Mysterium lunae, vom Geheimnis des Mondes. Mal ist er groß und hell und leuchtend. Dann nimmt er ab und dann ist er nicht mehr zu sehen – Neumond. Doch dann leuchtet er langsam wieder auf und erstrahlt in voller Größe. Weil er wieder von der Sonne angestrahlt wird. So kann es auch mit der Kirche sein, sagten die Kirchenväter. Aber bei der Kirche geht es nicht um ein Naturgesetz, das ganz sicher so abläuft. Die Kirche, das Volk Gottes, muss sich dazu wieder in die Sonne legen, in die Sonne, die Christus ist und sich von ihm bescheinen lassen. Wir brauchen mehr  eine spirituelle Erneuerung als eine strukturelle.

Das kann nur so geschehen, dass wir wieder auf Gottes Wort hören und unser Denken verändern lassen, uns davon ansprechen und durch seinen Geist erneuern lassen. Es ist Gottes Wort, das uns anspricht und den Heiligen Geist in uns weckt, uns neue Freude am Glauben schenkt und an der Glaubensgemeinschaft der Kirche. Auch in Krankheit und Not. Nur er verheißt ewiges Leben. Niemand sonst!  Ja, es ist dieser Heilige Geist, der uns vor anderen Geistern bewahren will, davor, dass wir dem Zeitgeist hinterherlaufen, vor dem Ungeist des Bösen, des Judenhasses. Er will nicht, dass wir Gefangene unseres Kleingeistes sind, unserer Vorurteile und vorgefassten Meinungen. Und er will den Ungeist vertreiben, den Ungeist der Angst um uns selbst. Er will uns ein großes Herz geben, ein mutiges Herz, kein Herz aus Stein, sondern ein Herz von Fleisch, ein Herz, das versteht und nicht verurteilt. Aus vielen Ichs will er ein WIR machen. Denn er ist selbst das WIR von Vater und Sohn in Gott. Im Glauben wissen wir uns aufgenommen in dieses göttliche WIR.

Und so singen und hören wir heute wunderbare Lieder und stimmen ein in die herrliche Melodie des Heiligen Geistes: „Komm o du glückselig Licht,/ fülle Herz und Angesicht, /dring bis auf der Seele Grund.“

Singend und feiernd hoffen wir, froher weiterzukommen auf unserem Lebensweg. Denn wir sind im WIR Gottes. Wenn wir als Kirche uns wieder so begreifen, dass wir zueinander gehören und füreinander da sind, wird die Kirche wieder in besserem Licht erscheinen. Und in dieser Welt voller Hass und Gewalt vom Geist der Liebe, vom Geist Gottes künden.

Es ist jetzt Zeit, Eucharistie zu feiern, ein versöhntes WIR zu werden um diesen Tisch des Herrn. Es ist die Feier der Wandlung. Ein kleines Stück Brot wird wahrhaft verwandelt in IHN. Sein Lebensopfer wird unter uns präsent. Und schon ein kleines Stück Welt, das verwandelt wird durch den Heiligen Geist. Damit wir es im Geiste Jesu teilen und essen und selbst verwandelt werden wie die Jünger am Osterabend und am Pfingsttag. Das ist das, was man dann sehen kann!

Amen!

 

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Christi Himmelfahrt

Apg 1,1-11; Ps 47; Eph 4,1-13; Mk 16,15-20

 Gehalten in Osnabrück, St. Johann

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Hat Er die Fliege gemacht?

War’s das schon?

Wie gebannt starren sie in den Himmel hinter Ihm her.

Sie sehen, wie ER sich verflüchtigt.

Dann ist ER nur noch ein kleiner schwarzer Punkt.

Schließlich verschwindet ER.

Hinter den Wolken.

War es das?

 

Tatsächlich, liebe Schwestern und Brüder, ist es doch so:

Gott scheint uns fern gerückt. Abwesend. Uns abhanden. Und stumm. Kein Wort zu dem, was passiert

·    um uns herum, nicht nur Im Nahen Osten und im Mittelmeer oder an der Börse, nein auch in kirchlichen Kinderheimen und Waisenhäusern;

·    in uns, in unseren Zweifeln und Ängsten, in der Tiefe unserer Seele;

·    zwischen uns, in unseren Beziehungen und Rivalitäten

Gott scheint gar nicht mehr da zu sein. Er ist zumindest fern, vielleicht sogar tot, wie Friedrich Nietzsche feststellte. Aber wenn tot, so der Philosoph weiter, dann deshalb, weil wir ihn getötet haben.

Haben wir ja auch!

 

Nun ist er nicht mehr da.

Er löst nicht unsere Probleme.

Brot und Geld und Impfstoff fallen nicht vom Himmel.

Er sagt uns nicht, wie es weitergeht.

Er ist unbrauchbar geworden.

Früher – vor Kopernikus und  Darwin – hat man mit ihm noch manches erklärt.

Aber jetzt erklärt die Welt sich selbst.

 

Verstehen wir die Jünger noch? Ihren Abschiedsschmerz?

Sicher – sie kannten ihn noch, waren mit ihm unterwegs, taten sich aber schwer, ihn zu verstehen. Nun ist er weg. Man kann ihn nicht mehr fragen.

 

Aber wir? Wir kannten ihn doch gar nicht. Haben wir Abschiedsschmerz? Trauern wir ihm nach? Fühlen wir uns als Waisenkinder?

 

Oder sollten wir nicht doch froh und dankbar sein, Gott los zu sein?

Aber dankbar wem? Wofür?

Dass wir ihn endlich los sind, diesen Gott

·    der uns einengt

·    nicht frei atmen lässt

·    als verlängerter Arm der Eltern

·    als verinnerlichtes Über-Ich

·    als Legitimator von Macht

·    als Du-darfst-nicht-Gott

·    als Weihnachtsmann

·    als Teddybär

·    als Buchhalter und Angstmacher

·    oder wie auch immer Gott uns vermittelt wurde.

 

Man meint Nietzsche zu hören, der im Pfarrhaus groß wurde: Gut, dass ER weg ist, damit wir endlich leben können.

 

Aber ist das GOTT?

Gibt es diesen Gott, wie wir ihn uns vorstellen, wie er uns beigebracht wurde, wie wir ihn vielleicht verinnerlicht haben?

 

Es gibt eben nicht nur Kindesmissbrauch. Es gibt auch Gottesmissbrauch.

 

Eins kann man mit Gewissheit sagen:

Der, der heute vor den Augen der Jünger im Himmel verschwand, war nichts von alledem:

Er war

·    kein Teddybär und kein Weihnachtsmann

·    kein Angstmacher und kein erhobener Zeigefinger

Er ließ sich auch nicht instrumentalisieren (im Klartext: missbrauchen) für irgendwelche politische oder religiöse Interessen. Weder vor dem Kaiser noch vor seiner „Kirche“, nein, vor keiner Autorität ging er in die Knie.

 

Aber er hielt die Hoffnung wach, die Gottesfrage hielt er offen. Sein Leben sprach eine andere Sprache als unsere Götter und Gottesvorstellungen. Sein Leben brachte den lebendigen Gott lebendig zur Sprache, ließ ihn präsent werden. In ihm hatte Gott tatsächlich etwas zu sagen: all den Missbrauchten, den um ihr Leben Betrogenen, den Opfern des Tempels, des Unrechts, und des Rechtsstaates, den Migranten, den Konsumjongleuren und biederen Bürgern, ja selbst den Toten.

Er hielt die Hoffnung wach, er vertraute diesem Gott, den er „Vater“ nannte.

Er wünschte uns allen diesen Vater. Und lud uns ein, ihn auch so frech anzusprechen.

Ein neuer Geist kam mit ihm in die Welt: der Zwischenraum zwischen ihm und Gott.

Ein Zwischen, in das wir alle hineinpassen, groß genug, eben göttlich.

Jesu Fleisch sprach die Sprache dieses Gottes. Denn wenn das Wort Gottes Fleisch wird, wird unser Fleisch zum Wort Gottes, zu Gottes Realpräsenz, um es traditionell zu sagen. Und sein Fleisch sprach eben die Sprache Gottes, die Sprache der Liebe – nicht die der Angst und der Einschüchterung. Auch nicht die der Habgier.

 

Diese Sprache war am Ende so stark, dass er sich umbringen ließ für uns, und zwar als gottloser Geselle, der alles, selbst Gott, in Frage gestellt hatte. So weit ging die Sprache seines Fleisches für uns. Gottlosigkeit, Blasphemie lautete tatsächlich die Anklage vor den Hohen Rat, vor den Gremien. Glück für ihn: er war diesen Gott tatsächlich los geworden.

 

In dieser Sprache – nicht anders – will er bei uns bleiben, real präsent in Wort und Sakrament und in unserem Fleisch, in dem, was wir sagen und tun. Wir sollen ihn in seiner vollendeten Gestalt darstellen, sagt uns heute der Verfasser des Epheserbriefes. Und im heutigen Evangeliums verheißt er uns, wir würden in seinem Namen die Dämonen (also die falschen Götter) austreiben und in neuen Sprachen reden. Damit sind keine Fremdsprachen wie Englisch und Chinesisch gemeint, sondern die Sprache Jesu, die Sprache Gottes. Anders gibt er sich nicht. Anders können wir ihn nicht haben. Anders gibt es nur unsere religiösen Illusionen.

 

Wir feiern seine Himmelfahrt.

Zwar scheint er verschwunden zu sein, aber nicht in einem Erdloch – auf Nimmerwiedersehen.

Sondern in den „Himmel“.

Ganz unbegreiflich.

Aber auf ein Wiedersehen.

 

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6. Ostersonntag

Apg 10,25-26.34-35.44-48; Ps 98; 1 Joh 4,7-10;Joh 15,9-17

All you need is love, love, love ...

Mit diesem Song, liebe Gemeinde, gelang den Beatles in den 60er Jahren ein beispielloser Erfolg. Die Älteren von uns werden sich vermutlich noch daran erinnern. Der Refrain wurde für sehr viele ein Ohrwurm. Dieser Liedvers erklang rund um den Globus mit einer enormen Resonanz. Er liefert gleichzeitig eine Diagnose: wir sind liebesbedürftig, und einen Therapievorschlag: Liebe ist die einzige Medizin gegen die Krankheit menschlicher Verkümmerung All you need is love, love, love. Der scheinbar banale Satz entpuppte sich als universell verstehbare und begrüßte Botschaft über alle Trennungen und Spaltungen der Menschheit hinaus. Denn wohl jeder und jede sehnt sich danach, anerkannt, wertgeschätzt, geliebt zu werden. Der Song brachte musikalisch zum Ausdruck, worin das Humanum, die Bestimmung des Menschen zutiefst besteht. Die Botschaft der Beatles erscheint wie eine ins Positive gewendete Formulierung eines Satzes des Apostels Paulus: „hätte ich aber die Liebe nicht, dann wäre ich nichts“ (1 Kor 13,2).

Liebe zeigt sich so nicht als ein Wert unter anderen oder zusätzlich zu anderen. Liebe ist hier in diesem Lied der Beatles vielmehr als etwas verstanden, das unserem menschlichen Dasein überhaupt erst Sinn und Wert verleiht: Ohne Liebe und Geliebtwerden ist alles „Nichts“. Und alles andere kann dann zum Ersatz für die fehlende Liebe werden, für fehlende Anerkennung und Wertschätzung: Besitzstreben, Gier nach immer mehr, Egoismus, Stolz, Überheblichkeit und Verachtung der Schwächeren. Ohne Liebe bleibt der Mensch ein Unmensch, verkrümmt in steriler Selbstliebe. Erst die Liebe macht uns zu Menschen und damit zu dem, wozu Gott uns bestimmt hat.

So ist auch das christliche Menschenbild zu verstehen und damit auch die christliche Lehre über die Sexualität und die Ehe. Jeder Mensch soll sagen können: Ich bin das Ergebnis der Liebe meiner Eltern. Nicht das Produkt eines Betriebsunfalls oder geiler Begierde, sondern hervorgegangen aus der Liebe, aus einem personalen Wir-Geschehen.

Liebe Schwestern und Brüder, auch die heutige Liturgie stellt die Liebe in den Mittelpunkt von allem: Gott ist Liebe. Mit diesem Satz aus der heutigen 2. Lesung ist der Höhepunkt christlicher Gotteserkenntnis im Neuen Testament erreicht. Gott hat nicht nur Liebe. Sie ist nicht eine Eigenschaft unter anderen. Vielmehr besteht das Wesen Gottes darin, Liebe zu sein: sich selbst verschenkende Liebe.

Wie aber erkennen wir diese Liebe Gottes? Können wir sie etwa an der Welt ablesen? Dann aber müssten wir alles ausblenden, was in dieser Welt dagegen spricht: Hunger, Gewalt, Krankheit, Naturkatastrophen. Kann man sie fühlen oder irgendwie spüren? Aber auch das könnte nur eine Einbildung sein. Können wir an unserem Wohlbefinden ablesen, wie sehr Gott uns liebt? Auch das ist nicht zulässig. Denn dann gäbe es Menschen, die von Gott geliebt sind und andere, die nicht geliebt sind. Auch unser Wohlbefinden ist kein Gradmesser für Gottes Liebe. Man muss sich von solchen Vorstellungen verabschieden. Nirgends in der Welt ist Gottes Liebe abzulesen. Nach der christlichen Botschaft kommt es ja gerade darauf an, sich von Gott in jeder Situation geliebt zu wissen: in Gesundheit und in Krankheit, im Glück und im Unglück, im Leben und im Sterben. Der Glaube an Gottes Liebe bewährt sich überhaupt erst da, wo alles gegen Gottes Liebe zu sprechen scheint. Wir können uns Gottes Liebe nur sagen lassen. Nur im Wort können wir sie annehmen. Nur in seinem Wort ist Gott bei uns.

Von diesem Wort aber sagen wir: es ist Fleisch geworden in einem Menschen. Dieser Mensch ist selbst die inkarnierte Liebe Gottes. In seinem Leben, in seiner Botschaft und in seinem Schicksal, das an der Lieblosigkeit und Bosheit der Menschen zerbrach, hat sich diese Liebe Gottes ausbuchstabiert. Deshalb heißt es auch im 1. Johannesbrief: Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbar, dass Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Jesus ist die Offenbarung der Liebe Gottes. Sein Leben ging darin auf, die bedingungslose Liebe Gottes zu verkündigen und zu leben. Gerade den Ungeliebten, den Sündern, den Gottlosen, den Ausgegrenzten verkündete er diese Liebe. Und sein gewaltsames Sterben war ein Zugrundegehen an der Bosheit und Lieblosigkeit der Frommen, die es nicht ertragen konnten, dass Jesus gerade auch den Entwürdigten, den Sündern und Gescheiterten die Liebe Gottes verkündete. Jesus bezeugte und besiegelte seine Botschaft, sein Evangelium bis zum Tod am Kreuz. Keine Angst, keine Drohung, auch nicht der schändliche Verbrechertod am Kreuz konnte ihn davon abbringen, seine Botschaft von der Liebe Gottes für alle Menschen bis zum letzten Atemzug zu bezeugen.

Ostern aber hat Gott ihn ins Recht gesetzt und damit all den religiösen und politischen Instanzen Unrecht gegeben, die Jesus zu Tode brachten. Ostern erweist sich, dass die Liebe Gottes stärker ist als die Bosheit der Menschen, ja stärker auch als alle todbringenden Kräfte. Denn: Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden (also für unsere Lieblosigkeit) gesandt hat. Die Liebe Gottes besteht darin, dass Gott uns hineingenommen hat in seine ewige Liebe zu seinem Sohn. Jesu Botschaft bestand doch darin, andere Menschen hineinzunehmen in sein Gottesverhältnis: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt, sagt Jesus uns heute im Evangelium. Die Liebe, die Jesus uns schenkt, in die er uns hineinnimmt, ist die Liebe, mit der er sich vom Vater geliebt weiß. Diese Liebe hat also ihr Maß nicht an uns: nicht an unserer Frömmigkeit. Man kann sich Gottes Wohlwollen nicht verdienen. Dann müssten wir uns ja wieder auf unser Tun verlassen. Wir können vielmehr davon ausgehen, dass wir schon immer von Gott angenommen sind.

Wer an Jesus glaubt, hat die Liebe Gottes angenommen. Gegen alle Erfahrung des Bösen, gegen die Macht der Angst um uns selbst dürfen wir dessen gewiss sein, dass Gott uns und alle Menschen bedingungslos annimmt. Aufgabe der Kirche ist es, dies allen Menschen zu verkünden.  Deshalb trägt Jesus uns im heutigen Evangelium auf: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe! Wer sich der Liebe Gottes gewiss ist, wird selbst ein Liebender. Denn wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt.

Das Christentum antwortet mit seiner Botschaft von der Liebe Gottes auf ein großes Grundproblem: warum werden Menschen unmenschlich, egoistisch, böse, neidisch. Warum gönnen sie einander das Leben nicht? Warum können sie den Andersartigen nicht würdigen? Warum sind Menschen so oft füreinander kein Segen, sondern behindern einander am Leben? Warum ist das Zusammenleben der Menschen immer bedroht von Rivalität und Gier, von Bosheit und Gewalt? Warum empfinden manche Menschen Freude daran, anderen weh zu tun? Ist der Mensch von sich aus zur Liebe unfähig, obwohl er ihrer so bedürftig ist?

Die christliche Botschaft verweist auf die Erbsünde. Die Gewissheit, dass Gott uns annimmt, ist uns nicht angeboren. Deshalb treten wir voller Angst um uns selbst in dieses Leben, voller Unsicherheit, weil wir so verwundbar sind.. Es ist diese Angst um uns selbst, die uns auch böse werden lässt, eben Sünder: Menschen, die aus lauter Angst, das Leben zu verlieren, zu kurz zu kommen, sich auf Kosten anderer sichern wollen. Der Mitmensch wird dann zur Bedrohung wie schon bei Kain und Abel. Die christliche Botschaft möchte diese abgrundtiefe Angst entmachten, indem sie uns sagt, dass wir in Gottes Liebe geborgen sind. Nur wer sich von Gott unbedingt angenommen weiß, kann auch selbstlos lieben. Wer sich von Gott unbedingt angenommen weiß, kann auch die Gebote halten: nicht mehr Böses mit Böses vergelten, lieber Unrecht ertragen als Unrecht zu tun, den Nächsten annehmen, wie ich mich selbst von Gott angenommen weiß, barmherzig sein und vergeben können, denn auch wir leben aus Vergebung und Erbarmen.

Gottes sich verschenkende Liebe für uns ist dieselbe Liebe, mit der Gott von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Gott schaut uns nicht so an, wie wir es verdient hätten, angeschaut zu werden, sondern so, wie er von Ewigkeit her seinen Sohn anschaut. Das ist das ganze Geheimnis des christlichen Glaubens. In der Eucharistie, die wir jetzt feiern liebe Schwestern und Brüder, schenkt Gott uns erneut seinen Sohn in unsere leeren und sündigen Hände. Damit sein Sohn in uns lebt. Und Gott in uns, in unserer Liebe, die wir schenken, seinen Sohn wiedererkennt und liebt. All you need is love. Mehr brauchen wir nicht. Alles andere findet sich.

 

 

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2. Ostersonntag
(Weißer Sonntag)

Gehalten am 10. u. 11.4.2021 in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

Apg 4,32-35; Ps 118; 1 Joh 5,1-6; Joh 20,19-31

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Ostern geschieht nicht für alle gleichzeitig. Zwar feiern wir es am selben Tag. Doch das Geschehen von Ostern ereignet sich nicht für alle gleichzeitig. Maria Magdalena und die Jünger brauchten drei Tage, um zur Ostergewissheit zu gelangen. Der Apostel Thomas brauchte weitere acht Tage. Er musste sich erst mit seinen Einwänden und Zweifeln auseinandersetzen, um Jesus in der Gemeinschaft der Jünger zu erkennen und zu bekennen: „Mein Herr und mein Gott!“ Und andere Menschen brauchen noch viel länger, damit Ostern in ihnen geschieht. Versuchen wir einmal, das zu verstehen: Wann ist Ostern für mich?

Vor über 50 Jahren machte ich Abitur. Anschließend fuhren wir mit der Abiturklasse nach Rom. Staunend standen wir im Petersdom vor der Pietà Michelangelos, diesem Meisterwerk der Bildhauerkunst. Es zeigt in geradezu vollendeter Kunst die trauernde Maria, die ihren ermordeten Sohn in ihrem Schoß hält. Unser Lehrer sagte uns damals: „Ihr müsst euch das so vorstellen: die Pietà war ursprünglich ein roher Marmorblock, an dem keiner etwas Besonderes fand. Doch Michelangelo hat mit den Augen des Künstlers diese vollendete Figur bereits in dem Marmorblock gesehen. Sie steckte da schon drin. Seine Aufgabe war es, diese vollendete Figur aus dem Marmorblock gewissermaßen herauszuschälen. Damit konnte er allen zeigen, was er bereits zuvor gesehen hatte.“

Das sind die Augen des Künstlers! Nicht alle haben solche Augen. Aber es gibt auch die Augen der Liebe. Die können wir alle haben. Was heißt das?

Nun, wie schauen wir uns eigentlich gegenseitig an?

Wie schauen Ehepartner einander an?

Wie Eltern ihre Kinder?

Wie Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler?

Die Augen der Liebe sind das Gegenteil der Augen der Begierde. Mit den Augen der Begierde schaut man einen anderen Menschen nur egoistisch und gierig an: Wozu kann er mir nützen? Wozu kann ich ihn gebrauchen? Was habe ich von ihm? Der andere wird dann bloß ein Mittel zum Zweck. Und die Gier ist nur die Kehrseite der Angst.

Die Augen der Liebe sind dagegen so wie die Augen des Künstlers. Sie sehen bereits, was der andere erträumt, was in ihm leben will, welche Gestalt sich da herausschälen möchte. Und mit den Augen der Liebe kann man einander helfen, der Mensch zu werden, der man sein soll, die eigene Bestimmung und Berufung zu finden und die Gestalt auszubilden, die noch unvollendet und unverwirklicht aber erträumt und ersehnt ist. Viele Menschen müssen zeitlebens darunter leiden, dass ihre Eltern sie nicht genügend mit den Augen der Liebe angeschaut haben und aus ihren Kindern etwas anderes machen wollten, als was in ihnen angelegt war. Sie leiden darunter, dass niemand ihnen hilft, ihre wahre Gestalt zu verwirklichen. Denn niemand kann sich selbst verwirklichen. Wir sind alle aufeinander angewiesen.

Es gibt also die Augen des Künstlers und die Augen der Liebe. Und dann gibt es auch die Augen des Glaubens. Und irgendwie sind die Augen der Liebe immer auch Augen des Glaubens: denn sie sehen etwas, was man mit bloßem Auge nicht sieht. Aber die Augen des Glaubens muss man sich erst von anderen Glaubenden schenken lassen. Wie Thomas. Was sind das für Augen?

Gläubige Menschen sehen nun mal mehr und tiefer als ungläubige. Mit den Augen des Glaubens sehen wir in Jesus den Sohn Gottes, der einer von uns wurde und in dessen Wort wir dem unbegreiflichen Gott begegnen. Auch die Welt sieht deshalb im Glauben anders aus als im Unglauben. Sie ist nicht nur ein Zufallsprodukt des Universums, ein Menschheitsgrab, sondern dazu bestimmt, in das Reich Gottes verwandelt zu werden, in eine neue Erde, in das neue Jerusalem, das darauf wartet, vollendet zu werden. Im Glauben sehen wir auch im Menschen nicht einfach nur eine intelligente Biomaschine, die dazu bestimmt ist, früher oder später in einem dunklen Erdloch zu verschwinden. Im Glauben sind wir Kinder Gottes, bestimmt zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit. Denn Jesus hat uns aufgenommen in sein Sohnesverhältnis zum Vater. Denn durch Jesus sind alle, die an ihn glauben, auch aus Gott gezeugt oder geboren, wie es in der 2. Lesung hieß..

Die Augen des Künstlers, die Augen der Liebe, die Augen des Glaubens. Sie sehen, was man ohne Liebe und ohne Glauben nicht sieht. Der Glaube kommt zwar vom Hören – doch er führt zum Sehen, schenkt neue Augen, damit wir ineinander sehen und erkennen, wer wir wirklich sind und wozu wir gemacht sind.

Und wenn wir nun von unseren Augen sprechen, dann müssen wir auch von Gottes Augen reden. Mit welchen Augen schaut Gott uns eigentlich an? Sicher nicht so, wie manche Menschen uns anschauen und uns einordnen. Er schaut uns auch nicht so an, wie wir es aufgrund unserer Werke verdient hätten angeschaut zu werden. Er schaut uns vielmehr mit den Augen der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit an – gerade in unserer Vergänglichkeit, in unserer Angst um uns selbst. Der Sohn Gottes ist ja einer von uns geworden, ein Mensch wie wir, ohnmächtig, hilflos, verwundbar wie wir. Er hat unser Los geteilt. Aber so erkennt Gott der Vater in jedem von uns seinen Sohn wieder. Jeder von uns darf sich von Gott mit denselben Augen angeschaut wissen, mit denen Gott von Ewigkeit her seinen Sohn anschaut. Denn Gott hat keine andere Liebe zu uns als die Liebe zu seinem Sohn. Man muss sie nicht erst verdienen. Wer sich so verstehen kann, für den geschieht Ostern. Er hat dann den Tod irgendwie schon hinter sich.

Augen des Künstlers, Augen des Glaubens und der Liebe, Augen Gottes! Unser Blick und Gottes Blick treffen sich in Jesus, in seinen Wundmalen, aus denen Wasser und Blut strömte. Indem wir ihn erkennen, erkennen wir, wer wir selber sind und wozu wir bestimmt sind: mit neuen Augen das neue Land, die Zukunft zu suchen und zu bauen, die Gott uns verheißt; dem Wort Gottes zu trauen, auch dann, wenn alles – wie bei Thomas – dagegen spricht. Das ist Glaube. Und wo ein Mensch sich so versteht – da geschieht Ostern. Da haben wir bereits die Welt besiegt, nämlich die Angst vor dem Nichts, die uns sonst auffrisst. Sie bestimmt dann nicht mehr unser Handeln.

Wir feiern jetzt die Eucharistie. Und auch hier geht es um unsere Augen, um die Augen, die Gott uns schenkt: Mit den Augen des Glaubens erkennen wir bereits in einem Bissen verderblichen Brotes den Leib Christi, die Gegenwart des Auferstandenen: Seht, das Lamm Gottes! In der Hingabe seines Leibes an uns sehen wir das Leben, im Gekreuzigten und in seinen Wunden sehen wir die Herrlichkeit Gottes. Christus schenkt uns seinen Leib wie ein Bräutigam seiner Braut seinen Leib schenkt.

Thomas, oder wie jeder und jede von Ihnen heißt, „sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“

 

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Ostersonntag

Predigt in Osnabrück, St. Pius

 

Apg 10,34a.37-43; Ps 118; Kol 3,1-4; Joh 20,1-9

 

 

Kauf mich – und du wirst leben.

Auf diese kurze Formel, liebe Schwestern und Brüder, kann man die Botschaft bringen, die uns von tausend Plakatwänden und in allen Werbespots entgegenschreit. Und die Menschen, in ihrer Torheit, laufen, laufen um die Wette, um das verheißungsvolle Gut zu kaufen.

Auch zwei Jünger laufen um die Wette. Es ist – wie gesagt – nicht ungewöhnlich, dass Menschen um die Wette laufen, kon-kurrieren. Denn jeder möchte als erster ankommen. Menschen laufen um die Wette: um die besten Plätze zu bekommen, ein Schnäppchen zu ergattern, den Standortvorteil zu sichern. Die beiden Jünger aber haben ein ungewöhnliches Ziel für einen Wettlauf: ein Grab. Zwar gehen wir alle langsam aber sicher auf unser Grab zu. Aber um die Wette, um als erster anzukommen, nein, das tun wir nicht.

Petrus und Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, aber laufen, was das Zeug hält, zum Grab. Johannes erreicht als erster das Ziel. Doch er guckt nur rein und wartet auf Petrus, und gibt ihm, wie es sich gehört, den Vortritt. Und dann stellen sie fest: Das Grab ist kein Grab mehr. Maria Magdalena hatte recht. Die Wirklichkeit hat sich geändert. Das Grab ist kein Grab mehr. Etwas Unglaubliches ist geschehen. Sie beginnen zu verstehen: Der Gekreuzigte lebt. Man hat ihn nicht totgekriegt.

Das ist die Osterbotschaft, liebe Schwestern und Brüder: der Gekreuzigte Jesus lebt, ja, er ist ungeheuer lebendig unter denen, die an ihn glauben und sich in seinem Namen versammeln. Die religiösen und politischen Instanzen, die destruktiven Kräfte, die Polizei, die Soldaten, die gewaltige Tötungsmaschinerie: sie haben ihn getötet. Totgekriegt haben sie ihn nicht!

Diese Botschaft löst überschwänglichen Jubel aus. Sie macht Beine wie bei den Jüngern. Bis in die entferntesten Winkel der Erde sind seine Jünger gegangen, um dies zu sagen: Man hat ihn nicht totgekriegt, diesen Gekreuzigten. Er lebt. Und wir werden leben. Denn der Tod ist entmachtet. Er hat nicht mehr das letzte Wort über unser Leben und über unsere Geschichte.

Wie kann es sein? Ist das wirklich so? Dürfen wir dieser Botschaft trauen? Petrus hat nur eine Antwort in der Apostelgeschichte: Gott war mit Jesus, Gott war mit ihm, als er verkündete, umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren. Gott war mit ihm! Das heißt Ostern: Gemeinschaft mit Gott ist unzerstörbar. Keine Macht der Welt kommt mehr gegen sie an.

Als Jesus umherzog, hat er seine Jünger und Jüngerinnen eingeladen, an seiner Gemeinschaft mit Gott teilzuhaben: Mein Vater ist euer Vater. Wenn ihr betet, sprecht: Unser Vater im Himmel. Im Glauben an Jesus haben wir die gleiche Gemeinschaft mit Gott, die Jesus hatte. Man kann nicht an Gemeinschaft mit Gott glauben, man kann sich nicht in Gemeinschaft mit Gott wissen und dann dem Tod alle Macht über uns einräumen. Wer sich mit Jesus in Gemeinschaft mit Gott weiß, der hat den Tod bereits entmachtet. Der hat ihn eigentlich schon hinter sich. Er kann uns nicht mehr aus der Gemeinschaft mit Gott reißen.

Bis in den letzten Winkel der Erde sind die Jünger gegangen, um diese Botschaft zu sagen. Wie die beiden Jünger, die um die Wette zum Grab laufen. Diese Gewissheit duldet keinen Aufschub. Denn das Grab, das lag nicht nur in Jerusalem. Die ganze Erde ist doch ein Grab, bis in den letzten Winkel. Ein Menschheitsgrab! Und es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis wir alle, bis die ganze Menschheit unter der Erde liegt. Ostern aber hören wir: Das Grab ist kein Grab mehr. Die Wirklichkeit hat sich gewandelt. Nur für Menschen, die nicht glauben, bleibt die Welt ein Menschheitsgrab. Für alle, die glauben und sich in Gemeinschaft mit Gott wissen, ist dieses Menschheitsgrab kein Grab mehr. Die Welt ist gemacht, um in das Reich Gottes verwandelt zu werden.

Um das auszudrücken, haben unsere Vorfahren auf den Dörfern die Kirche auf den Friedhof gebaut. Man geht über die Gräber und singt Halleluja! Ist das nicht unglaublich? Wir stehen auf dem Menschheitsgrab und schauen auf einen Abgelehnten, Gekreuzigten und von allen Instanzen Verurteilten und zu Tode Geprügelten – und singen Halleluja! Das ist Ostern, liebe Schwestern und Brüder. Angesichts der niederschmetternden Wirklichkeit unserer Welt, angesichts von Corona, von Krankheit, Ungerechtigkeit, Krieg und Gewalt Halleluja zu singen. Denn wir glauben nicht mehr an den Tod. Unser Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wie die Jünger laufen auch wir um die Wette zum Leben. Und der Gekreuzigte ruft uns zu: Nimm mich – und du wirst leben.

Wetten?

 

 

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5. Fastensonntag

Jer 31,31-34; Ps 51; Hebr 5,7-9; Joh 12,20-33

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Da ist eine spielende Kindergruppe mitten in der Stadt. Ein Pas­sant bleibt stehen und schaut den Jungen und Mädchen zu. Bevor er weitergeht, schenkt er einem der Kinder eine Ananas. Sofort wendet das Kind sich seinen Spielgefährten zu und ruft: „Wir ha­ben etwas ge­schenkt bekommen.“

Ein befreundeter Pfarrer hat mir diese Begebenheit von seiner Reise durch Indonesien erzählt. Er war selbst der Passant.

Ich bin fast sicher: wenn Sie das bei einer Kindergruppe hier bei uns ausprobierten, würden Sie etwas ganz anderes erleben. „Krieg ich auch was?“, wird jedes Kind fragen.

Aber nicht nur unsere Kinder, auch wir Erwachsene sind ja im Grunde so. Wir fürchten, zu kurz zu kommen. Wir sehen uns schnell übervorteilt. Und was ich habe, das gehört nur mir: Mein Haus, mein Geld, mein Glück. Wir definieren uns mehr über das Haben als über das Sein. Es fällt ganz schön schwer, etwas mit ande­ren zu teilen und anderen etwas zu gönnen. Das ist eine Folge der Erbsünde. Auch die angstbesetzten Reaktio­nen vieler auf die große Zahl von Flüchtlingen und Migranten vor einigen Jahren zeigten, wie schwer wir uns damit tun, unseren Reichtum mit anderen zu teilen und welche Angst aufkommen kann, uns könnte etwas genommen werden. Dabei ist auch unser Wohlstand alles andere als selbstverständlich. Und wer sich daran klammert, kann alles verlieren, nein sogar nachweislich: Der Herr sagt es deutlich: Wer sein Leben liebt, sich also daran festklammert, verliert es todsicher. Das Heil liegt in der Fähigkeit, sich zu verschenken. Doch das geht nur im Heiligen Geist, sprich: im Glauben, im Vertrauen in Gottes Wort.

Dem Kind in Indonesien fiel es anscheinend gar nicht schwer, das Geschenk als Geschenk an alle zu betrachten und es mit den anderen zu tei­len. Das tat es ganz von selbst. Ohne sich anzustrengen, um eine gute Tat zu vollbringen. Offenbar lebte es in einer Atmo­sphäre der Geborgenheit im Wir. Es hatte nicht das Gefühl, etwas zu ver­lieren, wenn es teilte, oder zu kurz zu kommen. Vielleicht hatte es einen ganz anderen Schatz in sich, der ihm das Gefühl gab, im­mer schon reich beschenkt zu sein.

Ich denke, das ist das, was uns fehlt. Woraus entsteht das weitverbreitete Gefühl, zu wenig vom Leben abzukriegen, zu kurz zu kommen? Woher kommt die Angst um unseren Besitzstand? Ich vermute, sie kommt daher, dass wir sonst nichts haben. Unsere Herzen sind leer. Wir leben zu wenig aus der Gewissheit, von Gott rundum ge­liebt und angenommen zu sein. Und haben Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen. Weil wir das Glück nicht in uns tra­gen, deshalb müssen wir immer auf der Jagd nach dem Glück außer­halb von uns sein. Wir haben Angst, es niemals zu finden. Mit dieser Angst um uns selbst kommen wir auf die Welt. Sie ist uns angeboren. Sie beherrscht uns. Ja, sie ist wahrhaft der Herrscher dieser Welt, der hinausgeworfen, entmachtet werden soll.

Jesus wollte uns nichts anderes bringen als diese Gewissheit: Gott ist ganz nahe bei uns. Er ist unser ganzes Glück, ja unser wahrer Schatz. Er schenkt uns ewiges Leben. Wir sind in ihm geborgen. Wenn er in uns wohnt, dann können auch wir ganz selbstver­ständlich sagen: „Wir haben etwas geschenkt bekommen.“ Und das reicht für alle.

Heute, am 5. Sonntag der Fastenzeit, ist zugleich der Misereorsonntag. Er macht uns – gerade in dieser schwierigen Zeit – bewusst, dass wir mit allen Menschen im selben Boot sitzen und füreinander verantwortlich sind und dass die Ressourcen der Welt allen gehören. Er macht uns auch bewusst, wie erschreckend ungerecht die weltweiten Verhältnisse sind, von der Nahrung bis zur Impfung, und wie beschämend das ist für uns reiche und wohlhabende Christen. „Diese Wirtschaft tötet“, sagt der Papst in Rom. Er meint den Kapitalismus, wohl die institutionalisierte Form des Egoismus, der am laufenden Band weltweit Opfer produziert.

Aber der Heilige Vater sagt auch: „Fratelli tutti“ – wir alle sind Brüder und Schwestern, Kinder des einen Vaters im Himmel. Dafür ist Jesus am Kreuz gestorben, hat sein Leben nicht ängstlich festgehalten. Weil er die Menschen aus lauter Ichs zum Wir führen wollte, stieß er auf Unglauben und  Bosheit, auf eine Bosheit, die ihn umgebracht hat. Er ist das Weizenkorn, das in die Erde fiel und starb.

Nur eine Kultur des Wir, der Geschwisterlichkeit ist das, was Zukunft und Zuversicht schenkt. Mit ihr geht es anders.  Wenigstens in der Hl. Messe reden wir uns schon so an: Schwestern und Brüder!

In der Eucharistie, die wir jetzt feiern, geschieht auf sakramentale Weise dieses Wir, diese Geschwisterlichkeit. Sie blitzt für einen Moment auf und damit holen wir schon die Zukunft, die Gott uns bereitet, ins Jetzt, nehmen sie vorweg als Sakrament, als Signal, als Zeichen für den neuen Himmel und die neue Erde, die wir erwarten. Wir teilen das Leben miteinander, das Christus ist, das Brot des ewigen Lebens. So hat Gott sich offenbar die Menschheit gedacht: als geschwisterliche Gemeinschaft um einen Tisch, der alle satt gemacht. Im Bund mit Gott und im Bund untereinander. Denn wir sind hineingenommen in die Liebe zwischen Vater und Sohn in Gott. Das ist die Frucht des Weizenkorns, das für uns starb. Sein Lebensopfer für uns. Christus will auch uns befreien aus der Macht der Angst um uns selbst. Zum Glauben.

Domini sumus – wir gehören dem Herrn.

Alles andere, liebe Schwestern und Brüder, alles andere findet sich.

 

 

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4. Fastensonntag

 

2 Chr 18,14-16.19-23; Ps 137; Eph 2,4-10; Joh 3,14-21

 

gehalten in Osnabrück, St. Pius, am 13./14.3.2021

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Die Fastenzeit möchte uns helfen, umzukehren aus den Sackgassen des Lebens. Sie möchte uns hinaus führen ins Weite: ins Weite des Denkens, ins Weite des Lebens, ins Weite Gottes. Denn der Sackgassen gibt es viele. Man kann sich verrennen im Leben, und plötzlich geht es nicht mehr weiter. Man kann sich überschulden und wirtschaftlich ruiniert sein. Man kann durch Alkohol oder Drogen seine Gesundheit zerstören. Irgendwann geht es nicht mehr weiter. Man steht vor dem Aus. Die Zukunft scheint verbaut. Wo finden wir eine neue Perspektive?

Solche Sackgassen gibt es nicht nur individuell, sondern auch kollektiv. Auch ein ganzes Volk kann vor dem Aus stehen wie 1945. Und auch die Kirche kann am Ende sein. Ist die Kirche in Deutschland nach den vielen Missbrauchstaten von Priestern an Kindern am Ende?  Hat sie das Vertrauenskapital verspielt? Und gibt Corona uns jetzt den Rest, den Todesstoß? Man könnte meinen, Gott habe die Kirche fallen gelassen.

In der 1. Lesung war von Israel die Rede. 586 vor Chr. war das große Katastrophenjahr: Juda hat auf die Warnungen der Propheten nicht gehört. Die führenden Männer und auch die Priester begingen viel Untreue. Und so brach das Unheil herein. Jerusalem wurde von den feindlichen Chaldäern zerstört, der Tempel entweiht, ein großer Teil des Volkes getötet, der Rest in die Verbannung nach Babylon verschleppt. Das Volk schien am Ende.  Das Alte Testament führt das auf die Schuld Israels zurück. Das auserwählte Volk war Gott untreu geworden. „Sie verhöhnten die Boten Gottes, verachteten sein Wort und verspotten seine Propheten, bis der Zorn des Herrn ... so groß wurde, dass es keine Heilung mehr gab.“ Man stellte sich Gott als zornig vor. Er schlug drein. Mit eisernem Besen. Für die Bibel ist Gott kein harmloser Teddygott oder Weihnachtsmann.

Das wirft viele Fragen auf: Ist Gott ein Choleriker, der wütet und straft? Kann man das nach Jesus noch so sagen? Oder ist das eher eine Projektion: Wir würden so handeln und projizieren das auf Gott?

Und doch steckt in der Rede vom Zorn Gottes auch ein wahrer Kern. Es ist die Erfahrung, die die Juden damals in dieser Katastrophe gemacht haben. Denn wenn man sich von Gott abwendet, ihm untreu wird, dann kann man natürlich an Gottes Gnade nicht mehr glauben und darauf vertrauen. Dann erfährt man Gott als ungnädig, gewissermaßen als zornig. Denn man ist dann seinem Schicksal ausgeliefert. Gott hilft dann nicht mehr. Vergänglichkeit und Tod und Ende behalten dann das letzte Wort. Die Götzen, die wir angebetet haben, der Gott „Macht“ und der Gott „Lust“ und der Gott „Geld“ retten uns nicht, sondern lassen uns ins Nichts fallen. Gottes Liebe kann uns dann nicht mehr erreichen. „Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“, sagt das Evangelium heute. Und Paulus erklärt uns, was Sünde heißt: „Wir waren infolge der Sünde tot.“ Sünde meint in der Bibel nicht nur eine unmoralische Handlung, sondern die Trennung von Gott, die Abwendung von ihm. Und dann erfährt man sich eben als aus der Gnade gefallen, vom Leben abgeschnitten.

Wie steht es um unsere Gesellschaft heute? Werden wir uns vollends entchristlichen? Muss wirklich alles entweiht und in den Dreck getreten werden, was uns heilig ist? Wie steht es um die Kirche? Hören wir nicht mehr auf die Propheten? Unterscheiden wir nicht mehr die Geister? Bringen wir wirklich noch Gott zur Sprache in unseren Predigten? Lassen wir wirklich Ihn zu uns sprechen? Oder haben wir uns dem Zeitgeist, einem neuen Gott unterworfen? Alle Verständigung scheint im Moment schwierig zu sein.  Wir stecken wie in einer Sackgasse.

Bei manchen Sackgassen, in die wir uns als einzelne oder als Kirche verrannt haben, gibt es zuweilen Auswege. Man kann auf die mahnenden Stimmen hören, manchmal kann man umkehren; man findet Menschen, die einem helfen, sich neu zu orientieren und die Sackgasse zu öffnen. Manche haben einfach Glück und finden eine neue Perspektive für ihr Leben.

Auch das Volk Juda hatte dieses Glück. Ausgerechnet Kyrus, der König des mächtigen Perserreiches, wendet das Schicksal der verbannten Juden. Er erobert Babylon und befreit damit die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft. Er lässt sie nach Jerusalem heimkehren. Und erlaubt sogar den Bau eines neuen Tempels als Ort der Gegenwart Gottes. Ein echter Neuanfang!

Liebe Schwestern und Brüder: dieser 4. Fastensonntag heißt „Laetare“. Freu dich! Doch welchen Grund zur Freude haben wir als Einzelne angesichts der deprimierenden Coronalage? Und welchen Grund zur Vorfreude haben wir als Kirche in dieser babylonischen Zeit, in der die Kirche eine Gefangene ihrer eigenen Unheilsgeschichte ist?

Tatsächlich möchte uns dieser Sonntag einladen, an eine größere Perspektive zu glauben. Sie ist größer als alles, was wir uns geben können: ewiges Leben. Nur Gott kann uns eine solche Perspektive geben. Und nur im Glauben kann man sie haben.  Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern ewiges Leben hat. In diesem einen Satz ist der ganze christliche Glaube zusammengefasst: Gott liebt diese Welt. Er hat sie so sehr geliebt, dass das Teuerste ihm nicht zu teuer war, um uns zu retten. In Jesus hat Gott die ganze Religion auf den Kopf gestellt: Nicht wir bringen ihm Opfer dar, nein, Er selbst bringt uns ein Opfer. Er schenkt uns seinen Sohn und buchstabiert darin seine Liebe zu uns aus. Diese Liebe wird von den Menschen noch einmal mit Bosheit und Hass beantwortet, der Sohn zu Tode gekreuzigt. Doch er ist es, der die Sackgasse unserer Existenz in diesem seinem Tod öffnet und eine Perspektive der Ewigkeit schenkt. „Freu dich, Jerusalem!“ Ostern ist schon nahe. Im Tod darf der Christ dem Leben begegnen. „Denn Gott hat uns, die wir infolge unserer Sünde tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus lebendig gemacht.“ So drückt es Paulus in der 2. Lesung aus. Doch diese Perspektive kann man nur im Glauben haben.  Das Evangelium von heute stellt uns vor diese Entscheidung: Glaube oder Unglaube? Wer nicht glaubt, wer nicht auf Gott vertraut, hat tatsächlich und nachweislich keine Perspektive des Lebens. Sein Leben ist eine Sackgasse ohne Ausweg. Und endet im Tod. Er ist dazu verdammt, alles aus diesem Leben herauszuholen und verzweifelt unersättlich nach Leben zu sein. Und doch nie vollendet zu werden.

Doch wer an den Sohn Gottes glaubt, der wird nicht gerichtet. Denn der Glaube schenkt bereits jetzt ewiges Leben. Wer an den Sohn Gottes glaubt, weiß sich bereits aus der Sackgasse des Todes gerettet. „Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft“, sagt Paulus. „Denn Gott hat uns zusammen mit Christus bereits einen Platz im Himmel gegeben“. Durch Christus haben wir Gemeinschaft mit Gott. Nur wer Gemeinschaft mit Gott hat, weiß, dass der Tod keine Macht mehr dagegen hat.

Der Schlüssel zum Leben liegt also im Glauben an Gottes Wort, an Jesus und in der Hinkehr zu Ihm. Für jeden einzelnen. Und für die Kirche als ganze. Wenn der Glaube in ihr verdunstet, dann wird sie keine Zukunft haben. Wenn aber unser Glaube wieder lebendig wird wie eine lodernde Flamme, dann wird keine Macht der Welt sie auslöschen können. Der heutige Sonntag nimmt diese Perspektive des Lebens bereits in den Blick. Wir gehen auf Ostern zu, auf das Leben, das Gott uns in seinem Sohn geschenkt hat. In dieser Vorfreude feiern wir nun die Eucharistie mit Christus und sein Lebensopfer: Gott wandelt wahrhaft dieses Brot in seinen Sohn und schenkt ihn uns: denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen Sohn für uns dahingab. In dieser Freude am Glauben sollen wir leben und Christus auch ganz selbstbewusst in unsere Gesellschaft tragen.

 

 

 

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2. Fastensonntag

Gen 22,1-18; Ps 116; Röm 8,31b-34; Mk 9,2-10

Gehalten am 28.2.2021

in Osnabrück-Sutthausen, Maria Königin des Friedens

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten.“

Eine wahrhaft abgründige biblische Geschichte, die uns heute vorgelesen wird. War Abraham verrückt? Abraham meinte, Gottes Willen zu erfüllen, wenn er seinen einzigen Sohn, den er liebte, seinem Gott zum Opfer darbrachte. Was für ein Gottesbild! Und wie Dunkel muss es in Abraham gewesen sein! Zum Glück greift im letzten Moment ein Engel ein und verhindert die Schlachtung des Knaben. Die Vernunft bricht sich Bahn. Anstelle Isaaks wird nun ein Widder dargebracht.

Diese Geschichte enthält uraltes Überlieferungsgut. Abraham lebte in einer Zeit, in der es tatsächlich Menschenopfer gab. Man wollte damit Gott gnädig stimmen und ihm gefallen. Diese Geschichte mit ihrem guten Ausgang dürfte wohl den Punkt in der Geschichte markieren, an dem sich die Einsicht Bahn brach, dass Gott gar keine Menschenopfer braucht. Für lange Zeit wurde das Menschenopfer durch das Tieropfer ersetzt. Die Geschichte erzählt von Abraham. Aber der steht für das ganze Volk, für die Geschichte, für die Menschheit, die zur Vernunft kommt. Diesen Gott, den Abraham sich vorgestellt hat, den gibt es nicht.

Nun stellen wir uns einmal vor, Abraham hätte nicht auf die Stimme des Engels, auf die Stimme der Vernunft gehört. Abraham hätte zugestochen und seinen Sohn getötet. Er hätte damit nicht nur seine eigene Familie um ihre Zukunft gebracht, nein, es hätte kein Israel gegeben, keine Heilsgeschichte und auch keinen Jesus. Denn alle Juden sind Nachkommen Abrahams. Sie sollen zahlreich werden „wie die Sterne am Himmel“.

Diese Geschichte zeigt also in ihrem Ausgang, dass Gott Zukunft eröffnet.

Ok, aber was hat diese archaische Geschichte mit uns zu tun? Warum wird sie uns heute vorgelesen? Was sollen wir damit anfangen? Es gibt doch schon lange keine Menschenopfer mehr!

Viele Geschichten aus dem Alten Testament sind so etwas wie ein Spiegel für den gewaltbereiten und deshalb erlösungsbedürftigen Menschen. Und das sind wir alle. Und so ist auch diese Geschichte. Wir erkennen hier nicht nur fundamentalistische Islamisten wieder, die meinen, zur größeren Ehre Gottes andere Menschen abschlachten zu dürfen. Nein, wir können durchaus auch unsere scheinbar zivilisierte Welt dort wiederentdecken. Es geht letztlich um die Einsicht, dass kein Mensch über Menschen verfügen darf und kein Mensch anderen Menschen gehört und diese mit ihm machen können, was sie für richtig halten. Auch Kinder gehören nicht ihren Eltern.

Doch Menschenopfer gibt es trotzdem immer noch und damit Unvernunft: Was waren denn die Kriege des 20. Jahrhunderts anderes, als der Großteil der jungen Männer in Stalingrad und anderswo dem „Führer“ geopfert wurden? Und was ist mit den vielen missbrauchten Kindern, die Opfer derer wurden, die meinten, über sie verfügen und sie benutzen zu können? Auch sie wurden Göttern geopfert: dem Gott „Lust“ und dem Gott „Macht“!

Die Abrahamsgeschichte zeigt, wie durch eine Kultur des Todes Zukunft zerstört wird. In unserer Gesellschaft gilt im Bewusstsein vieler die Abtreibung als Menschenrecht. Auch hier verfügen Menschen über andere Menschen und bringen sie um. Hat das Kind im Mutterleib kein Menschenrecht?

Und denken wir schließlich an die drohende Klimakatastrophe. Auch hier geht es um unsere Nachkommen, um deren Lebensmöglichkeiten und Zukunft. Welchen Götzen opfern wir sie, weil wir unser Leben nicht ändern wollen? Der falschen Götter gibt es viele: Macht und Lust, Selbstverwirklichung, Geld, Wohlstand, Mobilität, Gesundheit, Wirtschaftswachstum. Das moderne Pantheon ist groß. Darin wird ständig geopfert.

Die Fastenzeit lädt uns ein zur Umkehr von falschem Denken und falschem Tun, auch zur Umkehr von falschen Göttern und falschen Vorstellungen von Gott. Man kann von Gott nichts herleiten. Sie ruft uns zur Vernunft und zur Umkehr zu Gott, zum lebendigen Gott, zum Gott Jesu. Damit Ostern für alle ein Lichtblick wird.

Abraham kam zu diesem Lichtblick. Sein Sohn wurde ihm wiedergeschenkt. Das Dunkel in Abraham lichtete sich. Er nannte den Ort, an dem das geschehen ist, Jahwe-Jire, d. h.: Gott sieht; denn auf diesem Berg hat er sich sehen lassen.

Es ist wie die vorweggenommene Erzählung von der Verklärung Jesu. Sie ereignet sich ebenfalls auf einem Berg. Im wahrsten Sinne des Wortes ein High-Light. Diese Geschichte zeigt uns, wie Gott selbst sich gezeigt hat. Gott - nicht Abra­ham - hat seinen Sohn geschenkt. Und wir Menschen - nicht der Vater - haben Jesus umge­bracht. So, wie wir uns mitunter Gott vorstellen, sind nämlich wir Men­schen: ausgrenzend, strafend, voll Willkür, ungerecht, unbarmherzig und tötend.

Die Geschichte von der Verklärung Jesu auf dem Berg fasst die Erfahrung der Jünger mit Jesus zusammen. In Jesus hat Gott uns nicht ein unheimliches, nicht ein dunkles Antlitz gezeigt, nicht ein Spiegelbild von uns, sondern ein helles und erlösendes und befrei­endes Antlitz. Sein Licht fällt auch auf die Jünger, seine Strahlen machen auch Mose und Elija, also die ganze ambivalente Geschichte Israels vor ihm, hell. Alles wird hineingenom­men in sein Licht. Die Jünger bekommen eine neue Optik, neue Augen, mit denen sie Gott in Jesus erkennen. Sie werden mit eingehüllt in die göttliche Wolke, in die cloud,aus der die Stimme ertönt: Dies ist mein geliebter Sohn.

Liebe Gemeinde, darum geht es im Glauben. Wir haben Gemeinschaft mit Gott, weil der Sohn bereits auf unserer Seite steht. Wir stehen nicht mehr al­lein und hilf­los vor einem rätselhaften und scheinbar unberechenbaren Gott. Gott hat uns vielmehr sein Wort gegeben, seinen Sohn. In ihm ist uns das Antlitz Gottes aufgeleuchtet. Wir stehen also zusammen mit Gott dem Sohn in Gott dem Heiligen Geist vor Gott dem Vater. Wir sind hineingenommen in die Liebe, mit der Gott von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Diese Liebe ist der Heilige Geist.

Man muss dann nicht Hütten bauen, um den Moment festzuhalten, wie Petrus es wollte. Der Glaube hält uns nicht fest, wo wir sind, sondern macht uns Beine. Man muss wieder hinabsteigen von den Highlights, hinabsteigen in den grauen Alltag und in manchmal schmerzliche Situationen. Und das Licht des Glaubens dorthin bringen.

Tatsächlich mutet das Leben vielen Menschen unendlich viel zu, oft mehr als sie tragen können. Der heutige Sonntag möchte uns dennoch zur Zu­versicht er­mutigen. Keine Macht der Welt, auch der Tod, kann uns aus dieser Gemeinschaft reißen. Auch unsere Angst und selbst Krankheit und Sterben sind schon hineinge­nommen in die Liebe Gottes. Un­ser Kreuz, das Kreuz des Sohnes, steht nicht außerhalb von Gott, sondern gehört zum Geheimnis Gottes selbst. Es lässt sich nicht mehr als Vor­wurf gegen Gott gebrauchen oder als Ein­wand gegen die Liebe, mit der Gott uns liebt. „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“ schreibt Paulus in der zweiten Lesung. „Er hat seinen eigenen Sohn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

Die Eucharistie ist dieses Geschenk, das wahre Opfer. Auch in dieser Stunde schenkt Gott uns wieder seinen geliebten Sohn.

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1. Fastensonntag

Gen 9,8-15; Ps 25; 1 Petr 3,18-22; Mk 1,12-15

Gehalten in Osnabrück-Sutthausen, Maria Königin

Liebe Gemeinde,

Mit dem Beginn der Fastenzeit habe ich mir die Frage gestellt, was für einen Sinn ein solcher Abschnitt im Jahre eigentlich haben soll. Für viele Christen gehören dazu gewisse Übungen des Verzichtens, mehr Zeit für das Gebet und schließlich auch die hl. Beichte. Es geht darum, sich bereit zu machen für das Osterfest und stark zu werden im Glauben. Wie geht das?

Im Jesuitenorden gibt es die 30-tägigen Exerzitien. Der hl. Ignatius, der die Gesellschaft Jesu gegründet hat, hat in seinem Exerzitienbuch die Regeln für diese Übungen aufgeschrieben. Wer das schon einmal mitgemacht hat, der weiß: sie sind  eine große Reise des Menschen nach innen. Der Mensch, der sich zu diesen Exer­zitien entschließt, geht den Weg von außen nach innen. Vor dem Angesicht Gottes versucht er, bis in die tiefsten Schichten seines Herzens vorzudringen.

Dabei nimmt man immer mehr und immer deutlicher die in­nersten Regungen seines Herzens wahr. Man spürt die guten und die bösen Regungen: Trost und Trostlosigkeit, Güte und Bosheit, Vertrauen und Angst, Wahrhaftigkeit und Lüge, Liebe und Hass. Man wird zur Erkenntnis seiner selbst geführt. Nicht nur das Gute lebt in meinem Herzen, sondern da gibt es auch die Versuchung zum Bösen, zur Zerstörung, zur Vergeltung. Man merkt, dass es den guten Geist gibt, aber auch den bösen. Man versteht dann auch, warum im eigenen Leben sich nicht nur gute Regungen, sondern auch böse, zerstörerische aus­wirken. Ja, es gibt Abgründe. Man versteht, wie ambivalent, ja wie zwielichtig menschliches Leben sein kann. Man kann wie ein En­gel sein, aber auch wie ein wildes Tier. Und es ist wohl nicht zu kühn, wenn ich annehme, dass die meisten von uns eine Mischung aus beidem sind.

Menschen, die diese Reise nach innen gemacht haben, wissen, dass das keine Vergnügungsreise ist. Sie sprechen vom Gefühl der geistlichen Trockenheit. Es ist die innere Erfahrung der Wüste. Die Wüste ist Ort der Einsamkeit, der Entbeh­rung, Ort der Trostlosigkeit und der Versuchung, ja sogar der Gottverlassenheit und des Todes. Aber die Wüste ist auch Ort der Klarheit und der Entscheidung. Dort kann man sich nichts mehr vormachen. Man erschrickt über sich selbst. Man muss die Wüste aushalten. Ja, man muss sich selbst aushalten. Wie zuhause im Lockdown.

Auch Jesus blieb die Wüste nicht erspart. Es ist der­selbe Geist, der unmittelbar zuvor bei der Taufe im Jor­dan auf Jesus herabkam, der ihn nun in die trostlose Wüste treibt. Jesus, der Sohn Gottes, tritt die Reise nach innen an. Und er wird vom Satan in Versuchung geführt. Probe, Versuchung - das ist Ent­scheidung zwischen zwei Möglichkeiten zu leben. Auch Je­sus kommt in die Versuchung, etwas anderes zu wollen, als das, was Gott will. Auch Jesus entdeckt die Ambivalenz des Menschseins, die gegensätzlichen Regungen im Herzen. Auch er kommt in die Situation, sich entscheiden zu müssen zwischen dem wilden Tier und dem Engel. Das sind zwei Existenzweisen, die den verschiedenen Regungen des Herzens entsprechen. Es geht darum, sich zu entscheiden: das wilde Tier sucht Beute, bedroht sie, zerreißt sie, frisst sie auf.

Der Engel hingegen ist das Gegenteil davon. Der Engel ist Bote. Der Engel teilt seine Gemeinschaft mit Gott an­deren mit. Er stiftet Gemeinschaft. Er lässt andere teil­nehmen an seinem Glück.

Der Text des Evangeliums sagt uns, dass Jesus der Ver­suchung nicht erliegt. Er lernt die Ambivalenz der menschlichen Existenz kennen - nicht nur oberflächlich, sondern tief innen im Herzen. Doch er erliegt der Versuchung nicht. Die wilden Tiere, sprich: diese unmenschliche, wölfische Welt hat keine Macht über ihn. Sondern "Engel" dienen ihm. Das ist ein Bild für seine Gemeinschaft mit Gott, für seinen unverbrüchli­chen Bund mit dem Vater. Bedenkt man, daß unser Evangelium aus der Perspektive von Ostern geschrieben ist, dann wird gleich klar: in unserem Text wird auch das Schicksal Jesu in komprimierter Form dargestellt. Wie wilde Tiere sind die Menschen über ihn hergefallen. Doch Engel dienten ihm, d. h. Gott hat ihn auferweckt. Gott hat ihn nicht den Mächten des Todes endgültig preisgege­ben. Gott hat ihn lebendig gemacht.

Die Reise durch die Wüste ist also nicht nur die Reise nach innen. Es ist auch die Reise nach außen. Es ist die Reise durch diese scheinbar gottverlassene Welt mit all ihrem Unheil. Dass das wilde Tier eine Existenzweise des Menschen sein kann, erleben wir auch heute: in Kriegen und Bürgerkriegen, in Terroranschlägen, in neuen Formen der Diktatur, in Christenverfolgung.. Menschen fallen über­einander her wie Raubtiere über ihre Beute.

Doch ist das nur im Krieg so? Leben Menschen nicht auch sonst so? Rivalisierend, konkurrierend, einander verletzend? Sieht unsere gebeutelte Natur an manchen Or­ten nicht aus wie ein von Geiern ausgelutschter Kadaver? Und hat das alles nicht etwas zu tun mit unseren Lebens­verhältnissen, mit unserem Lebensstil, mit der Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen? Gehen wir mit unsere Welt nicht um wie Raubtiere mit ihrer Beute?

Doch mittlerweile erkennen wir deutlich: wir können aus der Welt nicht alles Glück herausholen. Sie ist zu klein für unsere Sehnsucht. Und sie ist zu zerbrechlich für un­sere Bomben. Und ihr Gleichgewicht zu labil für unsere Gewalt. Wir müssen also ein neues Verhältnis zu ihr fin­den, einen neuen Weg, mit ihr umzugehen, anders als wilde Tiere.

Jesus erliegt der Versuchung nicht. Er nimmt die Ex­istenzweise des wilden Tieres, nicht an. Seine Lebensweise ist eher die des Engels, des Boten Gottes, der die Gottesherrschaft ankündet und zur Umkehr aufruft. Jesu Existenzweise ist seine Gemeinschaft mit Gott. Sie bewahrt ihn vor einem falschen Verhältnis zur Welt. Sein Gottesverhältnis bewahrt ihn davor, die Welt mit Gott zu verwechseln und alle Erfüllung, alles Glück aus der Welt herauszuholen und sie so zu verderben. Denn die Welt ist zu klein für unsere Sehnsucht. Nur Gott kann sie erfüllen. Wir verderben unsere Welt, wenn wir alles aus ihr herausholen, weil wir alles von ihr erwar­ten. Doch in der 1. Lesung hieß es: „Nie mehr soll eine Flut kommen und die Erde verderben.“ Und der Regenbogen wird als Zeichen des Bundes, des neuen Gottesverhältnis­ses, zwischen Himmel und Erde gesetzt. Dieses Gottesver­hältnis kann allein davor bewahren, dass alles vernichtet und verdorben wird.

Dieser Regenbogen, dieses neue Gottesverhältnis, die­ses lebendige Bundeszeichen ist Jesus. Nach der Reise nach innen tritt er die Reise nach außen an, zu den Menschen, nach Galiläa. Er wird der Bote Gottes, der andere in sein Got­tesverhältnis hineinnimmt. Mitten in dieser dunklen Welt, die vom Bösen beherrscht zu sein scheint, verkündet er das Reich Gottes

Das Reich Gottes ist nahe. Mit­ten in dieser Welt voller Angst und Gewalt lebt Jesus ein neues Gottesverhältnis und lädt uns ein, in diese Gemeinschaft mit Gott einzutreten. Diese Gemeinschaft mit Gott hat sich Ostern als stärker erwiesen als alle wilden Tiere, als alle Mächte des To­des. Sie ist unverbrüchlich. Das soll uns Hoffnung geben in der Wüste dieser Zeit. Und Zuversicht und Vertrauen, dass wir aus Gottes Hand nicht herausfallen. Diesen neuen und ewigen Bund feiern wir in jeder Eucharistie.

Ob wir die Fastenzeit nicht nutzen sollten für die Reise nach innen, für die achtsame Entdeckung unserer Ambivalenz und für die Stärkung unseres Glaubens? Wir könnten so Ostern gestärkt die Reise nach außen antreten und Men­schen einladen zum Glauben an das Evangelium: das Reich Gottes ist nahe!

 

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6. Sonntag im Jahreskreis

Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46; Ps 32,1-2.5.10-11; 1 Kor 10,31 – 11,1; Mk 1,40-45                      

Gehalten am 14.2.2021

In Osnabrück, Maria Königin des Friedens

 

Ein Aussätziger kommt zu Jesus.

Liebe Schwestern und Brüder,

Lepra nennt man die schreckliche Krankheit, die dieser Aussätzige hatte. Sie war im Land der Bibel sehr verbreitet. Heute ist sie gut zu heilen. Aber damals gab es kein Heilmittel. Der ganze Körper konnte befallen sein. Man verfaulte bei lebendigem Leib.

Weil diese Krankheit so schrecklich und unheilbar war und einen ekelerregenden Anblick bot, sah man zur Zeit der Bibel in dieser Krankheit eine Strafe Gottes für die Sünde. Wer diese Krankheit hatte, galt als „unrein“. Damit war gemeint: Unrein vor Gott und somit keine Gemeinschaft mit Gott.

Und weil diese Krankheit auch ansteckend war, mussten die Kranken abgesondert von der menschlichen Gemeinschaft leben. Im Alten Testament ist das alles ganz genau geregelt, wie wir in der 1. Lesung gehört haben. Diese Kranken waren aussätzig, d. h. sie waren ausgesetzt, also ausgegrenzt aus der menschlichen Gemeinschaft und natürlich auch aus der religiösen Gemeinde. Denn sie galten ja als unrein vor Gott. Sie wurden ihrem Schicksal preisgegeben und galten als unberührbar. Zuweilen kam es vor, dass ein Erkrankter wieder gesund wurde. Er musste sich dem Priester zeigen, nicht dem Arzt. Daran sieht man, dass diese damals unheilbare Krankheit in ihrer religiösen Dimension betrachtet wurde. Der Priester musste die Heilung feststellen und hatte dann den Patienten für rein zu erklären und ihn in die Gemeinde wieder aufzunehmen.

Die Aussätzigen trugen die Verantwortung dafür, dass sich niemand ansteckte. Wenn sie unterwegs von weitem jemand sahen, mussten sie laut rufen: „Unrein, unrein.“ Und die Gesunden waren gehalten, einen großen Bogen um die Kranken zu machen.

Im heutigen Evangelium nun wird uns erzählt, dass ein Aussätziger zu Jesus kam. Er hielt sich in seiner Verzweiflung offenbar nicht an die Regeln. Er riskierte, Jesus anzustecken. Vielleicht aber stand Jesus bei den Leuten bereits im Ruf eines Wundertäters. Und auch Jesus hält sich nicht an die Regeln. Er macht keinen großen Bogen um den kranken Mann. Vielmehr hat er Erbarmen mit ihm, berührt den Unberührbaren – bricht also mit einem Tabu - und sagt: „Werde rein!“ Das Unfassbare geschieht: Der Mann wird rein. Nicht der Kranke steckt Jesus an, sondern umgekehrt: Jesus steckt den Kranken an mit seinem Heil!

Warum wird uns diese Geschichte heute vorgelesen? Soll uns Jesus als Wunderdoktor präsentiert werden? Und warum sollen wir uns dafür interessieren, dass vor 2000 Jahren an einem unbekannten Ort in Galiläa ein unbekannter Leprakranker geheilt wurde? Was hat das mit uns zu tun?

Tatsächlich wird uns diese Geschichte heute erzählt, weil sie mit uns zu tun hat. Im Evangelium wird uns nicht eine interessante Geschichte aus fernen Zeiten erzählt. Vielmehr soll beim Erzählen dieser Geschichte genau das geschehen, was in ihr erzählt wird: Die Heilung des Menschen, unsere Heilung in der Begegnung mit Jesus, der dort ist, wo wir in seinem Namen versammelt sind. Alles kommt also darauf an, dass wir uns in diesem geheilten Aussätzigen wiedererkennen. Auch wenn wir – Gott sei’s gelobt – nicht diese ekelerregende Krankheit an unserem Körper tragen. Doch diese Krankheit wurde ja betrachtet als ein Herausgefallensein aus der Gemeinschaft mit Gott und damit auch aus der Gemeinschaft mit den Menschen. Der Aussatz steht als schreckliches Symbol für die conditio humana, für unseren Zustand vor Gott abgesehen vom Glauben.

Eben darum geht es: die Gemeinschaft mit Gott wiederherzustellen, die durch die Sünde und Selbstherrlichkeit der Menschen verloren ging. Jeder Mensch kommt im Zustand der Gottferne auf die Welt. Die Bibel führt das auf den Sündenfall im Anfang der Menschheitsgeschichte zurück. Dadurch ist der Mensch herausgefallen aus der Geborgenheit des Paradieses. Und dieser Zustand wird dann vererbt von einer Generation zur anderen. Denn der Glaube ist uns nicht angeboren. So gesehen ist jeder Mensch ein Aussätziger. Ohne den Glauben kann man sich nicht in Gottes Gnade wissen. Dann ist man gewissermaßen aussätzig, ausgesetzt, preisgegeben an sein eigenes Schicksal, an das Nichts, an den Tod.

Niemand kommt mit der Gewissheit auf die Welt, von Gott geliebt zu sein. Und niemand kann von sich aus zu dieser Gewissheit kommen. Jeder ist dafür auf andere Menschen, auf gläubige Menschen angewiesen, die ihm diese Gewissheit schenken, von Gott angeschaut und geliebt zu sein. Deshalb ist es so wichtig, dass christliche Eltern ihren Kindern nicht nur alles mögliche Gute tun, sondern sie auch hineinnehmen in ihre Gemeinschaft mit Gott und damit in die Kirche, in der diese Gemeinschaft mit Gott gelebt wird und ohne die man auch der eigenen Gemeinschaft mit Gott nicht gewiss sein könnte.

Unser Glaube geht zurück auf Jesus. Er ist der geschichtliche Urheber unseres Glaubens. Indem Jesus den Aussätzigen berührt, also keine Berührungsangst hat, lässt er ihn teilhaben an seiner eigenen Gemeinschaft mit Gott, an seinem eigenen Sohnesansehen bei Gott. Wer sich von Jesus berühren, annehmen lässt, wird von Gott ebenfalls als sein Kind angenommen. Er hört auf, aussätzig zu sein, preisgegeben an das Nichts. Und das ist mit jedem von uns geschehen, als wir gläubig wurden. Wir haben aufgehört, aussätzig zu sein, einen Leib zu haben, der schon jetzt unaufhaltsam alt und bald zu Gammelfleisch wird. Wir sind eben nicht das, was wir an uns sehen und wofür wir selbst uns halten, weil wir alle auch wissen um unsere dunkle Seite. Viele Menschen sind unglücklich, weil sie hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben sind, sich als Versager empfinden, wenig Ansehen bei anderen haben. Es gibt Menschen, um die wir vielleicht einen großen Bogen machen. Und das gilt vermutlich auch umgekehrt.

Und so ist die Erzählung vom Aussätzigen gar nicht eine Geschichte aus ferner Vergangenheit. Vielmehr wird mit einem Beispiel aus der Vergangenheit unsere Gegenwart gezeichnet: Jeder ist ein Aussätziger, hinausgehalten ins Nichts, preisgegeben an den Tod, verwundbar und voller Angst vor dem Nichts, solange er nicht Christus begegnet, der ihm die Gewissheit von Gemeinschaft mit Gott schenkt, ihn hineinnimmt in sein Sohnesverhältnis und zum Kind Gottes macht. Denn Gott schaut uns nicht so an, wie wir es vielleicht verdient haben, angeschaut zu werden. Er schaut uns auch nicht so an, wie manche Mitmenschen, Kollegen, Nachbarn uns vielleicht anschauen. Er schaut uns auch nicht so an, wie wir uns selbst sehen, wenn wir an unsere dunkle Seite denken. Er schaut uns vielmehr an, wie er von Ewigkeit her seinen Sohn anschaut.

Am Schluss erzählt unser Evangelium, wie Jesus dem Geheilten einschärft, ja nichts davon weiterzuerzählen. Es ist, als ob Jesus ihn auf die Probe stellte, um zu sehen, was er tut. Und tatsächlich: der Mann kann gar nicht über das schweigen, was ihm geschehen ist. Er muss es überall weitererzählen. Den Glauben kann man nur haben, wenn man ihn weitersagt und anderen Menschen schenkt. Und so kamen die Menschen von überall zu Jesus.

Wenn wir jetzt Eucharistie feiern, dann lassen wir uns wieder von Jesus berühren. Er hat Erbarmen auch mit uns. Er schenkt uns seine eigene Gemeinschaft mit dem Vater. Damit wir sein Wort weitersagen: Sei rein! Sei geborgen in Gott! Du bist ein Kind Gottes, voll der Gnade, denn Gott ist schon mit dir!

 

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5. Sonntag im Jahreskreis

Ijob 7,1-4.6-7; 1 Kor 9,16-19.22-23; Mk 1,29-39

Gehalten in Osnabrük, St. Pius, am 6.2.2021

 

Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“

Diesen Satz ruft uns Paulus heute in der 2. Lesung zu, liebe Schwestern und Brüder.

Etwas wie ein Zwang liegt auf ihm. Deshalb tut er alles um des Evangeliums willen. Was heißt das und was wäre, wenn das Evangelium nicht mehr verkündet würde?

Es gibt im Leben Erfahrungen, die so unter die Haut gehen, dass man sie nicht vergisst.

Als junger Priester wurde ich vor vielen Jahren in der Frankfurter Universitätsklinik an das Sterbebett eines 16jährigen Jungen gerufen. Er war an Leukämie erkrankt. Alle ärztliche Kunst hatte nichts vermocht. Und nun waren die letzten Tage seines kur­zen Lebens gekommen.

Er lag in seinem Bett, umgeben von Apparaturen, an die er mit Schläuchen und Kabeln angeschlossen war. Aber seine Mutter war bei ihm.

Ich erinnere mich, wie hilflos ich mir vorkam angesichts dieser sinnlosen Situation. Es fiel mir ungeheuer schwer, Worte zu finden. Sie wollten sich nicht einstellen. Womit soll man hier trösten, womit Hoffnung wecken? Was gibt es hier noch zu sagen?

Soll man Gott anklagen?

Soll man versuchen, einer solchen Situation noch einen Sinn anzudichten?

Auch die Bibel weiß um diese Sinnlosigkeit und um Situationen, in denen wir uns völlig gottverlassen erfahren. Wir haben heute als erste Lesung einen Abschnitt  aus dem Buch Ijob gehört. Ijob war sehr gottesfürchtig. Er war auch reich und wohlhabend, hatte sieben Söhne und drei Töchter. Er konnte zufrieden und dankbar sein mit seinem Leben. Doch plötzlich erhält er eine Hiobsbotschaft nach der anderen: durch gewalttätige Menschen und durch Naturkatastrophen wird ihm alles genommen: seine reichen Viehbestände, seine Häuser,  alle seine Kinder und schließlich und endlich auch seine Gesundheit: er wird geschlagen „mit bösartigem Geschwür von der Fußsohle bis zum Scheitel“. Und Ijob hadert mit Gott. Seine Freunde besuchen ihn und fragen: Was hast du getan, dass Gott dich straft? Womit hast du solches Unglück verdient? Ist Gott dir nicht mehr wohlgesonnen? Und Ijob setzt sich mit Gott auseinander. In dem kurzen Abschnitt aus dem 7. Kapitel, den wir heute gehört haben, stellt er die Absurdität seiner Existenz fest: Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf Erden? Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners? Wie ein Knecht ist er, der nach Schatten lechzt. Und schließlich stellt er fest: Mein Leben ist nur ein Hauch. Nie mehr schaut mein Auge Glück. Alles scheint ihm sinnlos und hoffnungslos zu sein.

Erfahrungen, die wir auch heute machen, liebe Schwestern und Brüder, wenn Glück sich zerschlägt, Gesundheit vor der Zeit schwindet, Vermögen in nichts zerrinnt, ein Unfall alles zerstört. Unser Leben ist zerbrechlich. Unsere Sicherheiten auch. Alles vergeht wie ein Hauch. Und deshalb haben wir so eine abgrundtiefe Angst um uns selbst.

Wo ist Gott?, fragen wir dann. Hat er mich in Stich gelassen? Gibt es ihn vielleicht gar nicht? Und tatsächlich ist es ja so: Wenn wir das unendliche Leid der Welt anschauen, dann fällt es uns schwer zu glauben, dass es einen liebenden und gnädigen Gott gibt.

Doch vielleicht ist das ein Denkfehler. Wir meinen, man müsste an der Welt doch ablesen können, wie Gott es mit uns meint. Aber eben genau das kann man nicht. Gottes Liebe lässt sich an der Welt nicht ablesen! Wäre das so, dann müssten Menschen, die viel Glück im Leben haben, sich zu Recht mehr geliebt wissen als solche, die ohne Erfolg durchs Leben gehen und viel Unglück erfahren. Unser Wohlbefinden ist kein Gradmesser für Gottes Liebe. 

Mir wurde in der Situation damals im Krankenhaus existentiell klar, was ein Seelsorger angesichts der Realität in der Hand hat, wenn er zu den Menschen kommt, die dem Tod geweiht sind. Und das sind eigentlich alle Menschen, egal ob sie gerade krank oder gesund sind. Der Zeuge des Glaubens hat nichts, buchstäblich nichts als ein Wort. Während in einem großen Krankenhaus alle Mitarbeiter so tun können, als hätten sie alles im Griff, die Schwestern und Ärzte mit Instrumenten und Medikamenten geschäftig hantieren, steht der Seelsorger mit leeren Händen da.

Auf nichts, auf buchstäblich nichts anderes kann er sich stützen als auf ein Wort, das er als Gottes Wort verkündet; mit nichts anderem kann er sich ausweisen als mit diesem einen Wort, das er nur stammelnd auszusprechen vermag. Er kann es zu unserer todgeweihten Existenz nur dazusagen. Mit nichts anderem kann ein Christ, eine Christin die Menschen zu trösten versuchen als mit dem Wort eines Gekreuzigten, eines sinnlos zu Tode Geprügelten, von dem wir bekennen, dass er lebt.

Deshalb sagt Paulus: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündige!“ Denn wenn wir das Wort des Evangeliums nicht verkündigen, wenn wir nicht gegen den Anschein sagen, dass der Gekreuzigte lebt, dann überlassen wir die Menschen, ja die Welt ihrem Schicksal, ihrer Gottverlassenheit. Denn dass wir nicht gottverlassen sind, kann man an der Welt nicht in Erfahrung bringen. Gottes Liebe und Nähe kann man sich nur sagen lassen. Und nur gegen die Erfahrung kann man an sie glauben. Wir feiern hier unseren Gottesdienst nicht angesichts eines Helden und Siegers der Geschichte und eines Happy Ends, sondern angesichts eines Gekreuzigten, eines sinnlosen Scheiterns und Todes. Doch sein Leben und sein Sterben hat von Gott Kunde gebracht. Er lebte auch im Scheitern seine Gemeinschaft mit Gott. Nichts und niemand konnte ihn davon abbringen, aus Angst um sich selbst zu handeln, um dem tödlichen Konflikt aus dem Weg zu gehen. Auch der sichere Tod hatte keine Macht über ihn. So, wie er die Schwiegermutter des Petrus in ihrer Krankheit aufrichtete und viele Kranke und Besessene sich bei ihm versammelten, um sein Wort zu hören. Er schenkte ihnen durch sein Wort Gemeinschaft mit Gott. Denn nur in dieser Gemeinschaft mit Gott können wir die Sinnlosigkeit von Leid und Tod überhaupt aushalten und ertragen. Unsere Gemeinschaft mit Gott macht Sinnloses nicht sinnvoll. Aber sie lässt es ertragen wie ein großes Fragezeichen, das wir mitnehmen in die Ewigkeit.

Der Herr trieb Dämonen aus in ganz Galiläa. Die Dämonen der Angst, die uns einreden wollen, man müsste an Glück oder Unglück ablesen können, wie Gott es mit uns meint. Es waren die Freunde Ijobs, die ihm solches einreden wollten: Du bist aus der Gnade Gottes gefallen. Deshalb all das Unglück. Deshalb hat Gott sich von dir abgewandt. Deshalb musst du leiden. Alles gut gemeint – doch ohne Empathie. Solche Rede ist teuflisch. Denn sie schenkt dem Menschen im Leid keine Gottesgewissheit, sondern macht ihn um so verzweifelter.

Jesus räumt auf mit diesem Denken. Er vertreibt diese bösen Geister und falschen Freunde, die uns solches einreden wollen. Wir müssen dieses Leben so annehmen, wie es kommt. Aber wir können daraus keine Schlüsse ziehen, wie Gott es mit uns meint. Wir können nichts von Gott herleiten. Wir können uns von Jesus nur sagen lassen, dass wir in jeder Situation, in Glück und Unglück, im Leben und im Sterben in Gott geborgen sind. Jesus hat Gott zu den Menschen gebracht. Nicht weniger als das. Denn er selbst war voll von Gottes Geist. Auch der Tod am Kreuz konnte seine Gemeinschaft mit Gott, seine Sohneswürde nicht zerstören. Wer sein Wort annimmt, kann österlich leben und österlich sterben. Eine größere Hoffnung gibt es nicht. Nur dieses Wort, das Jesus ist. Es verdient, dass wir ihm Glauben, Vertrauen schenken.  Und der Glaube ist dann stärker als die Angst.

Und nun, liebe Gemeinde, zurück zu dem sterbenden Jungen im Krankenhaus:

Nach einer Weile der Stille zeigte ich einfach auf die Osterkerze. Die Pastoralreferentin, die mich begleitete, hatte sie mitgebracht und angezündet. Ein großes rotes Kreuz durchschlug die weiße Wachsfläche der Kerze wie eine brennende und schmerzende Wunde. Und doch leuchtete die Kerze in dieser Finsternis. Auch eine kleine Flamme ist stärker als das Dunkel. Manchmal reicht ein Wort, um einen Funken Hoffnung zu entzünden. Denn was wäre mit uns, wenn es dieses Wort nicht gäbe?

Nachdem ich dem Jungen dann die Hand aufgelegt und ihm Stirn und Hände mit dem heiligen Öl der Kirche gesalbt hatte, beteten wir zusammen stammelnd das Vater unser, und der sterbende Junge nahm noch einmal - zum letzten Mal in diesem Leben - den zerbrochenen Leib des Herrn in sein brechendes Herz auf.

Möge auch uns das in unserer letzten Stunde vergönnt sein.

 

 

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Taufe des Herrn 2021

zu Mk 1,7-11

gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

und St. Johann

am 9. u. 10.1.2021

 

 

Als Jesus aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel aufriss.

Liebe Schwestern und Brüder, in der Geschichte von der Taufe Jesu scheint sich zu erfüllen, was wir in der Adventszeit immer gesungen haben: O Heiland, reiß die Himmel auf.

Welcher Himmel ist gemeint?

Es gibt Tage – vor allem jetzt im Winter – da ist der Himmel tatsächlich verschlossen. Kein Lichblick! Entsprechend ist unsere Stimmung. Erst recht, wenn wir unter dem Lockdown leiden und alles zu ist.. Wir scheinen dem Bösen schutzlos ausgeliefert zu sein.

Wir kennen aber auch das Umgekehrte: Wenn sich dann die Wolken lichten und die Sonne durchkommt. Die ganze Welt sieht dann mit einem Mal im Sonnenglanz ganz anders aus.

Doch dieser Himmel ist nicht gemeint, wenn wir darum bitten, er möge sich auftun. Im Englischen ist man genauer. Man unterscheidet zwischen Sky und Haeven. Sky ist der meteorologische Himmel und der astronomische Himmel. Doch das ist nur ein Bild, ein Gleichnis für Haeven, also für das, was die Bibel „Himmel“ nennt. Mit dem Wort „Himmel“ umschreibt die Bibel oft Gott, um den Namen Gottes nicht unnötig auszusprechen. Der Himmel ist verschlossen: das heißt soviel wie: Gott ist unerreichbar. Wir sind eingeschlossen in unsere Vergänglichkeit. Daraus gibt es kein Entrinnen. Der Tod ist dann unsere letzte Gewissheit. 

Reiß die Himmel auf! Das ist eine tiefe Sehnsucht im Menschen: nicht eingeschlossen zu sein in diese kurze Zeitspanne zwischen Geburt und Tod. Es ist eine verzweifelte Bitte um Leben, um ewiges Leben. Es ist eine Bitte um eine Perspektive der Ewigkeit.

Gott hat diese Bitte erhört. Das ist die Botschaft des heutigen Festes: Taufe Jesu.

Der Himmel ist auf die Erde gekommen; denn Gott hat uns seinen Sohn geschenkt. Dieser ist wahrhaft Mensch geworden. Er ist eingetaucht in unsere Wirklichkeit, in den Jordan, in die Abwässer der Geschichte, in das Blut und in die Tränen dieser Menschheit, in die höllischen Abgründe unserer Herzen.

Um uns zu sagen: Ihr seid nicht rettungslos gefangen in eurer Vergänglichkeit, ihr seid nicht eurem Schicksal preisgegeben, von eurer Schuldgeschichte erdrückt, dem ewigen Tod geweiht. Ihr seid nicht dazu gemacht, von der Erde verschluckt zu werden, fortgespült von einer schmutzigen Kloake. Sondern ihr seid dazu gemacht, aus der oft erstickenden Wirklichkeit eures Lebens wieder aufzutauchen und den Himmel offen zu sehen.

Mit Jesu Taufe beginnt seine öffentliche Verkündigung. Das, was Jesus bei der Taufe im Jordan sieht und hört, beginnt er nun bekanntzumachen und zu leben. Alle Welt soll es hören und sehen!

Was sieht und was hört er? Er sieht den Himmel offen. Die Welt ist nicht Endstation. Und er hört: Du bist mein geliebter Sohn!

Gott ist sein Vater. Der Geist Gottes erfüllt ihn und verbindet ihn mit Gott im Himmel. Er hat Gemeinschaft mit Gott, unverbrüchlich.

Doch all dies hat etwas mit uns zu tun. Johannes der Täufer hatte es angekündigt: Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. Derselbe Geist, der auf Jesus herabkam, soll auch auf uns herabkommen. Es ist dies, was Jesus zu verkündigen beginnt: Ihr alle sollt Anteil haben an diesem neuen Geist, an diesem Sohnschaftsverhältnis zu Gott. Für euch alle soll sich der Himmel öffnen. Gott will euch alle zu seinen Söhnen und Töchtern machen.

Keine Macht der Welt vermag Jesus mehr von seinem Weg abzubringen. Keine Macht der Welt kann ihn mehr schrecken oder ihn unmenschlich und böse machen. Auch die Ablehnung nicht, auf die er trifft. Selbst der Tod behält für ihn nicht mehr das letzte Wort. Er kann auch dieser dunklen Macht ins Gesicht schauen in der Gewissheit, dass er der geliebte Sohn Gottes ist und bleibt.

An Pfingsten wird dieses Werk vollendet sein: Dann kommt derselbe Geist auf die ganze Kirche und öffnet den Weg zum Himmel, schenkt eine Perspektive der Ewigkeit. Das heutige Fest ist also das Pfingstfest von Weihnachten. Hier beginnt Jesu Verkündigung. Jedem will er die Gewissheit schenken, dieselbe Gemeinschaft mit Gott zu haben, die er selber hat. Jeden, der an ihn glaubt und ihm folgt, nimmt er hinein in sein eigenes Gottesverhältnis. So entreißt er uns den Mächten des Todes und den Dunkelheiten in der Tiefe unserer Seele. Wir dürfen uns als adoptierte Söhne und Töchter Gottes verstehen. Denn Gott hat zu uns keine andere Liebe als die Liebe zu seinem Sohn. Der Himmel kann auch in uns und über uns aufgehen, wenn wir uns so verlässlich von Gott geliebt wissen wie Jesus.

Wenn Gott selbst in unsere Dunkelheit eintritt, dann hat das Dunkel seine Macht über uns bereits verloren. Wo Gottes Sohn eintaucht in den Jordan, in den Strom unserer Geschichte, da klären sich, renaturieren sich auch die schmutzigen Gewässer und wir müssen nicht ertrinken in unserer Geschichte und ersticken an unserer Schuld.

Gottes Sohn reiht sich ein in die Menschheit, taucht ein in unsere Wirklichkeit, verbrüdert sich mit uns Sündern, nimmt unsere Vergänglichkeit auf sich und zeigt uns, wie es sich leben lässt, wenn man Gemeinschaft mit Gott hat.

Durch sein Wort und in der Eucharistie taucht er jetzt ein in das Leben eines jeden einzelnen von uns, in unser Herz, in unser Innerstes, in unsere Dunkelheiten. Sein Leib in unserem Leib. Um auch uns seinen Himmel zu öffnen.

Gott sei Dank!

 

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Fest der Heiligen Familie

Predigt zu Lk 2,22-40

 

Gehalten in Osnabrück, St. Johann und St. Pius

am 27.12.2020

 

Liebe Schwestern und Brüder,

In dieser biblischen Geschichte von der Darstellung des Jesuskindes im Tempel findet die erste Begegnung Jesu mit seinem Volk und dessen Geschichte statt. Die Eltern Jesu führen ihr neugeborenes Kind in die Glaubensgemeinschaft Israels ein. Heute könnten wir sagen: Sie sind wie junge Eltern, die ihr neugeborenes Kind zur Taufe in die Kirche tragen. Dabei wird deutlich, dass das Kind in einen weiteren Rahmen gestellt wird, der den engen Kreis der Familie sprengt.

Maria und Josef bringen ihr Kind zum Tempel „um es dem Herrn zu weihen“. Die jü­dische Religion kannte also einen Ri­tus, der es den Eltern erleichtern konnte, ihre Kinder loszulassen. Doch sollten sie es nicht ins Leere hinein loslassen, son­dern in die guten Hände Gottes geben. Die Glaubensgemeinschaft Israels half den Eltern zu verstehen, dass ihr Kind nicht ihnen gehörte, sondern Gott. Ihm konnten sie es anver­trauen. Sie konnten sich gesagt sein lassen: Was auch im­mer der Weg eures Kindes sein wird, was auch immer ihm zu­stößt, es ist in Got­tes Hand. Ihr braucht keine übertriebene Sorge und Angst um euer Kind zu haben. Ihr braucht es nicht in Watte einzupac­ken und überbehütet aufwachsen zu las­sen. Ihr könnt euer Kind getrost in Gottes Hand wis­sen, ganz gleich wie sein Weg sein wird.

So erfahren die Eltern, dass sie gar nicht die letzte Verant­wortung für ihr Kind tragen müssen. Ihnen wird zwar die Ver­antwortung dafür nicht abgenom­men. Aber wenn „sie alles getan haben, was das Ge­setz des Herrn vorschreibt“, dürfen sie ihr Kind im­mer in Gottes Liebe ge­borgen wissen, die umfassender und größer ist als die Liebe der El­tern. 

Die Eltern Jesu weihen ihr Kind aber nicht ei­nem Gott, der ih­nen schweigend und unsichtbar ge­genüber stünde. Er kommt ihnen vielmehr in der Glau­bensgemeinschaft Is­raels entgegen, vertreten durch die Gestalten Simeons und Hannas. Diese beiden Glaubensgestalten verkörpern im Kon­trast zu den ju­gendlichen und unerfahrenen Eltern Jesu die lange Tra­dition und die Glau­bensgeschichte Israels. Das hohe Alter der beiden weist auf ihr Her­kommen aus einer alten Überlieferung. Sie sind darin er­probt. Sie haben einen langen Weg mit diesem Glauben hinter sich. Hanna wohnt gera­dezu in dieser Tradition, indem sie sich „ständig“ im Tempel aufhält. Die Weisheit Si­meons, mit der dieser die konfliktreiche Zukunft des Kindes weissagt, macht die Überle­genheit der Tradi­tion und Glau­bensgeschichte Israels über die jungen Eltern und ihre vielleicht naiven Vorstel­lungen deutlich. Der knorrige Alte nimmt ihnen ihre Illusionen und weissagt ih­rem Kind eine Zukunft, die ganz und gar nicht ihren Wün­schen und Vorstellungen entspricht: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kom­men und viele aufge­richtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ Besonders hart wird es die Mutter Jesu treffen. Ihr „wird ein Schwert durch die Seele drin­gen.“ Sie wird ihren Sohn loslassen und einen Weg gehen lassen müs­sen, den sie ihm nicht wünschen kann und von dem sie ihn am liebsten zurückhielte. Doch Maria und Josef konnten über diese Worte nur stau­nen, was nicht heißt, dass sie sie schon verstanden. Sie ma­chen in dieser Geschichte einen eher überfor­derten Eindruck.

In einer Gesellschaft, in der die Kleinfamilie immer mehr auf sich allein gestellt ist und in der es von Rat­tenfängern und Miet­lingen ge­radezu wimmelt, und in einer Kirche, in der selbst durch Priester Missbrauch an Kindern geschieht, können verantwortungsbewusste Eltern vielleicht oft nicht anders, als sich misstrauisch nach außen hin zu verhalten. Wie gut und entla­stend wäre es doch, wenn sie sich in der Glaubensgemeinschaft der Kirche mit ihren Kindern ohne Sorge ange­nommen wissen könnten. Solche umfassende Glaubensgemein­schaft wird dann zum Zeichen und Sakrament für das Hineingenommensein in die drei­faltige Liebe Gottes, die der Heilige Geist ist, das Wir von Vater und Sohn. Hier kann das Loslassen nicht nur der ei­genen Kinder ver­trauensvoll eingeübt werden.

Heute ist ja das Fest der Heiligen Familie. Wir sind es gewohnt, allein in Jesus, Maria und Josef die Heilige Familie zu sehen. Aber die Heilige Familie ist eigentlich viel größer. Um Jesus herum wird der Kreis immer weiter: Erst Maria und Josef, dann kommen die Hirten, später werden es die Apostel und die Jünger sein. Der Kreis wird größer. Aus lauter Ichs soll ein Wir werden. Jesus sprengt die bloß geschöpflichen Blutsbande. Er gründet eine neue, eine weltweite, katholische Familie.

Das heutige Evangelium spielt sich im Jerusalemer Tempel ab. Der Tempel war das Haus des Volkes Gottes, in dem man Gott begegnete. Ja, das Volk Gottes ist die eigentliche Heilige Familie, die Familie Gottes. Den Tempel aus Stein gibt es nicht mehr. Doch der Kreis ist noch viel größer gezogen. Der Sohn Gottes ist ja unser Bruder geworden, damit Gott auch unser Vater wird. Und alle, die an Jesus glauben werden selbst Geschwister vor Gott und beten: Unser Vater! Jesus selbst, der Sohn Gottes, ist nun selbst der Tempel, in dem wir Gott begegnen. Wir können in Gott wohnen wie Hanna im Tempel. Denn wir sind hineingenommen in die Liebe des Vaters zum Sohn, in den Heiligen Geist, das Wir Gottes. Gott will die Menschen aus lauter Ichs zum Wir führen, in sein eigenes Wir.

Die Heilige Familie Gottes ist sakramental sichtbar in der Kirche. Wir alle gehören zu dieser katholischen, weltweiten, universalen Familie Gottes. Und jeder Mensch ist eingeladen, an Jesus zu glauben und zu dieser Familie Gottes zu gehören. Und sich um diesen Tisch zu versammeln, der der Familientisch Gottes ist. Und Christus reicht uns seinen wahren Leib, so dass Gott in jedem von uns seinen Sohn sieht und liebt. Und auch wir ineinander Christus sehen können, unseren göttlichen Bruder, der auch uns zu Brüdern und Schwestern macht.

 

 

 

 

 

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1. Adventssonntag 2020

gehalten in Osnabrück St. Pius

 

 

Liebe Schwestern und Brüder.

„Seid wachsam!“, ruft der Herr uns heute zu Beginn des Advents zu. Er verteilt keinen Glühwein und keine Zimtsterne. Er spielt auch nicht einen albernen Weihnachtsmann oder Nikolaus, der Kinder beglückt. Die Zeiten sind zu ernst. Er bringt auch keinen Impfstoff, dafür aber ewiges Leben.

 Drei Mal sagt er im heutigen Evangelium : „Seid wachsam!“ Ja, Advent ist für uns Christen eine Zeit erhöhter Wachsamkeit und Nüchternheit. Wir sollen das wieder einüben, was eine christliche Grundhaltung ist: die Erwartung einer Vollendung, die wir uns nicht selber geben können. Denn wir leben in einer vergänglichen Welt. Die Corona-Pandemie macht nur sichtbar, was eigentlich immer gilt: Unser Leben ist zerbrechlich. Alles ist brüchig. Nichts bleibt, wie es war.

 

Deshalb ist am ersten Adventssonntag in der Liturgie vom Weltuntergang die Rede. Die Sterne fallen vom Himmel, die Sonne verfinstert sich, alles bricht zusammen und vergeht, alle unsere vermeintlichen Gewissheiten. Die Liturgie schläfert uns nicht ein, sondern nennt die Dinge beim Namen, stellt uns auf den schwankenden Boden der Tatsachen. Nichts von alledem wird bleiben, was uns so wichtig ist. Wir leben in einer brüchigen Welt, auf schwankendem Boden. Alles wird uns entgleiten, was wir uns aufgebaut haben und woran wir geglaubt haben. Unsere Ideale und Wünsche, die wir wie Sterne in den Himmel gehoben haben – sie müssen herabfallen, bevor Gott kommt. Unter den gegebenen Bedingungen ist wahrhaft menschliches Leben nicht möglich. Wir können unser Leben nicht selbst vollenden.

 

So ist der Advent eine Zeit der Erschütterung. Sie stellt alles in Frage, was uns so lieb und teuer geworden ist. Sie lässt den Grund, auf dem wir stehen, erbeben. Sie will uns bereiten für etwas, das größer ist als wir, größer als das, was wir selber machen und kaufen, größer als diese Welt und das Universum, das wir uns geschaffen haben. Der Advent will unsere Sehnsucht nach einer anderen Welt stärken. Ja, eine Vollendung, die nur Gott uns schenken kann.  Das Kommen des Menschensohnes. Eine neue Vision! Doch zuvor müssen unsere Sterne vom Himmel fallen, die Götter, an die wir geglaubt haben, alles das, was wir in den Himmel gehoben haben, alles muss einstürzen, damit Er kommen kann, damit das menschliche Antlitz Gottes einbrechen kann in die Barbarei des Seins.

 

Darum der Ruf zur Wachsamkeit. Seid wachsam! Gebt euch keinen Illusionen hin! Betrachtet die Welt nüchtern als was sie ist: vergänglich, brüchig, erschüttert. Die Geschichte barbarisch! Und wir können auf Dauer nichts festhalten. Alles wird uns genommen werden, bevor Er kommt als Richter der Lebenden und der Toten.

 

Advent – eine Zeit der Erschütterung. Der Erschütterung über uns selbst. Der Prophet Jesaja fasst diese Erschütterung in Worte: „Wir haben gegen dich gesündigt. Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid.“ Ja, was ist aus uns geworden? Wie stehen wir vor Gott? Wie in einem schmutzigen Kleid. Beschmutzt von unserer Gottvergessenheit, von unseren Lebenslügen, von unseren Irrwegen, von unserer Politik und von unserer Art zu wirtschaften. Denn, so der Prophet weiter: „Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich auf, festzuhalten an dir.“ Es ist als beschreibe er unsere Wirklichkeit, unsere gottvergessene Gesellschaft, die tausend Götter hat, aber den lebendigen Gott nicht mehr kennt. Sollen wir nicht erschüttert sein über diese Wirklichkeit? Über die Unmenschlichkeit, die unsere Welt im Großen aber auch im Kleinen auszeichnet? Über die ungerechten Verhältnisse, die wir nicht ändern, weil sie uns nützen. Über die Kriege und Bürgerkriege unserer Zeit? Über den Hunger ganzer Völker, der auch von uns mitverursacht wird? Über die Verwüstung ganzer Landstriche, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat treibt? Über die Umweltfolgen unserer Lebensweise? Über die Angst, die uns nur an uns denken lässt? Auch über die eigene Gemeinheit und Unversöhnlichkeit. „Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges, beflecktes Kleid.“

 

Die Erschütterung über unsere Welt, die Erschütterung über uns selbst, über die tägliche Gemeinheit und Feigheit, über unsere eigene Schuld und Mitschuld an den Verhältnissen, die wir nicht ändern wollen, ist aber der erste Schritt, damit unsere Idole und Götter einstürzen können und der Menschensohn kommen kann und die Menschlichkeit unser ängstliches Herz erobert. Die Erschütterung und die Klage über uns selbst, über die Realität, wie sie ist, kann so zum adventlichen Zeichen der Hoffnung werden. Zu einer Hoffnung auf den lebendigen Gott: „Und doch bist du, Herr, unser Vater!“, sagt der Prophet am Ende der ersten Lesung. Die Hinkehr zu Gott, die Sehnsucht nach dem Gott, der allein unser Leben vollenden kann, ist nach aller Erschütterung die adventliche Hoffnung, zu der wir berufen sind. Nur in Gemeinschaft mit Gott haben wir Zukunft und Hoffnung. Nur in Gemeinschaft mit Gott können wir auch Freude haben an der Welt und an dem, was sie uns bietet. Wer aber krampfhaft am Leben und an allem vergänglichen Glück sich festklammert, kann keine wirkliche Freude haben, weil er Angst hat, alles zu verlieren.

 

Der Advent will diese Angst überwinden. Er will unsere Schritte wieder festmachen auch auf schwankendem und brüchigem Boden, in den Wechselfällen des Lebens, auch im Unglück, das wir erleiden. In aller Not will der Herr bei uns sein. „Er wird euch festigen bis ans Ende“, schreibt Paulus an die Korinther, „so dass ihr schuldlos dasteht am Tag Jesu, unseres Herrn.“ Denn nur in ihm kann unser Leben und unsere Geschichte vollendet werden.

 

Advent also heißt: Die hungrigen Hände ausstrecken nach Gott. Sein Herz nicht selbst vollstopfen mit vergänglichen Dingen, sondern das Herz von Gottes Wort erfüllen lassen. Alles andere relativieren. Es ist letztlich nicht wichtig, ob ich dies oder das besitze, ob ich dies oder das im Leben erreiche, ob andere mich toll und beneidenswert finden, ob meine irdischen Wünsche erfüllt werden. Entscheidend ist doch, dass ich mehr und Größeres erwarte als alles, was die Welt mir bietet. Dass ich nicht ein Mensch werde, dem nichts mehr fehlt und dem doch alles fehlt. Denn wem nichts mehr fehlt, wer rundum satt und zufrieden ist – dem fehlt doch alles: der lebendige Gott, der allein unser Leben vollenden kann und zu dem macht, wozu wir geschaffen sind.

 

Im Advent üben wir diese Haltung ein: Erschütterung, Buße, Erwartung. Ja, jede Heilige Messe beginnt mit dem Schuldbekenntnis – Erschütterung über uns selbst. Das Bußsakrament lädt uns ein, uns von Gott neu ausrichten zu lassen und Vergebung zu empfangen. Und bei der Heiligen Kommunion strecken wir unsere Hände wie Bettler aus, hungrig nach Gott, hungrig nach unvergänglichem Leben. Das ist unsere adventliche Erwartung: Nur Gott wird unsere leeren Hände füllen und unser Herz bereit machen für sein Kommen.

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33. Sonntag im Jahreskreis

Mt 25,14-38

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens und in St. Pius 

 

Anna ist das Älteste von drei Geschwistern. Sie zeigt in der Schule eine hervorragende Begabung, vor allem für Sprachen und Literatur. Auch hat sie musikalisches Talent. Sie spielt Geige. Und sie findet Freunde. Das Gymnasium überfordert sie nicht. Sie macht ein super Abitur. Auch an der Uni, wo sie nun Wirtschaftswissenschaften studiert, entfaltet sie ihre Fähigkeiten. Sie darf auf eine gute Zukunft hoffen als Führungskraft. Ihre Eltern sind stolz auf sie.

Ihr Bruder Reinhard hat andere Begabungen. Mathematik und handwerkliche Fähigkeiten gehören zu seinen Stärken. In Sport macht er den anderen manches vor. Aufs Gymnasium geht er nicht, dafür macht er einen sehr guten Realschulabschluss und findet einen begehrten Ausbildungsplatz im Informatikbereich. Er kann sehr zufrieden sein. Und seine Eltern sind es auch mit ihm.

Und dann ist da noch der Klaus. Er tut sich in der Schule sehr schwer, ist nicht so talentiert und macht trotz Förderung kaum Fortschritte, schafft so gerade den Hauptschulabschluss. Von seiner Zukunft hat er nur vage Vorstellungen. Er hat viel Flausen im Kopf. Doch er ist hilfsbereit,  hat ein Gespür für Gerechtigkeit und ein Herz für andere. Er ist im Ruderverein, was ihm viel Spaß macht. Aber einen Ausbildungsplatz findet er nicht. Die Gesellschaft braucht ihn nicht. Hier und da ein Minijob. Er wird ausgenutzt von den Abzockfirmen. Bald lässt er sich hängen, sitzt nur vor seinen Computerspielen. Alkohol kommt dazu und schlechte Gesellschaft. Ein Schicksal von ganz vielen! Die Eltern sind ratlos.

So könnte man das Gleichnis zunächst verstehen.

Es scheint in ihr tatsächlich ungerecht zuzugehen. Die Begabungen sind ungerecht verteilt. Und wenn wir uns einmal hineinversetzen und hineinfühlen in den dritten Knecht oder in den Klaus, dann können wir die Angst des dritten Knechts nachvollziehen. Ihn hat das Schicksal offensichtlich benachteiligt. Er hat weniger abgekriegt. Wenn er sich mit den anderen vergleicht, mit Anna und Reinhard, wird er denken: die anderen sind schöner, klüger, reicher als ich. Das Leben ist ungerecht. Die anderen scheinen bevorzugt zu sein. Die Chancen sind ungleich. Wie lässt sich damit leben? Es ist die Erfahrung, die jeder Mensch machen kann, wenn er erkennt, dass andere es zu mehr bringen, talentierter, begabter sind, beliebter und attraktiver. Aus lauter Angst, die Forderungen des Lebens nicht zu erfüllen und nicht so zu sein wie andere, kann man sich am Ende selber verachten. Wie der dritte Knecht, der sein einziges Talent vergraben hat und damit sich selbst. Und aus lauter Angst will er nichts riskieren und kein Wagnis eingehen.

Aber ist es das, was Jesus sagen will? Der letzte Satz – die Moral von der Geschichte – erschließt den Sinn vielleicht schon besser: Wer hat, dem wird gegeben ... wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Nanu! Will Jesus zum Kapitalismus anleiten? Sollen die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden? Auch das ist Realität unserer Welt.

Aber auch damit ist das Gleichnis missverstanden. Jesus erzählt vielmehr ein Gleichnis vom Himmelreich und von seiner Wiederkunft. Und mit dem Wachsen der Talente ist wohl eher das Wachsen des Himmelreichs gemeint. Wenn der Herr wiederkommt, was findet er dann für eine Welt vor? Sind Glaube, Hoffnung und Liebe gewachsen?  Hat nicht jeder von uns Talente erhalten, um den Glauben weiterzugeben? Ist das Wort Gottes, ist der Glaube nicht das Talent, das Kreise ziehen, das Frucht bringen soll, damit das Reich Gottes wächst? Großes ist uns anvertraut! Gottes Wort! Wie gehen wir damit um? Wie sagen wir es weiter? Wie bezeugen wir es? Der eine hat vielleicht mehr, der andere weniger Glaubenskraft und Glaubensverständnis bekommen. Doch wir alle sind berufen, mit den Talenten zu wuchern, Glauben zu wecken. Die einen im Großen, die anderen im Kleinen, je nach unseren natürlichen Fähigkeiten. Man muss kein Thomas von Aquin oder Karl Rahner sein oder Edith Stein oder Dietrich Bonhoeffer. Man muss auch kein Priester sein. Jeder Christ, jede Christin trägt Verantwortung für das hohe Gut, das uns anvertraut wurde. Man kann Gottes Wort nicht für sich behalten. Es will bezeugt werden und Glauben wecken, Vertrauen schenken, andere Menschen befreien von der Angst um sich selbst, es will Trost schenken auch in Zeiten der Not. Gottes Wort ist das höchste Gut, das uns allen anvertraut wurde. Es ist das Wort, das uns Gemeinschaft mit Gott schenkt, eine Geborgenheit, die Leben und Sterben überdauert.

Doch nicht jeder ist sich dieser Verantwortung bewusst. Man kann dieses hohe Gut auch vergraben und verstecken, so dass es keine Frucht bringt. Der dritte Knecht ist gemeint. Uns wohl zur Warnung. Aus lauter Angst hat er es vergraben in einem Erdloch. Es ist nichts draus geworden. Kann es nicht auch uns so gehen? Wir erklären den Glauben zur Privatsache, verstecken ihn, verleugnen ihn und machen nichts daraus. Dann hat man nicht verstanden, was uns anvertraut wurde. Der Glaube kommt vom Hören. Niemand hat ihn aus sich. Er wurde uns anvertraut, damit wir ihn weitergeben, damit auch andere eine Perspektive der Ewigkeit bekommen. Aber manche Eltern betrügen ihre Kinder um diese Perspektive der Ewigkeit, um dieses Vertrauen in die Güte Gottes, ja um diese Gemeinschaft mit Gott. Vielleicht lassen sie ihr Kind noch taufen und feiern Weihnachten, aber ohne zu erschließen, worum es darin eigentlich geht. Dann wird der Glaube nur weitergegeben wie im verschlossenen Briefumschlag. Der Briefumschlag wird kaum geöffnet, die Botschaft kaum gelesen. Das anvertraute Gut bringt dann keine Frucht.

Unser Evangelium ist ein Gerichtsgleichnis. Wenn der Herr wiederkommt – wie wird er uns vorfinden? Welche Frucht haben wir gebracht? Wie haben wir den Glauben bezeugt durch Hoffnung und Liebe, die wir verschenkt haben? Am Ende wird sich zeigen, dass wir nur das behalten, was wir verschenkt haben. Und was wir ängstlich festgehalten haben, zerrinnt zu Nichts.

Nur im Glauben steht man recht vor Gott. Der Unglaube aber ist die äußerste Finsternis.

Es geht also darum, das Evangelium zu bezeugen, Nächstenliebe zu üben, Versöhnung anzubieten, Frieden zu stiften. Schon unsere Teilnahme am Gottesdienst ist ein Zeugnis des Glaubens. Jeder, der mitfeiert, stärkt dadurch die anderen im Glauben. Aber jeder, der fernbleibt, schwächt die anderen im Glauben. Und was sonntags gilt, gilt auch für das alltägliche Leben und Zusammenleben.

Der Herr wird uns am Ende sicher nicht fragen, warum wir nicht Mozart waren oder Paulus oder Marie Curie oder Einstein. Er möchte vielmehr, dass wir mit den Fähigkeiten, die wir bekommen haben – auch wenn es nur wenige sind -, diejenigen werden, die wir sind und als die Gott uns gedacht hat: nämlich seine Kinder, die nicht mehr aus Angst um sich selbst leben, aus lauter Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen. Menschen also, die im Vertrauen auf diese Güte Gottes auch anderen die Gewissheit vermitteln, daseinsberechtigt zu sein und von Gott geliebt. Mehr als dieses Vertrauen braucht man nicht, um mit dem zu wuchern, was wir erhalten haben. Keiner muss seine Talente begraben. Jeder kann daraus etwas machen, wenn er nur Vertrauen in Gottes Wort hat.

Die Eucharistie lädt uns wieder ein, einzutreten in die Gemeinschaft mit Gott. Wir alle sind Bettler vor ihm. Wir können ihm bei der Kommunion nur unsere leeren Hände hinhalten. Und er füllt unsere leeren Hände und schickt uns nicht mit leeren Händen fort. Er schenkt uns seinen Sohn in unsere leeren Hände. Das ist das einzige wahre Talent, mit dem wir wuchern sollen. Denn ihm gehören wir.

Alles andere findet sich.

 

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32. Sonntag im Jahreskreis

Weish 6,12-16; 1 Thess 4,13-14; Mt 25,1-13

Osnabrück St. Pius

  

Zwei Fußballmannschaften treten gegeneinander an.

Zum Endspiel um die Weltmeisterschaft.

Es geht ums Ganze.

Die eine Mannschaft ist klug, hat rechtzeitig und ausdauernd trainiert. Sie hat sich fit gemacht für das große Endspiel.

Die andere Mannschaft aber hat das Training törichterweise vernachlässigt. Siegessicher ruht sie sich auf früheren Erfolgen aus. Feuchtfröhlich hat sie den Sieg im Halbfinale gefeiert. Müde und verkatert treten die Spieler zum Endspiel an.

Und so geschieht das Unvermeidliche. Die gut vorbereitete Mannschaft schießt ein Tor nach dem anderen. Abpfiff in der 90. Minute: 10:0 für die Durchtrainierten. Für die anderen ist alles zu spät. Der heiß ersehnte Pokal ist in unerreichbare Ferne gerückt.

So ähnlich, liebe Schwestern und Brüder, könnte man das Gleichnis aus dem heutigen Evangelium ins Heute übersetzen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!

Aber wie gesagt, es ist ein Gleichnis. Es geht ihm weder um Fußball, noch um eine altorientalische Hochzeit, bei der man mit einer Verspätung des Bräutigams rechnen musste, weil er mit den Eltern der Braut noch den Brautpreis aushandeln musste. Das konnte lange dauern. Darauf waren die törichten Jungfrauen nicht vorbereitet.

Nein, liebe Gemeinde, es geht um das Kommen des Herrn zu uns. Er ist der Bräutigam, der sich mit uns auf ewig vermählen will: neuer und ewiger Bund. Und ihn kann man verpassen wenn man nicht mit ihm rechnet und unvorbereitet ist.

Es geht also um den ganzen Ernst unseres Lebens. Wer von uns weiß denn schon, ob er nicht bereits im Finale seines Lebens steht?

Wir verdrängen diese Frage gern. Denn der Tod steckt uns zwar in den Knochen. Wir sind vergänglich. Früher oder später kommt das Finale. Es ist nur eine Frage der Zeit. Doch nicht nur der Tod, auch die Angst vor dem Tod steckt uns in den Knochen. Also besser nicht daran denken. So tun, als ob es immer so weiterginge wie bisher. Pustekuchen, sagt uns das Evangelium heute. Das ist dumm und töricht. Es kann ein Zu-spät geben. Man kann alles verspielen. Wer ohne Öl für sein Glaubenslicht vor der verschlossenen letzten Tür steht, der kann sie nicht mehr öffnen. Das wäre die Hölle. Denn Gott bleibt dann auf ewig unerreichbar. Damit aber bleibt auch unsere Voll-endung in unerreichbarer Ferne.

Bei der Entscheidung für oder gegen den Glauben, liebe Gemeinde, geht es also nicht um etwas letztlich Belangloses oder um eine religiöse Wellness, eine leckere Himbeersoße, mit der wir bei feierlichen Anlässen unser Leben garnieren. Bei der Entscheidung für oder gegen den Glauben steht alles auf dem Spiel. Es geht um Leben und Tod. Um Heil und Unheil. Ja, es geht um die Entmachtung unserer abgrundtiefen Angst um uns selbst durch eine Perspektive der Ewigkeit. Diese Perspektive kann nur Gott uns geben, wenn wir offen sind für sein Wort und uns darauf einlassen.

Wer aber den Glauben ablehnt, kann keine Perspektive der Ewigkeit haben. Sein Blick reicht nur für diese kurze Lebensspanne. Krampfhaft muss er alles Glück festhalten aus Angst, alles zu verlieren. Und er weiß nie, ob er nicht schon im Finale steht. Und er kann auch keine Hoffnung für seine verstorbenen Angehörigen  und Freunde haben. Für ihn ist mit dem Tod alles aus. Und den können wir nicht besiegen.

Etwas ganz anderes schenkt uns der Glaube an Christus. Denn er schenkt uns Gemeinschaft mit Gott. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob man sich in Gemeinschaft mit Gott weiß oder nicht. Denn gegen unsere Gemeinschaft mit Gott kommt keine Macht der Welt mehr an, selbst der Tod nicht. Paulus bestärkt uns heute in dieser Hoffnung in der 2. Lesung aus dem Brief an die Thessalonicher: „Wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die Verstorbenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen.“ Jesu Gemeinschaft mit Gott war so, dass auch der Tod sie nicht mehr zerstören konnte. Das meinen wir, wenn wir von seiner Auferstehung sprechen. Jesus aber hat auch alle, die an ihn glauben, hineingenommen in seine Gemeinschaft mit Gott. Er hat auch uns Gott zum Vater gegeben. Wir dürfen uns von Gott mit derselben unendlichen Liebe angenommen wissen, mit der Gott von Ewigkeit her seinem Sohn zugewandt ist. Darin besteht das ganze Geheimnis unseres Glaubens.

Deshalb brauchen wir nicht so zu trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben, die keine Perspektive der Ewigkeit haben. Aber auch ihnen sollen wir sie wünschen.

Tatsächlich muss der Christ an der Welt und an seinem Leben nicht mehr verzweifeln. Eben deshalb nicht, weil er die Welt nicht mehr vergöttern muss. Sie ist ihm nicht das ein und alles. Und er kann auch viel mehr Freude an allem Schönen in der Welt haben, weil er nicht mehr aus Angst lebt, alles zu verlieren. Die Gemeinschaft mit Gott kann man nicht verlieren. Auch nicht durch den Tod.

Doch dieser Glaube, liebe Schwestern und Brüder, muss gepflegt werden, damit er nicht erlischt. Er braucht Nahrung wie eine Öllampe Öl braucht, um nicht auszugehen. Oder wie unser leibliches Leben. Auch unser Leib braucht täglich gesunde Nahrung, um am Leben zu bleiben. Ebenso braucht auch der Glaube Nahrung. Diese Nahrung ist das Wort Gottes, das uns die Perspektive der Ewigkeit immer wieder neu schenkt. Diese Nahrung sind die Sakramente, in denen wir unsere Gemeinschaft mit Gott feiern. Es ist die Verzeihung unserer Schuld, die wir von Gott erbitten müssen. Diese Nahrung wirkt sich aus in unserem täglichen Beten, in dem wir auf Gottes Wort antworten, und in der Liebe und Großzügigkeit gegenüber unseren Mitmenschen. Denn wirklich lieben und sich verschenken kann man nur, wenn man nicht mehr unter der Angst um sich selbst lebt. Es ist die Angst, die uns egoistisch handeln lässt und die uns sogar unmenschlich machen kann. Doch der Glaube an Christus entmachtet diese Angst. Die Angst verschwindet auch im Glaubenden nicht, aber der Glaube ist dann stärker als die Angst.

Aber wenn wir unseren Glauben nicht pflegen, ihm keine Nahrung mehr geben, ihn verkümmern lassen, Gottesdienst und Gebet vernachlässigen, die gute Beichte immer  und immer wieder aufschieben – dann leben wir wieder wie die, die keine Hoffnung haben, dann verweltlichen wir wieder und verlieren das eigentliche Ziel unseres Lebens aus dem Blick.

Der Glaube an Christus erweist sich so als die wahre Weisheit sowohl im Hinblick auf dieses Leben als auch im Hinblick auf das ewige Leben. Es ist die Weisheit, die die törichten Jungfrauen nicht besaßen. Die 1. Lesung aus dem AT spricht von dieser Weisheit, die „strahlend und unvergänglich ist“. Sie wird uns mit dem Glauben gegeben. Und im Glauben betrachtet ist diese Weisheit Christus selbst, der in uns lebt und unvergänglich ist.

Mit dieser Weisheit ausgerüstet, verpasst man sein Kommen nicht, sondern kann ihm auch in den Widrigkeiten des Lebens, ja selbst unter den Kreuzen, die wir zu tragen haben, hoffnungsvoll entgegen gehen. Es ist die Weisheit, die uns auch das Finale unseres Lebens bestehen lässt. Denn wir können auch durch noch so viele Aktivitäten und Erlebnisse und selbst wenn wir 100 Jahre alt werden sollten, unser Leben nicht vollenden. Nur Gott kann unser Leben vollenden.

Wir feiern jetzt Eucharistie.

Das Abendmahl, die hl. Messe ist ein Vorausbild des ewigen Hochzeitsmahles,

wenn unser Bräutigam kommt, um den ewigen Bund einzulösen

und uns, seine Braut, heimführt durch die offene Tür in den Hochzeitssaal

und alle versammelt an einem Tisch

zum großen Fest

ohne Finale.

 

 

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Allerheiligen 2020

Predigt zu Offb 7,2-4.9-14

 

Gehalten in Maria Königin des Friedens

Osnabrück Sutthausen

 

 

 

„Eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen – niemand konnte sie zählen. Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm.“

Liebe Schwestern und Brüder,

wer sind diese Menschen in weißen Gewändern, die da vor dem Thron Gottes stehen? Es ist eine Himmelsvision des hl. Johannes. Er sieht bereits die Zukunft der Kirche im Himmel. Es ist ein Bild der Vollendung: weiße Gewänder, Palmzweige in den Händen. Ein Bild vollendeter Reinheit und Würde, großer Unschuld und Heiligkeit und überschwänglicher, feierlicher Freude. 

Die Kirche, die schon bei Gott in der Ewigkeit angekommen ist! Die vielen, die vor uns Jesus nachgefolgt und uns vorangegangen sind: Augustinus, Benedikt, Theresia, Franz von Assisi, Katharina, Edith Stein – um nur ein paar Namen zu nennen. Dazu die unzählige Schar der anderen. Und – wie wir hoffen – auch unsere Lieben, die wir gekannt, mit denen wir gelebt haben und die nun unsere Freunde im Himmel sein mögen.

Weiße Gewänder – Reinheit, Wahrheit, Klarheit spricht daraus.

Die Kirche des Himmels.

Doch die Kirche auf Erden?

Da scheint es einen Kontrast zu geben. Immer wieder kann man beobachten, wie die Medien auf die Kirche einschlagen. „Katholisch“ wird langsam zum Schimpfwort. Man erkennt in der Kirche die Gemeinschaft der Heiligen nicht mehr. In den vergangenen Jahren waren es die traurigen und beschämenden Missbrauchsfälle, die die Kirche befleckten und unendlich viel an Vertrauensverlust brachten. Jetzt ist es ein Kardinal in Rom, von dem man sagt, er habe keine weiße Weste und sei in einen Finanzskandal verwickelt und habe Geld veruntreut. Aber die Medienschelte nimmt uns alle als Kirche in Sippenhaft: Vertrauensverlust, Glaubwürdigkeitsverlust, Ansehensverlust. Irgendwie gehören wir natürlich auch alle durch die Taufe zusammen. Mit einem Mal aber scheint alles vergessen zu sein, was die Kirche seit Jahrhunderten für unsere Gesellschaft an sozialen Diensten tut, für Gesundheit, für Erziehung, für Bildung. An selbstlosem Dienst und Einsatz für die Schwächsten unserer Gesellschaft und weltweit für die Würde der Ärmsten der Armen. In Indien, in Lateinamerika habe ich es selbst erlebt: Es sind fast nur Christen, es ist nur die Kirche, die sich um die Armen kümmert, ihre Rechte einklagt, ihnen Würde gibt. Oder denken wir an die sinnstiftende Seelsorge in dieser orientierungslosen Gesellschaft. An Gebet und Verkündigung. An Vergebung in Situationen großer Schuld. An Trost in der Trauer durch Gottes Wort. Nur die Kirche trägt doch die Hoffnung weiter, dass unser Leben und unsere Geschichte in Gott vollendet wird.  Es gibt eben nicht nur Missbrauchstäter in der Kirche, nicht nur Vertuscher und zwielichtige Bischöfe und Kardinäle. Es gibt auch die Heiligen, die, die selbstlos dienen und das Evangelium leben.

Wenn unsere Botschaft ausstirbt und mit ihr die Hoffnung und das Vertrauen in Gottes Wort, dann werden wir eines Tages allein sein, allein mit unserer Vergänglichkeit, allein in unserer Angst und Verzweiflung, allein mit unseren Krankheiten, allein mit unserer Schuld, allein mit unserem Tod. Dann wird es aus sein mit der Himmelsvision, mit den weißen Gewändern, mit der Hoffnung auf Vergebung und Vollendung. Dann bleiben wir in unserem Fleischesrock, der die Spuren unseres Lebens trägt und am Ende zu Staub zerfällt.

Liebe Schwestern und Brüder, der Blick auf die Kirche des Himmels kann uns helfen, die Hoffnung und die Liebe zur Kirche auf Erden zu bewahren. Unser Kapital an Heiligen ist weit größer und bedeutsamer als unser Kapital an Geld. Wir sollten es nicht durch einen falschen Umgang mit dem Geld verspielen!

Als wir getauft wurden, wurde uns gleich nach dem Taufbad ein schneeweißes Kleid angezogen: „Du hast Christus angezogen“, sagte uns der Priester und „Bewahre diese Würde für das ewige Leben!“ Schon zu Beginn unseres Lebens wurde uns also gesagt, wozu wir gemacht sind: Um eines Tages mit dem weißen Taufkleid vor dem Thron zu stehen, zusammen mit der großen Schar aus allen Völkern. Und um zur Gemeinschaft der Heiligen zu gehören – auch schon hier auf Erden.

Was ist geschehen mit unserem weißen Taufkleid? Ist es noch leuchtend weiß wie am ersten Tag? Oder trägt es die Spuren unserer Wege, den Staub der Straße, den Schmutz unserer Irrwege und Abwege? Ist es befleckt und besudelt durch unsere Untreue? Und wenn ja, wie können wir es waschen, wieder zur ursprünglichen Reinheit bringen, damit man in uns als Kirche wieder die Gemeinschaft der Heiligen erkennt?

Wohl niemand kommt mit einer weißen Weste, mit leuchtend weißem Taufkleid durch dieses Leben. Wir wissen, dass wir hinter unserer Berufung zurückbleiben. Weil wir schwache Menschen sind und nur aus Gnade leben. Deshalb ist die heilige Kirche eine Kirche der Sünder. Das braucht man gar nicht zu glauben. Das weiß jeder. Und niemand kann sein Taufkleid wieder reinwaschen, sich selbst reinwaschen. Dazu fehlt uns das Waschmittel.

Und doch sind wir dazu gemacht, zu der großen Schar zu gehören, die einmal in weißen Gewändern vor dem Thron Gottes steht. Und wir sind dazu berufen, aus dieser Hoffnung zu leben und auf dieses Ziel hin unseren Weg zu gehen. Nur als Kirche Gottes wissen wir um dieses Geheimnis unserer Bestimmung.

Ja, das Waschmittel. Es liegt nicht in unserer Hand. Nur Gott kann es uns schenken. Nur er kann uns reinwaschen, uns heiligen im Sakrament der Buße und in den anderen Sakramenten unsere Christuswürde wieder erstrahlen lassen – wie am ersten Tag. Das heißt, sich heiligen lassen, die heiligmachende Gnade empfangen.

Die erste Lesung aus der Offenbarung des Johannes fährt dann fort in der Himmelsvision: „Wer sind diese, die weiße Gewänder tragen?“, wird gefragt. Wie kommt es, dass diese Gewänder weiß sind? Das ist doch kaum zu glauben. Und die überraschende Antwort: „Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Kleider gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht.“ Klingt das nicht paradox: im Blut des Lammes weiß gemacht? Blut ist doch rot!

Dieses Blut des Lammes ist offenbar das Waschmittel, das einzige, das uns vor Gott in leuchtend weißen Gewändern erscheinen lässt. Das Blut, das Christus vergossen hat, um uns heimzuführen zu Gott. Er hat sein Blut vergossen, weil er in aller Anfeindung zur Wahrheit Gottes und zu seiner Botschaft gestanden hat. Er hat sein Leben hingegeben für uns. Sein Blut vergossen für so viele zur Vergebung der Sünden.

Tatsächlich schaut Gott uns nicht so an, wie wir es als einzelne und als Kirche verdient haben, angeschaut zu werden. Er schaut uns an, wie er von Ewigkeit her seinen Sohn anschaut. Dieser ist Mensch geworden. So kann Gott in jedem Menschen seinen Sohn wiedererkennen. Das Ansehen Gottes, nicht das Ansehen, das wir in der Gesellschaft haben, ist das, was uns heilig macht und uns jetzt schon verbindet mit der Kirche im Himmel, mit den Heiligen, die schon vollendet sind. In der Verbundenheit mit Christus, mit seiner Hingabe am Kreuz, die wir jetzt in der Eucharistie feiern, gehören wir schon hier auf Erden als die Sünder, die wir sind, zur Gemeinschaft der Heiligen.

 

 

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30. Sonntag im Jahreskreis

Ex 22,20-26; Ps 18; 1 Thess 1,5c-a0; Mt 22,34-40

Gehalten in Osnabrück St. Pius am 24. u. 25.10 2020

 

Gott lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.

 

Liebe Schwestern und Brüder, wie geht das, Gott über alles lieben. Kein Mensch hat Gott je gesehen. Wie kann man jemand lieben, den man nicht sieht. Man kann ihm nicht um den Hals fallen, ihn an sich drücken und herzen, man kann ihm nichts Gutes tun. Und doch ist es das erste und wichtigste Gebot. Wie soll man es erfüllen?

Anders scheint es mit der Nächstenliebe zu sein, die ebenso wichtig ist. Man kann anderen Gutes tun, Kranke besuchen, sich in die Not anderer hineinversetzen, solidarisch sein, Geld spenden für die Armen, Böses mit Gutem vergelten. Man kann einen Menschen ganz besonders lieben, ihn heiraten und ihm die Treue halten ein Leben lang.

Aber Gott – wie liebt man ihn?

Denn wer ist denn nun dieser Gott, den wir über alles lieben sollen?

Vielleicht hat ja auch die Wirklichkeit der Welt damit zu tun, dass wir den falschen Gott lieben.

Hier kann uns Martin Luther weiterhelfen. Er hat bei uns Katholiken zwar nicht den besten Ruf; aber als Theologe hat er doch viele Richtiges gesagt. Es kann uns nachdenklich machen. 

Luther sagt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ So gesehen liebt jeder Mensch seinen Gott: er kann sein Herz ans Geld hängen oder an Macht, er kann sein Herz an eine Person hängen und von ihr erwarten, dass sie den lieben Gott für ihn spielt, man kann Gesundheit für das ein und alles halten, man kann seine Karriere über alles lieben und so seine Familie zerstören, Fußball kann zum Gott werden genauso wie Sex, Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung, man kann den erreichten Lebensstandard um jeden Preis erhalten wollen, ja, man kann auch sich selbst zum Gott aufspielen. Sogar Religion, wie wir das durch den Islamischen Staat erlebt haben oder jetzt wieder bei dem Mord an dem Lehrer in Paris.

So kann jeder Mensch seinen Gott, seinen Götzen haben. Es sind diese Götzen, die uns hindern, wahrhaft menschlich zu werden, liebende Menschen zu sein und die Grenzen der eigenen Interessen und der eigenen Familie zu sprengen und zu überschreiten. Tief im Herzen kann die Angst sitzen, diesen Gott, an dem unser Herz hängt, zu verlieren. Unsere Knappheitsängste. Unsere Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen. Es sind unsere Götzen, die uns egoistisch machen und an der Liebe zum Nächsten hindern.

In der zweiten Lesung haben wir gehört, wie Paulus die Christen in Thessaloniki dafür lobt, dass sie sich von den Götzen zum lebendigen und wahren Gott bekehrt haben. Dies kann man von jedem Christen erwarten: dass er keine Götter mehr hat, an die er sein Herz hängt und die er um jeden Preis bewahren will. Wer sich von diesen Götzen bekehrt, der beginnt damit, Gott über alles zu lieben. Götzen sind sie, weil sie nur etwas Irdisches, nur geschöpflich sind. Oft sind es Dinge, die Faszination auf uns ausüben. Und je faszinierender etwas oder jemand ist, umso leichter kann man sein Herz daran hängen, es mit Gott verwechseln, an Gottes Stelle setzen und sich davon alles mögliche Glück und Heil versprechen. Umso unglücklicher und verzweifelter ist man dann, wenn einem dieser Gott genommen wird. Götzen sind also Götter, die man erst haben muss, um sich dann auf sie zu verlassen. Sie sind nur ein Stück Welt. Den wahren und lebendigen Gott aber kann man nur so haben, dass man sich ihm anvertraut, mit Haut und Haaren. Und eben so liebt man Gott, indem man ihm Glauben und letztes Vertrauen schenkt.

Dass man Gott nicht sieht, ist gut. Denn ein Gott, den man sehen und anfassen kann, wäre ja wieder nur ein Stück Welt und deshalb gar nicht vertrauenswürdig. Ein Gott, den man sieht, ist ein Götze., ein Idol, ein Abgott. So kann jeder Mensch seinen Gott, seinen Götzen haben.

Denn Jesus nennt das Gebot der Nächstenliebe „ebenso wichtig“ wie das der Gottesliebe. Wenn aber Menschen an ihren Götzen hängen, dann haben sie Angst, sie zu verlieren. Sie sichern sich ab. Sie können egoistisch werden. Aus Liebe zu den Götzen kann der Mensch auch über Leichen gehen. Jeder denkt dann nur an sich, jeder liebt nur sich. Deshalb hängen die beiden Gebote aufs engst zusammen. Ohne Liebe zu Gott, ohne Abkehr von den Götzen kann die Welt nicht menschlich werden. Und eben darum ging es Jesus. Er wollte die Menschen zu Gott führen und dadurch menschlich statt unmenschlich machen. Wer sich Gott anvertraut, der kann auch lieben, weil er sich von Gott unendlich geliebt und angenommen weiß.

Jesus selbst war frei von diesen Götzen, an die man sein Herz hängen kann. Sein Herz hing am wahren Gott, den er seinen Vater nannte. Diese Gemeinschaft mit Gott machte seine ganze Freiheit aus, für andere da zu sein und sie zu lieben, selbst seine Feinde. Zu diesem Gott wollte er auch andere Menschen befreien. Denn die Götzen versprechen Glück, halten ihr Versprechen aber nicht. Wenn das Herz an Geld und Glück hängt, dann kann es sich nicht öffnen, dann kann es nicht weit werden, dann wird es zu Stein. Wer aber sein Herz an den Gott Jesu hängt, der wird frei von all diesen Götzen und wird ein liebender Mensch.

Wer aber ist mein Nächster? Ist es nur der Allernächste oder auch der Übernächste? Meine Banknachbarin – meine Nächste? Die türkische Familie nebenan – meine Nächsten? Die Drogis – meine Nächsten? Oder all die Menschen, mit denen wir am liebsten nichts zu tun haben? Für Jesus gibt es hier wohl keine Ausnahmen. Jeder kann mein Nächster sein und mein Nächster werden. Ja, jedem kann auch ich zum Nächsten werden. Und eben darauf kommt es wohl an. Nicht ich bestimme, wer mein Nächster ist, sondern der andere bestimmt mich zu seinem Nächsten und führt mich so in die Verantwortung.

Jesu Wort spricht uns deshalb an auf unsere Verantwortung füreinander, auf unsere Verantwortung für die Welt – eben für die Welt, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn für sie hingegeben hat. Damit wir aus Unmenschen zu Menschen werden.

Wie geht das nun: Gott lieben und den Nächsten lieben? Es geht wohl nur so, dass wir zum Durchgang der Liebe Gottes werden, indem wir uns mit unserem Leben Gott anvertrauen. Indem wir glauben. Glauben heißt, sich von Gott mit derselben Liebe geliebt wissen, mit der Gott von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Indem der Sohn einer von uns wurde, liebt Gott in jedem von uns seinen Sohn. Das gilt ohne Ausnahme. Wer sich so hineingenommen weiß in das Gegenüber des Sohnes zum Vater, der wird sich auch verantwortlich wissen für den Nächsten und kann auch dem Fernsten zum Nächsten werden. Er versteht, dass Gottes Liebe unteilbar ist. Er versteht, dass Gottes- und Nächstenliebe nicht zwei Lieben sind. Und auch, dass Lieblosigkeit gegen Menschen und Lieblosigkeit gegen Gott nicht zwei verschiedene Lieblosigkeiten sind. Man kann das eine nicht ohne das andere tun.

In unserer Gesellschaft, in der sich zunehmend alles um andere Götter dreht, in der Geiz geil ist und wo vollmundig gerufen wird: „Ich bin doch nicht blöd!“, in der es deshalb immer mehr Ungleichheit gibt, Gewinner und Verlierer – da müssen wir es wohl wieder neu lernen und ausbuchstabieren, was es heißt, den Gott Jesu zu lieben und darin Verantwortung zu übernehmen und Solidarität mit den Verlierern, mit den Fremden und den Andersartigen zu leben. Es kommt eigentlich alles darauf an, dass man auch von uns sagen kann, was Paulus in der zweiten Lesung an die Gemeinde in Thessaloniki geschrieben hat: „Man erzählt sich überall ... wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten.“ Christen sind Menschen, die alles von Gott erwarten und erhoffen. Auch darin besteht die Liebe zu Gott.

Wenn wir jetzt Eucharistie feiern, liebe Gemeinde, dann wird das Kreuzessopfer Jesu unter und lebendig, seine Liebe zu Gott, die ihn befähigte, aus Liebe zu den Menschen sein Leben zu verschenken. Hier empfangen wir den Sohn als Gabe Gottes in unsere leeren Hände. Gott selbst schenkt sich in unsere Hände und in unsere Herzen. Denn Christus will in jedem Menschen wohnen und in jedem Menschen entdeckt und gefunden werden.

 

 

 

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29. Sonntag im Jahreskreis

Predigt zu Mt 22,15-21

Gehalten in Osnabrück, St. Pius am 17. U. 18.10.2020

„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und gebt Gott, was Gott gehört!“

Aber was, liebe Gemeinde, gehört denn nun dem Kaiser? Und was gehört Gott? Und gehört nicht alles Gott, auch der Kaiser?

Sind das überhaupt Fragen, die uns heute noch bewegen? Gott ist doch nach Friedrich Nietzsche schon lange tot. Und der Kaiser hat kurz danach abgedankt. Also gehört alles uns.

In der Tat: Die Neuzeit inthronisierte den Menschen als autonomes, selbstbestimmtes Subjekt. „Aufklärung“, schreibt Immanuel Kant, „ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündig­keit.“

Wer von uns könnte Kant hier widersprechen wollen? Es gehört zu den großen Errungen­schaften der Geistes- und Freiheitsgeschichte, den Menschen als eigen­ständiges Sub­jekt aus den Fesseln alter Abhängigkeiten befreit zu ha­ben. Frei­heit des Geistes, Freiheit der Wissenschaft, Freiheit der Kunst, Befreiung der Frau - um nur einige der Ergebnisse dieser menschlichen Selbstemanzipation zu nennen. Der Begriff der Autorität wird verdächtig - Autorität der Kirche, Au­torität des Staates - und der Kritik unterzogen - bis hin zu Friedrich Nietzsches Proklamation des Todes Gottes.

So hat der Mensch sich sein Schicksal selbst in die Hand gegeben. Er ist aufgewacht aus dem Halbschlaf des Mittelalters, aufgewacht zu sich selbst. Emanzipa­tion, Selbstbestimmung, Autonomie sind die neuen Werte, mit denen er seine Welt zu gestalten unternimmt.

Der Mensch wollte sich selbst gehören.

Doch gehört er wirklich noch sich selbst? - Oder ist er sich nicht schon selbst wieder entglitten? Gibt es nicht längst neue Kaiser?

Wo ist es geblieben, das stolze und aufgeklärte Sub­jekt Mensch? Hat er sich, kaum ist er den vielen einengenden Flaschenhälsen von Erziehung, Elternhaus, Kirche in die Freiheit entronnen, schon wieder in einem Spinnenge­webe verfan­gen, gegen das es noch keine Philosophie gibt?

Mit anderen Worten: Gehört der Mensch noch sich selbst, oder ist er längst wie­der zum Spiel­ball anderer Mächte geworden? Wohin ist der Mensch in unserer informier­ten, aufgeklärten, mobilen, verwalteten, digitalisierten Gesellschaft? Wem ist er schon wieder in die Hände gefallen?

An den Rändern des Lebens, vor der Geburt und vor dem Sterben, entzündet sich bereits die Dis­kussion. Ist der kranke und hinfällige Mensch oder der Mensch vor der Ge­burt, wirklich noch als Sub­jekt an­zusehen? Ist er nicht schon längst zum Objekt willkürlichen Handelns geworden?

Bewusst wird uns der neue Zerfall des Subjekts viel­leicht nur in bestimmten Le­benssituationen: Wenn einer alt ge­worden ist und im Pflegeheim aufbewahrt wird. Oder im Ar­beitsamt, wenn er darum betteln muss, arbeiten zu dürfen. Oder als gläserner Mensch, dessen Daten bis ins Intimste gespeichert sind. Wer beherrscht die Welt heute?

Verschwörungstheoretiker sind dabei, uns einzureden, der Staat hätte die Corona-Pandemie erfunden, um eine neue Diktatur errichten. Doch dem ist nicht so. Nicht mehr der Staat gebärdet sich totalitär - er erscheint eher schwach und wie ein Getriebener - aber die Finanzmärkte und ihre heiligen Gesetze und die sozialen Netzwerke beherrschen die Welt. Der Markt ist die neue Totalität, die sich des Menschen bemächtigt hat. Seine unerbittlichen Gesetze teilen die Menschen auf in arm und reich, in entwickelt und unentwickelt. Sie ge­ben den Menschen Arbeit oder enthalten sie ihnen vor, ganz nach Gutdün­ken, wie ein ab­soluter Herr, der seine Entscheidungen mit dem Würfel trifft. Die Gesetze des Marktes beherr­schen alle Lebensbe­reiche, beeinflussen un­sere Entschei­dungen in beträchtlichem Maße. Sie erschei­nen uns wie Na­turgesetze: Der Dollarkurs, die Kon­junktur, das Zinsniveau, die Ratingagentur - Mächte, die über uns walten und uns hoffentlich gnädig sind und unsere Sparkonten un­geschoren lassen.

Und schließlich. Wer ist der einzelne noch in diesem System? Wie ohnmächtig kann man sich fühlen vor den immer unübersichtlicher werdenden Strukturen? Wer blickt noch durch durch die Zusammenhänge der Finanzkrisen? Der einzelne Mensch verschwin­det in den Datenbanken, unser Schicksal hinter ei­ner Personenkennziffer, unser Erspartes verliert an Wert. Werden wir nicht immer gläserner? Immer durchschauba­rer? Haben Facebook und die Werbeagentu­ren und Beate Uhse nicht schon alle Bedürfnisse des Menschen bis in die Schlafzimmer hinein durchleuch­tet? Wird der Mensch nicht immer geheim­nisloser und damit leerer? Ist seine Sehnsucht nicht durch geschickte Ver­kaufspsychologie ver­wandelt in Hab­sucht, in die Gier nach immer mehr Haben? Und in die Angst, alles zu verlieren.

Liebe Gemeinde, das intensive Nachdenken darüber kann be­ängstigen. Aber es ist notwendig. Und viel­leicht kann es auch anregen, dass wir uns fragen: Warum passiert das immer wie­der? Warum ent­gleitet sich der Mensch? Er hat den Wunsch, sich selbst zu gehören und wacht doch immer in fremden Händen wieder auf.

Das heutige Evangelium spricht auch von uns. Es möchte einen Aus­weg zeigen. Beherrschende Macht der da­maligen Zeit war der römische Kaiser. Er war nicht nur politische Autori­tät, son­dern er wurde – ähnlich wie heute die allmächtige und allgegenwärtige Börse - wie ein göttliches Wesen verehrt. Seine Herrschaft reichte über­allhin, auch nach Palästina. Als Besatzungs­macht ver­langten die Römer von den Juden die Entrichtung der kaiserlichen Steuer. Ob das in Einklang mit dem Gesetz der Juden stand, wurde kontrovers diskutiert. Zwei verfeindete Gruppen tauchen im Evangelium auf: die Pharisäer und die He­rodianer. Die Pharisäer waren die jüdischen Fundamentalisten. Sie sahen in der Steuerzahlung einen Verrat am jüdischen Glauben. Denn nur der Gott Is­raels durfte verehrt und angebetet werden. Die Steuerzahlung war in ihren Augen eine Anerkennung des Herrschaftsanspruchs der Cäsaren. Die Herodianer hin­gegen waren die Realos der jüdischen Ge­sellschaft und un­terstützten die romfreundliche Politik des korrupten Königs Herodes. Sie erlaubten die Steuer. Diese unter sich verfeindeten Gruppen nun sind sich einig in ihrer Feind­schaft gegenüber Jesus. Sie wollen ihn in eine Fangfrage verstricken: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen? Wie Jesus auch antwortet, er wird falsch ant­worten. Denn entweder erlaubt er die Zahlung und das Sich-einlassen mit der heidnischen Macht. Dann kann man ihn der Got­teslästerung überführen. Er verstieße dann ge­gen den jüdischen Glauben, der allein die Herrschaft Gottes anerkennt. Oder er erklärt die Steuerzah­lung als unvereinbar mit dem Glauben. Dann können ihn die Kaisertreuen bei der Besat­zungsmacht als unloyalen Unterta­nen wegen Hochverrat anzeigen.

Der Herr aber durchschaut die lebensgefährliche Tücke der Frage. Er lässt sich die Steuermünze zeigen. „Wessen Abbild ist das“? Des Kaisers. Wessen Abbild auf einem Gegenstand zu sehen ist, dem gehört nach damaligen Verständnis dieser Gegenstand. Dann gebt die Münze doch dem Kaiser, wenn dort sein Abbild aufgeprägt ist. Sie gehört ihm doch.

Aber beim Wort „Abbild“ klingelt es sofort ganz laut in jüdischen Ohren. Man denkt spontan an die Schöp­fungsgeschichte: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild“ (Gen 1,27). Gottes Abbild ist auf dem Menschen, ist seinem Antlitz bleibend aufgeprägt. Also gehört der Mensch nicht dem Kai­ser. Er ge­hört Gott. „Also gebt Gott, was Gott gehört" - nämlich den Menschen! Der Kaiser hat kein Anrecht auf den Menschen. Gott aber sehr wohl.

Das Evangelium sagt uns also: Wenn der Mensch sich Gott entzieht, wenn er nicht mehr Gott ge­hört, dann wird er zum Spielball aller möglichen Mächte - da­mals vor al­lem des Kaisers. Das Evangelium bestreitet im Grunde je­der irdischen Macht den Totalitätsanspruch auf den Menschen, auch dem Men­schen selbst. Er darf sich nicht zum Gott machen über seine Mit­menschen.

Das Evangelium möchte den Menschen allen ihn verskla­venden Mächten aus der Hand reißen. Doch gelingt das nur, wenn der Mensch sich Gott in die Hände gibt. Oder anders gewendet: Kein Mensch kann sich selbst gehören, wenn er nicht Gott gehört.

Wahre menschliche Autonomie, wie Jesus sie gelebt hat, ist auch vom Programm der Aufklä­rung nicht zu erreichen. Jesus war in einzigartiger Weise frei und selbstbestimmt, weil er sich in ebenso einzigartiger Weise zu Gott gehö­rig wusste. Keiner Macht war er untertan und von keiner Autorität, auch keiner religiösen, ließ er sich er­pressen, weil er mit dem unbegreiflichen Geheimnis, das wir Gott nennen, so ver­traut war, dass er es "Vater" nannte. Ihn zu verlieren, treibt den Menschen in das Unheil und in die Abhängigkeit aller möglichen Mächte. Denn erst stirbt Gott, dann stirbt der Mensch.

Liebe Gemeinde, so kann der Mensch, so können wir wohl nur in einer lebendi­gen Vertraut­heit mit unserem Gott uns selbst gehören. Das deutlich zu machen, ist dann wohl auch der Dienst, den wir als Kirche und als Gemeinde un­seren Mitmenschen und unserer Gesellschaft und einem zukünftigen Europa schulden: Ein Ort zu sein, an dem nach dem Tod Gottes vom lebendigen Gott, der uns liebt, er­zählt wird.

Unschätzbar scheint mir dieser Dienst heute zu sein für eine Gesellschaft, die unseren Gott weit­gehend ver­gessen hat, die ihn nicht mehr anbetet und in der der Mensch zum Spielball neuer heidnischer Götter wird in dem Wahn, frei zu sein und alles im Griff zu haben.

Die Eucharistie, die wir jetzt feiern, konstituiert uns zu Christi Leib, zu seiner Präsenz in dieser Welt, zu seinem Abbild. Wir lassen uns hineinnehmen in die anbetende Bewegung des Sohnes zum Vater. Denn nur, wer den Gott Jesu anbetet, kann auch die versklavenden Götzen unserer Zeit lästern.

 

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28. Sonntag im Jahreskreis

Jes 25,6-10a; Ps 25; Phil 4,12-14.19-20; Mt 22,1-14

Gehalten in Osnabrück, St. Johann am 11.10.2020

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Unser heutiges Gleichnis hat viele Ungereimtheiten. Zuerst: Die Gäste weigern sich beharrlich und ohne Entschuldigung, die Einladung des Königs zur Hochzeit anzunehmen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Einladung in den Buckingham Palace zur Hochzeit von Harry und Megan erhalten. Hätten Sie abgelehnt? Also ich wäre mit Sicherheit gegangen.

Dann: Als die Geladenen erneut ablehnten und einige sogar über die Diener des Königs herfielen und sie töteten, da entbrennt der Zorn des Königs. Er lässt sein Heer die Stadt in Schutt und Asche legen. Hier spielt das Evangelium mit Sicherheit auf die Zerstörung Jerusalems an. Denn das Matthäusevangelium ist nach dem Jahre 70 entstanden und stand schon unter dem Schock der Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Aber die Ungereimtheit besteht darin, dass im Gleichnis alles an einem Tag geschieht. Aber selbst ein Blitzkrieg braucht Tage und Wochen. Haben sich während dieser Zeit die Hammelspieße weitergedreht? Oder wurde die Hochzeit verschoben?

Und schließlich, woher sollten der Gast ohne Hochzeitsgewand und auch die anderen Gäste so schnell ein Festkleid hernehmen, wenn sie von der Straße weg zum Fest geholt wurden? Manche Ausleger vermuten eine altorientalische Sitte, wonach der Gastgeber den Gästen bei der Ankunft ein Festgewand schenkte. Der Gast ohne Festkleid hätte es dann abgelehnt. Doch diese Sitte ist für das 1. Jahrhundert nicht belegt. Und ist die Strafe nicht unverhältnismäßig und ungerecht für einen Verstoß gegen die Kleiderordnung? Offenbar geht es nicht um ein äußeres Gewand, sondern um ein inneres Kleid. Wir sollen Christus anziehen wie ein Kleid.

An diesen Ungereimtheiten sehen wir, dass es nicht um eine Begebenheit geht, die sich tatsächlich so abgespielt hat. Es ist ein Gleichnis vom Himmelreich, das Jesus den Hohenpriestern und den Ältesten erzählt: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.“ Die Heilsgeschichte im Zeitraffer. Die Propheten, die die Einladung Gottes zum Hochzeitsmahl ausrichten und auf taube Ohren stoßen. Die Apostel, die dieselbe Einladung ausrichten und dafür verfolgt, misshandelt und umgebracht wurden und werden. Zur Zeit des Matthäusevangeliums gab es schon Christenverfolgung auch in Palästina. Vielleicht spielt das Gleichnis auch auf das Schicksal Jesu an. Die Ältesten des Volkes und die Hohepriester haben ihn und seine Einladung in die Gemeinschaft mit Gott abgelehnt und am Ende umbringen lassen. Das Gleichnis hält ihnen den Spiegel vor.

Die biblischen Gleichnisse sprechen immer auch von uns. Ja, und wer bin ich darin? Wer sind wir? Die ausgesandten Diener des Königs? Die Geladenen, die sich weigern zu kommen? Der Gast ohne Hochzeitsgewand, der hinausgeworfen wird? Spiegelt das Gleichnis auch unsere Wirklichkeit wider? Findet es nicht auch heute statt?

Ja, wer sind wir in diesem Gleichnis? Können wir uns in den ausgesandten Dienern des Königs wiedererkennen? Sie richten die Einladung Gottes zum Festmahl aus. Ja, wir Christen sind die ausgesandten Diener. Wer sonst? Doch wie bringen wir die Einladung rüber? Sind wir einladend? Machen wir verständlich, worum es in dieser Einladung geht? Nämlich um Heil und Unheil? Können die Menschen aus dem ganzen orientierungslosen Zustand unserer Kirche noch die Einladung Gottes überhaupt vernehmen? Worum geht es denn im Glauben? Doch wohl um die Einladung in die Gemeinschaft mit Gott, um die große Verheißung über unser Leben. Glauben wir das überhaupt noch, wozu wir einladen sollen? Müde, abgeschlafft, ohne Elan, ohne Herzblut, sterbend – so sieht die Wirklichkeit unserer Kirche in Deutschland aus. Aus dem Glauben werden religiöse Banalitäten gemacht, dummes Zeug. Gottes Wort ist nicht mehr hörbar. Nur noch Diskussionen um Strukturfragen. Davon kann niemand leben. Und sie verbürgen kein ewiges Leben. Wer soll uns denn noch zuhören?

Dann die Geladenen. Eigentlich sind das alle Menschen. Aber auch wir, die Überbringer der Einladung, sind Geladene. Sonst säßen wir nicht hier. Im Gleichnis kümmern sich die Eingeladenen nicht um die Einladung. Sie sagen nicht einmal höflich ab. Der eine ging einfach auf seinen Acker, der andere in seinen Laden. Das alltägliche Leben. Offenbar verstehen sie nicht, worum es in der Einladung geht. Sie schließen sich ein in ihre Welt., sind sich selbst genug. Vielleicht meinen sie, die Vollendung ihres Lebens in diesem alltäglichen Leben mit seinen Höhen und Tiefen zu finden. Sie verstehen nicht, wozu der Mensch gemacht und gerufen ist: in die Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit. Der hl. Thomas von Aquin definiert den Menschen als desiderium ad videndum Deum, als Sehnsucht, Gott zu schauen. Denn nichts Irdisches kann unser Leben vollenden. Jeder stirbt unvollendet und also vollendungsbedürftig. Und wenn er sich von Gott abschneidet, dann ist der Tod seine letzte Gewissheit. Erwiesenermaßen!

Einige der Geladenen fielen schließlich über die Diener des Königs her, misshandelten sie und brachten sie um. Auch das gibt es in unserer Gesellschaft: Hass auf die Kirche, Hass auf alles Christliche. Viele strampeln sich los von ihrer christlichen oder eher christentümlichen Erziehung. Was haben sie nur herausgehört aus der Einladung? Was ist rübergekommen? Nur Sexverbote? Oder ist es auch echter Unglaube, Misstrauen gegenüber Gott?

Das Gleichnis zeigt uns, dass Gott barmherzig ist. Aber er ist auch zornig . Im Gleichnis lässt der König die Stadt in Schutt und Asche legen. Was sagt das von Gott? Es sagt uns, dass, wer sich von Gott abschneidet, am Ende den Kürzeren zieht: Man hat dann keine Perspektive der Ewigkeit, man bleibt dann dem eigenen Schicksal ausgeliefert. Und das ist immer Tod und Verderben. Im Tod geht für jeden die Welt unter. Keine Hoffnung auf die Vollendung im Festmahl Gottes, das Gott für alle Völker bereiten will. Das ist die Hülle, die alle Völker verhüllt, wie es in der 1. Lesung hieß. Gott will diesen Nebelschleier vertreiben, der über der Welt liegt, nämlich den Schleier der Gottferne, der uns einschließt in uns selbst. Er will uns befreien aus der Hölle, die wir selbst uns bereiten. Im Unglauben betrachtet ist die ganze Welt ein Gleichnis der Hölle. Auch alles Schöne, alles Glückliche im Leben kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Ende alles im Tod endet, in Schutt und Asche.

Doch der König im Gleichnis weitet seine Einladung noch einmal aus. Er schickt die Diener an die Kreuzungen der Straßen, also an die Peripherien, an die Ränder Gesellschaft. Alle sollen kommen zum Fest. Ja, Gott hat seinen Sohn gesandt. Die Einladung gilt jetzt allen Völkern, der ganzen Menschheit. Nur in Gemeinschaft mit Gott, nur wenn wir seine Einladung annehmen, seinem Wort vertrauen, wird auch die Welt zum Gleichnis des Himmels, nämlich alles Gute, das wir erleben. Und alles Schreckliche und Schwere, das wir auch erleben, ja selbst Krankheit und Tod können uns nicht die Gewissheit nehmen, dass alles und jeder von uns in Gott vollendet werden soll. Das Fest findet statt! Gott will jeden von uns in seine Gnade einwickeln, in die ewige Liebe zwischen Vater und Sohn und uns zu sich führen. Alles hängt daran, dass wir uns diese Einladung, diese Verheißung, diese Gewissheit schenken lassen. Als Hochzeitskleid!

Glauben und Unglauben verhalten sich zueinander wie Leben und Tod, wie Heil und Unheil. Das ist erschütternd und zugleich tröstlich für jeden, der glaubt. Erschütternd für den, der ohne Hochzeitsgewand sich eingeschlichen hat, offenbar im Unglauben. Wie eine unwürdige Kommunion. Nur der Glaube macht gerecht und würdig vor Gott. Man kann Gott nur im Glauben begegnen. Nicht im Unglauben. Dann ist Heulen und Zähneknirschen.

Wir sind jetzt zur Eucharistie versammelt. Wir sind der Einladung gefolgt. Die Eucharistiefeier ist bereits das Abbild des himmlischen Hochzeitsmahls. Hier will der Herr uns begegnen als Bräutigam der Kirche. Er tut das, was ein Bräutigam halt tut: Er schenkt seiner Braut, der Kirche, seinen Leib, voller Liebe. Wer ihn gläubig aufnimmt, ist richtig gekleidet: Gott sieht dann in uns seinen Sohn. Wer an ihn glaubt, hat schon ewiges Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

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25. Sonntag

Jes 55,6–9; Ps 145; Phil 1,20ad–24.27a; Mt 20,1–16

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens

am 19.9.2020

 

„Ist dein Auge böse, weil ich gut bin?“

Liebe Schwestern und Brüder,  das Auge wird böse, wenn man neidisch ist. Und zum Neid gibt es viele Gelegenheiten. Es wird immer Menschen geben, die besser gestellt sind als ich, die reicher sind, schöner, begabter, erfolgreicher, gesünder. Muss mein Auge dann böse werden?

Der Herr erzählt ein Gleichnis vom Himmelreich. Mit dem Himmelreich ist es wie mit ... Ja, womit? Jesus wählt ein Beispiel aus der Arbeitswelt zu seiner Zeit, von der Weinlese. Ein Denar wird mit den Arbeitern frühmorgens für den Arbeitstag vereinbart. Ein Denar war der übliche Lohn für Tagelöhner. Es war das Existenzminimum, das also, was man brauchte, um nach Feierabend mit Frau und Kindern satt werden zu können. Ein Denar war die ganze Sicherheit.

Am Abend, nach getaner Arbeit, bei der Lohnauszahlung, geschieht nun das Unfassbare: die Männer, die nur eine Stunde gearbeitet haben,  die Kurzarbeiter, bekommen bei der Lohnauszahlung nicht ein Zwölftel des Denars, sondern einen ganzen Denar. Die, die den ganzen Tag geschuftet hatten, dachten wohl bei sich, sie bekämen mehr, vielleicht 11 oder 12 Denare. Aber nein – auch sie bekommen – wie vereinbart – den einen Denar. Kein bisschen mehr.

„Ungerecht!“ könnte man rufen. Man kann aber auch „barmherzig!“ sagen. Denn wenn die letzten nur ein Zwölftel vom Denar bekommen, dann gibt es nichts zu essen. Der Weinbergbesitzer sorgt dafür, dass auch sie das Notwendige zum Leben bekommen.

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit lassen sich nur schwer vereinbaren. Wer absolut gerecht sein will, der kann nicht barmherzig sein. Und wer ganz und gar barmherzig sein will, der kann nicht gerecht sein. Man kann in diesem Leben wohl beides nur unvollkommen verwirklichen. Gerechtigkeit ist etwas Einklagbares. Darauf hat man einen Anspruch. Auf Barmherzigkeit hat man keinen Anspruch. Sie ist Geschenk, Gabe, Gnade. Sie muss frei gewährt werden.

Jesus wollte nicht die Gerechtigkeit aushebeln. Er wollte auch nicht ein neues Arbeitsrecht formulieren, etwa so: Kurzarbeitergeld darf nicht geringer sein als der Lohn derer, die Vollzeit arbeiten. Denn Jesus ging es um das Himmelreich.  Dort gelten andere Maßstäbe – nicht unsere.  Der Herr erläutert seinen Jüngern vielmehr, wie Gott an uns handelt. Er macht seine Güte nicht abhängig von unserer Leistung.  Das war eine weit verbreitete Auffassung gerade unter den damaligen Pharisäern. Die Menschen, die es nicht schafften, sich an alle religiösen Gebote zu halten, hätten kein Ansehen bei Gott. Verständlich, dass Jesus Wut und Neid bei ihnen hervorrief. Ihr Auge wurde böse, wenn sie die Botschaft Jesu hörten. Wenn die Gesetzlosen bei Gott das gleiche Ansehen haben wie sie, die ihr ganzes Leben in den Dienst Gottes gestellt haben – ja, dann ist Gott nicht gerecht.

Jesus aber erläutert seinen Jüngern nur, was bereits in der Bibel steht: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ So haben wir es in der 1. Lesung gehört. So ist das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ein Gleichnis vom gütigen Arbeitsherrn., ja, vom gütigen Gott.

Man muss sich also davor hüten, unser Leistungs- und Gerechtigkeitsdenken auf Gott zu projizieren. Die Verdienstlichkeit eines Lebens hängt nicht von seiner Dauer ab, als würden Heilige, die sehr alt geworden sind, auf einen höheren Platz im Himmel rücken als andere, die nur ein kurzes Leben hatten. Oder als würden Christen, die sich in der Kirche besonders lange engagiert haben, vor Gott besser dastehen als andere und Anspruch auf einen höheren Lohn haben. Vor Gott hat niemand einen Anspruch! Und dass Gott uns liebt, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist reine Güte und Gnade.

Natürlich könnte jetzt ein engagierter Christ fragen: Warum setze ich mich noch besonders ein im Weinberg Gottes, wenn ich dadurch vor Gott nicht besser stehe. Wer so fragt zeigt, dass er denkt wie die Pharisäer. Aller Einsatz in der Kirche hat doch nur den Sinn, auch anderen die Botschaft vom allgütigen Gott zu vermitteln. Die Weitergabe des Glaubens ist das größte Werk der Liebe überhaupt. Denn nur der Glaube an den allgütigen Gott befreit die Menschen von der Macht der Angst um sich selbst. Nur dieser Glaube macht Menschen auch zu engagierten Christen, die von der Güte Gottes erzählen und Vertrauen in sie haben – in Glück und Unglück, im Leben und im Sterben.

Es geht also immer um den einen Denar, liebe Schwestern und Brüder, um dieses Geldstück, das zum Überleben reicht. Jeder bekommt den einen Denar. Keiner bekommt zwei oder drei oder gar zwölf. Diese Gabe lässt sich nämlich nicht steigern. Sie ist unüberbietbar: die Gabe Gottes. Der Denar ist die Gabe der Gemeinschaft mit Gott. Etwas Größeres kann nicht gedacht werden und kann es auch nicht geben. So ist Gott, so gütig! Er schenkt sich selbst.

Es ist diese Gemeinschaft mit Gott, aus der wir leben sollen. Gemeinschaft mit Gott kennt keine unterschiedlichen Grade. Sie ist unüberbietbar und unbegreiflich wie Gott selbst.

Unser Gleichnis ist ein Gleichnis vom Himmelreich, also von der Gemeinschaft mit Gott. Und dieses Himmelreich beginnt schon hier wo wir unsere Maßstäbe verändern und die Güte weiterschenken, die Gott uns schon geschenkt hat. Sie wird dann auch nicht weniger. Der hl. Paulus sagt das in der 2. Lesung so: „Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium entspricht.“ Das Gleichnis vom gütigen Arbeitsherrn zeigt uns, was dem Evangelium entspricht. Und nur mit diesem Evangelium kann auch die Welt gerechter und barmherziger werden, eben menschlich statt unmenschlich.

Jetzt feiern wir Eucharistie. Der Herr verschenkt sich an alle. Er ist der eine Denar. Und alle sollen satt werden.

 

 

 

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19. Sonntag im Jahreskreis

Predigt zu Mt 14,22–33

Gehalten in Osnabrück, St. Pius

am 9. August 2020

 

Liebe Schwestern und Brüder?

Konnte Jesus tatsächlich physisch übers Wasser laufen?

Natürlich nicht. Er war weder ein Zauberer, noch hatte er übermenschliche Fähigkeiten. Der Sohn Gottes, so sagt es die Heilige Schrift und das heilige Dogma der Kirche, ist in allem uns gleich geworden – außer der Sünde. Er hatte also keine übermenschlichen Fähigkeiten. Er war kein Übermensch, sondern wahrhaft Mensch, ein Mensch wie wir, doch so wahrhaft, wie wir es niemals sein werden. Als solcher war er göttlich, war und ist er Gottes Sohn. In seinem wahren Menschsein strahlt uns Gott selber auf. Sein wahres Menschsein lichtet das Dunkel auch unserer Zeit.

Warum aber schreibt der Evangelist, Jesus sei über den vom Sturm aufgepeitschten See gegangen?

Hier ist Übersetzung gefordert. Denn das Evangelium stammt aus einer fernen Zeit und Kultur. Es gebraucht deshalb auch literarische Stilmittel seiner Zeit. Sie muten uns heute mythologisch an. Deshalb muss man solche Texte übersetzen in unsere Zeit.

Das Evangelium ist ein Glaubenszeugnis. Es will uns nicht informieren, sondern zum Glauben an Christus rufen. Und so ist die geheimnisvolle Geschichte, die wir heute gehört haben, auch eine Geschichte über uns. Sie möchte uns im Glauben bestärken, aus Kleingläubigen Glaubende machen. Sie möchte unsere Angst in Vertrauen in Gottes Wort verwandeln.

Die Corona-Pandemie ist weltweit. Sie macht uns wieder bewusst, dass wir alle, die ganze Menschheit, in einem Boot sitzen. Wie damals die Jünger. Auch sie sind allein. Jesus ist nicht dabei. Und dieses Boot ist weit weg vom rettenden Ufer und wird im Sturm von den Wellen hin und her geworfen. Wohin fahren wir? Dazu kommen noch die vielen anderen Bedrohungen: das Klima, das neu eingesetzte Wettrüsten, die Katastrophen wie die in Beirut; dann die Sorgen und persönlichen Ängste, die jeder einzelne von uns haben kann. Alles wankt und schwankt. Die ganze Menschheit sitzt in diesem Boot, hin und hergeworfen in aufgepeitschter See mitten im Dunkel, im bedrohlichen Auf und Ab der Wellen, in den Höhen und Tiefen des Lebens. Wird das Meer uns verschlingen und uns hinabziehen in die Abgründe der Sinnlosigkeit? Sind wir gottverlassen unserem Schicksal ausgeliefert?

Es ist diese Situation der Hilflosigkeit und Verlorenheit, auf die uns das heutige Evangelium anspricht. Es will auch in dieser Situation frohe Botschaft sein, mitten in den Krisen unseres Lebens und in den Krisen der Menschheit. Es will uns Mut machen, die Überfahrt zu bestehen.

Im Grunde ist unsere Geschichte eine Ostergeschichte, eine nach Ostern vor Ostern zurückdatierte Geschichte. Jesus scheint abwesend zu sein, wie am Karsamstag. Doch mitten in der Nacht, im Grauen und wo die Not am größten ist, wird offenbar, dass er da ist. Er ist gar nicht abwesend. Der Evangelist wählt dieses Stilmittel: Jesus ging auf dem See. Was die Jünger erst für ein Gespenst halten, offenbart sich als seine Gegenwart. Er ist da. Er ist bei uns. Wir sind gar nicht gottverlassen. Es ist wie Ostern.

Ein Wort genügt: Ich bin es! Das ist nur die Übersetzung des biblischen Wortes Jahwe: Ich bin, der ich bin. Es ist das Offenbarungswort: Gott ist bei uns auch in unserer Not und in unserer Angst. Deshalb sagt der Herr auch: Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!

Petrus glaubt ihm und steigt aus dem Boot aus, um in die Nähe Jesu zu kommen. Aus dem bereits unsicheren Boot steigt er aus in eine noch größere Unsicherheit. Und er geht ein paar Schritte über das Wasser. Dann aber verließ ihn das Vertrauen. Es wich dem Zweifel, und er wurde unsicher. Und fast versank er: Herr, rette mich! Man könnte sagen: Er hatte eine Glaubenskrise, gewissermaßen im Zeitraffer. So kann es uns auch gehen. Dieses Zugleich von Glaube und Zweifel. Das Wasser steht uns dann bis zum Hals. Wie Sie sehen, auch wir benutzen solche Bilder.

„Du Kleingläubiger!“, sagt Jesus und streckt seine Hand aus. Im Glauben aber – das will uns die Geschichte sagen –, kann man auch über Abgründe gehen, ohne von ihnen verschlungen zu werden.

So kann es auch uns gehen. Alles kommt darauf an, dass wir uns sagen lassen, dass Er bei uns ist. Und dass uns das offenbar wird, dass wir ihn erkennen als die ausgestreckte Hand Gottes, die uns birgt.

Es ist ein großer Unterschied, ob man glaubt oder ob man nicht glaubt. Im Unglauben bleibt man mit sich allein und seinem Schicksal ausgeliefert. Im Glauben kann man auch über Wasser, d. h. über die Abgründe des Lebens schreiten, ohne von ihnen verschlungen zu werden. Diese Geschichte ruft uns also in die Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben.

Als Jesus und Petrus dann wieder im Boot saßen, legte sich der Wind. Der Glaube ist dann stärker als die Angst. Der Glaube entmachtet die Angst. Gottes Wort entmachtet sie. Denn glaubende Menschen wissen: Wir gehen nie unter. Selbst dann nicht, wenn wir sterben. Deshalb gebraucht das Evangelium das Bild vom Gehen auf den verschlingenden Fluten. Um zu sagen: Wer glaubt, geht nicht unter.

Jetzt ist es Zeit für die Eucharistie. Der Herr will auch jetzt bei uns sein. Als Brot des Lebens. Alles kommt darauf an, dass wir im Augenblick der hl. Wandlung mit den Augen des Glaubens erkennen: dieses Brot ist nicht mehr Brot. Er selbst kommt auf uns zu und sagt: Habt Vertrauen. Und so lasst uns mit den Jüngern bekennen: „Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du!“

 

 

 

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15. Sonntag 2020

gehalten am 12.7.2020 in Osnabrück, St. Johann

Jes 55,10-11; Ps 65; Röm 8,18-23; Mt 13,1-9

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wie entmutigt, wie hoffnungslos müssen die Jünger Jesu gewesen sein, wie gedrückt und niedergeschlagen auch die große Menschenmenge am Ufer des Sees, dass Jesus ihnen das Gleichnis vom Sämann erzählte! Er wollte ihre Hoffnung stärken, ihnen Mut machen und zum Glauben einladen in einem Leben, in dem alles oder zumindest so vieles vergeblich aussieht.

Alles, was man tut im Leben, kann umsonst sein. In vielen Situationen spricht alles dagegen, dass einmal alles gut wird, dass der Frieden erhalten bleibt, dass der Hunger besiegt wird, dass eine Krankheit heilt, dass die Pandemie ein Ende nimmt. Trotz aller Bemühungen.

Was tun Eltern nicht alles für ihre Kinder, damit deren Leben gelingt. Und doch hat das gute Beispiel, die liebevolle Erziehung, die Investition an Zeit und Geld so wenig gebracht. Das Ergebnis ist oft enttäuschend.

Was hat man nicht alles getan für einen Schwerkranken: Medizin, Operationen, Reha, menschliche Zuwendung. Zwischendurch gibt es mal Besserung, es keimt Hoffnung auf. Und dann der Rückschlag. Ist doch wieder alles umsonst gewesen?

Wieviel diplomatische Bemühungen sind notwendig, um einen Krieg abzuwenden! Tausend Gespräche, Gipfel, Geduld – und doch scheint alles nichts zu bringen. Syrien, Ukraine, Nordkorea. Sollte man lieber alles sein lassen und gleich die Panzer rollen lassen? Weil ja doch alles andere nichts zu bringen scheint.

Oder schauen wir auch auf unsere Kirche: So viele Initiativen, soviel Sorgfalt bei der Gottesdienstgestaltung, soviel seelsorgliches Bemühen – und doch scheint alles nichts zu bringen: die Kirchen werden leerer, der Glaube verdunstet. Auch nach intensiver Vorbereitung auf Erstkommunion und Firmung – anschließend sieht man nur ganz wenige wieder. Manchmal keimt Hoffnung auf, bei großen Events, bei Jugendtagen. Momentane Begeisterung. Wie eine Droge. Danach aber schmilzt alles wieder weg. Im Alltag der Gemeinden wirkt es sich nicht aus. Alles scheint umsonst, vergeblich.

So war wohl auch den Jüngern Jesu zumute. Auch sie erlebten die Krise. Die anfängliche Begeisterung der Botschaft Jesu wurde gedämpft. Die Schriftgelehrten kamen dazwischen. Zu viele Hindernisse lagen im Weg. Wieder schien alles vergeblich, die Menschen mit der Botschaft vom gütigen Gott zu erreichen. Und das Volk war entmutigt angesichts der politischen Lage, in der sich Palästina  damals befand und heute noch immer befindet.

Wie sollte man glauben an den gütigen Gott, an das Wachsen der Gottesherrschaft? Wie sollte man noch Hoffnung haben, dass sich alles zum Guten wendet? Es spricht doch eigentlich alles dagegen. Wo bleibt denn Gottes Herrschaft? Das Böse herrscht doch, das Leid, der Hunger, der Krieg, das Coronavirus, korrupte und selbstverliebte Politiker. Und auch in unseren Breiten scheint alles immer unübersichtlicher zu werden. Es gibt nichts Festes mehr, keine Gewissheiten, nur Unsicherheit. Alles entgleitet. Viele Menschen werden haltlos. Selbst der Staat kann seine Bürger nicht mehr schützen. Was soll man denn noch tun, was man nicht schon getan hätte?

Ja, was soll man noch tun? Die Versuchung ist groß, sich einfach einlullen zu lassen vom Fernsehprogramm vom Samstagabend, vom Fußball, von der Werbung, die uns das Blaue vom Himmel verspricht. Sich einzureden, es sei doch alles gar nicht so schlimm. Seinen Frust im Alkohol ertränken, einen Joint rauchen, seine Zeit im Facebook verlieren, um die Wirklichkeit für ein paar Stunden auszublenden. Ein paar Durchhalteparolen sagen. Dem Schwerkranken einreden: Es wird bestimmt wieder!

Ähnlich war wohl die Situation, in die Jesus das Gleichnis vom Sämann erzählt. Er beschwichtigt nicht, er lullt die Menschen nicht ein, er blendet die Wirklichkeit nicht aus, er redet den Menschen nicht ein: So schlimm ist es doch gar nicht! Nein, er zeigt, Schritt für Schritt, wie es wirklich ist: Wie mit dem Sämann. Er nimmt ein Beispiel aus dem Alltag in Palästina mit seinen kargen Äckern. Schaut auf den Sämann! Was er tut, scheint vergeblich zu sein. Es bringt alles nichts. Ein Teil der kostbaren Aussaat wird weggepickt von den Vögeln und vom Ungeziefer vernichtet, ein Teil findet keine Wurzeln wegen der dünnen Ackerkrume, geht zwar auf, wird aber sogleich von der unbarmherzigen Sonne versengt. Und Dornen und Unkraut ersticken einen anderen Teil. Alles umsonst!?

Die Menschen konnten sich wiederentdecken in dem Sämann. Geht es uns nicht auch so? Soviel von dem, was wir tun, scheint vergeblich und sinnlos.

Aber – und hier wechselt Jesus die Perspektive – der Sämann gibt nicht auf. Er wirft die Flinte nicht buchstäblich ins Korn. Er macht weiter. Unverdrossen. Warum eigentlich? Er hat Vertrauen, dass doch etwas auf guten Boden fällt und Frucht bringt: hundertfach, sechzigfach, vielleicht auch nur dreißigfach.

Mit dem Gleichnis stellt der Herr seine Hörer in die Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben. Und er lädt ein zum Glauben. Ja, es stimmt, sagt Jesus: Alles scheint dagegen zu sprechen, dass aus unserem Tun etwas herauskommt. Alles spricht dagegen, dass wir von Gott gehalten sind. Alle guten Ratschläge, die wir geben, alles gute Beispiel, das wir vorleben, das Bemühen um Heilung, die Liebe und das Verständnis, das wir investieren, der Trost, den wir geben – das alles kann vergeblich und umsonst sein. Aber es soll uns nicht hindern, weiterzumachen in dem Vertrauen, dass in Gottes Augen nichts vergeblich ist und dass Er die Saat doch aufkeimen lässt, vielleicht ganz anders als wir denken.

Der unverdrossene Sämann – das sind heute die Menschen, die sich unverdrossen einsetzen für Hungernde, für den Frieden, für Gerechtigkeit, gegen Rassismus. Und das, obwohl alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist: die Ordensschwestern, die Kranke pflegen in Afrika, die Entwicklungshelfer, die Lehrlinge in der Dritten Welt ausbilden, die Aktivisten von Greenpeace, die gegen den bedrohlichen Klimawandel ankämpfen, die Ärzte ohne Grenzen, die Familien, die Bürgerkriegsflüchtlinge aufnehmen und viele andere mehr. Alles, was sie tun, kann vergeblich sein. Und doch sind sie alle Glaubenszeugnisse. Es ist das Vertrauen darauf, dass die todbringen Kräfte am Ende doch nicht den Sieg davontragen. Das ist Ostern!

Dies ist die Botschaft Jesu: In aller Vergeblichkeit und in allem Scheitern sollt ihr nicht das Vertrauen aufgeben, dass Gott bei euch ist. Die harte Wirklichkeit soll kein Grund sein, den Glauben aufzugeben. Denn sonst bleiben wir wirklich allein mit unserem Schicksal und kapitulieren vor dem Bösen und vor dem Sinnlosen. Ja, Jesus möchte, dass wir uns wiederfinden unter den Augen Gottes, ohne wie ein Kaufmann unser Schicksal zu verrechnen und überlegen, ob es sich noch lohnt zu leben, ob es sich noch lohnt zu lieben, ob es sich noch auszahlt, Hoffnung zu haben.

Jesus selbst ist diesen Weg der Vergeblichkeit und des Scheiterns gegangen. Als er am Kreuz starb, schien alles umsonst gewesen zu sein. Wer hätte damals gedacht, dass die Saat seines Wortes so aufgeht, wie sie aufgegangen ist – weltweit. Wer hätte das damals gedacht!? Dass Sonntag für Sonntag Abermillionen Christen zusammenkommen und sich an einen Tisch setzen, um – wie die Menschen am See von Galiläa – mit Jesus zusammen zu sein und sein Wort zu hören. Es sagt uns, dass wir mehr sind, als wir erleben und erfahren und dass wir uns nicht einsperren sollen in unsere eigenen Möglichkeiten. Denn Gott ist größer. Sein Wort bewirkt, was es sagt.

Der unverdrossene Glaube des Sämanns ist ein wunderbares Gleichnis für unsere Situation. Ein Gleichnis für das Wagnis des Glaubens gegen alle Erfahrung, für das Harren auf Gott, für das Vertrauen auf sein Wort, dass am Ende alles in Ihm vollendet wird. Und die Leiden und Enttäuschungen dieser Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird.

Wer Ohren hat, der höre!

 

 

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13. Sonntag im Jahreskreis

2 Kön 4,8-11; Ps 89; Röm 6,3-4.8-11; Mt 10,37-42

Gehalten in Osnabrück St. Johann am 28. Juni 2020

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

hat unsere Kirche in Deutschland noch eine Zukunft? Wohl noch nie gab es so viele Kirchenaustritte wie im vergangenen Jahr. Die Leute haben einfach keine Lust mehr auf Kirche nach all den vielen Skandalen. Und die fast leeren Kirchen jetzt in der Corona-Zeit machen vielleicht schon sichtbar, was uns in naher Zukunft bevorsteht. Nach diesen Wochen und Monaten könnten auch treue Gottesdienstbesucher denken: „Guck an, es geht auch ohne!“ Corona gibt vielleicht unserer Kirche in Deutschland den Todesstoß. Die Kirche ist nicht systemrelevant, so hörte man es in den letzten Wochen. Werden unsere Kirchen bald wie leere Grabmäler sein? Gräber, in denen wir den scheinbar toten Gott begraben haben?

 Der italienische Schriftsteller Umberto Eco beschließt seinen großen Roman Der Name der Rose mit den Worten: „Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus (Die Rose von einst gibt es nur noch als Name; wir haben nur noch nackte Namen“). M. a. W. nur noch leere Worte. Worthülsen. Nominalismus pur. Tatsächlich beschreibt Eco in seinem Roman ja das Ende einer Welt. Diese Welt, symbolisiert durch ein großes Benediktinerkloster, wird am Ende von den Flammen vollständig zerstört. Es ist der orbis christianus, die christliche Welt des Mittelalters, das christliche Abendland, das mit all seinen Gewissheiten zusammenbricht. Diese geordnete Welt, dieser ordo universi, in dem jeder seinen Platz hatte und dessen Einheit von Gott als Spitze der Seinspyramide verbürgt wurde, gibt es nicht mehr. Auch wenn es Klöster noch gibt, so ist die Welt, die sie widerspiegelten doch vergangen. In den Klöstern ist sie nur wie in einer Dose konserviert,

Im Mittelalter wurde der Mensch in eine Welt geboren, die ihm Identität gab, ihm einen festen Platz zuwies, seine Lebensweise bestimmte, ihn der Würde eines Kindes Gottes gewiss machte und ihm ewiges Leben versprach. Der mittelalterliche Mensch lebte in dieser Welt mit der Hoffnung, in Gott die Vollendung des Lebens zu finden. Es war eine nicht in Frage gestellte Gewissheit, dass jene Fülle in diesem Leben unerreichbar bleibt.

Inzwischen ist diese Welt verschwunden. Die Gottesgewissheit ist dahin. Dass Gott uns liebt, ist an der Welt tatsächlich nicht abzulesen. Ist die Gottesgewissheit nicht mehr fraglos gegeben, zerbrechen nach und nach  andere Elemente dieser Welt: die Metaphysik, die christliche Anthropologie, der philosophische Naturbegriff,  bis hin zu früher fraglos stabilen Institutionen wie Ehe und Familie. Die Tendenz einer solchen Entwicklung geht vermutlich zum Nihilismus. Wir leben gewissermaßen auf den Trümmern der Moderne. Die Rose von einst gibt es nicht mehr, allenfalls als Namen, als Erinnerung, als Souvenir. Auch unsere Worte sind leer geworden und sagen nicht mehr viel: nomina nuda. Was gilt das Ehrenwort eines amerikanischen Präsidenten? Was gilt das Eheversprechen? Können zwei junge Menschen darauf noch wirklich ihr Leben aufbauen? Was gilt das Weiheversprechen des Priesters?

Wie man sieht, ist nur wenig übrig geblieben von dem, was einmal den orbis christianus ausmachte. Er wird nicht wiederkommen. Ich möchte auch nicht das Ende des Mittelalters beweinen, in dem die Kirche eine fraglos akzeptierte Rolle spielte. Ich möchte nur die Veränderung beschreiben, die stattgefunden hat. Und die Frage stellen: Welche Rolle kann die Kirche heute in unserer Welt spielen? Sie kann ja nicht so tun, als ob sich nichts geändert hätte, sondern sie muss sich mit der tatsächlichen gegenwärtigen Welt in ein konstruktives aber auch kritisches Verhältnis setzen.

Unsere gegenwärtige Zeit ist auch davon gezeichnet, dass jeder sich seine individuelle Welt schaffen muss. Und sich selbst einen Sinn geben. Er muss seine eigene Identität ausbilden. Er bekommt sie nicht mehr einfach von der Umwelt geliefert. Jeder ist auf der Suche nach der eigenen Gewissheit, nach der eigenen Identität. Und wenn er meint, sie gefunden zu haben, dann zerbröselt sie oft wieder im Nu. Postmoderne Identitäten sind brüchig. Auch leben wir seit Beginn der Neuzeit in der Quasigewissheit, dass wir die Vollendung unseres Lebens, also die Lebensfülle, innerhalb unserer kurzen Lebensspanne aus dieser Welt ziehen müssen. Der Mensch der Bibel und auch der Mensch des Mittelalters wusste, dass man die Vollendung des Lebens in dieser Welt nicht finden kann; nur Gott kann diese Fülle sein. Das hat sich grundlegend geändert. Deshalb auch stehen wir unter der Diktatur der Angst, nicht genug vom Leben abzubekommen und nicht genug Zeit zu haben, um alles zu erleben, was wir möchten. Viele Verhaltensweisen der heutigen Menschen sind vielleicht auf dem Hintergrund dieser Einsicht zu erklären: Ein Ehepartner kann nicht ausreichen, um das Leben zu erfüllen; ein Leben ist zu wenig – lasst uns zwei daraus machen, indem wir in der Lebensmitte noch einmal ganz von vorne anfangen! Es ist die Angst, nicht genug vom Leben abzukriegen, die uns in Westeuropa zu solchen Verhaltensweisen treibt. Und vermutlich hat auch die ökologische Krise im unersättlichen Herzen des Menschen ihre Wurzel. Denn wenn wir die Fülle des Lebens nicht mehr von Gott erwarten, dann sind wir dazu verurteilt, alles von der Welt zu erwarten. Die Welt wird dann zum Gott, von dem wir alle Lebensfülle erhoffen. Aber so zerstören wir die Welt. Denn die Welt ist zu klein, um den Lebenshunger des Menschen zu stillen. Die Zerstörung der Umwelt und des Klimas und damit unserer Zukunft hängt damit zusammen. Unsere Welt ist nicht gemacht für Menschen, die Vater und Mutter, Geld und Gut, ja, die Welt insgesamt mehr lieben als Gott. Wer nicht in Gottes Wort verwurzelt ist, muss zwangsläufig die Welt vergötzen und alles Heil von ihr erwarten. Aber nichts Geschaffenes kann unser Heil sein!

Zum Glück sind wir als Kirche nicht relevant für ein kapitalistisches System. Für ein System, das Gott für tot erklärt und zugleich auf eine künstliche Superintelligenz wartet, weil die Probleme uns über den Kopf wachsen. Für ein System, das im Markt eine neuen Gott erkoren und in den Gesetzen des Marktes eine neue fast naturgesetzliche Metaphysik sieht. Doch die Kirche kann eine Zukunft haben, wenn wir uns wieder auf das besinnen, was unsere eigentliche Botschaft ist: der Glaube an Gottes Verheißung, dass wir nicht unserem eigenen Schicksal ausgeliefert sind und unser Leben nicht selber vollenden müssen. In der 1. Lesusng wird einem greisen kinderlosen Ehepaar ein Sohn verheißen und damit Zukunft und ein neues Selbstverständnis: Vater und Mutter. Es geht im Glauben um eine neue Identität, die nur Gott uns schenken kann und die nicht nur die Wechselfälle des Lebens überdauert, sondern auch den Tod. So schreibt es Paulus an die Römer: „Wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind auf seinen Tod getauft worden.“ Auf seinen Tod, auf sein Schicksal. Denn auch Er hatte anscheinend keine Zukunft. Auch Er hinterließ ein leeres Grab. Tatsächlich ist die Welt ohne Ihn ein universaler Menschheitsfriedhof. Aber Er war nicht totzukriegen. Doch nur im Glauben erkennt man das: „Der Tod hat keine Macht mehr über ihn.“ Sucht den Lebenden also nicht bei den Toten!

Wir sind auf seinen Tod getauft, auf seine Zukunftslosigkeit, die in Wirklichkeit eine Perspektive der Ewigkeit ist. Das ist unsere Identität: „Begreift auch ihr euch als Menschen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus.“ Denn durch ihn sind wir Kinder Gottes in alle Ewigkeit.

Wir feiern Eucharistie. Sein Leib kommt in unseren Leib. Damit Gott in uns seinen Sohn sieht und liebt. Und damit wir ihn wiederlieben.

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12. Sonntag im Jahreskreis

Gehalten in Osnabrück, Maria Königin des Friedens
am 21.6.2020

Jer 20,10-13; Ps 69; Röm 5,12-15; Mt 10,26-33

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod.“ (Röm 5,12)

ein ungeheuerlicher Satz, den Paulus an die Römer schreibt und der uns heute in der 2. Lesung vorgelesen wurde. „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod“ und – so schreibt Paulus weiter: „auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weswegen alle sündigten.“

Man könnte dabei an Corona denken. Es reicht ein einziger Infizierter, damit nach und nach alle angesteckt werden.

Auf diesen beiden Aussagen des Paulus aber ruht die Lehre von der Erbsünde, mit der wir bereits auf die Welt kommen. Sie stößt heute bei vielen auf Befremden.

Vor allem der Zusammenhang von Sünde und Erben ist kaum zu vermitteln. Wie kann ich für die Sünde eines anderen verantwortlich sein? Man kann zwar die Folgen einer Schuld erben, so wie unser Volk die Folgen der Schuld der Nazizeit geerbt hat. Aber Sünde selbst, also die Schuld an sich, kann man nicht vererben. Jeder ist nur für seine eigenen Sünden verantwortlich, auch wenn andere die Folgen tragen müssen.  Deshalb stößt die Vorstellung von einer Erbsünde oft auf Widerspruch.

Nun, liebe Schwestern und Brüder, wie sollen wir uns das erklären? Was meint die Kirche mit dem Dogma von der Erbsünde? Vielleicht schauen wir uns den Text des Paulus nochmal genau an: „der Tod gelangte zu allen Menschen, weswegen alle sündigten.“ Also offenbar wegen des Todes.

Ja, warum sündigen wir eigentlich? Warum tun Menschen Böses? Warum laden sie Schuld auf sich? Was macht den Menschen so böse?

Vielleicht ist der Mensch von vornherein doch nicht so gut, wie er als unschuldiges Baby aussieht. Aus jedem Baby kann ein Mörder werden, ein Vergewaltiger, ein Egoist. Und jeder Mörder war einmal so ein unschuldiges niedliches Baby. Liegt das alles nur an der Erziehung?

„Der Tod gelangte zu allen Menschen, weswegen alle sündigten“. Ja, wir kommen als todgeweihte Menschen auf die Welt, vergänglich und verwundbar. Hier ist wohl mit Paulus der Grund zu suchen, warum wir sündigen. Wir kommen ohne die Gewissheit auf die Welt, in Gott geborgen zu sein. Der Glaube ist uns nicht angeboren. Eltern vererben ihrem Kind nur diese nackte, vergängliche, todgeweihte Existenz, die von Gott entfremdet ist, nicht versöhnt. Das meint „Sünde“ bei Erbsünde.  Einen Zustand! Und damit wird uns auch eine abgrundtiefe Angst um uns selbst vererbt. Die ist uns angeboren und bestimmt unser ganzes Leben. Die Angst um uns selbst, die Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen, die Angst und das Misstrauen voreinander, die Angst vor der Wahrheit, die Angst vor dem Sterben. Diese Angst bestimmt unser Handeln und macht uns zu Sündern. Aus Angst wird gelogen, aus Angst wird betrogen, aus Angst wird gemobbt, aus Angst sucht man Sicherheit, aus Angst werden wir neidisch und eifersüchtig, aus Angst rüsten wir auf, weil wir uns unverwundbar machen möchten, aus Angst entstehen Machtstrukturen und Gewalt. Auch Rassismus ist eine Frucht der Angst. Aus Angst versucht der Mensch, sich sein Überleben, seinen Vorteil auch gegen andere zu sichern. Und aus Angst, unsere Sicherheiten zu verlieren, unsere Götzen, an denen unser Herz hängt, werden wir böse und verzweifeln, wenn wir sie wirklich verlieren.

Es ist dies wohl der sündhafte Zustand, in dem jeder Mensch auf die Welt kommt. Sündhaft ist dieser Zustand nicht deshalb, weil wir vor der Geburt schon gesündigt hätten,  sondern weil er eigentlich nicht sein soll, weil er gegen Gottes Willen ist. Und weil nicht Gott für diesen Zustand verantwortlich ist. Und alle tragen und leiden daran. Es ist also die Angst um uns selbst, die uns daran hindert, wahrhaft menschlich zu sein. Man muss also irgendwie schon Sünder sein, um sündigen zu können.

Alle Sünde, alles Böse, das wir tun, liebe Schwestern und Brüder, hat seine Wurzel in dieser abgrundtiefen Angst um uns selbst. Wenn wir uns von ihr leiten lassen, dann sündigen wir.

So erkennen wir, in welch unheilvoller Lage wir auf die Welt kommen und wie erlösungsbedürftig wir sind.

Was aber kann diese Lage ändern? Wodurch wird die Angst entmachtet? Alle unsere Versuche, unsere Angst zu überwinden, führen nämlich zu nichts. Je mehr wir uns sichern, umso ängstlicher werden wir. Nur Gott kann diese Angst um uns selbst entmachten und uns eine neue Einstellung zum Leben schenken, eine Einstellung, die nicht auf Angst und Sünde gegründet ist. Deshalb spricht Paulus von der Gnade Gottes, die erst verborgen war und nun durch Christus offenbar wurde. Das ist unsere wahre Realität. Unsere Geborgenheit in Gott, unsere Gemeinschaft mit Gott, die uns durch Christus vermittelt wurde. Sie muss uns vermittelt werden. Von Natur aus, von Geburt an wissen wir nichts davon. Sie bleibt uns verborgen, solange wir nicht der Botschaft Jesu begegnen.

Gottes Liebe kann man an der Welt nicht ablesen. Sie muss uns eigens gesagt, verkündet werden. In Wirklichkeit nämlich sind wir gar nicht diese erbärmlichen Kreaturen, die sich aus lauter Angst gegenseitig das Leben schwer und sogar zur Hölle machen. In Wirklichkeit sind wir von Gott geliebt und angenommen wie sein eigener Sohn. Dieses Sich-Geborgenwissen in Gott, der Glaube also, ist das einzige, was unsere Angst um uns selbst entmachten kann. Wer sich in Gott geborgen weiß, kann anders handeln und anders leben als der, der in seiner Angst gefangen bleibt.

Dies ist die Gnade, die Gott uns in Christus geschenkt hat. Wir sind nicht unserem Schicksal ausgeliefert. Wir können uns im Glauben von Gott mit derselben Liebe angenommen wissen, mit der Gott von Ewigkeit seinem Sohn zugewandt ist. Dies gilt in Glück und Unglück, in Gesundheit und in Krankheit, im Leben und auch im Sterben.

Deshalb sagt Jesus heute im Evangelium: Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag und was man euch ins Ohr sagt, das verkündet von den Dächern. Nämlich dass wir in Wirklichkeit gar nicht die sind, für die wir uns halten, sondern Kinder Gottes, die aus dieser sündhaften Situation erlöst wurden. Und wir sollen uns nicht vor denen fürchten, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Für Jesus gab es offenbar Schlimmeres als den Tod, nämlich die Gottlosigkeit. Man kann uns unsere irdische Existenz nehmen. Aber unsere Gemeinschaft mit Gott kann uns niemand nehmen, wenn wir sie im Glauben angenommen haben.

„Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ So sagt es uns gleich wieder der Priester in der Eucharistie. Seht den, der diese unheilvolle Situation der Sünde von uns genommen und uns Gemeinschaft mit Gott und Geborgenheit in ihm geschenkt hat.

 

 

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2. Fastensonntag 2020

Gehalten in München-Maria Thalkirchen

7. u. 8. März 2020

Gen 12,1-4a; 2 Tim 1,8b-10; Mt 17,1-9

 

Dieser Sonntag führt uns auf einen hohen Berg. Es ist, als dürften wir dabei sein mit Petrus, Jakobus und Johannes. Als würden wir über uns selbst hinausgehoben in eine völlig verzauberte Wirklichkeit. Als dürften wir für einen Augenblick den Himmel berühren. Die Jünger sehen im Glauben, wer Jesus wirklich ist: sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.

Es ist eine Gipfelerfahrung, die die Jünger auf dem Berg der Verklärung machen, ein wirkliches Highlight.

Es gibt ja solche Momente im Leben, solche Höhepunkte, wo alles wie verzaubert ist. Vielleicht der Tag der Hochzeit, die Geburt des ersten Kindes, der Tag der Priesterweihe, die Promotion zum Doktor: Highlights des Lebens, als schwömme man im Glück. „So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergehn“ – vielleicht erinnern Sie sich an diesen alten Schlager. Und so war wohl auch Petrus zumute: Er will auf dem Berg Hütten bauen, das Glück dingfest machen, festhalten. Er begreift nicht: das Glück, das ich festhalte, gefriert, wird wie ein Museumsstück – aber es bleibt kein gelebtes Glück, das sich auch im Unglück noch bewährt und durch Dunkel trägt. Man muss in die Wirklichkeit zurück, in den grauen Alltag, zum Kreuzweg des Lebens. Doch wir wissen um die Perspektive, wir wissen um das Ziel: Es gibt Ostern. Auch wenn es nur ein Moment war, an dem es mir klar wurde: dieser Moment hilft mir, die Wirklichkeit anzunehmen: mein Kreuz, meine Grenzen, meine Endlichkeit, meine Krankheiten, die Brüche in meinem Leben, meine Schuld. Denn der Glaube schenkt mir eine Perspektive der Ewigkeit.

Es geht in dieser Geschichte um die Augen des Glaubens. Sie sehen, was die natürlichen Augen nicht sehen können. Die Geschichte von der Verklärung auf dem Berg, liebe Schwestern und Brüder, ist einer der Höhepunkte der Jesusgeschichte. Man kann nicht sagen: An diesem Ort und an jenem Tag hat die Verklärung stattgefunden. In solchen Momenten ist die ganze Geschichte, Vergangenheit und Zukunft, wie zusammengedrängt auf einen Punkt: Mose und Elija erscheinen, Vertreter des Alten Bundes. Das Licht Christi fällt auch auf sie und erleuchtet die Geschichte Israels. Und die Jünger stehen für die Zukunft, für die Kirche aus allen Völkern, die nun anhebt.

Den Jüngern wird klar, wer Jesus ist: „Mein geliebter Sohn“, sagt die Stimme aus der Wolke. In Jesus begegnen wir dem unbegreiflichen Gott, in diesem Menschen ist Gott bei uns. In diesem Menschenleben, auch in Jesu Kreuzweg ist Gott uns nahe. Doch nur die Augen des Glaubens sehen das. Wenn wir auf das Kreuz Jesu schauen, dann sieht der Glaubende etwas anderes als der Nicht-Glaubende. Doch wie bekommt man diese Augen des Glaubens? Durch den Glauben natürlich. Wir sollen auf Jesus hören – dann wird sich auch für uns die Wirklichkeit verwandeln. Denn der Glaube kommt vom Hören und führt zum Sehen, schenkt neue Augen, führt also zuerst zu einer neuen Sicht der Dinge, der Wirklichkeit. Und am Ende unseres Lebens werden wir Ihn sehen und nicht ein schwarzes Loch.

Tatsächlich führt unser Lebensweg durch Höhen und Tiefen, doch insgesamt gehen wir alle auf unser Grab zu, auf dieses schwarze Loch. Mit unseren natürlichen Augen betrachtet, scheint das das Ziel unseres Lebensweges zu sein. Für unsere natürlichen Augen ist die Welt ein Menschheitsfriedhof. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle Menschen, die je gelebt haben, unter der Erde liegen. Dies ist die Perspektive des Nicht-Glaubenden: am Ende steht ein schwarzes Loch.

Wer an Jesus glaubt, seinem Wort vertraut, hat dagegen eine andere Perspektive. Wir sagen: Es stimmt, wir gehen auf unser Grab zu. Aber dieser Weg ist der Weg auf Ostern zu. Wir sehen also die Wirklichkeit anders. Weil wir Jesu Wort gehört haben. Es sagt uns etwas, das – wenn es wahr ist – nur Gott uns sagen kann: dass wir Gemeinschaft mit Gott haben. Gegen unsere Gemeinschaft mit Gott hat auch der Tod keine Macht mehr. Wenn Jesus der Sohn Gottes ist, wie die Jünger ihn bezeugen, dann hat er, wie Paulus an Timotheus schreibt, „dem Tod die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium“.

Den Jüngern geht auf, wer Jesus wirklich ist: Gottes Sohn.

Damit geht ihnen auf, wer wir wirklich sind: Kinder Gottes.

Und es geht ihnen auf, dass auch die ganze Menschheitsgeschichte auf das österliche Ziel zugeht.

Die Fastenzeit will uns für Ostern bereiten, aus uns österliche Menschen machen, die auf Jesus hören und ihre wahre Bestimmung erkennen. Und das mitten in unserer notvollen Zeit. Die Verheißung, die Gott Abraham gegeben hat (1. Lesung), hat sich in Jesus erfüllt. Sie gilt nicht nur Abraham und seinem Stamm, sondern nun allen Völkern: „Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“. Auch wenn alles in der Welt dagegen zu sprechen scheint: Gewalt und Krieg, Leid und Schmerz, Krankheit, Corona und Tod. Österlich werden heißt, in der Gewissheit leben, dass uns nichts mehr von Gott trennen kann.

Alles kommt darauf an, dass wir uns mitnehmen lassen auf diesen Berg, auf diesen Gipfel der Begegnung mit Gott. Jede Heilige Messe ist im Grunde eine solche Begegnung mit Gott, ein solches Highlight. Indem wir sein Wort hören, sehen wir im Glauben, dass sich Wirklichkeit wandelt, wenigstens schon dieses kleine Stück Brot. Darin erscheint der Herr sichtbar unter uns: Seht das Lamm Gottes. Er kommt zu uns als Nahrung für unseren Glauben, damit wir ihn erkennen als den, der bei uns ist und uns auch den Berg hinab begleitet in die oft trübe Realität des täglichen Lebens. Er ist immer bei uns.

 

 

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6. Sonntag

Gehalten in München, Maria-Thalkirchen

am 15./16.2.2020 

Sir 15,15-20; 1 Kor 2,6-10; Mt 5,17-37

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Das war ein sehr langer Abschnitt aus der Bergpredigt. Ein Aufruf zum Christsein! Eine Einladung Jesus nachzufolgen, in seine Fußstapfen einzutreten. Aber wer kann das schon? So radikal!

Viele Menschen finden, die Kirche passe nicht mehr in unsere Zeit. Sie müsse sich an unsere Standards anpassen. Aber auch schon die Bergpredigt passte damals nicht in die Zeit. Ist das nicht töricht, was Jesus von seinen Jüngern verlangt? Hand abhacken, Frauen nicht mehr geil anschauen, striktes Verbot der Ehescheidung. Widerspricht das nicht dem dem gesunden Menschenverstand? Es überfordert maßlos. .

Ich möchte nicht weiter darauf eingehen. Aber die 2. Lesung, die wir gehört haben, könnte ein Schlüssel sein, um besser zu verstehen, worum es Jesus ging und worum es im christlichen Glauben überhaupt geht. Die 2. Lesung ist ein Paulustext aus dem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth. Im 2. Kapitel schreibt Paulus einen ganz grundlegenden Text für unseren Glauben. Deshalb tun wir gut daran, ein wenig dabei zu verweilen und zu versuchen, ihn uns ein wenig zu erschließen.

Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth. Korinth liegt in Griechenland. Die dortigen Gemeindemitglieder waren zum Teil Juden, die in der griechischen Diaspora lebten und zum Teil wohl bereits Heiden, also Griechen, Nichtjuden, die zum Glauben an Jesus gekommen waren. Auf jeden Fall waren alle vom griechischen Denken beeinflusst. Und Paulus will ihnen verkündigen, ein Gekreuzigter, ein am Kreuz Hingerichteter sei der Heilbringer, der Erlöser, der Sohn Gottes.

Für griechische Ohren war das eine ungeheure Zumutung. Das passte ganz einfach nicht in ihr Denken und in ihre Vorstellung von Gott: Bah! So ein schwacher Gott soll der Retter der Menschheit sein? Ein am Kreuz Hingerichteter? Alle religiösen und politischen Instanzen haben ihn doch verurteilt und für schuldig befunden: der Gotteslästerung und des Hochverrats.

Auch heute ist dieser Gedanke vermutlich schwer zu vermitteln. Wir stehen vor einem Gekreuzigten, einem Gescheiterten und sagen: Das ist unser Herr! In ihm ist die Liebe Gottes, die Herrlichkeit Gottes aufgeleuchtet.

Ist das nicht eine Zumutung für den gesunden Menschenverstand? Können wir noch etwas damit anfangen? Daran glauben, dass wir in diesem Gekreuzigten Gott begegnen, in diesem Toten den Gott des Lebens? Kann es nicht auch uns schwer fallen, so zu glauben? Ist der Glaube an den Gekreuzigten nicht vielleicht eine große Torheit? Müsste sich die Herrlichkeit Gottes nicht herrlich zeigen, glanzvoll und jedermann überzeugen? Warum verbirgt sich Gott, der doch in allem mächtig ist, hinter einer Maske der Schwäche? Warum versteckt sich das Leben hinter dem Tod anstatt sich in seiner ganzen Herrlichkeit zu zeigen. Können solche Fragen nicht auch unseren Glauben anfechten?

Deshalb spricht Paulus in unserem Text von der Weisheit Gottes, die so viel anders ist als Menschenweisheit. Mit dem Begriff „Weisheit“, „Sophia“ konnten die Griechen etwas anfangen. Was ist Weisheit? Es ist nicht nur ein Bescheidwissen, so wie ein Ingenieur in seinem Fach Bescheid weiß. Es ist mehr, es ist Lebenswissen, das sich aus Wissen und aus Lebenserfahrung und aus Intuition und aus Reflexion und aus der Fähigkeit speist, zwischen den Zeilen zu lesen. Aus dem Computer kann man keine Weisheit erwarten; da kommen nur Informationen. Aber einige Menschen werden weise. Wir sprechen manchmal von einem weisen Rat oder einer weisen Tat. Sie stellt sich als klug und sinnvoll heraus. Der Weise schnuppert irgendwie das Richtige, das Sinnvolle, das Notwendige.

Das antike Griechenland ist die Wiege der Weisheit. Die große abendländische Philosophie hat ja in Griechenland ihren Ursprung. Philosophie heißt „Liebe zur Weisheit“. Die Weisheit Sokrates’, Platons und Aristoteles’ und vieler anderer. Sie waren Meister des Denkens  Doch für Paulus ist diese Weisheit nur Weisheit dieser Welt. Es ist ein Wissen und eine Weisheit, die der Mensch selbst erwerben kann durch eigene Überlegung, durch Nachdenken und Reflektieren auf die Wirklichkeit und auch – wie bei Aristoteles - durch die Beobachtung der Naturgesetze. Es ist eine Weisheit, auf die wir stolz sein können. Auch der ganze technische und soziale Fortschritt verdankt sich der Weisheit, der Klugheit und dem Wissen vieler Menschen. Aber – so Paulus – diese Weisheit rettet den Menschen nicht. Sie kann ihn nicht retten. Sie kann ihn nicht wahrhaft menschlich machen. Und es ist Torheit, von der Menschenweisheit mehr zu erwarten, als sie uns geben kann. Gemeinschaft mit Gott und ewiges Leben kann sie uns nicht schenken.

Deshalb spricht Paulus vom „Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung.“ Die Weisheit Gottes ist also an der Welt verborgen. Man kann sie durch eigenes Überlegen nicht herausfinden. Bei dieser Weisheit geht es also um ein Wissen, das man nur haben kann, wenn Gott es uns offenbart, es uns mitteilt. Glauben heißt also Anteil haben am verborgenen Wissen Gottes, was es um uns ist.

Wer sind wir wirklich? Worum geht es im Glauben? Wie kommt man zum Glauben? Wo hat Paulus dieses Wissen und diese Weisheit her?

Er sagt: Uns hat Gott es enthüllt durch den Geist, der auch die Tiefen Gottes ergründet. Das ist der Geist Jesu, der mit Jesus in die Welt gekommen ist. Wer Jesu Botschaft annimmt – wie Paulus – der bekommt auch diesen Geist und erkennt im Glauben, wer wir wirklich sind: Wir sind gar nicht die, für die wir uns halten. Wir sind gar nicht die, die wir nach menschlichem Wissen und menschlicher Weisheit sind: Diese höheren Tiere, die denken können, diese für Bakterien und Viren so anfälligen Biomaschinen, die dann bestimmt sind zum Untergang und zur Vernichtung.

Nach menschlichem Wissen und menschlicher Weisheit ist alles zum Ende und zum Untergang bestimmt. Wenn wir unserer Erfahrung trauen, dann sind wir absolut gottverlassen unserem eigenen Schicksal ausgeliefert. Wenn wir uns auf unsere Erfahrung verlassen wollen – und das gilt heute ja als Weisheit – dann sind wir arm dran. Deshalb schreibt Paulus: Wir verkünden, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und keinem Menschen in den Sinn gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Wir können an der Welt nicht ablesen, wie Gott es mit uns meint. Wir können nicht selbst in Erfahrung bringen, dass Gott uns liebt. Das bleibt verborgen. Wir müssen es uns von Gottes Wort, von Jesus also, sagen lassen. Unseren natürlichen Augen bleibt es verborgen. Wäre es nicht so, dann wäre Gott ja nur ein verlängertes Stück Welt und nicht wirklich Gott.

Und wenn es dann um das Kreuz und den Gekreuzigten geht, dann geht es darum, dass wir unsere Wirklichkeit annehmen müssen und können. Auch unser Scheitern, unsere Grenzen, unsere Schwächen. Menschenweisheit steht nicht zu den eigenen Schwächen und Grenzen. Kreuz und Leiden verdrängen viele von uns gerne. Den Blick auf die Wirklichkeit halten wir kaum aus. Ein Gekreuzigter passt nicht in die Werbespots, z. B. an den Frühstückstisch der Nutella- und Rama-Familie. Aber im Glauben an Gottes Wort verstehen wir, dass das Kreuz nicht das letzte Wort ist über unser Leben. Wer sich in Gemeinschaft mit Gott weiß, der weiß auch, dass die menschliche Weisheit vergeht, dass unser natürliches Wissen nicht weiß, wer wir in Wirklichkeit sind. Bei aller Weisheit und Wissenschaft kommt man nicht dahinter: Wir sind Kinder Gottes, die bestimmt sind zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit. Nur Gottes Wort und Gottes Geist enthüllt uns, wer wir wirklich sind.

Dies ist die Weisheit Gottes: Er geht mit uns bis hinein in die letzte Gottverlassenheit, er verbrüdert sich mit den unzähligen Opfern der Geschichte, indem er sich selbst treffen lässt von menschlicher Bosheit. Indem Christus unser Schicksal mit uns teilt, schenkt er uns Anteil an seinem Gottesverhältnis, nimmt uns hinein in die Liebe des Vaters zum Sohn in Gott. Und indem wir den Gekreuzigten in die Mitte stellen, wird die Peripherie, wird der Rand der Gesellschaft zur Mitte der Kirche. Und die Aufmerksamkeit für diese Mitte, für die Opfer, ist dann Ausdruck der Weisheit Gottes.

Was der Welt als Weisheit gilt, kann in Gottes Augen töricht sein. Und was in den Augen der Welt Torheit ist, zeigt sich in Jesus als Weisheit.

Glauben heißt also: Gottes Weisheit haben. Und die wahre Weisheit besteht darin, angesichts des Gekreuzigten, des Opfers, an das Leben zu glauben. Die Welt im Licht von Gottes Weisheit sehen. Und das Aushalten unserer Vergänglichkeit und auch unseres Kreuzes und unserer Angst davor kann durchaus ein Ausdruck von christlicher Weisheit sein.  Vor allem in Zeiten, in denen man ernsthaft darüber diskutiert, ob sich sterbenskranke oder lebensmüde Menschen – in Belgien auch schon Kinder - einfach einschläfern lassen sollen wie Katzen und Hunde beim Tierarzt. Oder wo wir versuchen, aus der Kirche eine zeitgemäße Institution zu machen, die unsere Lebenswirklichkeit nicht mehr in Frage stellt.

Im christlichen Glauben geht es nicht um das Führwahrhalten, dass es Gott gibt. Es geht vielmehr um die Gewissheit, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, mit Gott verbunden sind, obwohl in der Welt alles dagegen spricht. Jesus hat uns in seine Gemeinschaft mit Gott hineingenommen. Das ist das, was kein Auge sehen und kein Mensch sich ausdenken kann: unsere wahre Bestimmung, Kinder Gottes zu sein im Leben und im Sterben. Gott hat in Christus diese Welt angenommen mit ihrem Licht und ihrem Schatten, mit all ihrem Unheil auch und mit ihrer Vergänglichkeit. Und so müssen auch wir das Kreuz und den Tod nicht verdrängen und uns Illusionen über dieses Leben machen. Wir können es annehmen, weil Gott es angenommen hat und mit uns lebt. Vielleicht verstehen wir jetzt besser, worum es Jesus in der Bergpredigt ging. Die Weisheit dieser Welt ist nicht die Weisheit Gottes. Er hat das Unrecht ertragen und nicht mit Unrecht geantwortet, sondern mit Schalom!. So hat er die Bergpredigt erfüllt und damit das ganze Gesetz.

Wir sind jetzt hier versammelt als Tischgenossen des Gekreuzigten: Deinen Tod verkünden wir! Er ist einer von uns geworden: leidend, vergänglich, verfolgt, sterbend – damit wir sein Leben haben, seine Gemeinschaft mit Gott, sein Ostern. 

 

 

 

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3. Sonntag im Jahreskreis

Gehalten in München, St. Maria-Thalkirchen

am 26.1.2020

Schrifttexte:

Jes 8,23b-9,3; 1 Kor 1,10-13.17; Mt 4,12-23

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“

Mit diesem Aufruf beginnt Jesus seine öffentliche Verkündigung. Johannes, sein Lehrer und Täufer, ist inhaftiert worden.  Nun ist seine Stunde gekommen. Er zieht um nach Kapharnaum am See von Tiberias. Das Evangelium sieht darin die Erfüllung einer prophetischen Verheißung im Alten Testament. Der Text zitiert denselben Text, den wir als 1. Lesung aus dem Jesajabuch gehört haben. Das Gebiet, in dem Jesus seine Botschaft verkündet, ist in den Augen frommer Juden heidnisches Gebiet. Sebulon und Naphtali waren die Stammesgebiete zweier inzwischen fast untergegangener Stämme Israels. Viele Nichtjuden, also Heiden, lebten dort. Indem Jesus hier anfängt, zu verkündigen, erfüllt sich für das Evangelium die Verheißung, dass diesem Volk, das am Rande und im Finstern lebt und im Schatten des Todes, mit Jesus jetzt endlich ein Licht aufgeht.

Der Herr will offenbar eine neue Perspektive vermitteln, einen neuen Blick auf das Leben und die Welt. Er will die Stämme Israels revitalisieren, das Volk Gottes wieder mit Hoffnung und Zuversicht erfüllen in einer Zeit, in der Hoffnung und Zuversicht Mangelware sind. Seht, das Himmelreich ist nahe. Was soll man sich darunter vorstellen. Und was bedeutet seine Nähe? Es bedeutet, dass Gott bei uns ist, uns nahe. Wir brauchen die vielen selbstgeschaffenen Götter nicht mehr.

Jesus verbindet diese Perspektive mit dem Ruf in die Nachfolge. Er will mitnehmen auf seinen Weg. Offenbar eröffnet den Jüngern dieses Mitgenommenwerden auf Jesu Weg diese neue Perspektive. Sie lassen alles liegen, was ihnen bisher etwas bedeutete und ihnen einen kärglichen Lebensunterhalt und ein bisschen Geborgenheit schenkte: das Boot und ihren Vater, damit ihren Beruf und ihre Familie. Sie leben offenbar nicht mehr aus Angst um sich selbst, aus Angst um ihr Leben, aus Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen.

Offenbar ist es dieses Sich-Mitnehmen-Lassen auf Jesu Weg, was eine Perspektive schenkt, was Orientierung gibt, was aus dem Dunkel in einen neuen Morgen führt. Sich einlassen auf Jesus im Vertrauen auf sein Wort. So ist das eigentlich bis heute. Gottes Wort mehr trauen als unserer Erfahrung, die uns sagt, dass doch alles für das Nichts bestimmt ist. Sich Gottes Wort so anvertrauen, dass man nicht mehr von der Angst um das eigene Leben regiert wird. Das heißt es, in Gottes Reich einzutreten.

So ist das auch heute: Wir können tatsächlich der Macht der Angst um uns selbst nicht entrinnen, wenn wir uns dem Worte Jesu nicht anvertrauen. Denn es ist Gottes Wort.

Der Ruf zu dieser Umkehr ergeht auch an uns. Er verheißt uns das Himmelreich oder, m. a. W.: Gemeinschaft mit Gott, die von keiner Macht der Welt mehr zerstört werden kann.

Dass Umkehr Not tut, wissen wir. Doch wir tun uns schwer, tatsächlich umzukehren von verkehrten Wegen. Kehrt um! heißt soviel wie: Hört auf! Hört auf mit dieser Lebensweise. Hört auf mit der Ausbeutung der Natur! Hört auf mit der Tierquälerei in der Viehhaltung! Hört auf mit dem Wachstumsdenken! Mit dem Immermehrhabenwollen. Wir haben doch schon mehr als genug. Lernt wieder Bescheidenheit und Unsicherheit! Habt keine Knappheitsängste! Sucht das Reich Gottes! Sucht also neue Wege für eine menschlichere, gerechtere Welt, für eine solidarische Menschheit.

Aber dieser Ruf zur Umkehr ergeht nicht nur an jeden einzelnen. Er gilt auch der Kirche als ganzer bzw. den verschiedenen Kirchen, in die die eine Christenheit heute gespalten ist. Wir stehen in der Gebetswoche um die Einheit der Christen. Und so sind wir eingeladen, uns mit den Christen aller Konfessionen neu auf die Einheit zu besinnen, die wir im Glauben doch schon haben. Wir wissen alle, dass das ein schwerer Weg ist, aber er muss gegangen werden. Denn es widerspricht zutiefst dem Willen Jesu, dass seine Jünger sich einander entfremden und sich gegenseitig die Jüngerschaft und die Nachfolge absprechen.

Schon in der jungen Christengemeinde von Korinth gab es Spaltungen. In der 2. Lesung haben wir gehört, dass Paulus dazu aufruft, diese Spaltungen zu überwinden. Es gibt dort verschiedene Parteien, man könnte fast sagen „Konfessionen“: ich halte zu Paulus, ich zu Apollos, ich zu Petrus, ich zu Christus. Das ist so, als sagte man heute: ich halte zu Luther, ich zu Calvin, ich zum Papst. Ist denn Christus zerteilt? Sind wir etwa durch Luther, Calvin oder den Papst erlöst worden?

Paulus sagt damit: Es gibt eine Einheit, die für den Glauben unzerstörbar ist, auch wenn wir sie kaum mehr sichtbar machen oder sie sogar bestreiten. Aber Christus selbst ist nicht zu zerteilen.

Die lange und verhängnisvolle Geschichte der Kirchenspaltungen in Ost und West, die gegenseitigen Exkommunikationen und Verurteilungen, das gegenseitige Sich Absprechen des Glaubens – das alles gehört zur Schuldgeschichte der Kirchen und ist keine Bezeugung des Evangeliums vom Kommen der Gottesherrschaft. Es ist oft angstbesessene Rechthaberei, die sich nicht vorstellen kann, dass die Grenzen der Kirche vermutlich viel weiter sind als die der eigenen Konfession.

Aber wie soll die Ökumene gelingen, wenn es Spaltung sogar in unserer römisch-katholischen Kirche gibt. Manche sprechen sogar von einer drohenden Kirchenspaltung innerhalb unserer Kirche. In den nächsten Tagen beginnt der synodale Weg, zu dem die Bischöfe sich verpflichtet haben angesichts so vieler Missstände in der Kirche. Es bleibt zu hoffen, dass die Tendenz zur Spaltung überwunden wird. Auch dies gehört zur Umkehr.

Tatsächlich gibt es verschiedene Gruppen in der Kirche. Die einen wollen Veränderungen: verheiratete Priester etwa, die Priesterweihe für Frauen, die Anerkennung der Homosexualität und die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Andere wollen genau diese Dinge nicht, sondern sehen darin einen Verrat an der christlichen Tradition. So entstehen fast unüberwindliche Entfremdungen zwischen diesen Gruppen, Konservative und Progressive, die doch alle zu Jesus gehören wollen. Sie betrachten sich gegenseitig mit Geringschätzung bis hin zu Verachtung. Es vergeht kein Tag, an dem diese Geringschätzung nicht im Internet und in anderen Medien in die Welt getrötet wird. Christen machen Christen vor der Öffentlichkeit lächerlich. Es gibt kaum die Bereitschaft, einander zuzuhören. Es ist wie in der Gemeinde von Korinth: Ich halte zum Papst; ich zu seinem emeritierten Vorgänger Joseph Ratzinger; ich zu Kardinal Müller oder Kardinal Sarah; ich zum Zentralkomitee der Katholiken; ich zu den Piusbrüdern. Die Verwirrung ist groß. An wen soll man sich halten?

Nun, wurden wir etwa durch den Papst erlöst? Ist Joseph Ratzinger für uns gekreuzigt worden? Oder Kardinal Müller? Schon Paulus hat mit solchen Fragen auf Christus verwiesen. Umkehr, Erneuerung, Reform der Kirche kann nur gelingen, wenn wir uns auf Jesus einlassen, ihm nachfolgen wie die ersten Jünger. Sie ließen alles zurück, was ihnen bisher vertraut war: ihren Beruf, ihre Familie, ihre Gewohnheiten, ihr Denken. Sie orientierten sich ganz neu, indem sie von Jesus lernten, mit ihm gingen, das bisher Selbstverständliche hinter sich ließen. Es war ein Miteinander auf dem Weg, eben ein synodaler Weg mit Jesus, dem Christus Gottes. Aufeinander hören und miteinander sprechen. Jeder sagt doch auch etwas Wahres. Und alles Wahre ist vom Heiligen Geist. Das gilt es herauszuschälen aus den vielen verwirrenden Stimmen.

Wenn wir nicht alle mit Christus auf dem Weg sind, dann wird dieser Weg scheitern. Wir können nur beten und hoffen, dass es gelingt, dass alle sich an Christus orientieren. Der synodale Weg muss ein geistlicher Prozess sein, eine Gebetsgemeinschaft, in der die verschiedenen Gruppen die Geringschätzung füreinander durch den Geist Jesu überwinden und einander zu verstehen zu suchen. Nicht Gewinner und Verlierer darf es am Ende geben, sondern alle müssen gewinnen an Freude am Glauben, an Hoffnung und Liebe. Paulus sagt es an anderer Stelle: Jeder „schätze den anderen höher ein als sich selbst“ (Phil 2,3).

Wo ganz verschiedene Menschen an Christus glauben und Christus zur Mitte ihres Lebens wird, wo also jeder darauf verzichtet, selbst im Mittelpunkt zu stehen, sondern allein Christus die Mitte aller ist, da entsteht ein Raum des Friedens und des Verstehens. Da geschieht bereits die Umkehr, zu der Jesus uns ruft. Da ereignet sich synodaler Weg. Möge er gelingen!

Im Glauben an Christus kann man tatsächlich nur übereinstimmen. Denn es ist der Heilige Geist, der uns mit Christus verbindet. In allen anderen Dingen darf man dann auch verschiedener Meinung sein, ohne dass man sich die Köpfe einschlägt. Und man kann diese Unterschiedlichkeit aushalten, ohne einander wegzuwünschen. Sie trennt uns dann nicht mehr, denn in Christus sind wir verbunden.

Der Heilige Geist, der Geist Jesu ist ein ökumenischer Geist. Er verbindet alle, die an Christus glauben. Jede Konfession kann ihn in den anderen Konfessionen entdecken. Und auch jede Fraktion innerhalb unserer Kirche kann ihn in den anderen finden. Man braucht sich nur an die Weisung Jesu zu halten, zuerst den Balken im eigenen Auge zu erkennen, bevor man sich mit dem Splitter im Auge des Bruders beschäftigt (vgl. Mt 7,5).

So müssen wir und alle Christen uns immer wieder vom Herrn zur Umkehr rufen lassen. Und  uns auch gegenseitig dabei helfen, den Ruf Gottes für heute zu vernehmen und uns auf ihn einzulassen, indem wir ihn uns gegenseitig bezeugen.

Wir sind jetzt zur Eucharistie versammelt. Christus will unsere Mitte sein. Er will das Licht sein, das uns aufgeht! Unser Friede. Unsere Freude.

 

 

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2. Sonntag im Jahreskreis

Gehalten am 18.1.2020 in München, Heilig Geist

Predigt zu Joh 1,29-34

 

 

„Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

Dieses Wort ist uns ganz vertraut. Wir hören es in jeder Eucharistiefeier. Es stammt aus dem Johannesevangelium. Die Stelle haben wir gerade gehört.

Aber zugleich ist es auch ganz fremd. Wer kann schon sagen, was es bedeutet? Wieso Lamm? Warum nicht Katze Gottes? Oder Dackel Gottes? Ist Gott ein Tierhalter?

Und wie soll ein Lamm Sünden wegtragen, fortschaffen?

Und was hat das ganze mit Gott zu tun?

Für die jüdischen Zeitgenossen Jesu war die Rede vom Lamm Gottes hingegen ganz und gar verständlich. Denn das Lamm war zu der Zeit ein Opfertier. Jede jüdische Familie opferte alljährlich ein Lamm, um sich mit Gott zu versöhnen. Im Jerusalemer Tempel wurden täglich Lämmer Gott als Opfer dargebracht, um die Sünden des Volkes zu sühnen. Man war davon überzeugt, dass Gott solche Opfer wohlgefällig waren und der Versöhnung mit Gott dienten.

Mit der Botschaft Jesu aber geschah etwas Neues. Seine Jünger verstanden: Unsere Opfer können Gott gar nicht versöhnen. Wie soll denn das Blut von Lämmern auch Sünden wegnehmen? Wir haben es gar nicht in der Hand, ob Gott sich mit uns versöhnt, ob er uns Gemeinschaft schenkt. Religion ist ja der Versuch, Gott durch eigene Leistung zu versöhnen. Menschen hoffen, Gottes Gnade und Segen dadurch zu erlangen, dass sie Gott etwas schenken, ihm etwas hingeben: in diesem Fall eben Lämmer, weil sie so unschuldig aussehen. Ihnen wurden deshalb unsere Sünden aufgeladen.

Mit Jesus aber geschieht ein religionsgeschichtlicher Paradigmenwechsel. Der Opferbegriff wird auf den Kopf gestellt. Der Mensch kann von sich aus Gott gar nicht versöhnen. Aber Gott hat selbst die Welt mit sich versöhnt. Er hat seinen Sohn gesandt. Nicht wir können Gott also Opfer darbringen, sondern Gott hat uns Menschen ein Opfer gebracht. Er hat uns seinen Sohn geschenkt, damit wir Kinder Gottes werden. Deshalb ist er, Jesus, dieses Lamm, dieses einzige und wahre Lamm, das Gott und Mensch versöhnt. Denn der Sohn Gottes wurde unser Bruder, in allem uns gleich – und doch unschuldig wie ein Lamm – um uns in die Liebe Gottes aufzunehmen. Er ist der einzige, der ohne Sünde ist, der einzige, der schon immer mit Gott versöhnt ist. Deshalb ist er der Eine, der uns mit Gott versöhnen kann.

Doch das alles ist nicht unblutig abgelaufen.

Weihnachten ist vorbei. Die Weihnachtszeit auch. Das Stück heile Welt vom Heiligen Abend – vielleicht war es nur eine Illusion. Jetzt geht es wieder um die knallharten Tatsachen des Lebens. Lamm Gottes! Ja, jetzt wird vollends deutlich, in welche Welt Jesus hineingeboren wurde. Wohin er gekommen ist. In eine Welt voller reißender Wölfe. Und nun verstehen wir vielleicht besser, warum Lamm. Er war kein Wolf. Und er heulte nicht mit ihnen. Gott kam als Mensch in diese Welt. Und hatte keine Bleibeperspektive, keine Überlebenschance. Das war’s. Auch deshalb Lamm: unschuldig, ja naiv. In den Augen der Welt: ein dummes Schaf.

Das Johannesevangelium ist an dieser Stelle ziemlich sicher vom Propheten Jesaja inspiriert. Bei Jesaja ist vom Gottesknecht die Rede: „Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf.“ (53,7). Und dann heißt es auch: „Mein Knecht, der gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich“ (53,11). Karfreitag werden wir diese Sätze wieder hören. Johannes hat diese Worte aus dem AT offenbar auf Jesus gedeutet und in Jesus dieses Prophetenwort vom Lamm in einer Welt voller Wölfe erfüllt gesehen. Das Evangelium heute spielt also schon an auf das Schicksal, das Jesus ereilen wird.

Jesus ist zutraulich wie ein Lamm auf die Menschen zugegangen. Er hat ihnen Gemeinschaft mit Gott angeboten, ein Zusammenleben, das auf Liebe und nicht auf Egoismus aufgebaut ist. Doch seine Liebe ist weithin auf Hass gestoßen. Er ließ sich treffen von der Bosheit der Frommen, von der Gewalt der Anständigen, von der Heuchelei der Priester. Und das gilt alles auch heute. Auch die Religion gehört zur Sünde der Welt, an der er zugrunde ging.

„Deinen Tod verkünden wir“, so ruft es die Christenheit in jeder Abendmahlsfeier von Neuem. An uns, an unserer Art zu wirtschaften, Politik zu machen und fromm zu sein – bist du zugrunde gegangen! Wie Abertausende andere auch. Sind wir noch zu retten?

Ja, wir sind es. Aber nicht weil wir wir sind und weil wir tolle Überlebensstrategien entwickeln, sondern weil er der Sohn Gottes ist: „Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit Heiligem Geist tauft.“ Kein Zweifel: er war voll von diesem Geist. Denn er war wahrhaft Mensch. Kein Unmensch. Kein Supermensch. Ein wahrer Mensch, der in die Hand von frommen und anständigen Unmenschen fiel, das ist der Sohn Gottes.

Gott führt uns also nicht ein spektakuläres Gottsein vor, also irgendein übermenschliches Wesen, sondern einen wahren Menschen, in allem uns gleich, außer eben der Sünde, außer der Gottzerstrittenheit und Gottverlassenheit und allem, was daraus folgt.

Und er, dieses Lamm, ließ sich treffen von all der Bosheit dieser Welt. Es ging daran zugrunde. Diese Welt war eigentlich nichts für ihn. Und doch hat er sie angenommen und hat sie – und damit auch jeden von uns - umarmt, wie wenn ein Nackter einen riesigen Kaktus umarmt. Und ist daran zugrunde gegangen. Freiwillig. Das gehört dazu, wenn man den Geist hat, der Gottes Geist ist.

Er tauft mit diesem Geist. D. h.: er gibt diesen Geist weiter. Er lässt andere teilhaben an diesem Geist. Darin liegt offenbar das Heil und das Fortschaffen der Sünde: diesen Geist abbekommen. Sich in diesen Geist des dummes Schafes hineinnehmen lassen. So werden wie er: wahrhaft Mensch. Das heißt es wohl, ein Christ zu werden, eben ein Zeuge Christi.

Der Heilige Geist ist es, der Jesus mit Gott verbindet. Er ist das Wir von Vater und Sohn. In der Sünde leben heißt, von Gott getrennt sein, sein Heil auf eigene Faust bewerkstelligen müssen – und deshalb meistens auf Kosten anderer. Sich mit dem Geist Jesu taufen lassen, heißt, mit Gott verbunden sein, selbst Kind Gottes werden, an der Gotteskindschaft Jesu teilhaben, sich hineingenommen wissen in die Gemeinschaft Jesu mit Gott. Darum – und um nichts anderes - geht es in unserem Glauben: Sich und alle Menschen um Jesu willen mit derselben Liebe von Gott geliebt wissen, mit der Gott seinen Sohn liebt.

Wer sich diesem Wort anvertraut, der weiß, dass die Sünde, das Böse, das Zerstörerische nicht das letzte Wort behalten wird.

Denn Gott hat seinen Sohn gesandt, um uns Sünder zu retten. Ohne ihn müssten wir an unserer Sünde ersticken. Denn wir wären abgeschnitten von Gott und damit vom Leben. Sünde und Tod hätten das letzte Wort. Unser Heil hängt daran, dass wir uns von Jesus ansprechen lassen, dass sein Wort in unser oft so hartes Herz dringt, dass sein Leib unseren Leib formt. Und wir es lernen, nicht mit den Wölfen zu heulen, sondern ihm, dem Lamm Gottes, dem wahren Menschen ähnlich zu werden. Und auch in einer glaubensfeindlichen Umgebung bekennen, zu wem wir gehören: Er ist der Sohn Gottes.

Wir feiern jetzt sein Opfer, sein Zugrundegehen an uns und für uns. Das Geschenk seines Lebens ist Geschenk ewigen Lebens.

Seht, das Lamm Gottes!

 

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Weihnachten 2019

Gehalten am 25.12.2019 in München, St. Maria – Thalkirchen

Predigt zu Joh 1,1-18

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder im Glauben,

Weihnachten ist wie ein großes Geschenkpaket. Man muss es langsam auspacken, Schritt für Schritt durch so manche Verpackungsschichten – bis wir erkennen, was wir da bekommen haben, bis wir zum Eigentlichen vorgedrungen sind und verstehen, was Weihnachten bedeutet. Man muss sich daran tasten

 Das Johannesevangelium hat es auf den Punkt gebracht. Es ist bis zum Tiefsten vorgedrungen, hat es ausbuchstabiert, was Weihnachten bedeutet: Das Wort Gottes ist Fleisch geworden. Das Wort, das Gott selber ist. Das Wort, in dem Gott sich ausspricht, sich mitteilt, ist Fleisch geworden. Besser kann man dieses unbegreifliche Geschehen nicht aussagen.

 Von Gottes Wort ist die Rede. Und vom Fleisch. Wie bringt man das zusammen – Wort und Fleisch? Bei „Wort“ denkt man an etwas Geistiges; bei „Fleisch“ an etwas Materielles, Vergängliches. Um was für Fleisch geht es? Und um welches Wort? Wort steht für Sprechen, für Kommunikation. Und wie „spricht“ Fleisch und wie „spricht“ Gott? Kann es da einen Zusammenklang geben? Können Fleisch und Gott dasselbe sagen? Sieht erstmal nicht danach aus.

Fleisch, liebe Gemeinde, lebendiges Fleisch ist das, was unser irdisches Sein ausmacht, unsere Wirklichkeit. Als ein kleiner Klumpen Fleisch kommen wir auf die Welt, hungrig und schreiend nach Leben. Und am Ende ist es altes Fleisch, das in einer Holzkiste begraben wird und vergeht. Und bevor es soweit ist, hegen und pflegen wir dies Fleisch, halten es frisch und fit, ja, auch schön attraktiv, verführerisch soll es sein. „Sexy“ sagen wir dazu. Die ganze Kosmetikindustrie, aber auch die Ärzte und Apotheker leben davon, sein Haltbarkeitsdatum hinauszuschieben. Aber früher oder später ist alle Mühe umsonst: es wird doch alt.

Nun, das kennen wir: die Sorge um unser Fleisch. Essen und Trinken, gesunde Ernährung, Körperpflege. Fleisch ist auch eine Quelle der Lust und der Freude, solange es blüht. Wir kennen das Wort „Fleischeslust“. Aber Fleisch wird auch zu einer Last und einer Qual: wenn wir krank sind, wenn wir alt und schwach werden. Das alles bestimmt unseren Alltag. Fleisch ist vergänglich. Deshalb ist es so gierig, gierig nach Lust und auch nach anderem Fleisch. Unser Fleisch spricht eben seine Sprache: die Sprache der Angst vor dem Vergehen und die Sprache der Gier nach Leben. Wobei die Gier nur Ausdruck der Angst ist, zu wenig vom Leben abzukriegen, leer auszugehen, Gammelfleisch zu werden, zu vergehen und zurückzufallen ins Nichts.

Das Fleisch bestimmt unser Leben. Aber Fleisch ist nicht nur unser Äußeres, gewissermaßen eine sterbliche Hülle. Für die Bibel ist Fleisch der ganze Mensch, mit allem, was sein Leben ausmacht. Es ist nicht nur ein Teil des Menschen, sondern es ist der Mensch mit seinem Hoffen und Sehnen, seinem Lachen und Weinen, mit Freude und Leid, mit seinem Glauben und seiner Verzweiflung, mit all seiner Gier und Lust und seiner Angst um sich selbst. Auch das kennen wir. Mehr oder weniger gut.

Nun aber sagt das Weihnachtsevangelium, dass Gottes Wort, das Wort, das Gott selbst ist, der Gott nämlich, den „kein Mensch je gesehen“ (Joh 1,18) hat, der „in unzugänglichem Licht wohnt“ (1 Tim 6,16), weil er gewissermaßen das Gegenteil vom vergänglichen Fleisch und „über alles unaussprechlich erhaben“ ist (Vaticanum I), dass dieses Wort Gottes, Fleisch geworden sei.

Nanu, da reibt man sich doch die Augen. Ist im Himmel ein Betriebsunfall passiert?

Nun, was sollen wir dazu sagen? Gott wird Fleisch, unser Fleisch. Er kommt nicht als Gott; er kommt als Mensch, als einer von uns, in allem uns gleich. Wie sollen wir das verstehen? Das Evangelium sagt nicht: Gott hat sich des Fleisches bedient. So wie ein Violinspieler auf seiner Violine nur spielt. Vielmehr ist Gott Fleisch geworden, so als würde der Violinspieler selbst die Violine. So ist Gott unser Fleisch geradezu geworden.

In Jesus hat sich Gottes Wort ausbuchstabiert. In seinem Fleisch. In einem Menschen wie wir. In seinem irdischen Leben, in seiner Menschlichkeit, in seiner barmherzigen Hinwendung zu den Menschen in ihrer Not, in Krankheit und Unheil. Und schließlich in seinem Zeugnis bis zum Kreuz und in seinem qualvollen Sterben als Opfer menschlicher Bosheit. In all dem hat Gott uns das gesagt, was er uns sagen will: sich selbst. Und mit seinem Fleisch gibt er uns sein Wort, dass wir nicht mehr aus Angst um uns leben müssen, dass wir in seiner Gemeinschaft geborgen sind im Leben und im Sterben.

Wenn das wahr ist, liebe Schwestern und Brüder, dann hat in Jesus unser vergängliches Fleisch bereits eine andere Sprache gesprochen als die Sprache des Fleisches. In Jesus hat unser Fleisch nicht mehr die Sprache der Angst und der Gier gesprochen, sondern die Sprache Gottes, die die Sprache der Liebe ist, der Hoffnung, der Solidarität, des Tröstens und des Schenkens und vor allem „der Wahrheit und der Gnade“ (Joh 1,14). Das Evangelium kann sogar sagen, dass wir die Herrlichkeit des Wortes Gottes nicht nur gehört, sondern gesehen haben: An Jesu Fleisch „sehen“ wir im Glauben das Sprechen Gottes, wie Gott spricht. Dieses Sprechen hat unter uns gewohnt. Und wir sehen es auch in all denen, die ihm folgen: die menschlich sind, die barmherzig sind, die liebevoll auf Fremde zugehen. In ihrem Fleisch spricht Gott sich aus.

Das heißt: von Jesus gilt dann auch umgekehrt: Nicht nur: Gottes Wort ist Fleisch geworden, sondern auch: Unser Fleisch ist Gottes Wort geworden, denn es hat die Sprache Gottes gesprochen. Menschliches, irdisches Fleisch spricht nicht mehr die Sprache des Fleisches, sondern die Sprache Gottes! Überlegen Sie mal!

Was fangen wir nun damit an?

Wer sich Gottes Wort sagen lässt, dem kann eine ähnliche Verwandlung zuteil werden. Wo Gottes Wort ins Fleisch kommt, ja Fleisch wird, da verwandelt sich das Fleisch. Da lassen wir uns sagen, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben, dieselbe Gemeinschaft, die Jesus mit Gott hat. Da lassen wir uns sagen, dass wir Kinder Gottes sind, und eben nicht nur vergängliches Fleisch, sondern gemacht für die Ewigkeit. Dann hören wir auf, Sklaven der Angst um uns selbst zu sein und damit Sklaven des Fleisches. Und dann spricht unser Fleisch nicht mehr die Sprache der Angst und der Begierde, sondern da beginnt es, die Sprache Gottes zu sprechen, die die Sprache der Liebe und der Hoffnung ist, der Wahrheit und der Gnade.

Es geht Weihnachten zutiefst um unsere Bestimmung, liebe Schwestern und Brüder. Wozu sind wir gemacht? Wem wollen wir trauen? Dem, was wir von uns aus an uns sehen, nämlich unserer Vergänglichkeit, oder dem Wort, das sich in Jesu Leben und Sterben ausbuchstabiert hat und uns sagt, dass wir zur Gemeinschaft mit Gott in alle Ewigkeit bestimmt sind?

Und es geht Weihnachten um die Verwandlung unseres Lebens: Heute beschenken wir einander und versuchen, zueinander gut zu sein. Viele geben auch ab von ihrem Geld für die Kirche in Lateinamerika, andere laden Flüchtlinge zu sich ein – all das ist auch Ausdruck dessen, dass wir dazu bestimmt sind, die Sprache Gottes zu sprechen, der uns Sohneswürde geschenkt hat. Die Sprache der Liebe und der Hoffnung, die Sprache der Barmherzigkeit in einer Welt, in der die Sprache der Gier und des Egoismus, der Gewalt und der Angst übermächtig ist und alles zu übertönen scheint und in der die kapitalistische Ökonomie mit den Marktgesetzen über die Menschlichkeit zu triumphieren scheint. Wer sich so verwandeln lässt, muss selbst damit rechnen, in dieser Welt den kürzeren zu ziehen. Aber damit bekommt er Anteil am Schicksal Jesu, wird christusförmig (vgl. Phil 2,5ff). Aus Unmenschen können Menschen werden.

Seine Hingabe für uns, die wir jetzt in der Eucharistie feiern, sein geschundenes Fleisch am Kreuz, bezeugt die Sprache, die dieses Fleisch sein ganzes Leben hindurch gesprochen hat. Dieses Fleisch ist das Wort Gottes. In dieser Stunde schenkt er uns wieder sein hingegebenes und lebendiges Fleisch, um unser vergängliches und todgeweihtes Fleisch unvergänglich zu machen.

 

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4. Adventssonntag

Gehalten in St. Maria, München-Thalkirchen

am 21./22.12.2019

 

„Geboren von der Jungfrau Maria“. Wie sollen wir das verstehen? War Jesus ein biologischer Sonderfall? Wie soll das möglich sein, dass ein Mensch von einer Jungfrau „ohne Zutun eines Mannes“ gezeugt und zur Welt gebracht wird? Wie ist diese Überzeugung im Glauben zu verstehen? Wie lässt sie sich gegenüber dem kritischen und aufgeklärten Denken verantworten? Sollen wir einfach annehmen, dass hier ein Naturgesetz, das sonst immer gilt, einmal außer Kraft gesetzt wurde? War Jesus also ein biologischer Sonderfall? War er nur ein Halbgott und ein halber Mensch?

Unsere Evangelien wurden viele Jahre und Jahrzehnte nach Jesus geschrieben. Die Verfasser  konnten von den Umständen, in denen sich die Geburt Jesu zugetragen hatte, kaum etwas wissen. Noch weniger lag es im Interesse der biblischen Schreiber, die Nachwelt über diese tatsächlichen Vorgänge zu informieren. Wenn es so wäre, müssten wir viele Widersprüche, die sich nicht klären lassen, in den biblischen Texten hinnehmen. Warum erscheinen z. B. Engel bei Matthäus nur im Traum, bei Lukas hingegen nur wachen Menschen? Tatsächlich aber sind die Texte der Evangelien allein daran interessiert, den Glauben an Jesus weiterzugeben. Sie wollen uns nicht informieren über tatsächlich so und nicht anders gewesene Sachverhalte, sondern sie wollen Jesus als den Sohn Gottes bezeugen.

Stellen Sie sich vor, im Englischen Garten stünde plötzlich und auch noch mitten im Winter eine wunderschöne Palme, obwohl unser Klima dafür gar nicht geeignet ist. Wir würden staunen und uns fragen: Wie kommt die Palme in unseren Englischen Garten? Natürlich wäre sie nicht vom Himmel gefallen. Jemand hätte sie gepflanzt. Aber nach kurzer Zeit würde sie an unserem kalten Klima eingehen.

So ähnlich hat die erste Christengeneration gefragt: Wie kann in dieser Welt, die so voll von Gewalt ist, wo Kriege und Grausamkeit die Geschichte beherrschen, wie konnte da ein solcher Mensch wie Jesus heranwachsen? Wie konnte in diesem Klima der Unmenschlichkeit ein wahrhaft menschlicher Mensch, ein Mensch ohne Sünde, ein wahrer Mensch  aufwachsen. Es ist eigentlich unmöglich. Auf vielerlei Weisen und mit verschiedenen poetischen Bildern wollen die Evangelien bezeugen: Jesus ist Gottes Sohn, der unser Bruder geworden ist. Und ein beliebtes Bild dafür ist das Bild von der Jungfrauengeburt.

Dieses Bild wird oft missverstanden. Manche Menschen meinen, Jesus sei nicht ein ganzer Mensch gewesen, sondern ein Mischwesen aus Gott und Mensch, also halb Mensch halb Gott. Doch die Kirche hat immer gelehrt, dass Jesus wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch ist. Also nicht halb und halb. Und also auch kein Mischwesen. Sondern in einer Person wahrhaft Gottes Sohn und wahrhaft ein Mensch wie wir. Wie kann das sein?

Nun wir kennen das auch aus anderen Zusammenhängen. Eine Frau, die Kinder hat z. B. ist immer zugleich Tochter und Mutter in einer Person. Sie ist nicht halb Tochter und halb Mutter. Sie ist wahrhaft Tochter (nämlich ihrer Eltern) und wahrhaft Mutter (ihrer Kinder). Und so ist auch Jesus wahrhaft Sohn Gottes und wahrhaft Bruder der Menschen, in allem uns gleich. Die Heilige Schrift und die Kirche lehren sogar, dass der Sohn Gottes „in allem uns gleich war, außer der Sünde“. Wäre Jesus uns in allem gleich gewesen, wenn er keinen irdischen Vater gehabt hätte?

Auf vielerlei Weise und mit vielen verschiedenen Bildern wollen die Evangelien bezeugen, dass Jesus der Sohn Gottes ist und aus Gott stammt. Sie bedienen sich dabei vor allem auch der Bilder und Vorstellungen, die den Schreibern aus dem Alten Testament geläufig und vertraut waren. So war das Bild von der Jungfrauengeburt bereits bei Jesaja vorgegeben (1. Lesung). Es heißt dort nach der Einheitsübersetzung: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel – Gott mit uns – geben“ (Jes 7,14). Diese Verheißung wird im Alten Testament durch den Propheten Jesaja dem König Ahas gegeben, der sich in arger politischer Bedrängnis befindet. Die Weissagung ist ein politisches Geburtsorakel, in dem – gegen alle Hoffnungslosigkeit gegenüber mächtigen äußeren Feinden Judas – der Fortbestand der Daviddynastie gesichert wird. Erst die neutestamentliche Überlieferung hat diesen Text auf Jesus hin gedeutet, um ihren Hörern zu zeigen, dass jetzt mit Jesus dieser Text in seinem „tiefsten“ Sinn in Erfüllung gegangen ist.

Mithilfe dieses Motivs nun bezeugt Matthäus die Gottessohnschaft Jesu. Es war ein willkommenes Bild, um etwas ganz Entscheidendes nicht über den körperlichen Zustand Marias oder über ihre Beziehung zu Josef, sondern über Jesus selbst zu sagen. Leitend war die Frage: Wo kommt dieser Jesus her? Wo hat er seinen Ursprung? Wie kann es sein, dass ein solcher Mensch, ein wahrer Mensch, das Menschliche überhaupt in dieser unserer barbarischen Geschichte zur Welt kommen konnte? Ist es nicht erstaunlich, dass ein solcher Mensch unter uns gelebt hat? Können wir Menschen, kann unsere Geschichte ihn hervorgebracht haben?

Unser heutiges Evangelium beschließt den Stammbaum Jesu, der unmittelbar vorher erzählt wird. Er beginnt bei Abraham: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob usw. über viele Generationen über David bis zu Josef. Dann aber heißt es nicht: Josef zeugte Jesus, sondern es folgt der Text, den wir heute gehört haben. Warum aber wird dieser ganze Stammbaum aufgeführt, wenn Jesus damit nichts zu tun hat? Doch Paulus schreibt im Römerbrief (2. Lesung), dass Jesus dem Fleisch nach aus dem Samen Davids stammt, dem Heiligen Geist nach aber Sohn Gottes ist (vgl. Röm 1,3-4). Er unterscheidet also zwei Sichtweisen: „nach dem Fleisch“ und „nach dem Heiligen Geist“.

Es geht also um das Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes. Offenbar hat der Verfasser etwas Wichtiges damit sagen wollen. Jesus gehört wohl in die Volks- und  Glaubensgeschichte Israels. Er ist als Mensch ganz und gar ein Sohn des jüdischen Volkes. Aber zugleich und in einem anderen Sinne ist er es wieder nicht. Matthäus lag daran, in der Kontinuität mit Israel zugleich eine Diskontinuität deutlich zu machen. So sehr Jesus ein Sohn des jüdischen Volkes ist, so wenig ist er als der Sohn Gottes ein Ergebnis oder ein Erzeugnis der Geschichte dieses Volkes. Er ist wirklich ein Jude, der aus einer langen Zeugungsreihe stammt. Aber als der Christus, der Messias Gottes ist er nicht aus der Geschichte eines menschlichen Volkes her zu verstehen und aus ihr abzuleiten. Gott hat hier einen neuen Anfang mit seinem Volk und mit der ganzen Menschheit gesetzt. Der Messias lässt sich nicht als bloße Fortschreibung der Geschichte Israels verstehen, so sehr er auch menschlich und heilsgeschichtlich mit ihr verbunden ist.

Damit wird bereits deutlich, wie das Motiv von der Jungfrauengeburt zu verstehen ist. Es geht nicht nur um die Beziehung zwischen Maria und Josef, gewissermaßen als isolierte Zweierbeziehung, deren Eigenart beschrieben wird. Vielmehr ist diese Beziehung im Kontext des Stammbaums Jesu zu sehen. Das Bild von der Jungfrauengeburt will nicht sagen, dass Jesus als Mensch wie wir keinen irdischen Vater hatte. Es will vielmehr eine Glaubensaussage machen. Es bringt die Überzeugung zur Sprache, dass wir es bei Jesus mit dem Christus, dem Messias, dem Sohn Gottes zu tun haben. Dieser aber ist nicht abzuleiten aus menschlicher Geschichte. Er kann nicht von Menschen hervorgebracht werden, obwohl er von ihnen stammt. Wir können den Erlöser nicht selber machen. Er kann nicht durch eine ideale genetische Konstellation oder durch eine ideale Erziehung hervorgebracht werden. Mit Jesus, der selbstverständlich ganz und gar Mensch war wie wir, ist der Sohn Gottes in unsere Geschichte getreten und nicht aus ihr hervorgegangen. Nicht die Gene retten uns, auch nicht ihre Optimierung im Labor können uns retten aus dem sicheren Tod. Nur Gott kann uns retten und uns wahrhaft menschlich machen. Er hat uns gerettet, indem er uns in Jesus ein wahres Menschsein zeigte und uns in Jesu Gottesverhältnis hineinnahm. Insofern wir uns deshalb als Kinder Gottes verstehen können, wird die Jungfrauengeburt auch von uns ausgesagt. Unser Kind-Gottes-Sein verdanken wir nicht der natürlichen zeugung durch unsere Eltern, sondern dem Heiligen Geist.

Kommen wir zurück zur Palme im Englischen Garten. Unser Klima ist für sie ungeeignet. Sie wird bald eingehen. So war es auch bei Jesus. Der Heilige Geist hat in Maria ein Klima erzeugt, ein Kleinstbiotop, in dem ein Mensch wie Jesus heranwachsen konnte. Doch das Klima dieser Welt hat ihn nur kurze Zeit leben lassen. Er wurde Opfer der Unmenschlichkeit und der Bosheit anderer Menschen. Er ging kaputt an unserem Klima der Angst, der Gier und der Gewalt.

Als Kirche sind wir wie Maria berufen, ein Biotop des Heiligen Geistes zu sein, ein Ort, eine Gemeinschaft, in der Jesus nicht nochmals kaputt geht am unmenschlichen Klima, sondern wo er leben kann und wo alle leben und atmen können, die in dieser Welt keine Chance zum Leben bekommen.

Unser Bekenntnis zur Jungfrauengeburt ist also kein Bekenntnis zu einem biologischen Sonderfall, sondern ein Bekenntnis zu Jesus als den Christus Gottes. In diesem wahren Menschen ist Gott selbst zur Welt gekommen. Das ist das ganz und gar Unbegreifliche, das die Evangelien nur mit diesem Bild zur Sprache bringen konnten. Der Einbruch Gottes in die Barbarei des Seins. Damit auch wir Menschen werden. „Mach’s wie Gott: Werde Mensch!“

In der Eucharistie nehmen wir Christus wie Maria in uns auf. Damit wir mit ihm schwanger gehen und ihn wie Maria zur Welt bringen. Hier und heute.

 

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33. Sonntag 

17.11.2019

 

Schlechte Prognose. Hört sich nicht gut an. Klingt nicht gerade nach Froher Botschaft, was wir da aus dem Munde Jesu hören, liebe Schwestern und Brüder. Eher realistisch. Tatsächlich beschreibt der Herr die Welt, wie sie wirklich ist. Voller Gewalt. Kriege und Zwietracht. Naturkatastrophen wie Erdbeben. Seuchen und Hungersnot. Christenverfolgung wie heute im Nahen Osten. Entchristlichung wie bei uns in Europa: „Ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden.“ Ist doch ganz realistisch. Fast so als wären diese Worte heute gesagt. Und auch vom schön geschmückten Jerusalemer Tempel wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Und so ist es im Jahre 70 nach Christus ja auch gekommen.

Eine Beschreibung der Welt wie sie nun einmal ist. Und sie war wohl nie anders.

Jesus, unser Herr, spricht hier ein Grundproblem des Menschen an. Unser Leben und unser Zusammenleben ist ständig bedroht, tödlich bedroht. Von innen und von außen. Und offenbar ist der Mensch selbst das Problem. Er ist nicht gut. Ja, er wird böse und unmenschlich: „Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern.“ Der Mensch wird zum Feind des Menschen. Zum Räuber und Erpresser, zum Lügner und zum Mörder, zum Krieger und zum Ausbeuter.

Und dabei haben wir doch Sehnsucht nach einer anderen Welt, nach Frieden, nach gerechten Verhältnissen, nach Sicherheit, nach Menschlichkeit und barmherziger Vergebung. Doch immer wieder holt die Realität uns ein und damit wieder die Angst um uns selbst.

Es ist wohl die abgrundtiefe Angst, mit der wir auf die Welt kommen, die die Wurzel aller Unmenschlichkeit ist. Denn der Glaube an die Liebe Gottes, der Glaube, in Gott geborgen zu sein, ist uns nicht angeboren. „Erbsünde“ nennen wir das in der Theologie. Mit ihr kommen wir auf die Welt, voller Angst um unser Leben, das so verwundbar und vergänglich ist. Die Angst, sich nicht gegen andere behaupten zu können, die Angst, zu kurz zu kommen und abgehängt zu werden. Und deshalb auch so voller Gier nach Leben, nach immer mehr Leben. Es ist die Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen, die uns zu Feinden und zu Rivalen macht. Aus Angst entstehen die ungerechten Verhältnisse. Die Reichen werden reicher und die Armen immer ärmer. Angst und Gier sind nur zwei Seiten derselben Medaille. Die Gier nach immer mehr ist nur Ausdruck der Angst, sonst leer auszugehen.

In dieser Angst besteht das Grundproblem des Menschen. Wir können uns daraus nicht selbst befreien. Das ist unsere Unerlöstheit und zugleich unsere Erlösungsbedürftigkeit. Jeder Mensch – ein Schrei nach Erlösung!

Auf vielfältige Art hat die Menschheit im Lauf der Jahrtausende versucht, sich daraus zu befreien, die Angst zumindest zu zähmen, zu beruhigen und den Menschen weniger gewalttätig zu machen: Ethik, Gebote, Gesetze, Verträge, die Idee des Staates, die Religionen. Alles großartige Errungenschaften, die den Menschen weniger ängstlich und damit auch – das ist die Hoffnung – weniger gewalttätig machen. Zugleich haben wir uns vermeintliche Sicherheiten geschaffen: Armeen bis hin zur Atombombe – in der Hoffnung, sich dann sicherer zu fühlen. Wir haben Reichtum angehäuft als Sicherheit. Es gibt Versicherungen. Der medizinische Fortschritt könnte die Illusion geben, wir könnten unsterblich werden. Wir wiegen uns in Sicherheit. Und doch ist die Angst nicht gezähmt. Denn auch unsere vermeintlichen Sicherheiten sind bedroht. Wir können sie verlieren. Man kann sie uns nehmen mit Negativzinsen. Vermögen kann zerbröseln. Und schon ist die Angst wieder da. Nichts kann sie uns nehmen.

Es ist diese Angst, auf die Jesus die Menschen anspricht. Und auf ihre vermeintlichen Sicherheiten spricht er sie an. Als Beispiel wählt er den Tempel in Jerusalem. Er war das Heiligtum der Juden. Er war ihnen überaus heilig als Haus ihres Gottes. Der Tempel war wie eine Sicherheit. Aber auch dieses Heiligtum muss vergehen mit seinen schön dekorierten Fassaden. Eine größere Gotteslästerung konnte Jesus eigentlich gar nicht aussprechen. Diese Tempelworte waren ja dann auch der Grund für seine Verurteilung und Hinrichtung. Denn er hatte das, was seinen Zeitgenossen heilig war, gelästert.

Und was ist uns heilig? Unser Geld? Unsere Gesundheit? Unser Wohlstand? Unsere Sicherheiten? Unser Leben? Unsere Religion? Unsere vielen kleinen Tempel. Worum haben wir Angst? Was würden wir mit Zähnen und Klauen verteidigen?

Jesus warnt vor den Glücksverheißungen der Zeit: „Viele werden unter meinem Namen auftreten. Lasst euch nicht irreführen“:  von den Glücksversprechungen des Marktes, von den Verheißungen eurer vermeintlichen Sicherheiten. „Lauft ihnen nicht nach!“ Denn auch ihnen läuft man nur aus Angst nach.

Der Herr relativiert alle diese selbstgemachten Götter. Er relativiert sogar die Religion, das Allerheiligste, den Tempel. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Denn alle diese Götzen vergehen genauso wie wir. Auch von uns wird keine Zelle auf der anderen bleiben. Solange der Mensch an seinen Göttern klebt, wird sich die Welt nicht ändern. Aber sie muss vergehen, wenn Gott kommen soll.

Jesus spricht die Menschen auf ihre Angst um sich selbst, auf ihre Angst vor dem Ende an. Und zugleich schenkt er Hoffnung: „Euch wird kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“ Welches Leben meint er?

Jesu ganze Botschaft ging darin auf, den Menschen Gemeinschaft mit Gott, Geborgenheit in Gott zu schenken. Er selbst war nicht mehr getrieben von der Angst um sich selbst und damit von Gier nach immer mehr. Denn er wusste sich – gegen alle Erfahrung der Welt – in Gott geborgen. In diese seine Gemeinschaft mit Gott nahm er alle auf, die seinem Wort glaubten. Er vermittelte ihnen die Gewissheit, in Glück und Unglück, im Leben und im Sterben in Gott geborgen zu sein. Glauben heißt deshalb: Anteil haben am Gottesverhältnis Jesu. Es ist diese Gewissheit, die die Angst des Menschen um sich selbst und um das, was kommen wird, entmachtet. Denn unsere Gemeinschaft mit Gott kann uns niemand nehmen. Sie ist stärker als die Angst. Sie kann auch in Verfolgung, aber auch in Not und Bedrängnis, auch angesichts des Sterbens standhaft machen, wie Jesus sagt. Denn Gott schaut uns nicht so an, wie wir es verdient hätten, angeschaut zu werden. Gott schaut uns an wie seinen eigenen Sohn. Und wer glaubt, in dieser Gemeinschaft mit Gott zu sein, den kann auch der Tod diese Gemeinschaft mit Gott nicht mehr zerstören. Er hat dann eine Perspektive der Ewigkeit. Deshalb muss uns in der Welt nichts mehr heilig sein, worum wir dann Angst haben müssten. Und so ist es der Glaube, der uns menschlich macht und Angeld einer neuen Welt ist – ohne Krieg, ohne Gewalt, ohne religiösen Fanatismus. Wo wir unsere selbstgemachten Götter verlieren und uns nicht mehr von Angst und Gier beherrschen lassen, da herrscht dann Gott allein, da beginnt die Herrschaft Gottes. Und so ist unser heutiges Evangelium wirklich Evangelium, frohe Botschaft, die Hoffnung und Liebe inmitten einer schrecklichen, apokalyptischen Wirklichkeit möglich macht.

Wir feiern jetzt Eucharistie. Der Herr schenkt uns seinen unverweslichen Leib in unseren sterblichen Leib, in unser von Unheil bedrohtes Leben. Um bei uns zu sein – alle Tage, im Leben und im Sterben.

 

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32. Sonntag 

Gehalten in St. Maria-Thalkirchen

9.11.2019

 

„Du nimmst uns dieses Leben; aber der König der Welt wird uns zu einem neuen, ewigen Leben auferwecken, weil wir für seine Gesetze gestorben sind.“ (2 Makk 7,9)

Liebe Schwestern und Brüder,

das Leben ist oft grausam und fordert viel von uns Menschen. Am Ende fordert es den Tod. Von jedem. Zum Leben gehört also Mut, Mut zum Sein angesichts der Tatsache, dass wir vergehen und dem Tod geweiht sind. Zu diesem Mut gehört das Vertrauen in Gottes Wort.

Diesen Mut zum Sein und dieses Vertrauen auf Gott haben die sieben Brüder und deren Mutter bewiesen, von denen wir in der 1. Lesung aus dem 2. Makkabäerbuch gehört haben. Diese herzzerreißende Geschichte zeigt auf der einen Seite, was Menschen einander antun können an Folter und Grausamkeit. Und auf der anderen Seite, wie Menschen voller Hoffnung und Zuversicht auch die größten Qualen erdulden und zuversichtlich auf den Tod zugehen im Vertrauen auf Gottes Verheißung.

Auch heute sind es nicht wenige, denen es so ergeht. Man spricht von grausamer Christenverfolgung in vielen Ländern der Erde, vor allem im Nahen Osten und in zahlreichen afrikanischen Ländern. Christen werden verachtet, verspottet. Man zündet ihre Kirchen an, so wie in Deutschland heute auf den Tag genau vor 81 Jahren die jüdischen Synagogen in Brand gesteckt wurden. Man bedroht sie mit dem Tod und zwingt sie zu fliehen. Man köpft sie vor laufender Kamera. Wenn es so weiter geht, wird der Nahe Osten, die Wiege des Christentums, bald christenfrei sein.

Diese verfolgten Christen verdienen unser Mitgefühl und unsere uneingeschränkte Solidarität. Denn durch die Taufe gehören sie Christus an. Und damit gehören sie auch zu uns. Wir sind ein Leib.

Doch vor allem stellt sich die Frage: Wie können Menschen das alles ertragen? Wie können sie den Mut zum Sein bewahren? Es ist der Glaube, der sie davor bewahrt, zu verzweifeln. Das ist etwas, was ihnen keiner nehmen kann. Es ist das Vertrauen, dass Gott auch im Tod unser Leben ist. Paulus sagt es in der 2. Lesung im Thessalonicherbrief: Es ist Gott, „der uns seine Liebe zugewandt ... und ewigen Trost und sichere Hoffnung geschenkt hat.“

Nicht alle Menschen leben mit dieser Perspektive. Wer nicht an Gottes unbedingte Güte und Treue glaubt, für den ist der Tod die letzte Gewissheit. Für ihn gibt es keine Auferstehung. Dann muss man sich um jeden Preis an dieses Leben klammern. Und kann es am Ende doch nicht festhalten.

Auch Jesus wurde mit dieser hoffnungslosen Perspektive konfrontiert. Im Judentum seiner Zeit teilten nicht alle den Glauben an die Auferstehung der Toten. Zu ihnen gehörte die Gruppe der Sadduzäer. Für sie war mit dem Tod alles aus und vorbei. Und so wollen sie Jesus zeigen, wie recht sie haben und zu welcher absurden Konsequenz es führt, wenn man an die Auferstehung der Toten glaubt. Sie erzählen die Geschichte von den sieben Brüdern, die alle nacheinander dieselbe Frau heirateten und kinderlos starben. Denn das Gesetz der Juden schreibt vor: Wenn ein Mann kinderlos stirbt, dann ist sein Bruder verpflichtet, die verwitwete Schwägerin zu heiraten, um dem verstorbenen Bruder einen Nachkommen zu zeugen. Nun starben nacheinander alle Brüder, nachdem sie die Schwägerin zur Frau gehabt hatten. Wem von den Sieben aber gehört die Frau bei der Auferstehung?

Mit dieser Frage wollen sie Jesus in die Klemme bringen. Eine Frau mit einem Männerharem? Sodom und Gomorrha im Himmel? Das kann doch nicht sein!

Jesus aber lässt sich auf diese Frage gar nicht erst ein. Denn die Sadduzäer verraten mit ihrer Frage, dass sie sich den Himmel wie ein Fortsetzung dieses irdischen Lebens vorstellen, in dem alles so weitergeht wie hier: Essen, Trinken, Heiraten, Sex und Fortpflanzung.

Tatsächlich stellen sich auch heute viele das ewige Leben wie eine Fortsetzung dieses Lebens vor. Der Tod ist dann wie ein dunkler Tunnel, durch den man hindurch muss. Und am anderen Ende geht es weiter wie in diesem Leben, nur dass ständig die Sonne scheint und die Beschwernisse des Lebens aufhören. Ein solches problematisches Verständnis verraten auch manche Redensarten. Etwa wenn jemand vom „Weiterleben nach dem Tod“ spricht. Oder: „Die unsterbliche Seele lebt weiter.“ Woher wissen sie das? Für die Bibel gibt es keine Trennung von Seele und Leib. Der Mensch ist eine Einheit. Und ist nicht auch das, was wir „Seele“ nennen, an unser Gehirn gebunden? Liegt der Grund, das Prinzip für unsere Hoffnung überhaupt in uns oder in einer von Platon ausgedachten Philosophie? Und was soll eine Seele ohne den Leib? Sie wäre ja nur ein Teil von uns. Der Leib gehört aber untrennbar zu uns.

In einem haben die Sadduzäer wohl recht: In uns und in der Welt gibt es keinen Grund, an ein ewiges Leben zu glauben. Auch nicht in sog. Nahtoderfahrungen, von denen mancher berichtet, der klinisch tot war und ins bewusste Leben zurückgekehrt ist. Er war eben noch nicht wirklich tot, sondern eben nur dem Tod nahe. Würden wir uns auf solche Gründe verlassen, dann würden wir uns nur auf uns selbst verlassen.

Jesus aber verlegt den Grund unserer Hoffnung in Gott. Nur im Glauben an Gottes Wort kann der Mensch eine Hoffnung haben, auch im Tod in Gott geborgen zu bleiben. Weil er ein Kind Gottes sind.

In Jesu Augen ist die Auferstehung also nicht ein Weiterleben nach dem Tod, sondern etwas ganz und gar Unbegreifliches. Genauso unbegreiflich wie Gott selbst. Denn sie fällt nicht unter unseren Begriff von Leben. Unsere Gemeinschaft mit Gott allein begründet unsere Hoffnung auf die Auferstehung der Toten. Gemeinschaft mit Gott überdauert Leben und Sterben.

Jesus hat uns durch seine Botschaft Gemeinschaft mit Gott geschenkt. Wir haben sie schon jetzt. Bereits jetzt ist unsere Gemeinschaft mit Gott unser ewiges Leben. Keine Macht der Welt, auch der Tod kann uns nicht mehr aus der Gemeinschaft mit Gott reißen. Eben dies meinen wir, wenn wir von der Auferstehung Jesu sprechen. Seine Gemeinschaft mit Gott war so, dass der Tod sie nicht zerstört hat. Und in seine Gemeinschaft mit Gott hat Jesus auch uns hineingenommen. Glauben heißt ja Anteil haben am Gottesverhältnis Jesu.

Jesus weist die Sadduzäer dann hin auf die Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch. Hier offenbart sich Gott dem Mose als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Abraham, Isaak und Jakob aber waren zur Zeit des Mose schon lange tot. Wenn Gott aber der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, dann ist er doch nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Jesus will sagen: Abraham, Isaak und Jakob sind nicht tot, weil Gott ihr Gott ist. An diese Namen Abraham, Isaak und Jakob können wir auch die Namen unserer Toten anfügen, deren wir besonders im November gedenken. Auch die Namen der vielen Opfer von Gewalt. Das ergibt eine fast unendliche Reihe. Und jeder von uns kann auch seinen eigenen Namen anfügen. Gott ist auch der Gott Willis, Bertas und Ludwigs, Sabines und Florians ... und wie wir alle heißen. Für ihn sind alle lebendig. Auch im Tod.

Das ist die Hoffnung, die wir als Christen haben und die auch die sieben von König Antíochus verfolgten und gemarterten Brüder aus der 1. Lesung hatten. Wer sich Gottes Wort anvertraut, sich auf ihn verlässt und sich in Gemeinschaft mit Gott weiß, der hat im Leben Mut zum Sein, der kann die Wahrheit auch mit seinem Blut bezeugen. Oder, wie Paulus sagt: Die Hoffnung auf Gott „ermutige eure Herzen und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort.“ Denn als Christen wissen wir uns auch im Sterben in Gott geborgen.

Die Eucharistie, die wir jetzt feiern, gibt uns schon jetzt Anteil am ewigen Leben Gottes.

 

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31. Sonntag

Gehalten in St. Maria Thalkirchen

am 3.11.2019

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Zachäus war klein. Kleinwüchsige Menschen haben es oft schwer. Sie sind nicht nur klein – sie fühlen sich oft auch so. Zu anderen müssen sie aufschauen. Andere blicken auf sie herab. Sie finden mitunter wenig Anerkennung.

Aber Zachäus hatte es zu etwas gebracht und seine Minderwertigkeitsgefühle kompensiert.  Er konnte nicht nur auf Bäume klettern. Er war aufgestiegen. Zum obersten Zollpächter in der Stadt. Im Dienst der Römer, der verhassten Besatzer, die das Land ausplünderten. Zachäus war also ein Kollaborateur, ein Verräter, ein korrupter Mensch ohne Gewissen. Er kassierte die Steuern für die Besatzer, machte mit ihnen gemeinsame Sache und beutete so seine Mitmenschen aus. Aber er war reich geworden. Wie heute die Miethaie in München, die großen Abzocker oder die Geldverleiher mit Wucherzinsen und die Banker und Aufsichtsräte mit üppigen Boni.

Reich war er an Geld geworden, aber an Freunden, an Beziehungen und an Ansehen war er bettelarm. Denn er war so etwas wie ein öffentlicher Sünder, einer, der von der ungerechten Besatzung auf Kosten des Volkes Gottes profitierte. Er war gesellschaftlich und religiös exkommuniziert, ausgegrenzt. Man mochte ihn nicht. Er hatte kein Ansehen in seiner Stadt.

Das zeigt sich auch jetzt, wo Jesus durch die Stadt zieht und die Menschen am Straßenrand stehen, um Jesus zu sehen. Sie lassen Zachäus nicht nach vorne, sondern versperren ihm die Sicht. Zachäus aber ist neugierig. Jesus war kein Unbekannter. Seine Worte und Taten haben sich überall herumgesprochen: ein Wundertäter. Ein Blick auf ihn kann nicht schaden. Also tut Zachäus das, was er sein Leben lang getan hat, um größer zu sein als er ist, etwas, was wohl die meisten Menschen, wir kleinen Leute, gerne täten: aufsteigen. Diesmal allerdings auf einen Baum. Nun ist er es, der auf die anderen herabschaut. Und auch auf Jesus: Gott von oben betrachtet.

Und da geschieht das Unglaubliche. Der Herr schaut zu ihm auf. Die Blicke begegnen sich. Zachäus weiß sich angeschaut, so wie noch nie jemand ihn angeschaut hat. Offenbar kein böser Blick, kein verächtlicher oder überheblicher Blick. „Komm schnell herunter!“ Steig ab von deiner Höhe. Nicht oben ist das Glück zu finden. Nicht über den Wolken ist der Himmel. Sondern hier unten. „Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein“, sagt Jesus. Da wo Zachäus wohnt, sein goldener Käfig, in den er sich eingesperrt hat, eigentlich eine Art Hölle auf Erden, aber da soll heute Himmel werden. Gott begegnet da, wo wir leben. In diesem Blick, in diesem Wort geschieht das Heil.

Und mit einem Mal ist alles nicht mehr so wichtig, vor allem das Geld nicht. Überreich weiß Zachäus sich beschenkt. Wohl zum ersten Mal bekommt der kleine Mann Anerkennung, göttliche Anerkennung. Nicht für seine Arbeit, nicht für seine Leistung, nicht für das, was er erreicht hat, sondern einfach so als Mensch, als Sohn Abrahams, wir würden sagen: als Kind Gottes.

Was die Menschen, die Priester, die Moralisten mit dem erigierten Zeigefinger nicht erreicht hatten, nämlich Zachäus auf den rechten Weg zu bringen – das geschieht durch einen Blick und ein einziges Wort: Ich muss in deinem Haus zu Gast sein.

Zachäus weiß sich mit den Augen Jesu von Gott selbst angeschaut, anerkannt und geliebt. Und Jesus zeigt, wie Gott zu den Menschen ist und wie Gott es mit uns meint. Es ist die Grundgüte, mit der Gott einen jeden von uns annimmt und anschaut wie seinen eigenen Sohn. Irgendwie verständlich, dass die Leute fassungslos sind: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt“. Nicht bei Rabbi A oder Bischof B oder Kardinal M, auch nicht bei Unternehmer C oder Sponsor D – obwohl die alle es vielleicht auch nötig hätten – sondern bei diesem neureichen Schurken. Sie verstehen nicht, dass Gott im Menschen den Menschen sieht und nicht dessen Titel, nicht dessen Leistung, mit der er wie ein Bettler um Anerkennung buhlt, nicht dessen gesellschaftliche Stellung, sondern einfach nur den Menschen in seiner Not und mit seiner Sehnsucht, geliebt zu werden.

Hier haben wir das Neue, das Jesus in die Welt gebracht hat. Es ist absolut neu gegenüber allen Religionen seiner Zeit. Was ist dieses Neue? Das Neue ist Jesus selbst. Er hat sich selbst mitgebracht und so Gott zu den Menschen gebracht. Gottes Liebe ist nicht abhängig von menschlichen, von moralischen oder religiösen Vorleistungen. Man kann Gottes Liebe nicht verdienen. Man kann sie sich nur schenken lassen. Man kann sich ihr anvertrauen. Und nur sie verwandelt den Menschen und macht ihn gut.

Ja, das Heil ist nicht oben. Man muss nicht auf Bäume klettern und weltliche oder kirchliche Karriereleitern besteigen und Berge von Geld anhäufen, um heil zu werden. Im Gegenteil – die Gier nach Geld macht den Menschen kaputt. Und man braucht auch Gott nicht im Himmel zu suchen und moralische Klimmzüge anstellen. Gott ist doch heruntergekommen zu uns, dahin wo auch wir ganz unten sind – um uns durch Jesu Blick herunterzuholen von den Bäumen und wackligen Leitern, auf die wir im Lauf des Lebens geklettert sind, weil wir uns größer, bedeutender, mächtiger, reicher oder besser fühlen möchten als andere, weil wir es unten nicht aushielten. Aber Gott, das Heil, lässt sich nur ganz unten finden: im Stall, auf den staubigen Straßen von Jericho, am Kreuz. Er schaut sogar zu den Verlierern des Lebens auf, zu den Armen, zu den Flüchtlingen. In deren Antlitz spiegelt sich das Seine. Gott begegnet als Mensch – nicht als Übermensch. Als Mensch wie wir ist er gekommen, um bei uns einzukehren wie bei Zachäus. Jetzt in der Eucharistie.

Was danach kommt, wenn wir nach Hause gehen, hängt – wie bei Zachäus - davon ab, ob wir ihn aufnehmen, wie wir ihn aufnehmen oder ob wir ihn rausschmeißen.

 

 

 

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Geburt Johannes des Täufers

Am Vorabend

Gehalten in München, Heilig Geist

Jer 1,4-10; 1 Petr 1,8-12; Lk 1,5-20

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Kinderlosigkeit wurde im Alten Israel als Fluch Gottes gedeutet. Ohne Nachkommen keine Zukunft! Kinder aber waren ein Segen Gottes.

Es war wohl dies, was dem Priester Zacharias zu schaffen machte. Seine Frau war unfruchtbar. Dabei lebten beide gerecht vor Gott und hielten sich streng an alle Gebote und Vorschriften, so heißt es in dieser biblischen Legende, die wir gerade gehört haben. Es muss ein Rätsel für sie gewesen sein. Ihr Leben war gottgefällig – und doch blieb der ersehnte Segen Gottes aus. Und nun waren sie alt, die Züge endgültig abgefahren. Wie mögen sie mit Gott gehadert haben? Wie mag ihr Gottvertrauen darunter gelitten haben?

Diese Legende ist nicht nur eine Geschichte über Zacharias und Elisabet. Sie meint uns alle. Sie beschreibt den Weg zum Glauben, zum Gottvertrauen auch da, wo alles umsonst erscheint: wo trotz unserer Bemühungen um ein gottgefälliges Leben unsere Träume und Wünsche unerfüllt bleiben. Zwar wird Kinderlosigkeit heute nicht mehr unbedingt als großes Unglück empfunden, wohl aber gibt es viele andere Situationen, in denen uns unser Leben als erfolglos, als enttäuschend, eben als unfruchtbar erscheinen kann. Wo wir zweifeln an der Güte Gottes.

Es ist eine solche Situation, in der Zacharias das Wort der Verheißung vernimmt: „Deine Frau wird dir einen Sohn gebären.“ Ihm wird Zukunft verheißen. Doch Zacharias kann es nicht glauben. Es verschlägt ihm die Sprache. Er verstummt. Wer das Wort des Glaubens vernimmt, dem bleibt zunächst die Spucke weg. Denn es übertrifft alle Erwartungen. Es wird uns eine Zukunft verheißen, die wir nicht selber machen können. Ewiges Leben in Gott wird uns zugesagt. Man kann es erst nicht glauben. Es macht zunächst sprachlos. Man zieht sich zurück. Man muss es erst verarbeiten.

So ging es Zacharias, so geht es jedem, der das Wort Gottes hört und zunächst nicht weiß, ob er ihm trauen kann. Die Erfahrung spricht ja dagegen! Und nun soll er gegen seine Erfahrung glauben.

Zacharias braucht Zeit, um zu verstehen, dass er sich bisher gar nicht wirklich auf Gott verlassen hat. Er hat sich auf seine strenge Beobachtung der Gebote verlassen, auf sein eigenes gottgefälliges Tun. Und damit doch nur wieder auf sich selbst. Er muss erst noch verstehen, dass Gottes Wort verlässlicher ist als alles eigene Tun, als alle Bemühungen, es Gott recht machen zu wollen. Er muss erst noch verstehen, dass Gottes Wort vertrauenswürdiger ist als alle Erfahrung.

Die Geschichte meint also nicht nur Zacharias und seine Frau. Sie meint uns alle. An uns alle ergeht Gottes Wort. Es will uns etwas sagen, was alle Erwartungen übertrifft. Es schenkt Gemeinschaft mit Gott und damit auch Zukunft über den Tod hinaus, über alle Vergeblichkeit und Unfruchtbarkeit unseres Lebens hinaus. Auch da, wo alle Züge bereits abgefahren sind, wo kein Mensch, kein Arzt, kein Berater und kein Politiker mehr weiterhelfen kann. Wo wir mit unserem Latein am Ende sind.

Dem Zacharias wird ein Sohn verheißen und damit Zukunft, ganz unerwartet. Und es wird ihm ein Name verheißen für dieses Kind: hebräisch Jochanan, griechisch Ioánnes. Auf Deutsch sagen wir „Johannes“. Später, bei der Geburt des Kindes, als ihm der Name gegeben werden soll, opponiert die ganze Verwandtschaft dagegen. Denn es war üblich, einem Kind den Namen eines familiären Vorfahren zu geben. Aber niemand von ihnen trug diesen Namen. Doch Zacharias beharrt auf Johannes. Ein Traditionsbruch! Es ist aber dieser neue Name, der es in sich hat: Johannes heißt übersetzt: Jahwe ist gnädig, Jahwe ist barmherzig. Es ist hier, wo Zacharias die Sprache wiederfindet. Er hat zum Glauben gefunden, zum Vertrauen in Gottes Gnade, in Gottes Barmherzigkeit. Er hat sich dieser Güte Gottes anvertraut. Er kann wieder sprechen und Gott zur Sprache bringen.

Gott, liebe Schwestern und Brüder, umgibt uns mit seiner Güte. Auch wo alles vergeblich und umsonst scheint. Doch darauf kommt es nun nicht mehr an.

Johannes der Täufer, dessen Geburt wir morgen feiern, und zwar genau an dem Tag, an dem die Tage beginnen, wieder dunkler zu werden, dieser Johannes wird den Weg bereiten für das Wort Gottes, das in sechs Monaten Fleisch werden soll, Hand und Fuß bekommt und mit dem die Tage wieder heller werden. Er wird von sich weg auf dieses Wort zeigen, auf Gottes Wort, das einzige Wort, das uns Zukunft in Gott schenkt. Auf dem Isenheimer Alter wird der Täufer von Matthias Grünewald dargestellt mit einem ganz langen, mit einem XXL-Zeigefinger, mit dem er auf das Lamm Gottes zeigt. Dieser ist es, Jesus, der das entscheidende Wort über unser Leben sagt. Ganz anders als die Talkmeister und die Politiker und leider auch manche Pfarrer unserer Zeit, die aus Gottesdiensten Unterhaltung machen, zeigt er von sich weg auf diesen Anderen. Nicht: Schaut mich an, wie toll ich bin. Sondern: Ich bin es nicht. Nach mir kommt einer. So bereitet Johannes, „Jahwe ist gütig“, den Weg für Gottes Wort, das uns erreichen, uns ansprechen und zum Glauben, zum Vertrauen in Gottes Güte führen will.

In jedem Gottesdienst will dieses Wort wieder unser Herz erreichen, dieser Name Johannes: Jahwe ist gnädig. Auf diesen Namen kann man die ganze christliche Botschaft bringen. Wie eine Kurzformel: Gott ist gnädig und barmherzig. Hier ist der Ort, von Gott zu sprechen und vom Menschen, von unserer Bestimmung, die wir uns selbst nicht geben können und von unserer Gemeinschaft mit Gott. Niemand kann sie uns mehr nehmen.

Wir feiern jetzt Eucharistie. „Seht das Lamm Gottes!“, sagt der Priester und wiederholt die Worte Johannes des Täufers. Und indem wir diese hochheilige Speise essen, nehmen wir Gottes Wort in unser tiefstes Herz auf, damit unser Mund wie der Mund des Zacharias sich wieder öffnet und uns in unserem Alltag weitersagen lässt: Johannes – Jahwe ist gütig.

 

 

 

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Fronleichnam

Gehalten in München, Hl. Geist

 

„Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.“

Diese Worte, liebe Schwestern und Brüder, schrieb der Jesuit und Widerstandskämpfer Alfred Delp, der in Bogenhausen regelmäßig predigte, im Gefängnis vor seiner Hinrichtung durch die Nazis. In einer Situation also, in der er kaum Brot hatte und keine äußere Freiheit, in der er aber dem Glauben treu blieb und den wahren Gott anbetete.

Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.

Brot, Freiheit, Treue und Anbetung: diese vier Begriffe setzte er in Beziehung zueinander. In dieser Reihenfolge: vom Wichtigen zum Allerwichtigsten. Was haben sie miteinander zu tun?

In seiner Zeit sah Delp offenbar die größte Gefahr für den Menschen und für sein Menschlichsein darin, dass er diese Reihenfolge umkehrt und das Brot, den Konsum, die Gier nach immer mehr für das Wichtigste hält. Und damit seine Freiheit verliert. Ja mehr noch, dass er die Anbetung Gottes verliert, Gott verrät und den falschen Gott anbetet: Adolf Hitler.

Nicht wenige haben sich ja verführen lassen: mit Brot, mit Wohlstand, mit Karriere, mit Macht und haben so ihre Freiheit vertan, ihr Menschsein verfehlt und ihre Menschlichkeit verloren. Aus lauter Angst, sonst das Brot, das Geld, die Macht, die gesellschaftliche Anerkennung zu verlieren, waren sie erpressbar und also unfrei. Man konnte sie dazu bringen, Unmenschliches zu tun, ja, ungeheure Verbrechen zu begehen, Unmenschen zu werden. Eine Kettenreaktion von Angst und Erpressung!

Die Zeiten sind heute anders. Gott sei Dank. Aber die Natur des Menschen ist die gleiche geblieben. Wir brauchen Brot, wir brauchen Freiheit. Doch diese Freiheit gewinnen wir nur im rechten Verhältnis zum Brot, also zu den Gütern der Welt, und im rechten Verhältnis zu Gott. Auch die ganze Umweltproblematik hat damit zu tun. Ohne rechtes Verhältnis zu Gott kann man auch kein rechtes Verhältnis zur Welt haben. Nur im rechten Verhältnis zu Gott bekommen wir auch das rechte Verhältnis zum Brot, zu den Gütern der Welt und zur Natur. Und nur so gewinnen wir Freiheit. Die Reihenfolge Brot-Freiheit-Treue-Anbetung, vom Wichtigen zum Allerwichtigsten, darf also nicht umgekehrt werden. Nur in Gemeinschaft mit Gott finden wir zur Freiheit und müssen das Brot nicht vergötzen.

Brot ist wichtig. Der Leib braucht Nahrung, um zu leben und um gesund zu bleiben. Schaut man aber in unsere Supermärkte, dann kann man denken, der Mensch bestünde nur aus Magen. Und die Freiheit bestünde darin, unter 20 und mehr Brotsorten zu wählen, sich zwischen Mallorca und tausend anderen Reisezielen zu entscheiden. Wobei unsere kurze Lebenszeit nie ausreicht, um alles in sich reinzustopfen, alles zu erleben, alles zu verfrühstücken, was die Welt uns bietet. So droht der Markt immer mehr zum einzigen Sinnhorizont vieler Menschen zu werden. Der Mensch kann nur noch das wünschen, was man kaufen kann. Deshalb auch wird der Markt vergötzt. Er wird zum Ein und Alles. Er wird zur Diktatur und ist es wohl schon.

Doch Freiheit? Man muss doch mithalten, man darf nicht rausfallen, man darf den Zeitgeist nicht kritisieren, muss politisch korrekt bleiben. Wie das geht, wird uns in den Talkshows im Fernsehen vorexerziert. Die öffentliche Meinung.  Es wird uns verordnet, wie wir zu denken haben und wie wir keinesfalls denken und wählen dürfen. Sonst ist man gesellschaftlich exkommuniziert.

Aber Freiheit ist wichtiger als alles das. Mit dieser Freiheit ist nicht die Auswahl zwischen hundert Fernsehprogrammen und Smartphones und möglichen Sexpartnern gemeint, die man hintereinander vernaschen kann. Das ist bloß eine Illusion von Freiheit. Freiheit heißt, sich kritisch zu alledem und zu sich selbst verhalten zu können, sich nicht verführen zu lassen. Es bedeutet, Alternativen zu suchen, neue und ungewohnte Wege zu gehen, sich nicht einpassen zu lassen in ein System, sondern Sand im Getriebe dieser Welt aus Angebot und Nachfrage, aus Meinungsumfragen und Mehrheiten zu werden. Ja, wahre Freiheit heißt letztlich, nicht aus Angst um sich selbst zu leben, aus Angst, nicht genug vom Leben abzukriegen. Unter der Macht der Angst verengt sich der Horizont, verengt sich das Leben, wird der Mensch ichgebunden und findet nicht zu seiner eigentlichen Menschlichkeit.

Jesus, unser Herr, hat uns diese Freiheit vorgelebt, die Freiheit der Kinder Gottes. Viele sind ihm gefolgt. Auch Alfred Delp. Man konnte ihnen das Leben nehmen, aber ihre Menschlichkeit nicht. Und damit eigentlich auch nicht ihr Leben. Denn diese Freiheit gründet in Gott. Der Gott Jesu ist kein Gott, wie wir ihn uns vielleicht vorstellen, kein schwarzes Loch, vor dem man wieder Angst haben muss, kein orientalischer Despot, der uns dieses Leben zur Hölle machen will. Dieser Gott hat sich uns in Jesus als Liebe ausbuchstabiert. Nur wer sich von ihm bedingungslos geliebt weiß, angenommen und anerkannt, findet auch zur Freiheit und kann frei werden von sich selbst und von den Götzen, die ihn versklaven und ihn daran hindern, sein Menschsein wahrhaft zu leben.

Die Kirche muss ein Ort dieser Freiheit der Kinder Gottes sein. Wir erleben, wie die Kirche um ihren Weg in die Zukunft ringt. Viele Reformvorschläge liegen auf dem Tisch. Dabei erleben wir auch Zerwürfnisse und Anfeindungen, Flügelkämpfe und sogar Hetze: Progressive gegen Konservative und umgekehrt. Wir vergessen manchmal, dass alles Tun der Kirche in die Anbetung Gottes münden muss, in die Eucharistie. Die vielen Stimmen der Kirche sind geeint am Tisch Gottes. Hier finden alle zusammen. Alle werden Eins in dem einen Brot und dem einen Kelch.

Denn wahres Menschsein vollzieht sich in Glaube, Hoffnung und Liebe. Und damit in der unverratenen Anbetung des Gottes, der uns diese Freiheit schenkt. In der Anbetung Gottes findet der Mensch zu seiner eigentlichen Gestalt: er ist nicht nur ein Tier, das fressen muss, sondern steht haushoch darüber, er ist aber auch nicht Gott, wofür er sich gerne hält. Das ist die besondere Stellung des Menschen – über der animalischen Welt und doch nicht Gott. Irgendwie dazwischen. Deshalb ist unser Menschsein so großartig und zugleich so gefährdet und verführbar. Man kann zurücksinken auf die Stufe des Tieres und man kann in seinem Größenwahn sich mit Gott verwechseln. Beides zerstört unsere Menschlichkeit. Christliches Leben vollzieht sich in diesem Balanceakt, das Gleichgewicht zu wahren. Christsein ist eine Gratwanderung. Wer das Gleichgewicht verliert, stürzt ab in die Unmenschlichkeit. Sünde nennen wir das.

Weil der Mensch so gefährdet ist, so verführbar, so leicht zerstörbar, weil er einen so großen Hunger hat nach Brot, nach Freiheit, nach Anerkennung, nach Liebe, und weil es in der Welt nichts gibt, was diesen Hunger stillen kann, deshalb hat Gott uns das Brot für diesen Hunger gegeben. Es ist nicht mehr Nahrung für den Leib, sondern Nahrung für den Glauben, für die Hoffnung, für die Liebe und darin für unsere Freiheit. Heute, am Fronleichnamstag, zeigen wir es aller Welt: Schaut, Christus ist dieses Brot, das Gott uns schenkt. Er ist das einzige Brot, das nicht verdirbt. Er ist das einzige Brot, von dem man nicht wieder hungrig wird. Er ist das Brot, das uns Gemeinschaft mit Gott und untereinander schenkt. Brot, das wir teilen und essen wie jedes Brot, das uns aber die Freiheit der Kinder Gottes schenkt, die Freiheit, Ja zu sagen, wo alle Nein rufen und Nein, wo alle Ja sagen.

Fronleicham ist das Fest der unverratenen Anbetung. „Dieses Brot sollst du erheben, welches lebt und gibt das Leben.“ Das Allerkostbarste! Es ist das einzige Brot, vor dem man knien und anbeten darf.

Wir sind so frei.

 

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Pfingsten

Apg 2,1-11; Ps 104; Röm 8,8-17; Joh 20,19-23

Gehalten in München, Heilig Geist

 

Da saßen sie nun am Osterabend hinter verriegelten Türen.

Hatten alles verrammelt.

Gelähmt von Angst.

Es war ja erst der dritte Tag nach Jesu Tod am Kreuz.

Groß war die Angst, sie stünden auf der Fahndungsliste.

Die Angst, es könnte auch ihnen so ergehen wie IHM.

Denn schließlich waren sie seine Freunde gewesen, steckten mit IHM unter einer Decke.

Sympathisanten. Auf jeden Fall verdächtig.

Und nun verstecken sie sich.

Machen sich unzugänglich. Offline.

Bis der Sturm hoffentlich vorbeigeht.

Bis Gras über sein Grab wächst.

Irgendwie verständlich.

Aber es wächst kein Gras drüber.

Denn ER ist da.

ER steht in der Mitte.

Der Gekreuzigte.

Er kommt durch die verschlossene Tür,

in die verschlossenen Herzen seiner Freunde.

ER findet Zugang zu ihnen.

ER ist da.

Den Menschen getötet haben, ist nicht tot bei Gott.

Mein Gott, ER lebt!

Man hat IHN nicht tot gekriegt.

Und ER sagt: Schalom aleichäm: Friede euch!

Friede euren friedlosen und zerrissenen Herzen!

Und dann zeigt er ihnen seine durchbohrten Hände und seine geöffnete Seite.

Die Jünger sehen, was man mit IHM gemacht hat, was man IHM angetan hat.

Aber ER sagt nicht: Rächt mich! Vergeltet! Zahlt es ihnen heim!, sondern:

Schalom!

Da kommt Freude auf.

Da schwindet die Angst.

ER ist da.

ER ist bei uns.

So wie jetzt hier bei uns.

Und er sendet sie hinaus: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Sie sollen teilhaben an seiner Sendung, an der Sendung durch den Vater. Und dann haucht er sie an: Empfangt Heiligen Geist.

Im Johannesevangelium geschieht Pfingsten bereits am Ostertag. Denn wie sollten sie den Auferstandenen erkennen ohne Heiligen Geist?

Lukas streckt hingegen zwischen Ostern und Pfingsten die Zeit. 50 Tage. Die Jünger treten heraus aus den verschlossenen Türen. Sie haben Mut gefunden, Mut, der stärker ist als die Angst.

Ihr Glaube wird öffentlich. Er wird zu einer res publica.

Sie schreien ihn hinaus in die Welt, in diese zerstrittene, friedlose und aus den Fugen geratene Welt.

Sie bringen den Frieden und die Versöhnung, den Schalom, den er ihnen geschenkt hat.

Sie erleben wie Menschen verschiedenster Herkunft, verschiedenster Sprachen und Kulturen sich verstehen und mit einer Sprache sprechen.

Das ist das Pfingstwunder.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn das Evangelium von den Jüngern spricht, dann spricht es auch von uns. Wir sind doch die Jünger heute. Wer denn sonst?

Der Herr spricht uns auf unsere Angst an, auf unsere Angst, unser Herz zu öffnen, es groß und weit zu machen.

Denn auch bei uns regiert Angst: Angst vor Krieg, Angst vor Veränderung, vor der Zukunft, vor dem Klimawandel, Angst vor dem Islam, Angst um die Gesundheit, Angst, nicht genug vom Leben abzukriegen und den Kürzeren zu ziehen. Auch bei uns gibt es Rückzug ins Private, hinter verriegelte Türen, hinter verschlossene Grenzen. Nur noch Ichs und kein WIR mehr.

Angst kommt von eng. Wer ängstlich ist, denkt eng und wird engherzig und kleingeistig, nur noch auf sich selbst bedacht. Es ist dieser Kleingeist, der die Welt aus den Fugen bringt, der Spaltung bewirkt auch in der Kirche, der Versöhnung und Verstehen, Frieden und gerechte Verhältnisse verhindert. Der egoistische Kleingeist, der uns in letzter Zeit immer wieder auch in der Politik begegnet und der zum Ungeist wird, zum bösen Geist, der zerstörerisch und spaltend wirkt. Der Krieg bringt statt Frieden.

Der Heilige Geist, der Geist Gottes  aber ist der Geist Jesu, der Geist, der mit Jesus in die Welt gekommen ist. In Gott ist der Heilige Geist das göttliche WIR von Vater und Sohn. Er verbindet also Personen, das ist seine Eigentümlichkeit. Er ist der Geist, der uns mit Gott verbindet und untereinander verbindet. Er ist die eine Person in vielen Personen, nämlich in Christus und in uns. Wir nehmen im Glauben teil am WIR Gottes. Denn Gott will die Menschen aus lauter Ichs zum WIR führen, zu einem neuen Miteinander, in dem wir nicht Angst voreinander haben müssen und sogar bereit werden, Angst auch auszuhalten und zu ertragen, ohne mutlos zu werden und uns in uns selbst zu verschließen..

Der Heilige Geist ist der feurige Geist, der unseren Kleingeist überwindet, der Mut gibt, Mut zum Sein, Mut zum Leben und zu seinen Herausforderungen und auch Mut zum Sterben. Er wirkt überall dort, wo ganz verschiedene Menschen zueinander finden, wo Feinde Frieden schließen, wo Christen ihren Glauben öffentlich bezeugen, wo sie auch in Verfolgung standhalten, wo Politiker über ihren Schatten springen. Er schenkt Mut, auch auf Fremde zuzugehen und sie in ihrer Andersartigkeit zu verstehen. Er gibt Mut, in dieser verlogenen Welt die Wahrheit zu sagen. Er gibt Mut, auch denen zu vergeben, die an uns schuldig wurden. Denen, die uns verletzt haben, Frieden zu wünschen und nicht Vergeltung. Ja, der Heilige Geist ist die Gabe der Vergebung und der Versöhnung, das große JA Gottes zu uns und zur ganzen Menschheit. Wir stehen unter diesem JA. Gott will die Menschheit zum WIR führen.

Paulus bringt es auf den Punkt: „Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, so dass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ (2. Lesung) Zur Zeit des Neuen Testaments funktionierte die ganze Wirtschaft nur, weil es Knechte, also Sklaven gab, kostenlose Arbeitskräfte, die aller Würde beraubt waren, die man kaufen und verkaufen konnte. Deshalb das Bild mit den Sklaven.

Aber Paulus meint es noch viel tiefer. Er sieht in jedem Menschen einen Sklaven, nämlich einen Knecht der Angst um das eigene Leben. Mit dieser Angst werden wir geboren und bleiben an sie versklavt, angekettet. Und wir können uns nicht selbst daraus befreien, so wie auch ein Sklave in der Antike sich nicht selbst befreien konnte. Deshalb sind wir erlösungsbedürftig. Aber Gott hat uns von dieser fürchterlichen Macht der Angst erlöst durch seinen Sohn, der diesen neuen Geist in die Welt gebracht hat, den Geist der Sohnschaft. Es ist der Geist, der Jesus mit dem Vater verbindet. Es ist der Geist, in dem Jesus gelebt hat. Es ist der Geist, in den Jesus auch die Jünger und alle Glaubenden aufgenommen hat: der Geist der Sohnschaft. Auch wir dürfen Gott Abba, Vater! nennen und uns in ihm geborgen wissen in Glück und Unglück, in Freude und Leid, im Leben und im Sterben. Nur in diesem Geist, in diesem Vertrauen, ein geliebtes Kind Gottes zu sein, kann die Macht der Angst um uns selbst überwunden werden.

Es ist dieser Geist, der uns Christen mutig macht, für die Wahrheit einzustehen, auch wenn alle lügen; Unrecht zu benennen, auch wenn alle davon profitieren; für das Leben einzustehen, auch wenn um uns herum eine nihilistische Kultur des Todes herrscht. Es ist dieser Geist, der uns auch mutig macht, die Herausforderung der Zeit und der Zukunft anzunehmen: die drohende Klimakatastrophe, die ihre Ursache in einer Wirtschaft hat, die tötet. Weil wir von Wirtschaftsbeziehungen profitieren, die andere Völker arm machen. Die Sklaverei ist nicht überwunden. Wir halten uns ganze Sklavenvölker. Wie kann es sein, dass ein so reiches Land wie der Kongo oder Brasilien eine bitterarme Bevölkerung hat und ein so armes Land wie die Schweiz ein so reiches Volk hat? Hier haben wir den Geist der Unwahrheit, der Lüge und der Verblendung, den Geist der Gier und des kollektiven Egoismus. Es braucht Heiligen Geist, um diese Verhältnisse zu verändern. Nur in diesem neuen Geist werden gerechte Verhältnisse möglich, in dem jeder Mensch sich seiner Würde als Kind Gottes erfreuen kann.

Wir feiern Pfingsten, das Fest des feurigen Geistes, der uns begeistern und entflammen will für eine neue und gerechte Welt des Friedens. Der Geist, der die Welt heilen kann. Feuer und Flamme für das Evangelium will er uns machen. Wir singen wunderbare Lieder und stimmen ein in die herrliche Melodie des Heiligen Geistes: „Komm o du glückselig Licht,/ fülle Herz und Angesicht, /dring bis auf der Seele Grund.“

Singend und feiernd hoffen wir, ein wenig weiterzukommen auf unserem Lebensweg: vertrauend und mutig, die Herausforderungen, die kommen, anzunehmen.

„Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird verwandelt.“

Es ist Zeit, Eucharistie zu feiern, ein versöhntes WIR zu werden um diesen Tisch des Herrn. Es ist die Feier der Wandlung. Ein kleines Stück Brot wird verwandelt in IHN. Schon ein kleines Stück Welt, das verwandelt wird durch den Heiligen Geist. Damit wir es im Geiste Jesu essen und selbst verwandelt werden wie die Jünger am Osterabend und am Pfingsttag.

Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen!

 

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Christi Himmelfahrt

Apg 1,1–11; Ps 47; Hebr 9,24–28; 10,19–23; Lk 24,46–53

Gehalten in München, Heilig Geist, am 30.5.2019

Diese Predigt kann auch auf Youtube angeschaut werden: https://www.youtube.com/watch?v=97ph-_Gt8b0&t=7s

Christi Himmelfahrt

Apg 1,1–11; Ps 47; Hebr 9,24–28; 10,19–23; Lk 24,46–53

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Er führte sie hinaus in die Nähe von Betanien.

Betanien ist ein Vorort von Jerusalem. Das ist wohl nicht zufällig. Von hier aus war Jesus auf einem Esel fast triumphal am Palmsonntag in die heilige Stadt Jerusalem eingezogen. Die Menschen bereiteten ihm einen großartigen Empfang. Doch alles kam anders. Der Gang durch die Stadt verwandelte sich in einen Gang durch die Hölle. Die Stimmung schlug binnen weniger Tage um. Auf das Hosanna folgte das Crucifige!, „Kreuzige ihn!“ Was folgte, waren Anklage, Folter und ein schmachvoller Tod am Kreuz. Ein Gang durch die Hölle! Hier in Jerusalem verdichtete sich, was überhaupt sein Lebensweg war: Ein Gang durch die Hölle auf Erden: die Hölle der Politik, die Hölle der Religion, die Hölle der Armut und des Elends, die Hölle des Hasses, die Hölle, die Menschen einander bereiten können und die für so viele Menschen die Lebenswirklichkeit ist.

Und heute stehen wir wieder in Betanien. Mit ihm. „Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben.“ Er segnete sie und verfluchte sie nicht. Obwohl er Grund dazu gehabt hätte nach der Hölle, die er durchgemacht hat. Nein, er segnete sie.

Liebe Schwestern und Brüder, die Hölle auf Erden hat ein Ende. Von Betanien, jenem anfangs hoffnungsvollen Ort, zieht er nun wieder ein. Nicht mehr ins irdische Jerusalem, das bis heute eine Hölle der Religion und der Politik ist, sondern ins himmlische Jerusalem. Dorthin, wo er sich immer daheim und aufgehoben wusste: in die Hände Gottes, in die Hände des Vaters. Er ist „nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen, sondern in den Himmel selbst.“ So der Hebräerbrief. Also nicht auf eine glückliche Insel in der Südsee, in ein Schlaraffenland, in einen überdotierten Aufsichtsratsposten wie Herr Winterkorn. Er hat auch keinen Jackpot geknackt. Das alles ist nur irdisch, vergänglich, nur von Menschen gemacht. Nein, er ist in den Himmel selbst gegangen, in den Himmel, der nicht von Menschenhand gemacht ist.

Lassen wir uns nicht täuschen, liebe Schwestern und Brüder, von den zeitbedingten Bildern, in denen uns diese Botschaft erreicht. Manche meinen, das sei 1:1 so gemeint gewesen und halten es deshalb für ein Märchen. Als wäre der Herr auf einer Wolke wie in einem Fahrstuhl in den Himmel aufgefahren, so stand es ja in der Lesung aus der Apostelgeschichte. Dies ist ein Bild aus einer Zeit, in der man sich das Universum in drei Etagen vorstellte. Die Erde als Scheibe in der Mitte, darunter die Unterwelt und darüber der Himmel. Die neutestamentlichen Schreiber hatten kein anderes Bild, um anschaulich zu machen, was sie sagen wollten. Heute würde man die Geschichte ganz anders schreiben.

Stellen Sie sich vor, Sie schreiben einen Brief und teilen mit: „Ich komme im Leben nicht auf einen grünen Zweig“. In 1000 Jahren findet man bei Ausgrabungen diesen Brief. Diese bildliche Redewendung ist nicht mehr bekannt. Naive Menschen werden dann denken: „Aha, vor tausend Jahren saßen die Menschen auf Bäumen und versuchten, auf grüne Zweige zu kommen. Vermutlich, um die Blätter zu essen.“ Historiker und Linguisten müssten dann erklären: Nein, so war es nicht. Es ist ein Bild. Damit wollte man ausdrücken: Ich habe im Leben keinen Erfolg, ich komme nicht voran.

So ist es auch mit den alten biblischen Texten. Auch der heutige von der Himmelfahrt will sagen: Jesus ist für immer in Gott vollendet. Nichts kann ihm mehr aus der Hand Gottes reißen. Der Tod konnte ihn nicht festhalten. Die Liebe Gottes ist stärker als der Tod. Die Hölle ist nicht die letzte Gewissheit. In einem Bild veranschaulichte man das.

Das heutige Fest ist ein Fest des Glaubens und der Hoffnung. Der Hoffnung, dass sich alles, unser Leben, unser Schicksal, die Menschheitsgeschichte in Gott vollendet und die Hölle für immer hinter sich lässt: „Wir haben also die Zuversicht, durch das Blut Jesu in das Heiligtum einzutreten. Er hat uns den neuen und lebendigen Weg erschlossen“, so die 2. Lesung aus dem Hebräerbrief. Und so sagt uns das heutige Fest etwas über unsere Bestimmung. Wozu sind wir gemacht? Nicht, um für immer in einem schwarzen Erdloch zu verschwinden, sondern um in Gott vollendet zu werden. Denn der Sohn Gottes hat unser aller Menschsein angenommen. Gott ist in Jesus als Mensch begegnet und uns das verkündet. Und unser aller Menschsein hat er mitgenommen „in den Himmel“, m. a. W.: in die Wirklichkeit Gottes hinein. In Christus ist das Menschsein bereits vollendet. Etwas, das keiner von uns machen kann und so unbegreiflich ist wie Gott selbst.

In der Himmelfahrt Christi wurde also unser Menschsein zu Gott erhöht. Unser Menschsein besitzt Christuswürde, Sohneswürde vor Gott. Denn Gott liebt uns mit derselben Liebe, mit der er von Ewigkeit her seinem Sohn zugewandt ist.

Liebe Schwestern und Brüder, Betanien ist überall. Auch hier, wo wir in seinem Namen versammelt sind und von ihm gesegnet werden. Hier ist der Ort, von dem wir einziehen werden ins himmlische Jerusalem. Auch die Welt wird verwandelt werden in den Himmel Gottes. Aber dazu dürfen wir nicht wie die Jünger fassungslos in den Himmel starren: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel.“ Der Engel lenkt ihren Blick zurück auf die Erde, auf unsere Realität. M. a. W.: „Glotzt nicht beim Loben immer nach oben. Schaut mal zur Seite, dann seht ihr die Pleite!“ Wir alle sind berufen, unsere Welt, die für so viele Menschen eine Hölle ist,  zu verändern, menschlicher und friedlicher zu machen. Füreinander nicht die Hölle zu bereiten, nicht Fluch zu sein, sondern füreinander und für die Welt ein Segen zu sein, den Segen des Auferstandenen weiterzugeben, die Barmherzigkeit Gottes in alle Himmelsrichtungen zu versprühen. In dem Vertrauen, dass unsere Welt einst verwandelt wird in das himmlische Jerusalem. Dazu brauchen wir den Geist Jesu, den heiligen Geist, die Gabe, die Jesus an Pfingsten zu uns herabsendet.

Wir feiern jetzt Eucharistie. In dieser allerkostbarsten Speise bleibt der Herr uns nahe. Und wir dem Himmel.

 

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6. Ostersonntag

Apg 15,1–2.22–29; Offb 21,10–14.22–23

Gehalten in München Heilig Geist am 26.5.2019

 

Diese Predigt kann auch auf Youtube angeschaut werden: https://www.youtube.com/watch?v=8gt5V8ZUdcg

Liebe Schwestern und Brüder,

Wohnraum wird für viele Menschen immer unbezahlbarer. Die Mieten und Immobilienpreise steigen exorbitant. Kündigungen erfolgen; sogar sehr alte Menschen müssen ausziehen. In Folge dieser Entwicklung steigt dann auch die Zahl der Obdachlosen.

„Wohnen“ ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wem die Wohnung gekündigt wird, weil er sie nicht mehr bezahlen kann, erlebt eine große Verunsicherung. Es ist, als werde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Man fühlt sich ungeborgen, schutzlos. Wo bleibe ich? Wo kann ich wohnen? Wo bin ich daheim?

Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen wie Essen und Trinken. Aber zum Wohnen gehört nicht nur eine Wohnung oder ein Haus. Es gehören auch Menschen dazu, bei denen man wohnen kann, bei denen man daheim ist und sich – auch in schwierigen Situationen – geborgen weiß. In der Ehe geben Mann und Frau einander Wohnung – mit umfassendem Kündigungsschutz. Auch das gehört zum Sinn der Ehe: dass man beieinander wohnen kann. Das Vertrauen, das man zueinander hat, ist dann auch etwas, in dem wir wohnen, geborgen sind. Kinder wohnen bei ihren Eltern und wissen sich behütet und geborgen. Ungeborgenheit ist nur schwer oder kaum zu ertragen. Man ist dann wie auf schwankendem Boden. Wenn Ehen zerbrechen, Familien auseinanderfallen, Vertrauen kaputt geht – solches wird oft als großes Unglück erlebt. Man ist wie aus etwas Vertrautem hinausgeworfen.

Und denken wir schließlich an die vielen Heimatlosen, deren Häuser zerstört, deren Familien auseinandergerissen sind und die sich in der Fremde aufhalten, wo sie sich nur fremd fühlen.

Der Mensch braucht Wohnung, Geborgenheit, Heimat, Menschen, bei denen er wohnen, bleiben und sein kann.

Aber auch wenn wir alles das haben, uns sicher und heimisch fühlen, so wissen wir doch: Alles das wird einmal zu Ende sein. Alles vergeht. Wenn wir sterben, müssen wir alles verlassen: unser Haus, unsere Lieben, alles das, was uns vertraut ist. Der Tod stößt uns hinaus aus aller Geborgenheit. Das ist abgesehen vom Glauben für uns die allerletzte Gewissheit. Ich verliere alles, sogar mich selbst. Der Tod ist die absolute Ungeborgenheit. Aus Angst davor versuchen wir uns ans Leben zu klammern, an unsere vermeintlichen Sicherheiten. Aber nützen tut das nichts. Es kann uns nur krank machen.

Auf diese unsere Angst um uns selbst, um unsere Geborgenheit, spricht uns das heutige Evangelium an, wo Jesus sagt:

Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.

Es ging Jesus um eine letzte Geborgenheit in Gott. Er selbst, als Wanderprediger unbehaust und ungesichert, hat diese Geborgenheit gelebt. Er hat sein Leben mit Haut und Haaren Gott anvertraut. Seine Jünger haben von ihm gelernt, was es heißt, auf Gott zu vertrauen und sich in ihm in aller Ungesichertheit geborgen und aufgehoben zu wissen. Jesus hat sie aufgenommen in sein vertrautes Verhältnis zu Gott, den er „Vater“ nannte und dem er sich im Leben und im Sterben anvertraute. Er hat sie in sein göttliches Haus aufgenommen. Das Wort Jesu verstanden sie als Wort Gottes.  Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Denn nur Gott kann uns sagen, dass wir bei ihm wohnen werden. Ja, es ist nicht nur ein hörbares Wort, es ist Jesus selbst. Jesus ist selbst das Wort, das Gott uns gegeben hat, um unsere Angst zu entmachten. In Jesus begegnet uns Gott als Mensch, als Mitmensch.

In unserem Glauben geht es um eine letzte Geborgenheit, um das Wohnen in Gott. Diese Gewissheit ist stärker als alle Angst und Unsicherheit. Denn Gott liebt uns mit derselben Liebe, mit der er von Ewigkeit her seinen Sohn liebt. Wer auf den Sohn hört und ihn liebt, weiß sich auch von Gott geliebt. Er lebt und wohnt dann in Gott wie in den eigenen vier Wänden.

Auch die zweite Lesung aus der Offenbarung des Johannes verkündet uns dies als letzte Wahrheit über unser Leben. Es ist eine große Zukunftsvision: Die heilige Stadt Jerusalem, die aus dem Himmel herabkommt und unsere Erde verwandelt in eine neue Stadt. Man könnte denken, es sei Sciencefiction oder wie ein surrealistisches Gemälde von Salvador Dalí. Aber auch hier wird uns diese letzte Geborgenheit in Gott verheißen: Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel. Mit anderen Worten: Nicht mehr Gotteshäuser wird es geben, sondern Gott ist selbst der Tempel, ist selbst das Haus, in dem wir wohnen und von seiner Herrlichkeit erleuchtet werden.

Aus dieser Glaubensgewissheit entstehen Frieden und Freude: Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt. Wir wissen: Die Welt ist zum Frieden unfähig. Sie ist zerstritten. Weil sie keinen Frieden mit Gott hat. Wer keinen Frieden mit Gott hat, wer sich nicht in ihm geborgen weiß, wird auch kaum Frieden mit anderen und mit sich selbst haben. Wer friedlos ist, bringt Unfrieden. Der Friede Christi aber ist der Friede mit Gott, der uns zu friedliebenden Menschen macht, die auch in Konflikten und Streit die Liebe Gottes nicht vergessen, sondern weitergeben auch an Gegner und Feinde.

Diese Liebe ist der neue Geist, der Heilige Geist, der mit Jesus in die Welt gekommen ist. Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. In diesem Geist ist Frieden möglich, Versöhnung und gegenseitiges Verstehen. Ja, es ist dieser Heilige Geist, der uns überhaupt erst zur Vernunft bringt! In diesem Geist ist es möglich, anderen Menschen auch bei uns Wohnung und Heimat zu schenken.

Jesus nimmt im heutigen Evangelium Abschied von seinen Jüngern vor seinem Leiden. Er weiß: Sein Weg ans Kreuz ist der Weg zum Vater, ist der Weg auf Ostern zu. Verständlich, dass die Jünger darüber traurig sind, dass Jesus Abschied nimmt. Aber: Wenn ihr mich lieb hättet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe. Jesus wohnt in Gott. Und auch wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Aber alles kommt darauf an, dass wir zum Glauben kommen und Jesus lieb haben. Ohne diesen Glauben an Jesus bleiben wir zurückgeworfen auf uns selbst. Ein letztes Zuhause können wir uns nicht geben. Nur im Glauben können wir uns geborgen wissen. Gott selbst ist unsere Zukunft und die Freude wird nicht mehr aufhören.

Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern jetzt Eucharistie. Wir nehmen Jesus auf in unser Herz, ganz leibhaftig, als Nahrung für unseren Glauben. Zu seinen Freunden sagt er: Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück.  In der heiligen Kommunion, wenn wir voll Ehrfurcht diese allerkostbarste Speise essen, kommt er tatsächlich wieder zu uns. Er will in uns wohnen. Und wenn er in uns wohnt, dann wohnen wir schon in Gott.

Unbezahlbar! Aber gratis.

 

 

 

 

6. Sonntag im Jahreskreis

17.2.2019

Jer 17,5-8; 1 Kor 15,12.16-20; Lk 6,17.20-26

 

Gehalten in München, Heilig Geist

 

 

„Wehe euch, ihr Reichen!“ Solche Rufe scheinen nicht in unser Bild von Jesus zu passen. Und auch von Pfarrern auf der Kanzel erwartet man eher kuschelige Sätze, die uns nicht allzu sehr in Frage stellen. Aber Wehe-Rufe? Das klingt nach Drohbotschaft. Und man sieht sofort den erhobenen Zeigefinger.

Womit Pfarrer sich heute unbeliebt machen, ist dafür anderen erlaubt. Ärztinnen und Ärzten z. B. : Wehe euch, ihr Raucher; ihr Dicken; ihr Fastfood-Esser; ihr Sport-Muffel – ihr habt kein langes Leben zu erwarten! Auch Grüne dürfen so reden: Wehe euch, wenn ihr nichts ändert am CO2-Ausstoß, dann werden eure Enkel wie die Beduinen in der oberbayrischen Wüste leben und den Kölner Dom wird man nur noch besichtigen können, wenn die Nordsee gerade Ebbe hat.

Aber von Pfarrern hört man solche Worte nicht gerne, so real schlechte Karten, die irgendwie im Zusammenhang stehen mit unserer Lebensweise, mit Glauben und Unglauben und überhaupt mit der Orientierung unseres Lebens. Das grenzt dann schon an geistlichen Missbrauch, wenn unsere Lebenswirklichkeit in Frage gestellt wird. Darf man also nicht darauf hinweisen, dass auch das Wohl der Seele, das Seelenheil also, auch bedroht sein kann durch eine vor Gott falsche Lebensweise? Darf man das also nicht mehr sagen?: Wenn Du so gierig nach Geld, so karrieregeil, so rücksichtslos, zynisch und so gottlos lebst, wenn du nicht mehr loskommst von den Pornos im Internet, wenn du nicht mehr betest und deine Sünden nicht mehr bereust – ja, dann hast du auch vor Gott keine guten Karten. Dann kann auch deine Seele nicht heil vor Gott stehen. Dann verdirbst du sie.

Und dann kommt wieder so ein Sonntag wie heute, an dem diese Wehe-Rufe vorgelesen werden. Jesus hat nicht nur viele selig gepriesen, sondern eben auch andere mit Wehe-Rufen bedacht. Und damit hat er die Menschen alle in die Entscheidung gerufen. Und er hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Der Sinn des Lebens, das Lebensglück besteht eben nicht im materiellen Reichtum, im beruflichen Fortkommen, im gesellschaftlichen Aufstieg, im Gelingen unserer Pläne – in all den Dingen, die uns so heilig geworden sind. So kann man das Leben auch verfehlen, man kann Gott verfehlen und damit den Sinn des Lebens.

Jesus öffnet uns die Augen für ein neue Sichtweise. Und stellt uns in die Entscheidung. Ja, der heutige Abschnitt aus dem Evangelium erinnert uns daran, dass es bei Glauben und Unglauben um eine sehr ernste Entscheidung geht mit sehr weitreichenden Konsequenzen. Die christliche Botschaft ist eben nicht so etwas wie eine Droge oder eine süße Himbeersoße, die wir über unser Leben gießen. Und wenn wir einmal genau hinschauen, wer da gemeint ist mit den Wehe-Rufen, dann gelingt es wohl kaum mehr, mit dem Finger auf andere zu zeigen:

·    Wehe euch, ihr Reichen!, wird da gesagt. Sind wir das nicht? Gehören wir nicht zum reichen und wohlhabenden Teil der Menschheit, der im Überfluss lebt?

·    Wehe euch, die ihr jetzt satt seid! Satt sind wir auch – im Gegensatz zu einem großen Teil der Menschheit.

·    Wehe euch, die ihr jetzt lacht! Naja, vielleicht ist nicht jedem jederzeit zum Lachen zumute. Aber im großen und ganzen bilden wir doch eine Spaßgesellschaft. Und nichts fürchten manche mehr als dass Schluss sei mit lustig.

Schon drei der vier Weherufe, liebe Gemeinde, passen doch genau auf uns. Es ist, als hätte Jesus uns vor Augen, eine Gemeinde mehr oder weniger wohlhabender Christen.

Nun, will er uns verfluchen? Sollen wir ihm aus den Augen gehen?

Anders scheint er zu den Armen zu stehen, zu den Hungernden, zu den Trauernden und zu denen, die wegen des Glaubens an Jesus Nachteile auf sich nehmen. Diese werden selig gepriesen. Aber in diesen können wir uns – wie gesagt - kaum wiederfinden.

Jesus ist offenbar nicht neutral, nicht unparteiisch. Er nimmt vielmehr Partei für die Benachteiligten, für die, die am Rande stehen. Es ist der Rand der Gesellschaft, den Jesus in die Mitte rückt. Und er selbst lässt sich an diesen Rand drängen, aus der Gemeinschaft, aus seiner Kirche ausschließen und beschimpfen und am Ende ans Kreuz nageln. Dieses Kreuz am Rande der Stadt wird zur Mitte der Kirche. Und damit ist eigentlich der Rand der Gesellschaft zur Mitte der Kirche geworden. Aber leben wir das wirklich? Ist der Rand der Gesellschaft wirklich die Mitte unseres kirchlichen Gemeindelebens? Sind nicht vielmehr das Geld, das Fortkommen, die Gesundheit, die Mobilität, unsere Idole und wir selbst das, worum sich in unserem Leben alles dreht? Kann man, wenn man das heutige Evangelium ernst nimmt, überhaupt noch Christ sein? Leben wir nicht auch auf Kosten der Armen, der Hungernden? Kommen wir noch weg von all den Dingen, die uns so heilig sind? Ich fürchte nicht. Und aus eigenem Vermögen können wir es auch gar nicht. Dafür ist unsere Angst auch viel zu groß, ungesichert zu sein und zu wenig vom Leben abzukriegen. Irgendwie ist das unser Dilemma: wir möchten gerne Christen sein – und doch können wir es nicht richtig.

Vielleicht können wir unseres Evangeliums etwas froher werden, wenn wir noch einmal den Text genau anschauen. Da werden Menschen selig gepriesen, die arm, hungrig, trauernd sind und verfolgt, beschimpft, gemobbt werden. Ist das nicht ziemlich unverschämt? Da werden Menschen, für die wir eher Mitleid empfinden sollten, glücklich geheißen. Hört sich ja geradezu zynisch an: Glücklich seid ihr Behinderten, ihr Bettler auf der Straße, ihr Abgehängten, ihr Migranten in der Abschiebehaft. Freut euch und jubelt! Kann das gemeint sein? Wollte Jesus sich über diese Menschen lustig machen? Wie hören sich die Seligpreisungen in deren Ohren eigentlich an?

Nun, Jesus sagt aber gar nicht, sie sollten sich über ihre Not freuen, oder über ihren Hunger. Jesus sagt auch nicht, das Glück liege im Weinen und im Gehasstwerden von anderen. Vielmehr spricht er von der Zukunft: ihr werdet satt werden; ihr werdet lachen. Er schenkt ihnen eine Glaubensperspektive. Sie können all das Unerträgliche annehmen, ertragen, wenn sie diese Glaubensperspektive haben und in ihrer Armut und ihrem Unglück nicht ihre letzte Gewissheit sehen. Es ist diese Perspektive, die sie am Leben nicht verzweifeln lässt und im tiefsten ihr Glück ausmacht. Jesus erkennt offenbar, dass diese Armen und Trauernden nur deshalb an ihrem Schicksal nicht zerbrechen, weil sie Glauben haben. Und bei selbstzufriedenen Reichen und Satten erkennt er offenbar, dass ihr Unglaube und ihre Angst sie daran hindert, menschlich zu sein und ihren Überfluss zu teilen. Sie haben keine Glaubensperspektive, die ihre Angst um sich selbst entmachtet. Das ist aber eine Perspektive, die kein Mensch sich selbst geben kann. Denn an der Welt ist tatsächlich nirgendwo abzulesen oder in Erfahrung zu bringen, dass unsere Freude im Himmelreich groß sein wird, dass Gott uns mit Liebe zugewandt ist. Die Welt bietet eben keinen Grund, um im letzten glücklich und rundum selig zu sein. Eben auch Reichtum nicht, auch Gesundheit nicht, auch Spaß nicht. Denn wer darauf setzt, setzt auf Vergängliches und lebt in Angst, das zu verlieren, worauf er setzt. Die Götter unseres Lebens sind eben nicht verlässlich. Sie betrügen, weil sie etwas versprechen, das sie erwiesenermaßen nicht halten können. Solche Götter muss man erst haben, um sich dann auf sie zu verlassen. Und eben deshalb sind sie nicht verlässlich. Sie sind ein Stück Welt. Die Welt ist nicht mit dem „Himmel“ zu verwechseln. Wer das macht, betrügt sich selbst. Ist – mit anderen Worten - ganz schön blöd.

Tatsächlich lautet das neue Dogma oder eine weitverbreitete Grundüberzeugung so: Das Heil liegt im Diesseits. Und es gehört denen, die es sich leisten können. Der erste Teil dieses Dogmas, dass das Heil im Diesseits liegt, ist eigentlich eine Grundüberzeugung der Neuzeit. Der Mensch der Bibel wusste, dass das Heil in diesem Leben nicht zu verwirklichen ist. Wenn, dann kann nur Gott das Heil des Menschen sein. Aber seit Gott tot ist, muss der Mensch das Heil in diesem Leben realisieren. Die Perspektive der Ewigkeit ist uns abhanden gekommen. Wir müssen alles Glück, alles Heil, aus der Welt und aus unseren Möglichkeiten ziehen. Zugleich leben viele von uns – ich will mich gar nicht ausnehmen - aus der Heidenangst, zu wenig vom Leben abzukriegen, zu kurz zu kommen, das Glück zu verpassen.

Der zweite Teil: Das Heil gehört denen, die es sich leisten können ist dann die postmoderne marktorientierte Version: Das Heil kann gekauft werden: Gesundheit, Fitness, Reisen, Erlebnisse, Liebe, Sex. Aber nur wer Geld hat, kann mithalten, kann es sich leisten. Extra mercatum nulla salus! D. h., man kann dieses Heil nur verwirklichen auf Kosten anderer, die dann eben im Unheil bleiben, weil sie auf dem Markt keine Chance haben, nicht konkurrenzfähig sind. Aber damit gesteht man schon ein: dieses Heil ist begrenzt, also nicht unbegrenzt. Himmel und Hölle sind dann bereits Realitäten dieser Welt: die einen sind happy und die anderen unglücklich. Es gibt Sieger und Verlierer.

Jesus stellt sich auf die Seite der Verlierer. Und er stellt alle in die Entscheidung. Seinen Gott kann man nicht erst haben, um sich dann auf ihn zu verlassen. Sondern die einzige Weise, ihn zu haben, ist, sich auf ihn zu verlassen. Dazu lädt Jesus mit seiner Botschaft ein. Er will uns teilhaben lassen an diesem seinen Gott und uns mit hineinnehmen in sein Verhältnis zu Gott. Glauben bedeutet, Anteil haben an Jesu Gottesverhältnis, also an Jesu Gemeinschaft mit Gott. Wer diese Gemeinschaft mit Gott mit Jesus teilt, gewinnt diese österliche Perspektive der Ewigkeit, von der auch Paulus in der 2. Lesung gesprochen hat. Es ist der Mensch, von dem auch Jeremia in der 1. Lesung sprach: „Gesegnet der Mensch, dessen Hoffnung der Herr ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist. … Seine Blätter bleiben grün auch wenn Hitze kommt“. Denn er speist sich aus dieser Perspektive des Glaubens, die über alles das hinausgeht, was wir von uns wünschen und verwirklichen könnten.

Wer diese Perspektive hat, wer sich für den Gott Jesu entscheidet, der ist wahrhaft selig zu preisen. Er kann sich an allem erfreuen, auch an den Gütern und Freuden dieser Welt, an seiner Gesundheit, an seinen Mitmenschen – und braucht doch nicht zu verzweifeln, wenn er diese Dinge verliert. Denn das letzte Glück liegt nicht in ihnen, sondern in der Gemeinschaft mit Gott. Glücklich der Mensch, der alles das loslassen kann, ohne für immer zu sterben.

Unser Heil, liebe Gemeinde, liegt eben nicht im Diesseits. Es liegt aber auch nicht in irgendeinem religiösen Jenseits, das wir uns als Fortsetzung dieses Lebens vorstellen könnten. Damit bliebe es nämlich immer noch ein Stück Welt. Unser Heil liegt allein in unserer Gemeinschaft mit Gott, die keine andere als Jesu Gemeinschaft mit Gott ist. Dieses Heil ist so unbegreiflich wie Gott selbst. Wir haben keine Begriffe dafür. Aber Gemeinschaft mit Gott haben und die österliche Perspektive sind ein und dasselbe. In Jesu Wort und in der Eucharistie, die wir jetzt feiern, schenkt sich uns der gekreuzigte und auferstandene Herr. Er will in uns sein, damit Gott in uns seinen Sohn wiedererkennt und liebt.

Selig sind die, die sich so von Gott angeschaut wissen. Sie haben nichts mehr zu verlieren.

 

 

Predigt am 27. Sonntag im Jahreskreis (7.10.2018)

Gen 2,18-24; Hebr 2,9-11; Mk 10,2-16

Gehalten in München Hl. Geist

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt.“

Liebe Schwestern und Brüder, dieses Bibelwort aus der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags dürfte wohl allseits Zustimmung finden. Es entspricht einer unserer ganz grundlegenden Erfahrungen. Der Mensch kann nicht ohne den Menschen leben. Nur in Beziehungen, im Ja zueinander, im Mit- und Füreinander kann der Mensch wahrhaft Mensch sein.

Dabei kommt einer dieser Beziehungen in der Bibel eine Sonderstellung zu: der Beziehung von Mann und Frau: diese werden „ein Fleisch“. Eben hier sieht die Schrift nicht nur die individuelle Verwirklichung der beiden Partner, sondern auch die Zukunft der Menschheit. Mann und Frau sind vor Gott gleichwertig und in ihrer Verschiedenheit füreinander geschaffen. Nur zusammen können sie neues Leben schenken und wachsen lassen. Keine andere zwischenmenschliche Beziehung hat diese Bestimmung der fruchtbaren Weitergabe des Lebens. Sie ist einzigartig. Und sie entspricht deshalb der Schöpfungsordnung. Ja noch mehr: Die Menschheit besteht aus Frauen und Männern. Der Geschlechterkampf, wie er in der Geschichte immer wieder aufgebrochen ist, zeigt, dass wir uns schwer tun, die rechte Beziehung zwischen Mann und Frau zu definieren und zu leben. Doch schon auf ihren ersten Seiten zeigt uns die Bibel, dass Gott die Einheit des Menschengeschlechtes will und nicht seine Spaltung. Das Zueinander von Mann und Frau, ihr Ein-Fleisch-Werden, bedeutet doch ganz offensichtlich, dass hier mehr gemeint ist als nur individuelle Selbstverwirklichung und gegenseitige Beglückung. Es geht vielmehr um die Einheit und Versöhntheit des Menschengeschlechts, das in diesem Ein-Fleisch-Werden anschaulich gelebt wird. Es geht um Liebe, die den anderen in seinem Anderssein und nicht bloß in seinem Wie-ich-Sein annimmt. Zwar ist die Frau „Fleisch von meinem Fleisch“, was die Gleichwertigkeit zum Ausdruck bringt. Und doch wird sie anders bezeichnet als der Mann: „Frau soll sie heißen“. Weil sie in ihrem Wesen anders ist als der Mann. Nur dem Zusammenkommen dieser Andersheiten, ihrer gegenseitigen Annahme und Liebe, ist auch Zukunft verheißen

Diese Gedanken sind heute keineswegs mehr selbstverständlich, zum Teil in dieser Zeit des schwachen Denkens nur sehr schwer vermittelbar. Zum einen erleben wir eine hohe Scheidungsrate und eine wachsende Anzahl von Scheidungswaisen. Diese sind nicht selten Opfer ihrer Eltern und deren Selbstverwirklichungsbedürfnis. Zum anderen will man uns einreden, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der Ehe austauschbar und ihr gleichwertig seien. Sicher, auch homosexuelle Menschen haben den gleichen Wunsch nach Geborgenheit und Liebe und sehnen sich nach Partnerschaft wie alle anderen Menschen auch. Doch – bei allem Respekt vor ernstgemeinten homosexuellen Partnerschaften – man sollte sie nicht „Ehe“nennen. Nur willkürlich hat der Staat den Begriff „Ehe“ umdefiniert. Die Ehe von Mann und Frau aber ist einzigartig unter allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn nur die Liebesbeziehung von Frau und Mann verbürgt die Zukunft des Menschengeschlechts und dessen Einheit. Und auch Mann und Frau sind nicht austauschbar, wie es uns unsere Wirtschaft und die unsägliche Gender-Ideologie seit langem einredet, sondern zutiefst verschieden. Sie sind komplementär. Sie ergänzen einander und schaffen so und nur so eine neue Generation. Die Gesellschaft und der Staat sind für ihren Fortbestand auf die Ehe geradezu angewiesen. Auch stellen Mann und Frau in ihrem Aufeinanderbezogensein eine anthropologische Ganzheit dar. Jedes Ehepaar steht für die Einheit der ganzen Menschheit aus Frauen und Männern.

Auch Jesus stellt sich im Evangelium in diese Tradition. Ja, er radikalisiert dieses Verständnis, indem er die Ehescheidung ablehnt und sie als Ehebruch qualifiziert. Zweifellos eine der schwersten Sünden gegen die Zehn Gebote. Dass die Kirche bis heute an der Unauflöslichkeit der Ehe festgehalten hat, wird von vielen als hart und als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Oft wird unser christliches  Eheverständnis auch lächerlich gemacht. Viele sehen darin eine Überforderung der Ehepartner. Anderen leuchtet nicht mehr ein, warum man sich für immer an einen Partner binden soll. Aber der christliche Glaube ist nie zeitgemäß, sondern einfach human. Für alle Zeiten stellt er eine Zumutung dar.

Die Menschheit hat Jahrtausende gebraucht, um die menschenwürdigste Form der partnerschaftlichen Beziehung herauszufinden. Sie hat vermutlich mühsam lernen müssen, dass man nur in der Geborgenheit einer lebenslangen Bindung und verlässlichen Treue einander ganz anvertrauen kann. Dass man auch - es klingt paradox, ist es aber nicht - allein in der Bindung frei wird. Nur indem Mann und Frau einander Wohnung geben, und zwar mit umfassendem Kündigungsschutz, können sie auch das volle Glück einer Liebesbeziehung finden und zudem neues Leben in Geborgenheit heranwachsen lassen. So werden Mann und Frau in der Ehe zu Hütern der menschlichen Zukunft.

Haben wir in unserer Gesellschaft vielleicht diesen langen und mühsamen Lernprozess der Menschheit vergessen? Offenbar begeben wir uns auf Irrwege, deren fatale Folgen für das Menschenbild, für die Menschlichkeit und für das gesellschaftliche Zusammenleben wir noch gar nicht absehen.

Weil die Ehe eine einzigartige Beziehung ist, ist sie für uns Christen ein Sakrament, ein heiliges Zeichen. Denn sie stellt dar, was unsere Gemeinschaft mit Gott ist: Gott verbindet Mann und Frau in Liebe miteinander und lässt sie fruchtbar sein für die Zukunft. Doch diese Verbindung gründet darin, dass wir mit Gott verbunden sind, wie in einer Ehe: „neuer und ewiger Bund“. Im Alten Testament wird das Verhältnis zwischen Gott und Israel oft im Bild der Ehe veranschaulicht. Im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern wird die Kirche als Braut Christi gesehen. Weil die Ehe diese unsere Gemeinschaft mit Gott abbildet, deshalb ist sie ein Sakrament. Die Eheleute bejahen einander mit derselben Liebe, mit der sie sich selbst und einander von Gott geliebt wissen. So wie ein Spiegel die Strahlen der Sonne reflektiert, so soll die Ehe die Liebe Gottes reflektieren und Kindern in dieser Liebe Geborgenheit schenken.

Die Unauflöslichkeit der Ehe gründet im Eheversprechen, das Mann und Frau sich geben. Dieses Versprechen umfasst auch die Zustimmung dazu, es nicht selber zurücknehmen und es auch nicht einvernehmlich zurückgeben zu können. Es ist als ob sie sich sagten: Ich will in alle Zukunft nur so glücklich sein, dass ich will, dass du es auch bist.

Das Leben in der Ehe ist sicher oft kein leichter Weg. Die vielen gescheiterten Ehen zeigen das. Man muss die Fähigkeit bewahren, einander immer wieder überraschende Freude zu bereiten und füreinander aufmerksam zu sein. Man muss auch immer wieder die Bereitschaft zur Versöhnung haben. Aber gerade in der Treue, in der Vergebung  und im Durchhalten von Krisen und Meinungsverschiedenheiten zeigt sich die Liebe.

Nun aber zeigt sich, dass viele Ehen trotzdem scheitern. Wie soll die Kirche damit umgehen? Könnte es nicht auch sein, dass eine Ehe endgültig tot ist, weil sie Gottes Liebe überhaupt nicht mehr widerspiegelt und somit nur noch schwerlich Sakrament genannt werden kann? Wenn das eucharistische Brot im Tabernakel verschimmelt und nicht mehr essbar ist, dann ist es kein Sakrament mehr. Könnte solches nicht auch von der Ehe gelten, so dass der Bischof eine solche Ehe für tot erklären könnte? In dieser Richtung könnte vielleicht eine Antwort auf das Problem der gescheiterten Ehen liegen.

Die Bibel sagt, dass die Eheleute ein Fleisch werden. Tatsächlich gehen alle unsere Beziehungen über das Fleisch. Der Mensch ist Fleisch, er ist Leib. Der Leib ist nicht nur ein Zusatz zur Seele. Nur in seinem Leib und als Leib kommt der Mensch zur Erscheinung, stellt er sich dar, wird er gegenwärtig. Der Leib spiegelt seine einmalige Geschichte wider. Sorge um den Menschen ist zuallererst Sorge um den Leib: dem Hunger, dem Durst, dem Schmerz, dem Frieren abhelfen. Ebenso geht alle Kommunikation über den Leib: Augen, Mund, Ohren, Hände.

Das gilt erst recht für die Liebe: Wenn ein junger Mann und eine junge Frau ineinander verliebt sind, sich gegenseitig begehrenswert und liebenswert finden und das Vertrauen zwischen ihnen wächst, dann sucht sich ihre Liebe einen leiblichen Ausdruck. Früher oder später gibt der eine dem anderen zu verstehen, ob nun mit Worten oder anders: „Schenk mir Deinen Leib!“ Wenn die Liebe erwidert wird, wird der andere sagen: „Nimm meinen Leib!“.

Nanu, das sind doch die Worte, die wir in jeder Eucharistiefeier hören: „Nehmt, das ist mein Leib“. In der hl. Messe geschieht eben das, was in jedem Brautgemach geschieht: Braut und Bräutigam schenken einander ihren Leib – und damit sich selbst. Christus und die Kirche schließen einen neuen und ewigen Bund, wie eine Ehe. Wir sehen: Auch die Liebe Gottes ist nicht platonisch. Die Eucharistie macht den Eros Gottes offenbar, den „neuen und ewigen Bund“, seine unverbrüchliche Liebe zur Menschheit bis zum Tod am Kreuz, zur Hingabe des Leibes im Feuer des Heiligen Geistes: „Jesus, ihn sehen wir um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“, so die 2. Lesung. Die Kirche lebt von der Hingabe seines Leibes. In jeder hl. Messe feiert Christus Hochzeit mit uns, seiner Kirche, und wird mit uns „ein Fleisch“.

Die Ehe stellt so dieses Mysterium dar als sichtbares Zeichen dieser gegenseitigen und fruchtbaren Hingabe. Es ist das innigste Ineinander von Personen.

In der Eucharistie, die wir jetzt feiern, wird dieses Geheimnis für uns alle zur Quelle unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unserer Liebe.

 

 

 

 

 

9. Sonntag 2018

Dtn 5,12-15; 2 Kor 4,6-11; Mk 2,23-28

Gehalten in München Heilig Geist

 

„Sechs Tage magst du schaffen und jede Arbeit tun.

Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn deinem Gott geweiht.“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

dem alttestamentlichen Judentum verdanken wir die Sieben-Tage-Woche. Der Sabbat, also der Samstag, wurde zum Ruhetag erklärt. Die Juden sehen darin ein großes Geschenk Gottes an sein Volk: ein Tag der Ruhe, ein Tag zum Verschnaufen, zum Aufatmen, zum Feiern. Ein Tag, der ganz Gott gehört und genau deshalb ganz uns gehört. Und das nicht nur für die Freien, sondern auch „dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du.“ Ja, noch mehr, „auch dein Rind und dein Esel und dein ganzes Vieh.“ Also die Produktionsmittel, die ganze Wirtschaft, das ganze System von Arbeit, Produktion, Kaufen und Verkaufen sollte ruhen.

Nur die Juden genossen im Altertum diesen freien Tag. In allen anderen Völkern wurde die Arbeit nie unterbrochen. Sie war endlos. Es gab keine Unterbrechung. So als wäre der Mensch ein reines Arbeitstier.

Nur die jüdische Bibel hat verstanden: Der Mensch ist eigentlich gar nicht dafür gemacht, ohne Unterlass zu arbeiten. Der Mensch ist für Gott gemacht. Das Sabbatgebot erinnert uns daran: Der Mensch ist nicht für pausenloses Arbeiten und Produzieren gemacht, sondern um bei Gott anzukommen. Jeder Sabbat im Jahreskreis lässt den Menschen schon mal bei Gott ankommen, lässt das Ziel unseres Lebens sichtbar und erfahrbar werden: Nur wenn der Mensch bei Gott ankommt, kommt er auch zu sich, findet er auch sich selbst.

Der Sabbat ist so zu einem Identitätsmerkmal der Juden geworden. Bis heute pflegen sie diesen Tag, ja, auch unter schwierigsten Bedingungen, selbst in den Konzentrationslagern haben sie – soweit es möglich war – den Sabbat zu halten versucht. Wer schon einmal in Israel war, hat es erlebt: Am Sabbat ruht das ganze Wirtschaftsleben, selbst Busse und Bahnen fahren nicht. Alles steht still.

Wir Christen feiern den Sabbat nicht mehr. Zwar haben auch wir die Sieben-Tage-Woche übernommen, aber unser Feiertag ist der Tag nach dem Sabbat, also der erste Tag der Woche, weil er der Tag der Auferstehung Christi ist. Deshalb ist der Sonntag auch kein Wochenende, sondern Wochenanfang. Dass vor einigen Jahrzehnten die weltlichen Kalender umgestellt wurden und der Sonntag auf den letzten Tag rutschte, ist respektlos sowohl gegenüber dem Judentum wie gegenüber uns Christen, die wir die Woche mit dem Sonntag beginnen. Ich wünsche auch nie ein schönes Wochenende, sondern immer „Gesegneten Sonntag!“ Der Sonntag ist der Ostertag der Woche. So wird deutlich, dass nicht die Arbeit zuerst kommt, sondern die Gnade, die Freiheit und das Leben. Jeder Sonntag ist ein Neubeginn. Und die Woche beginnt mit einem arbeitsfreien Tag. Dieses Bewusstsein ist vielen heute leider abhanden gekommen. Der Mensch ist eben nicht Produkt seiner Leistung und seiner Arbeit, sondern zuerst ein Kind Gottes bestimmt zum ewigen Leben. In diesem Bewusstsein sollen wir unsere Arbeit tun.

Zur Zeit Jesu – so zeigt es das heutige Evangelium – wurde das Sabbatgebot in einer unglaublich legalistischen Weise ausgelegt. Bis in alle Einzelheiten war festgelegt, was man am Sabbat tun durfte und was man nicht tun durfte. So war genau festgelegt, wie viele Schritte man am Sabbat gehen durfte. Selbst das harmlose Ährenraufen war verboten, wenn man an einem Kornfeld vorbeiging, weil es als Erntearbeit interpretiert wurde. Und Erntearbeit war am Sabbat streng untersagt. Die Pharisäer wachten mit Adleraugen darüber, gewissermaßen wie eine Religionspolizei. Und so wurde das Sabbatgebot in sein Gegenteil verkehrt: anstatt ein Geschenk Gottes wurde es zu einer Last. Anstatt Menschen zu befreien, engte es sie ein. Man hatte Angst, durch eine Kleinigkeit das Gesetz zu brechen und sich vor Gott schlecht fühlen zu müssen. Religion kann auch einschüchtern und den Menschen die Freiheit und die Freude am Glauben nehmen.

Jesus aber, der ein gläubiger Jude war, ließ sich diese Freiheit nicht nehmen. Seine Absicht war es nicht, Gesetze zu brechen, die für den Zusammenhalt der Gemeinschaft wichtig sind. Er zeigte vielmehr, dass es nicht nur um den Buchstaben geht, sondern um den Geist des Gesetzes. Stellen Sie sich vor, sie sehen am Ufer eines Sees, wie ein Kind dort hineinfällt, das nicht schwimmen kann. Sie möchten ins Wasser springen, um das Kind zu retten. Am Ufer steht aber eine große Tafel; darauf steht „Baden streng verboten!“ Wie verhalten Sie sich? Das eine ist der Buchstabe, das andere der Geist der Menschlichkeit.

So konnte Jesus sagen: „Der Sabbat ist für den Menschen da, und nicht der Mensch für den Sabbat.“ Religion soll also dem Menschen dienen und ihm in der Mühsal des Lebens eine Hilfe sein. Und so erklärte Jesus sich auch zum Herrn über den Sabbat und damit über die Religion.

Wir Christen feiern nicht mehr den Sabbat, sondern den Sonntag. Die Kirche hat nicht so stark reglementiert, was man am Sonntag darf oder nicht darf. Man sollte allerdings arbeitsfrei bleiben. Es ist auch schön, wenn er sich vom Alltag unterscheidet: in Kleidung, im Essen, im familiären Zusammensein. Das gehört zu einer Sonntagskultur. Selbstverständlich sind Berufe im Gesundheitswesen und manche andere davon ausgenommen. Aber grundsätzlich soll die Arbeit unterbrochen werden, das ganze Wirtschaftssystem, dieses große Räderwerk, einfach stillstehen. Denn der Mensch ist nicht dazu gemacht, in diesem System aufzugehen, atemlos zu arbeiten, ein namenloses Rädchen daran zu sein. Natürlich, aus Sicht der Wirtschaft wäre es wünschenswert, wenn die Geschäfte auch am Sonntag offen wären und das Kaufen und Verkaufen nie unterbrochen wird. Sollen wir wirklich ständig „auf dem Markt sein“, den Gesetzen des Marktes unterworfen? Soll die glitzernde Welt des Konsums unser weitester Sinnhorizont werden? Unser christliches Menschenbild sträubt sich dagegen. Denn die Bestimmung des Menschen ist eine andere. Er soll nicht im Alltag aufgehen, sondern in seiner Freundschaft mit Gott. Gott soll unser Gott sein und nicht Arbeit, Leistung, Waren, Geld unsere Götzen. Nur Gott verbürgt, dass wir in diesen Dingen nicht aufgehen und unser Leben ein Götzendienst wird. Und dazu braucht es Unterbrechung. Ja, „Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion“ – so sagt es der renommierte Theologe Johann Baptist Metz. Denn Gott kommt dazwischen. Und wir Christen lassen Gott heilsam dazwischen kommen, das ganze System unterbrechen. Der Sonntag ist das Dazwischenkommen Gottes in unser Leben.

Dazu hat die Kirche das Sonntagsgebot erlassen. Es fordert alle Christen auf, am Sonntag auch am Gottesdienst teilzunehmen. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch, dass das in unserer Kindheit und Jugend auch oft als Zwang empfunden wurde, wenn es hieß, man muss zur Kirche gehen. Der Sinn dieses Gebots wurde von vielen nicht verstanden und als lästige Pflicht empfunden. Welcher Sinn steckt hinter diesem Gebot, das auch heute noch gilt?

Zum einen: man kann auch geistlich aushungern. Der Glaube braucht Nahrung und Stärkung genau wie das leibliche Leben. Wenn wir Gebet und Gottesdienst vernachlässigen, dann läuft unser Glaube Gefahr, zu verdunsten. Dass Gott bei uns ist, müssen wir uns immer wieder sagen lassen. Man muss im Wort Gottes zuhause sein, damit der Glaube lebendig bleibt. Wir müssen die Sakramente feiern, damit unsere Lebensgemeinschaft mit Christus lebendig bleibt und auch unseren Alltag prägt. Es ist wie mit einer Freundschaft. Wenn man sie nicht pflegt, dann verflacht sie und verkommt schließlich.  

Das ist das eine.

Aber es gibt noch einen zweiten, sehr wichtigen Grund für das Sonntagsgebot. Es erinnert uns daran, dass der Glaube keine Privatsache ist, sondern vom Hören kommt, also aus zwischenmenschlicher Kommunikation. Man kann den Glauben nur mit anderen zusammen haben und leben. Und da sind wir alle füreinander verantwortlich, einander im Glauben zu bestärken und nicht zu schwächen. Jeder und jede, der oder die im Gottesdienst dabei ist, mitfeiert, mitbetet und singt bestärkt – ob bewusst oder unbewusst – die anderen im Glauben. Wir gehen ja nicht in die Kirche wie ins Kino, wo es egal ist wer außer mir auch noch da ist. In der Kirche sind wir eine Gemeinschaft von Glaubenden und nicht einander gleichgültig. Jeder Anwesende bestärkt die anderen im Glauben, aber jede Bank, die leer bleibt, schwächt die anderen im Glauben. Das Sonntagsgebot spricht uns also auf unsere Verantwortung füreinander an. Dies ist vermutlich der tiefe Sinn des Sonntagsgebots.

Und schließlich und endlich: Es ist Christus, der Auferstandene, der uns ruft und einlädt. Er möchte am Tag der Auferstehung mit uns zusammen feiern, uns durch sein Wort im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe stärken, damit wir den Alltag in seinem Sinn und in seinem Geist gestalten. Dazu schenkt er uns seinen Leib und damit sein Leben.

 

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14. Sonntag 2017

München, Heilig Geist

Liebe Schwestern und Brüder,

Holterdiepolter wurde in Deutschland nach ganzen 38 Minuten Debatte im Bundestag die Homoehe gesetzlich eingeführt.  Für bestimmte Kreise gab es Grund zu überschwänglichem Jubeln und zum Feiern. Und wenn man die Berichterstattung und die Kommentare im Fernsehen gesehen hat, dann bekommt man den Eindruck: Alle sollen sich gefälligst freuen. Ich habe mich nicht gefreut. Wer sich nicht darüber freut – bei dem stimmt was nicht, der ist von gestern. So funktioniert Meinungsmache. Kritische Argumente wurden nicht mehr gehört oder einfach belächelt.

Wir sollten keine Angst davor haben.

Vielmehr sollten wir uns klar machen, was das für uns Christen und für christliches Eheverständnis bedeutet, dass wir in einer mehr oder weniger entchristlichten Gesellschaft leben, die auch die Ehe völlig anders versteht, nämlich als bloße Übernahme von gegenseitiger Verantwortung zweier Menschen beliebigen Geschlechts füreinander. Oder, wie die deutschen Bischöfe beklagen: Christliches und staatliches Eheverständnis klaffen immer mehr auseinander.

Wir sind damit aufgerufen, uns unser christliches Eheverständnis neu bewusst zu machen und unser Profil zu schärfen. Schließlich berührt das Thema auch die Lehre von den Sakramenten. Denn die Ehe von Mann und Frau ist für uns ein heiliges Sakrament, ein Spiegel der Liebe Gottes.

Wenn wir uns kritisch mit der sog. „Ehe für alle“ auseinandersetzen, dann ist damit keine Diskriminierung von homosexuellen Menschen gemeint. Davor sollte man sich hüten. Man kann durchaus verstehen und nachvollziehen, dass auch homosexuelle Menschen den Wunsch und die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit bei einem geliebten Menschen haben. Das gehört nun mal zum Humanum. Und homosexuelle Partnerschaften können deshalb auch von uns Christen respektiert werden. Worum es allein geht, ist der Begriff „Ehe“. Das ist nicht nur eine Bezeichnung, sondern meint eine für die Menschheit höchst bedeutsame Wirklichkeit, die nun umdefiniert und ausgehöhlt wird.

Sind homosexuelle Partnerschaften „Ehe“ wie es sie seit Menschengedenken gibt und vor allem wie die Bibel und wie die Kirche sie versteht? Hat der Staat überhaupt ein Recht dazu, ein so über Jahrtausende gewachsenes Kulturinstitut einfach umzudefinieren?

Tatsächlich ist die Ehe von Mann und Frau unter allen zwischenmenschlichen Beziehungen (Verwandtschaft, Freundschaft, Wohngemeinschaft, Geschäftspartner usw.) einzigartig. Keine andere Beziehung kann mit ihr verglichen werden. Denn allein die Ehe (bzw. die stabile heterosexuelle Lebensgemeinschaft) hat es nicht nur mit der Gegenwart und mit gegenwärtiger individueller gegenseitiger Beglückung zu tun, sondern mit der Zukunft. Denn nur die Gemeinschaft von Mann und Frau gibt menschliches Leben weiter und bringt eine neue Generation hervor. Aus Ich und Du wird ein Wir. Damit verbürgt sie die Zukunft. Deshalb kommt der Beziehung von Mann und Frau in der Bibel auch eine Sonderstellung zu. Mann und Frau werden „ein Fleisch“ (Gen 2,24). Eben hier sieht die Schrift nicht nur die individuelle Verwirklichung der beiden Partner, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der Menschheit. Mann und Frau sind danach vor Gott gleichwertig und in ihrer Verschiedenheit (vgl. Gen 1,27) füreinander geschaffen, um neues Leben zu schenken, zu hüten und wachsen zu lassen. Keine andere zwischenmenschliche Beziehung hat diese Berufung zur fruchtbaren Weitergabe des Lebens und vermag diese Aufgabe für die Gesellschaft zu erfüllen. Sie ist deshalb einzigartig. Und sie entspricht in christlicher Sicht aus diesem Grunde der Schöpfungsordnung.

Nur deshalb auch stehen Ehe und Familie verfassungsmäßig unter dem besonderen Schutz des Staates (vgl. Art 6 Abs 1 GG). Denn der Staat muss Interesse an seiner Zukunft haben und nicht an der Förderung steriler Lebensgemeinschaften, so sehr ihm auch das individuelle Glück seiner Bürger am Herzen liegen mag. Mag es auch eine gewisse Anzahl unfruchtbar bleibender Ehen geben, so ist dennoch die homosexuelle Partnerschaft prinzipiell und a priori steril. Sie kann per definitionem kein neues Leben hervorbringen. Deshalb ist sie in einem ganz wesentlichen Punkt der Ehe ungleich und kann mit ihr mitnichten gleichgestellt werden.

Mit der Homo-„Ehe“ aber wird der Ehebegriff vergleichgültigt. Aus christlicher Sicht ist es so, als würde man auf eine Flasche Traubensaft ein Weinetikett kleben und den Traubensaft als Wein verkaufen. So kann man natürlich das Etikett „Ehe“ auf jedwede zwischenmenschliche Beziehung kleben. Aber wo Ehe draufsteht, muss auch Ehe drin sein.

Es gibt noch weitere Gründe, warum wir die „Ehe für alle“ kritisch betrachten sollten. Jede Ehe steht für die ganze Menschheit, die aus Frauen und Männern besteht. Indem Mann und Frau einander vorbehaltlos annehmen, geschieht stellvertretend die Überwindung und Versöhnung des Geschlechterkampfes. Die Ehe von Mann und Frau steht also für die von Gott gewollte Einheit des ganzen Menschengeschlechts. Sie ist eine runde Sache. In ihr zeigt sich Gottes Wille, das Verschiedenartige, das Andersartige anzunehmen. Denn Mann und Frau, Vater und Mutter sind sehr verschiedene Weisen, Mensch zu sein und das Menschsein zu verwirklichen.

Mit der Homoehe aber ist im Prinzip bereits auch die Monogamie, die Einehe, aufgegeben. Denn Frau und Mann sind so etwas wie ein in sich abgerundetes Paar, eine gewisse anthropologische Ganzheit oder Vollkommenheit. Man kann deshalb auch die Unteilbarkeit der gegenseitigen Liebe begründen. Eine Mann/Mann- oder Frau/Frau-Beziehung kann dagegen prinzipiell offen sein auch für eine Dreier- oder Mehrfachbeziehung. Es wird auf Dauer nur schwer zu begründen sein, warum nur zwei Männer oder nur zwei Frauen miteinander eine „Ehe“ eingehen können, wenn nur die gegenseitige Übernahme von Verantwortung das Kriterium für die Eheschließung ist.

Auch muss man sich darauf vorbereiten, dass bald neue Rechtsansprüche angemeldet werden. Es gibt ja z. B. auch bisexuelle Menschen. Warum sollte ein Bisexueller nicht fordern dürfen, sowohl einen Mann als auch eine Frau heiraten zu dürfen? Er fühlte sich sonst in seinem Recht beschnitten.

Als Christen, liebe Schwestern und Brüder, sollten wir uns beim Thema „Ehe“ an das Menschenbild der Bibel halten. Schon auf ihren ersten Seiten sagt die Bibel, dass Gott die Einheit des Menschengeschlechtes will und weder seine Spaltung noch seine Vergleichgültigung (vgl. Gen 1,27f; 2,22-25). Das Zueinander von Mann und Frau, ihr Ein-Fleisch-Werden und ihre Fruchtbarkeit bedeutet doch ganz offensichtlich, dass hier mehr gemeint ist als nur individuelle Verwirklichung. Es geht vielmehr um die Einheit des Menschengeschlechts, das in diesem Ein-Fleisch-Werden unvermischt und ungetrennt gelebt wird. Es geht um Liebe, die den anderen in seinem grundsätzlichen Anderssein und nicht bloß in seinem Wie-ich-Sein annimmt. Zwar ist die Frau, wie Adam sagt, „Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23), was ihre Gleichwertigkeit mit dem Mann zum Ausdruck bringt. Und doch wird sie anders bezeichnet als der Mann: „Frau soll sie heißen“. Weil sie anders ist. Sie wird offenbar als das dem Mann entsprechende menschliche Gegenüber gesehen und umgekehrt. Und allein dem Zusammenkommen dieser Andersheiten, ihrer gegenseitigen Annahme und Liebe, ist auch Zukunft verheißen, und zwar nicht nur für die Ehepartner individuell, sondern auch für die aus ihnen entlassenen Kinder und somit für die Zukunft der Menschheit. Die Ehe steht somit repräsentativ für die Einheit und Versöhntheit des Menschengeschlechts in seiner Verschiedenheit. Der Mann bedarf zu seinem, aber nicht nur zu seinem Glück der Frau und die Frau des Mannes. Und nur so werden sie zum Segen auch für die Zukunft der Menschheit.

Das Neue Testament hat dieses Zusammensein von Mann und Frau zum Sakrament erhoben (vgl. Eph 5,31f.). Für uns Christen ist es also ein Zeichen für die unverbrüchliche Treue Christi zu seiner Kirche, die seine Braut ist. Wo Mann und Frau einander vorbehaltlos annehmen und in Treue zueinander stehen in guten und in bösen Tagen, da zeigen sie, was wir meinen, wenn wir von der Liebe Gottes sprechen, von unserer Gemeinschaft mit Gott, die alles übersteigt, was wir uns ausdenken können: wir sind hineingenommen in die Liebe des Vaters zum Sohn, nämlich in die Liebe Gottes, die Jesus uns geoffenbart hat.

Christliches Eheverständnis ist also etwas grundsätzlich anderes als das unserer Gesellschaft. Wir sollten unser Profil nicht verlieren, sondern schärfen.

Wir feiern jetzt Eucharistie. Auch das ist eine Hochzeit, nämlich der neue und ewige Bund. Christus und seine Kirche stehen einander gegenüber wie Bräutigam und Braut. Ein besseres Bild haben wir dafür nicht. Und es geschieht, was in jedem Brautgemach geschieht: Der Bräutigam schenkt seiner Braut seinen Leib, damit seine Braut, die Kirche, fruchtbar und guter Hoffnung wird für die Welt.

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Pfingstmontag 2017

München, Heilig Geist

Predigt zu Joh 15,26 – 16,1-3.12-15

 

„Es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten.“

Liebe Schwestern und Brüder,

diese Worte Jesu aus dem 16. Kapitel des Johannesevangeliums haben es in sich: „Es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten.“

Diese Stunde ist gekommen!

Es ist das, was fast täglich geschieht und für Schlagzeilen in den Zeitungen sorgt. Eine grausame Christenverfolgung im Nahen Osten und in vielen anderen Ländern und auch bei uns in Europa. Der sog. Islamische Staat tötet auf grausame Weise unsere Glaubensbrüder und –schwestern in deren Heimatländern, die ursprünglich christliche Stammlande waren. Schon das muss uns als Christen weh tun! Denn durch die Taufe sind wir mit ihnen ein Leib.

Und auch bei uns in Europa sorgt der IS mit Terroranschlägen und vielen Toten für Angst und Schrecken in der Bevölkerung. In Flüchtlingsheimen werden christliche Flüchtlinge von Muslimen nicht selten schikaniert und mit dem Tod bedroht. Wer die Augen aufhält, nimmt eine schleichende Islamisierung unseres Lebens wahr, die Hand in Hand geht mit einer Verächtlichmachung unserer christlichen Kultur. Lehrerinnen in Berlin dürfen in der Schule kein kleines Kreuz mehr an ihrer Halskette tragen. Aufgeklärte intellektuelle Muslime wie Hamed Abdel-Samad müssen bei uns unter ständigem Polizeischutz leben. Viele Menschen sind verunsichert, die Politik scheint hilflos zu sein. Und die Christenverfolgung wird – selbst von den Bischöfen – nur sehr wenig beachtet und thematisiert. Und viele fragen sich: Welcher Zeit gehen wir entgegen? Was wird noch kommen?

Und was dem Ganzen die Krone aufsetzt: Die solches tun, meinen tatsächlich, damit Gott einen heiligen Dienst zu erweisen. „This is for Allah“ – dies ist für Gott!“, riefen die Gewalttäter vorletzte Nacht in London. Die Christenverfolger und die Attentäter tun das nicht aus bloß irdischen Interessen. Sie meinen, damit für Gott etwas Gutes und Ihm Wohlgefälliges zu tun. Die Selbstmordattentäter sprengen sich selbst in die Luft, weil sie davon überzeugt sind, dafür von Gott im Paradies belohnt zu werden. Und von vielen ihrer Glaubensgenossen werden sie als Märtyrer verehrt und gefeiert.

Nur fassungslos kann man vor einer solchen Mentalität stehen. Solche Gewalttäter sind gerade deswegen in ihrem Denken kaum zu verändern. Denn sie meinen, nicht für einen bloß irdischen, vergänglichen, relativen Wert zu kämpfen wie z. B. für das Vaterland, für eine Partei oder für eine politische Befreiung. Sie meinen vielmehr, das alles für einen absoluten Wert zu tun, nämlich für Gott. Sie töten und morden für Gott. Sie legen Bomben für Gott und richten ganze Blutbäder an. Wie pervers das klingt! Wie verblendet!

Auch damit verunsichern sie und schüren sie Angst. Denn man fragt sich: Wer ist denn nun Gott? Und was ist sein Wille? Meinen sie einen anderen Gott als wir? Meinen sie, Gottes Willen besser erkannt zu haben als die Christen? Ist der Koran so ambivalent, so mehrdeutig? So verschieden auslegbar als Botschaft der Barmherzigkeit und als Botschaft des Hasses? Darf sich jeder herauslesen, was er will? In jeder Sure spricht der Koran auch von Gottes Barmherzigkeit. Kann er beides sein – eine Botschaft der Barmherzigkeit für Muslime und eine Botschaft des Hasses für alle anderen? Der Islam kennt ja kein verbindliches Lehramt, das über die rechte Auslegung des heiligen Buches wacht. Aber kann es wirklich Gottes Wort sein, das befiehlt, Andersgläubige zu hassen und zu töten und die Welt mit Gewalt zu islamisieren?

Nun, alle Schriften, auch heilige Schriften sind von Menschen verfasst und nicht vom Himmel gefallen. Sie spiegeln auch die menschliche Ambivalenz ihrer Verfasser wider, die menschliche Zwielichtigkeit, gute und schlechte Motivationen und Absichten, eben Licht und Schatten. Wenn wir wollten, könnten wir auch aus dem Alten Testament solche Stellen finden, in denen Gott angeblich zur Gewalt aufruft, in denen Gott befiehlt, Homosexuelle zu töten und Ehebrecherinnen zu steinigen. Ja, wenn man das Alte Testament liest, z. B. das Buch Josua, dann meint man manchmal, im Islamischen Staat zu sein. So groß ist die Ähnlichkeit! Vieles hat der Koran aus der Bibel Israels übernommen, und der Islamische Staat überträgt es auf unsere Zeit und versucht es 1:1 umzusetzen. In der Meinung, Gott damit einen heiligen Dienst zu tun. Aber wer ist und was will Gott wirklich?

Nun, wie kommt es eigentlich, dass solche alttestamentlichen Stellen für uns Christen heute keinerlei Bedeutung haben? Wir können sie nicht als Wort Gottes verstehen. Denn was wirklich Gottes Wille ist, das hat Jesus uns gezeigt.

Deshalb sagt Jesus im heutigen Evangelium von denen, die durch ihre bösen Taten meinen, Gott einen heiligen Dienst zu tun: „Das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben.“

Beides gehört zusammen: der Vater und Jesus. Wer Jesus nicht erkennt als den Sohn Gottes, der erkennt auch den Vater nicht.  Für den bleibt Gott ein rätselhaftes, mehrdeutiges Wesen, und man meint dann, alles Beliebige von Gott herleiten zu können, z. B. auch den Auftrag, unschuldige Menschen zu töten.

Aber mit Jesus ist ein neuer Geist in die Welt gekommen: Heiliger Geist. Pfingsten lassen wir uns neu inspirieren von diesem Geist. Ohne diesen Geist kann man nicht erkennen, wie Gott es mit uns meint und dass er durch Jesus unser aller Vater geworden ist.

Es ist Jesus Christus, der uns zeigt, wie die alte Schrift auszulegen und zu verstehen ist. Eben in seinem Geist ist sie auszulegen!  Jesus ist so etwas wie ein Verstehensschlüssel. Er schließt uns den Willen Gottes auf, weil er der Sohn ist und den Vater kennt wie sonst niemand. Jesus selbst hat sich ja in seiner Zeit immer wieder gegen ein falsches Verstehen des Wortes Gottes gewandt. Feinde hat er sich damit gemacht, vor allem unter den Frommen, die meinten, er würde Gott verraten. Wegen Gotteslästerung wurde er ja hingerichtet. Er wurde selber Opfer eines religiös-politischen Wahns.

Aber durch sein Wort und durch sein Beispiel, durch seine Menschlichkeit hat Jesus uns gezeigt, wie Gott wirklich ist: Er ist die Liebe. Und diese Liebe hat Jesus ausbuchstabiert in seiner Verkündigung und bis zum Tod am Kreuz. Jesus ist der wahre Sachwalter Gottes. Und jeder, der an ihn glaubt, bekommt auch Anteil an seinem Geist, an Gottes Geist, von dem wir schon erfüllt sind, wenn wir gläubig auf Jesus schauen und ihm nachzufolgen suchen, auch wenn wir immer wieder dahinter zurückbleiben und versagen.

Wo Menschlichkeit wächst und sich ausbreitet, da zeigt sich Gottes Geist. Wo Unmenschliches geschieht, da ist Gotets Geist nicht. Unmenschlichkeit kommt nicht von Gott. Denn Gott ist nicht als Gott, sondern als Mensch zu uns gekommen, als wahrer Mensch.

Es ist wohl dies die Tragik des Islam, dass dem Koran ein Neues Testament fehlt, ja, dass ihm Christus fehlt als Verstehensschlüssel, der die Ambivalenz, die Mehrdeutigkeit des Gottesverständnisses zur Eindeutigkeit, zur Klarheit bringt und so die Wahrheit Gottes offenbart: Gott will nicht den Tod – er will das Leben, nicht den Hass, sondern die Liebe, nicht die Gewalt sondern das Erbarmen, nicht Strafe, sondern Vergebun.

Und so ist mit Jesus dieser neue Geist in die Welt gekommen. Jesus nennt ihn den Geist der Wahrheit, der uns in die ganze Wahrheit einführt, in die Wahrheit Gottes. Er möchte die Verblendung, auch die religiöse Verblendung wegnehmen. Ja, wer diesen Heiligen Geist hat, der ist wirklich in Gott. Und wer aus diesem Geist lebt, wird ihn weiterschenken. Er oder sie wird nicht mehr Böses mit Bösem, Unrecht mit Unrecht vergelten, sondern das Böse durch das Gute überwinden helfen. Und dieser Geist gibt auch den Mut, einzutreten für die Verfolgten und überhaupt sich zu Christus zu bekennen in dieser Zeit, in der unser Christsein mehr und mehr verächtlich gemacht wird.

Und das schönste am heutigen Evangelium ist wohl, dass Jesus diesen Heiligen Geist „Beistand“ nennt. Er ist unser Beistand, wie ein Anwalt beim Gericht, der für das Recht eines zu Unrecht Angeklagten kämpft und ihn in der Hoffnung stärkt, dass es gut ausgehen wird. Der Heilige Geist ist der, der uns beisteht in all unserer Unsicherheit und Gefahr, der uns die Zuversicht gibt, die wir brauchen, und die Kraft zum christlichen Zeugnis, damit wir uns nicht von der Angst um uns selbst treiben lassen und aus lauter Angst egoistisch und unmenschlich werden und mit Hass auf andere blicken, auch wenn sie uns feindlich gegenüber stehen. Der Heilige Geist steht uns bei, damit wir nicht in alte Denk- und Verhaltensmuster zurückfallen, sondern – wie Paulus schreibt – „friedfertig und geduldig einander in Liebe ertragen“, weil wir in diesem Geist geborgen sind im Leben und im Sterben.

Die Eucharistie, die wir jetzt feiern, schenkt uns dieses Unterpfand der Hoffnung – bar auf die Hand!